Mit Werbetricks gegen die Unterdrückung

“¡No!” von Pablo Larraín eröffnet das 15. BAFICI

Von Jana Münkel


In und um die Recoleta Mall, dem cineastischen Brennpunkt von Buenos Aires, ist am frühen Mittwochabend alles merklich für das BAFICI herausgeputzt. Während immer mal wieder ein wichtig aussehender Wagen anrollt, liegt ein erwartungsvolles Flirren in der Luft. Das gleiche Flirren, das man so nur auf Festivals erleben kann, ist wenig später im Anfiteatro Centenario zu spüren. Das riesige Open-Air-Theater ist bis zum letzten Platz besetzt; 1600 junge und alte Zuschauer warten gespannt auf den Beginn des 15. BAFICI (Buenos Aires Festival Internacional de Cine Independiente). Paola ist mit zwei Freundinnen gekommen. Sie sei sehr gespannt auf den Film, erzählt sie zwischen zwei Mateschlucken. Pünktlich zum Filmstart an diesem lauen Spätsommerabend beginnt es ein wenig zu tröpfeln, doch das tut der guten Stimmung keinen Abbruch.

Gastland des diesjährigen Festivals ist Chile und so verwundert es nicht, dass der Eröffnungsfilm von eben dort kommt. Der Oscar-nominierte “¡No!” von Pablo Larraín hat sogar Argentinien-Premiere und handelt von Chiles besonderem Weg zum Sturz der Militärdiktatur im Jahr 1988. Für diesen Umbruch ist die Rolle der Medien außerordentlich wichtig. Das Fernsehen im Chile der 80er Jahre ist quasi das heutige Facebook im arabischen Frühling: gebeutelt von Zensur oder Verbot und dennoch wirkungsvoller Kommunikationskanal, um viele zu erreichen. Die 15 Minuten Sendezeit, die der Opposition von der Militärdiktatur im Vorfeld der Wahl zugebilligt wurden, betragen einen Bruchteil von Pinochets propagandistischer Medienpräsenz. Damit ist eigentlich nicht viel anzufangen, doch wenn man sie clever nutzt, können sie ein ganzes Land umstülpen.

Gael García Bernal spielt den fiktiven und meist grimmig dreinschauenden Werbeexperten René Saavedra. Als talentierter und gänzlich unpolitischer Werbefuzzi, der eindrucksvolle, aber leere Worthülsen von sich gibt, wird er für die ¡No!-Kampagne angeworben. Mit seinem produktorientierten Denken stößt er auch in den eigenen Reihen zunächst auf Widerstand. Schließlich wird er zur Schlüsselfigur des No-Erfolgs, stellt die Freude als Ziel in den Mittelpunkt und mausert sich zum engagierten Bürger, dem die Zukunft seines Landes am Herzen liegt. Diese Entwicklung nimmt man ihm ohne zu Zögern ab, García Bernals darstellerischer Leistung gebührt höchster Respekt.

Ein Drittel der Bilder bestehen aus Originalmaterial von 1988 und geben einen Einblick in die regenbogenbunte Kampagne. Neben witzigen, spöttischen und sarkastischen Spots stechen die Bilder von Verschleppung, Gewalt und Ungerechtigkeit umso stärker hervor und verfehlen ihre beklemmende Wirkung auch heute nicht. Die Stimmung im Open-Air-Kino schlägt denn auch, wie im Film, minütlich um zwischen der Euphorie, die die Kampagne durch Kreativität, Musik und Farben versprüht und dem bitteren Ernst, wenn die Militärs nachts bedrohlich auflauern oder ihre Schlagstöcke einsetzen. Jeder hat im Hinterkopf, dass das in Wirklichkeit so geschehen ist.

Der Film wird mit seinen 117 Minuten niemals langatmig, und auch ein kurzer Regenschauer kann die Blicke im Anfiteatro nicht von der Leinwand ablenken. Am Ende gibt es viel zu Feiern und zu Lachen (eigentlich schade, dass der Ausgang, historischen Fakten geschuldet, von vornherein klar ist) – und sogar über García Bernals Gesicht huscht endlich ein Lächeln. Mit diesem tollen Einstieg darf man sich auf ein lebendiges und buntes Festival freuen. Der Kartenverkauf läuft weiterhin und es gibt viel zu entdecken. Dieses Jahr scheinen sich die Festivalbesucher besonders für Filme mit historischem Hintergrund zu interessieren: Alle drei Vorstellungen des deutschen Beitrags “Hannah Arendt”, der vom Eichmann-Prozess in Israel erzählt, sind beispielsweise schon ausverkauft.

Doch zurück ins Open-Air-Kino: Nach einem langen Schlussapplaus machen sich Paola und ihre Freundinnen auf den Heimweg. Sie und die anderen BAFICI-Besucher singen und summen auch nach dem Abspann den Jingle der Kampagne weiter: “Chile, la alegría ya viene” – “Chile, die Freude kommt bald”. Ein echter Ohrwurm. Vielleicht ist Pablo Larraín ja selbst heimlicher Werbeexperte? Opposition, Freiheit und Demokratie werden in “¡No!” zum Produkt, das beworben werden will. Und ob man persönlich diesen materiellen Gedanken nun unterstützt oder nicht – man beißt als Zuschauer freiwillig an und wird nur allzu gerne Kunde von der Idee eines demokratischen Chile.

Das 15. BAFICI läuft bis zum 21. April. Informationen und Programm hier.

Foto:
Gute Stimmung herrschte bei der Eröffnung des Independent-Festivals BAFICI am Mittwochabend im Freilichtkino des Parque Centenario.
(Foto: BAFICI)

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