Gefragt: Kirsten Mosel

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Interview mit der in Argentinien lebenden deutschen Künstlerin Kirsten Mosel über ihr Wandbild im MAMba, Feuerlöscher und museale Hotspots

Von Susanne Franz


“Frau Mosel, Ihre Repräsentation des Stadtplans von Buenos Aires gibt nicht gerade das Image vom streng geometrischen Schachbrett-Plan der argentinischen Hauptstadt wider. Ist es eher ein “Innerer Stadtplan”, den Sie da entwerfen?”

“Ja, es geht um die individuelle autobiografische Sicht eines Nicht-Argentiniers auf die Stadt Buenos Aires. Bei meinen Erkundungstouren durch die Hauptstadt fiel mir auf, dass ein Großteil der Straßennamen mit Präsidenten, Militärs, Schlachten, Provinzen und wichtigen historischen Ereignissen Argentiniens zu tun hat – die Geschichte und Geografie in den Straßennamen spielen eine zentrale Rolle für die Identitätsbildung des Landes. 2012 fing ich an, die Beschäftigung mit Stadtplänen dieser Stadt als ein Projekt meiner künstlerischen Arbeit und Recherche zu verstehen. Ich nehme mir einen Ausschnitt der Stadt vor, zeichne das Viertel aus der Vogelperspektive und vergrößere die Zeichnung über Projektion. Durch die Vergrößerung bekommt die Zeichnung der einzelnen “Cuadras” einen persönlichen handmade-Charakter. Hinzu kommt die Katagorie Schrift, die ich einerseits als Zitat (eines Fachbuches zur Entstehung der Straßennamen von Buenos Aires) und andererseits als graphisches Element verwende.

Dieses Projekt wurde im Dezember 2012 eingeladen, an der Ausstellung “SITE SPECIFIC dibujo” im Museo de Arte Moderno von Buenos Aires teilzunehmen. Drei Künstler zeigen jeweils drei Monate lang große Wandarbeiten, insgesamt neun Künstler pro Jahr. Gerade der Blick einer nicht-argentinischen Künstlerin auf die Stadt interessierte den Kurator Santiago Bengolea und die Museumsdirektorin Laura Buccellato. Die Wandarbeit dort ist eine Zusammenführung der Stadtplan-Zeichnungen mit meinen abstrakten Folienarbeiten. Die “Cuadras” habe ich als nicht-bedeutungstragende und verschiedenfarbige Formen auf die Wand gesetzt, die Bedeutung der Straßennamen handschriftlich mit Ölkreide eingeschrieben. Und es ist, wie Sie sagen: Das Schachbrett wird scheinbar aufgehoben durch die Wahl und Anordnung des Ausschnitts, der nicht parallel zum Boden verläuft. Die große helle aufstrebende Linie hat mit der Autopista 25 de Mayo zu tun, die in Wirklichkeit direkt neben dem MAMba verläuft. Der Schachbrett-Plan ist sozusagen aus dem Bild gefallen, wenn Sie so wollen…”

“Was genau ist an Ihrer Wandarbeit “site specific” und wie reagieren die Museumsbesucher auf Ihre Arbeit, die ja gleich beim Hochgehen der Eingangsrampe zum ersten Stock zu sehen ist?”

“Für mich ist “site specific” im wahrsten Sinne des Wortes orts-bezogen: die Arbeit “Calles de Buenos Aires” im MAMba bildet mittels der künstlerischen Sprache der urbanen Abstraktion den Stadtteil ab, in dem das Museum verortet ist, in San Telmo. Es gibt noch einen weiteren Bezug: die Feuerlöscher und die Überwachungskamera auf der Wand waren gegeben, ich musste mich mit diesem “Mobiliar” auseinandersetzen – beides sind Elemente, die im urbanen Raum buchstäblich an jeder Ecke vorhanden sind – Elemente der Stadt auf einer anderen Ebene.

Die Besucher aus Buenos Aires sind oft irritiert und fragen sich, ob die Arbeit ein “echter” Stadtplan sei, suchen eine Möglichkeit, von der man schauen kann, gleichen ihre innere Struktur der Stadt mit der des Wandbildes ab. Viele “finden” dann den Ort, wo das Museum liegen könnte.”

“Wie schätzen Sie die Bedeutung des Museums für Moderne Kunst von Buenos Aires ein? Gibt es Ihrer Meinung nach eine repräsentative Übersicht über die lebendige zeitgenössische Kunstszene Argentiniens?”

“Das MAMba hat eine hervorragende Sammlung abstrakter Kunst, die mich jedes Mal von neuem begeistert. Ich denke da an Bilder von Ricardo Laham, Juan Melé, Roger Margariños und die auch aus heutiger Sicht hochaktuellen Acrylarbeiten von Rogelio Polesello. Der Sammlungsschwerpunkt liegt eher auf Kunst der 50er bis 80er Jahre. Zeitgenössische Kunst zeigt das Museum im Kabinett im oberen Stockwerk, im Raum für digitale Kunst (zur Zeit Lux Lindner) oder im Rahmen der wechselnden Wandarbeiten des “Site Specific dibujo”-Projekts (zur Zeit neben meinen Arbeiten die der beiden jungen argentinischen Künstler Matías Ercole und Juan Malka).

Es ist dem Kurator Santiago Bengolea – der das Projekt für das MAMba konzipiert und entwickelt hat – zu verdanken, dem Haus mit seiner hellen und kunstfreundlichen Architektur neue Impulse durch die Auswahl aktueller künstlerischer Positionen zu verleihen. Außerdem hat die neue Nachbarschaft des MAMba mit dem MACBA sicher einen Synergie-, aber auch einen Wettbewerbs-Effekt. Für mich persönlich ist es eine Herausforderung, meine Wandarbeit quasi neben einem wichtigen Bild von Sarah Morris (im MACBA) zu wissen, die sich auf ihre Weise mit urbaner Abstraktion (von Los Angeles) beschäftigt.”

“Interventionen sind mittlerweile in Buenos Aires groß in Mode. Wie sehen Sie das im internationalen Kontext?”

“Die Interventionen hier in Buenos Aires in den letzten zwei Jahren ermöglichen Künstlern den Zugang zu wichtigen Museen. Sie können temporär begrenzt ihren Arbeitsansatz in der Fundación Proa, im MAMba oder auch im Museo de Bellas Artes zeigen und werden von einer großen Öffentlichkeit wahrgenommen – und die Museen können neben ihren Sammlungen mit aktuellen “Hotspots” punkten. Die Interventionen hier sind eher auf Innenräume beschränkt (Ausnahme: die Intervention von Lang/Baumann unter der Brücke zwischen Bellas Artes und der Facultad de Derecho und eine aktuelle Arbeit von Diego Mur auf den geschlossenen Fensterläden der Galería Praxis, die nur nachts zu sehen ist).

In Europa versteht man unter künstlerischer Intervention eher Kunst im öffentlichen Raum (also im urbanen, sozialen und architektonischen Zusammenhang, teilweise mit partizipatorischer oder performativer Vorgehensweise). Denken Sie an die letzte documenta 13, deren Leitmotiv Zusammenbruch und Wiederaufbau war. Ein Großteil der gezeigten Arbeiten ist speziell für Kassel entstanden und hat sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandergesetzt – als Beispiel und Erweiterung ist allein schon der Umstand zu sehen, dass die Stadt Kabul als paralleler Veranstaltungsort der documenta fungierte.”

  • “Site Specific dibujo”, Werke von Matías Ercole, Juan Malka, Kirsten Mosel
  • Kurator: Santiago Bengolea
  • Museo de Arte Moderno de Buenos Aires (MAMba)
  • San Juan 350, Buenos Aires
  • Di-Fr 11-19, Sa, So und feiertags 11-20 Uhr
  • Montags geschlossen, außer an Feiertagen
  • Eintritt 2 Pesos, dienstags gratis
  • 18.12.-30.4.

Fotos von oben nach unten:
Kirsten Mosel, “Calles de Buenos Aires”, 2012/13. Folie und Kreidestift auf Wand, Museo de Arte Moderno Buenos Aires. SITE SPECIFIC dibujo. Kurator: Santiago Bengolea.
(Foto: Kirsten Mosel)

Detail der Wandarbeit “Calles de Buenos Aires”.
(Foto: Kirsten Mosel)

Detail.
(Foto: Kirsten Mosel)

Kirsten Mosel beim Aufbau ihrer Arbeit im MAMba.

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