Sehr viel Wasser, göttliche Mütter und erschossene Kameras

Ein Streifzug durch die Sektionen des 15. Filmfestivals BAFICI

Von Jana Münkel


Noch ist es wuselig im “Village Cines” in Recoleta. Seit einer Woche verraten die langen Schlangen vor den Kinos, dass das 15. BAFICI in vollem Gange ist. Zeit für eine Zwischenbilanz! Es ist gar nicht so leicht, sich durch den Kinodschungel zu schlängeln und aus den mehr als 400 Filmen ein paar herauszupicken.

Der erste Langfilm der uruguayischen Regisseurinnen Ana Guevara und Leticia Jorge war bereits auf der Berlinale ein voller Erfolg. In Buenos Aires läuft er im internationalen Wettbewerb und auch hier kommt er an: alle drei Vorstellungen sind komplett ausverkauft. Es wird keine riesig aufgebauschte Geschichte erzählt, im Gegenteil. Trotzdem wird man hineingesogen in diesen Film mit dem vielen Wasser. Ein geschiedener Vater holt seine ihm fremdgewordenen Kinder bei der Mutter ab, um eine Urlaubswoche in einer Apartmentanlage zu verbringen. Die pubertierende Lucía (grandios in ihrer Mischung aus Unsicherheit und der Lust, was auszuprobieren: Malú Chouza) und ihr kleiner Bruder sind mäßig begeistert und dann regnet es auch noch unaufhörlich Sturzbäche. “Tanta Agua” ist koproduziert von “Komplizen Film”, einer Berliner Produktionsfirma, die von Maren Ade mitgegründet wurde. Ein bisschen scheint diese Handschrift durch; die Erzählweise der beiden Regisseurinnen erinnert sehr an Ades “Alle anderen”, das 2009 den Großen Preis der Berlinale-Jury gewann. Ohne viel Aufhebens wird man Zeuge eines Familienurlaubs, der sich erst zaghaft zu einem solchen entwickeln muss. Die hilflosen Annäherungsversuche des Vaters (Nestor Guzzini) an seine Kinder oder Lucías erste Flirts, Enttäuschungen und Alkoholeskapaden – das alles driftet nie ins Klischeehafte ab. Neben urkomischen Szenen, die viele Lacher im Kinosaal provozieren, wirken die Dialoge, in denen vieles unausgesprochen bleibt, authentisch und unkonstruiert. Es könnte sich um Szenen aus dem eigenen Urlaub handeln.

Auch zahlreiche sehenswerte Dokumentationen lassen sich auf dem BAFICI entdecken. Trotz der frühen Stunde ist die Pressevorführung des mit Spannung erwarteten “Bloody Daughter” (Außer Konkurrenz) gut gefüllt. Regisseurin Stéphanie Argerich ist die Tochter der weltberühmten argentinischen Pianistin Martha Argerich. “Ich bin die Tochter einer Göttin”, sagt sie selbst in leicht sarkastischem Ton und zeichnet das Porträt einer virtuosen Frau, die Chopin als die Liebe ihres Lebens bezeichnet, drei Töchter mit drei verschiedenen Männern hat und die Balance zwischen tourender Künstlerexistenz und Muttersein nicht immer zu halten vermochte. Herausgekommen ist ein sehr persönlicher Film, der gekonnt Bilder aus verschiedenen Zeiten integriert. Stéphanie filmte eher zufällig seit früher Kindheit. Das ist ein Glücksfall, denn so entstanden wertvolle Szenen, die die wunderschöne Martha Argerich mit dem feingliedrigen Gesicht in Jung, Alt, im Schlafanzug im Kreis der Familie und in Konzertkleidung zeigen. Gekonnt kommentiert und reflektiert Stéphanie, die der jungen Martha wie aus dem Gesicht geschnitten ist, aus dem Off, thematisiert ihre Kindheit und die Mutter-Tochter-Beziehung mit zuweilen unbequemen Fragen. Auch ihre Schwestern und ihr Vater kommen zu Wort. Man hat den Eindruck, die lebendige Künstlerfamlie aus erster Hand kennenzulernen.

Eine andersartige Dokumentation läuft im Panorama: “5 Broken Cameras” von Emad Burnat und Guy Davidi zeigt schockierende Bilder aus dem Kern des Nahostkonflikts. Emad Burnat filmte für die preisgekrönte und Oscar-nominierte palästinensisch-israelisch-französische Koproduktion seinen Alltag in Bil’in, einem kleinen Dorf, das besonders von der israelischen Besiedlung betroffen ist. Die Bewohner protestieren gegen Häuser- und Mauerbau, man ist dabei, wenn israelische Granaten einschlagen, die das Handkamerabild erschüttern, und kann sich der Wut nicht erwehren, wenn der Sohn eines Dorfbewohners von einer Kugel getroffen wird und nicht mehr aufsteht. Zu wissen, dass das “real life” sei, sei heftig, sagt die deutsche Austauschstudentin und Festivalbesucherin Leonie Riek. Fünf von Burnats Kameras werden “erschossen”, doch er filmt immer weiter. Die Bilder, kurz bevor die Kameras kaputtgehen, werden erst pixelig, dann schwarz und hinterlassen ein flaues Gefühl im Magen.

Eher enttäuschend ist “Butoh”, eine Dokumentation von Constanza Sanz Palacios über Marielouise Alemann. Sie ist die zweite Frau von Ernesto Alemann, dem Vater der beiden Herausgeber des Argentinischen Tageblatts, und schrieb früher selbst für diese Zeitung. Die gebürtige Deutsche wuchs in Argentinien auf und experimentierte viel mit Happenings und dem Kino. In der Dokumentation ist interessantes Material ihrer Arbeit integriert, allerdings bleiben viele Fragen offen. Die Bilder wirken teilweise unzusammenhängend und werden der beeindruckenden Persönlichkeit dieser außergewöhnlichen Frau nicht gerecht. Ein durchdachteres Porträt wäre wünschenswert gewesen.

Positiv zum BAFICI und insbesondere zum interessierten Publikum äußerten sich zwei angereiste deutsche Regisseure. Zu lebendigen Publikumsdiskussionen gehören aber selbstverständlich auch spannende Filme. Sebastian Mez’ Dokumentation “Metamorphosen” aus dem internationalen Wettbewerb thematisiert eine Gegend im Südural, die durch den weitgehend unbekannten, weltweit drittgrößten Atomunfall radioaktiv verseucht ist. Mit einer besonderen Schwarz-Weiß-Ästhetik und Filmkorn als Stilmittel gelingt es ihm, eine eigentlich wunderschöne Landschaft verfremdet und bedrohlich wirken zu lassen.

Christoph Hochhäuslers Bankerdrama “Unter dir die Stadt” von 2010 läuft in der Sektion “Panorama” und verstört mit seiner Handlung, die auf wirklich geführten Interviews mit Bankern basiert. Die Chefetage einer Investmentbank als frostiges Milieu mit kalten Farben, starren Formen und Scheinfreundlichkeiten enthüllt ein unmenschliches Spiel um Macht, Sex und Geld. Ein unvorstellbarer Voyeurismus entwickelt sich innerhalb der Handlung, aber auch durch die Kamera, die jedes Detail genau verfolgt und mit kühl-analysierender Nüchternheit freilegt.

Ein BAFICI-Besuch, ganz gleich in welcher Sektion, lohnt sich also allemal.

Infos hier.

Foto:
5 zerstörte Kameras – Emad filmt trotzdem weiter.

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