“Lasst uns für eine Minute schweigen”

Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto

Von Jana Münkel


Die vielen Sitzplätze im Gewölbefoyer des Holocaustmuseums reichen gar nicht aus, so viele Menschen sind am Dienstagabend gekommen, um gemeinsam den Opfern der Shoah zu gedenken. Vor allem ältere Besucher hat es zu der Veranstaltung gezogen. Leise, melancholische Flötentöne, gespielt von Liliana Iciksonas, bahnen sich ihren Weg durch das Stimmengewirr und sorgen für andächtige Ruhe. Nach der Begrüßung spricht David Galante. Er ist Auschwitzüberlebender, verlor bis auf einen seiner Brüder die gesamte Familie. Mit brüchiger Stimme spricht er von seinen Erlebnissen, von dem, was seine Augen niemals vergessen können, wie er sagt. “Und deshalb sind wir heute hier: Um zu erzählen, was wir erlebt haben.”

Im Fokus steht an diesem Abend der Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto, der sich am 19. April zum 70. Mal jährte. Die dort gefangenen Juden lehnten sich mit allem, was sie an Waffenähnlichem zur Verfügung hatten, gegen ihre Deportation auf. Als die Nazis in das Ghetto einmarschierten, wurden sie von jüdischen Widerstandskämpfern unter der Leitung von Mordecai Anielewicz angegriffen und aufgehalten. Etwa vier Wochen dauerten die erbitterten Kämpfe an. Um den Widerständlern sowie allen getöteten und überlebenden Juden zu gedenken, entzünden Persönlichkeiten aus dem jüdischen Leben in Argentinien sechs Kerzen an einem Leuchter. Gefolgt wird dieser symbolische Augenblick von einer Schweigeminute und einem gemeinsamen Gebet, ein bewegender Moment für alle Anwesenden.

In seiner anschließenden Rede erinnert der Rabbi und Rektor des lateinamerikanischen Rabbinerseminars Dr. Abraham Skorka an den “Horror der Shoah” und die “schreckliche Stille in Auschwitz”. Ein eindringliches Plädoyer für die gekonnte Balance zwischen Freiheit und Recht hält im Anschluss Dr. Luis Alberto Romero, Professor für Geschichte an der philosophischen und geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universidad de Buenos Aires: “Wenn das Gesetz bedroht ist, ist die Freiheit in Gefahr.”

Im Rahmen der Gedenkveranstaltung wird ebenso der neue Aufsichtsrat vorgestellt, der bis 2015 in dieser Zusammensetzung arbeiten wird. Unter mehrfachem Zwischenapplaus hält der neue Museumspräsident Claudio Avruj seine Antrittsrede. Feurig und überzeugend spricht er von der Wichtigkeit des Holocaustmuseums als Institution, die seit 20 Jahren einzigartig in Lateinamerika sei, und bedankt sich bei allen Unterstützern. Es sei zudem ein enormes Privileg, noch mit Überlebenden sprechen zu können.

Auch in Buenos Aires leben einige Zeitzeugen, die regelmäßig ihre Erlebnisse schildern, Avruj honoriert ihren Einsatz gegen das Vergessen. Er gedenkt vor allem der Märtyrer und Helden des Ghettoaufstands vor 70 Jahren und fordert dazu auf, sich nicht nur zu erinnern, sondern nach den Gründen der Shoah zu suchen. “Das Museum soll eine laute Stimme sein, die Geist und Verstand anregt, eine bessere Gesellschaft zu schaffen.”

Nach seiner Rede wird Avruj von vielen Seiten beglückwünscht. Zum Abschluss der Veranstaltung gibt es ein besonderes musikalisches Ereignis. Gemeinsam mit einer russischen Überlebenden singen alle Anwesenden die jiddische “Partisanenhymne”, die auch im Warschauer Ghetto oft zu hören war. Viele können auswendig aus voller Kehle mitsingen: “Dos lid geschribn is mit blut un nischt mit blej” – auch im Holocaustmuseum an diesem Dienstagabend hört man noch die Entschlossenheit heraus, die hinter diesem Vers steckt.

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Der neue Museumsdirektor Claudio Avruj bei seiner Ansprache.
(Foto: Jana Münkel)

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