Jenseits von Zeit und Raum

José María Muscaris “Póstumos” – Staraufgebot im Teatro Regio

Von Susanne Franz


Max Berliner hat weiße, buschige Augenbrauen, einen weißen Schnäuzer und ein verschmitztes Lächeln, er ist dünn und wirkt zerbrechlich. Doch der große alte Mann des jiddischen Theaters von Buenos Aires tanzt noch immer geschmeidig und singt mit samtener Stimme, er wolle doch gar nicht viel – nur “ein bisschen Glück und ein bisschen Glücklichsein”. Außerdem macht er den Damen unermüdlich recht deutliche, anzügliche Angebote. Berliner ist einer aus dem neunköpfigen Ensemble von “Póstumos”, das zur Zeit im Teatro Regio, das zum Theaterhaus “Complejo Teatral de Buenos Aires” gehört, aufgeführt wird und welches neben den “normalen” San Martín-Theatergängern auch ein ganz anderes Publikum anlockt – nämlich eines, das einen oder mehrere der Stars, mit denen das Stück besetzt ist, verehrt oder einst verehrte und das sich vielleicht noch einmal in diese goldenen Theaterzeiten zurückversetzen möchte, als Edda Díaz, Hilda Bernard, Nelly Prince, Erika Wallner, Gogó Rojo. Luisa Albinoni, Tito Mendoza, Ricardo Bauleo und Berliner die Theaterplakate schmückten und für Furore sorgten.

Mit Charme, Charisma, Persönlichkeit und Talent verzaubern diese großartigen Mimen auch heute noch das Publikum und nehmen dabei sich selbst und ihr Alter auf die Schippe. “Zusammen sind wir doch so alt wie Methusalem”, sagt Hilda Bernard (geb. 1920) zu Max Berliner (geb. 1919). Die Satire geht jedoch niemals so weit, dass die Würde der Schauspielveteranen angetastet würde, und auch bei melancholischen Szenen sind sie absolut souverän. Immer wieder bekommt der eine oder die andere spontanen Applaus für eine besonders gelungene Leistung.

José María Muscari hat “Póstumos” erdacht. Der junge Dramaturg, Regisseur und Schauspieler, der genauso im Off-Theater zu Hause ist wie im Fernsehen breite Massen mobilisiert, wurde vom Tod des eigenen Vaters und den Träumen, die für diesen unerfüllt geblieben waren, zu dem Stück angeregt. Er sprach die Schauspieler an und fragte sie, welchen Traum sie sich gerne noch erfüllen würden, und so entstand “Póstumos” auch aus den Gesprächen mit seinen Stars. Erika Wallners “Romeo und Julia”-Einlage gehört neben Luisa Albinonis Debüt als Rockstar ebenso zu den “letzten Wünschen” wie das Bar Mitzwa, das Max Berliner als Junge nicht feiern konnte und nun nachholt.

Es steht noch ein weiterer Mann auf der Bühne, Pablo Rinaldi, der weitgehend stumm agiert und wechselnde Rollen als Conferencier, Requisitenträger oder Stütze seiner Co-Stars einnimmt. Die ordnende Präsenz Rinaldis, das Licht (von Eli Sirlin) und das Bühnenbild (Jorge Ferrari), das aus weißen, durchbrochenen Lamellen besteht, tragen zu einer unwirklichen Atmosphäre bei – es ist, als seien die Schauspieler, die fast immer alle gemeinsam auf der Bühne sind, in einer Art Raum zwischen Leben und Tod, wobei sie zugleich entrückt und unglaublich lebendig wirken. Auch die originellen Kostüme von Renata Schussheim unterstützen den übernatürlichen Effekt von “Póstumos”.

Hilda Bernard würde sich wünschen, dass die jungen Leute von heute mehr mit den Alten redeten. Denn diese könnten ihnen zeigen, wie man liebt. Bei einem der Jungen – Muscari – ist das gar nicht nötig. Er rückt diese alten Stars, die noch immer das Scheinwerferlicht suchen, in ein liebevolles Licht und gibt ihnen einen Rahmen, in dem sie ihr Talent noch einmal so richtig beweisen können. Das Publikum ist hoch erfreut, es spendet stehenden Applaus, und es gibt so gut wie keinen, der beim Hinausgehen nicht glücklich aussieht.

“Póstumos” wird donnerstags bis samstags um 20.30 Uhr und sonntags um 19.30 Uhr im Teatro Regio, Córdoba 6056. Buenos Aires, gezeigt. Der Eintritt kostet 60 bzw. 40 Pesos und am Donnerstag, dem Publikumstag, 35 Pesos. Man kann die Karten auch im telefonischen Vorverkauf unter der Gratisnummer 0800-333-5254 erwerben.

Weitere Informationen auf der Webseite des Complejo Teatral de Buenos Aires.

Foto:
Ensemble und Dramaturg/Regisseur von “Póstumos”: oben (v.l.n.r.) Tito Mendoza, Ricardo Bauleo, José María Muscari, Max Berliner und Pablo Rinaldi, unten (v.l.n.r.) Edda Díaz, Erika Wallner, Hilda Bernard, Gogó Rojo, Nelly Prince und Luisa Albinoni.
(Foto: Carlos Furman)

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