Außergewöhnlicher Architekt und Künstler

Nachruf Clorindo Testa (1923-2013)

Von Philip Norten

Der berühmte argentinische Architekt und Maler Clorindo Testa ist in der letzten Woche im Alter von 89 Jahren gestorben. In Neapel geboren, kam er schon als Kind mit seiner Familie nach Argentinien. 1948 schloss er sein Architekturstudium an der Universidad de Buenos Aires ab. Nachdem er drei Jahren in Europa mit Reisestipendien verbracht hatte, gewann er früh wichtige Wettbewerbe als Architekt. 1959 setzte er sich mit seinem Entwurf für den Neubau der Banco de Londres im Bankenviertel von Buenos Aires (Reconquista 101) durch. Das markante Gebäude spaltet und provoziert noch heute die Meinungen der Porteños – von Architekten geliebt, ist es von vielen Passanten unverstanden oder gar verachtet.

Geprägt wird das Gebäude, heute Sitz der Banco Hipotecario, durch die demonstrative Zurschaustellung seiner tragenden Betonstrukturen – ein Paradigma der damaligen Architektur. Kennzeichen des sogenannten Brutalismus ist zugleich die skulpturale Ausprägung vieler dieser Betonelemente – so verwendete Testa z.B. die massiven Trägerstützen der Fassade als ästhetisches Element, das, wie früher ein Portikus, die Fassade gliedert. Die Obergeschosse der Bank sind an ebendiesen Trägern aufgehängt, was im Innenraum auch zu sehen ist. Diese Sichtbarmachung und Ästhetisierung der funktionalen Elemente trägt sicherlich zum futuristischen Charakter, typisch für den Zeitgeist dieser Epoche, von Testas Architektur bei. Monumental und repräsentativ, wie für Bankgebäude üblich, respektiert die Banco de Londres aber zugleich die akademizistischen Nachbargebäude, indem es beispielsweise die gemeinsame Traufhöhe beachtet.

Testas Bankgebäude erregte Aufsehen im In- und Ausland, was sicherlich auch dazu beitrug, dass er 1962 den Wettbewerb für den Neubau der Nationalbibliothek gewann. Fertiggestellt wurde das Gebäude aber erst im Jahr 1992. Geprägt wird dieser futuristische Entwurf durch den auf vier massiven Betonstützen ruhenden großen Lesesaal, während sich das Büchermagazin unter der Erde befindet. Durch diese Verlegung des Magazins schaffte Testa einen Freiraum im dichtbebauten Recoleta und provozierte zugleich mit der „Raumschiffästhetik“ der Bibliothek einen Kontrast zum französischen Akademizismus der Nachbargebäude.

Wichtige Gebäude Testas aus den 1970er Jahren waren das Hospital Naval gegenüber dem Parque Centenario, das mit seiner eigentümlichen Schiffsästhetik heraussticht, und der Umbau des Centro Cultural Recoleta. Bei diesem lassen sich gut zwei weitere Charakteristika von Testas Architektur beobachten: der Einsatz von kräftigen, oft kontrastierenden Farben und die häufige Verwendung von geometrischen Elementen wie Kreisen und Vielecken, die er beispielsweise zur Gestaltung von Fenster- und Wandöffnungen heranzog. Mit diesen Entwürfen wurde Testa auch zu einem Vorreiter postmoderner Architektur in Argentinien.

Testa blieb auch im hohen Alter aktiv. Noch im letzten Jahr trat er gemeinsam mit Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner auf, um den neuen Pavillon Argentiniens auf der Architekturbiennale von Venedig vorzustellen. Seine experimentellen und futuristischen Entwürfe wirken heute beispielhaft für eine vergangene Epoche, sind aber durch ihre Qualität zugleich zeitlos. Die argentinische Architektur- und Kunstszene wird Clorindo Testa vermissen.

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