“In der Geometrie fühle ich mich zu Hause”

Ein Streifzug durch die argentinisch-schweizerische Welt der abstrakten Kunst

Von Jana Münkel


“Geometría – Desvíos y desmesuras”, so lautet der Name einer Ausstellung im Espacio de Arte der Fundación Osde, die am Donnerstag vergangener Woche eröffnet wurde. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Schon während die Besucher die alten, schmiedeeisernen Treppen hinaufklettern, werden bunte Fensterscheiben in der Treppenhauskuppel sichtbar. In den Ausstellungsräumen angelangt, wartet eine farbige Vielfalt, wie sie abwechslungsreicher kaum sein könnte: Gemälde, Skulpturen, Installationen wollen bestaunt werden. Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft stattfindet, ist eine Hommage an das hundertjährige Bestehen der abstrakten Kunst. Im Jahr 1913 nämlich verleitete die erste große Ausstellung abstrakter Kunst in Russland die gesamte russische Avantgarde dazu, von nun an kubistische Elemente in ihre Arbeiten einzubauen.

Der Titel der Ausstellung in der Fundación Osde lässt sich frei übersetzen mit “Umwege und Grenzüberschreitungen”. Letzteres ist Programm: 17 argentinische und fünf Schweizer Künstler sind zu Gast und stellen ihre Werke aus.

Die Schweizer Kunsthistorikerin und international erfahrene Kuratorin Danielle Perret betont in ihrer Begrüßung die Wichtigkeit, Kunst auch über Ländergrenzen hinweg zu zeigen und erwähnt die Bedeutung des Espacio de Arte gerade für junge Künstler. Drei Komponenten spielten für die konkrete Kunst eine besondere Rolle: Farbe, Material und Raum. Als Besucher ist es spannend, genau diese Eigenschaften in den Werken auf immer neue Art und Weise verwirklicht zu sehen.

Die argentinische Künstlerin Carola Zech zum Beispiel, die jüngst eine eigene Ausstellung im Centro Cultural Recoleta hatte, arbeitet viel mit magnetischen Materialien. Ihre Arbeit besteht aus bunten Metallstücken, die vertikal an der Wand hängen sowie eine Säule umschließen und ausschließlich durch Magneten zusammengehalten werden. Sie sei zunächst in den Raum gegangen, um zu sehen, ob sie eine Idee habe, erzählt sie in bemerkenswertem Deutsch. Ihre Haltung zu den Komponenten “Farbe, Raum, Material”? “Vor allem die Mischung interessiert mich. Meine Arbeit besteht aus Eisen, das mit Autolackfarben bespritzt wird. Dazu gehe ich in eine große Fabrik, dort wird mir damit geholfen. Auch die Industrie ist also sehr wichtig für meine Kunst.” Sie freut sich über den argentinisch-schweizerischen Dialog, da doch beide Länder eine starke Tradition in Verbindung mit der Abstraktion hätten.

Die Arbeit des vor allem in Europa bekannten Schweizers Beat Zoderer ist bereits im Treppenhaus zu sehen: Er hat die fünf Fenster der großen runden Kuppel mit bunter Folie beklebt, aus der er runde Kreise verschiedener Größe herausgeschnitten hat. Der im Kanton Aargau lebende Künstler, der auch für den Innenhof des deutschen Bundestags eine bunte Pavillonskulptur entworfen hat, ist zum dritten Mal in Buenos Aires, jedoch das erste Mal für ein Projekt. Es sei spannend, in diesem Kontext das Länderübergreifende in der konstruktiven, abstrakten Kunst zu sehen, erzählt er.

Mithilfe von Fotos und einem Grundriss konnte er von der Schweiz aus schon planen und ihm fiel sofort die architektonische Besonderheit des Gebäudes ins Auge. “Die Eingangssituation ist ja sehr speziell. Man kommt hinein und sieht in diese Kuppel und dann geht man die Treppe hoch und ist plötzlich in der Ausstellung.” Diese zwei Blicke, der von innen und der von außen, interessieren ihn am meisten. Und es ist richtig: Das Spannende an der Ausstellung sind die vielen Perspektiven und Raumauffassungen, die man als Besucher angeboten bekommt und die man sich auch selber suchen kann. Das macht für Zoderer auch die abstrakte Kunst aus, “denn die Figuration erzählt immer Geschichten.” Und es ist gerade das Nichtfigurative, das es erlaubt, eigene Empfindungen zuzulassen. Dazu passt auch der Titel der Ausstellung. Die Geometrie ist die “Lehre von den ebenen und räumlichen Gebilden”, nichts weiter. Auch Zoderer ist zufrieden: “Damit fühle ich mich zu Hause.”

Zwischen all den Installationen, Skulpturen und Wandobjekten sticht das Werk eines Künstlers ganz besonders heraus. Gian Paolo Minelli ist im Tessin aufgewachsen und lebt seit 30 Jahren in Buenos Aires. Er ist der einzige, der Fotografien ausstellt und so den Fokus auf eine “natürliche” Geometrie legt. Zwei Fotos aus seiner Serie “Galpón Colón”, was soviel bedeutet wie “Colón-Schuppen”, zeigen gestapeltes Holz, das ganz verschiedenartig beschaffen ist. Der Blick kann an den Linien entlanggleiten und eine ganz eigene Geometrie entdecken.

Besonders beeindruckend ist das Foto aus seiner “Playa”-Serie. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein Schwarz-Weiß-Foto mit verschiedenen grauen Flächen, die von helleren Diagonalen durchzogen sind. Aufgrund des Titels erwischt man sich bei der Suche nach einer Figürlichkeit, die mit Strand zu tun hat, wird aber in dieser Hinsicht enttäuscht. Erst beim genauen Betrachten fällt auf, dass es sich tatsächlich um ein Strandbild handelt: Das Foto ist von unten durch einen gespannten Sonnenschutz aufgenommen, durch den die Sonne hereinscheint und somit das Spiel mit Licht und Formen erst möglich macht. Diese “Liegeperspektive”, die verschiedene Formen freigibt, zeigt: Auch die Natur kann abstrakt wirken.

Die Ausstellung bietet noch viele weitere Blickfänge und Werke zum Verweilen und Wirkenlassen. Wer die gesamte Vielfalt erleben möchte, kann dies noch bis zum 6. Juli tun. Der Espacio de Arte (Suipacha 658, 1. Etage) ist von Montag bis Samstag zwischen 12 und 20 Uhr geöffnet, Führungen gibt es mittwochs um 18 Uhr und samstags um 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Fotos von oben nach unten:

Blick ins Bunte: Zoderers Arbeit an den Fenstern der Kuppel.

Carola Zech neben der von ihr gestalteten Magnetsäule.

Beat Zoderer: “Der Kreis ist von Hand geschnitten, dadurch wird er weltlich. Denn der Mensch ist ja unperfekt.”
(Fotos: Jana Münkel)

Die Arbeiten von Carola Zech werden ausschließlich von Magneten zusammengehalten.

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