Kreisende Körper

Das “Ballet Contemporáneo” des Teatro San Martín überzeugt auf der ganzen Linie

Von Jana Münkel


Drei sehr unterschiedliche, aber allesamt sehenswerte Stücke junger Choreographen des “Ballet Contemporáneo” hatten am 18. Mai im Teatro San Martín Premiere. Juan Onofri Barbato hat in diesem Jahr den “Premio Creativo Argentino” gewonnen. Der 1983 in Río Negro geborene aufstrebende Choreograph präsentiert sein 25-minütiges Stück “Los trompos” und stellt eindringliche Fragen zu seiner Choreographie: “Was bedeutet es für einen Körper, eine einzige motorische Geste jahrelang zu üben? Was geschieht mit dem Bewegungsapparat, wenn er bis an die Grenze der Funktionstüchtigkeit gebracht wird? Ist es möglich, gegensätzliche physische Abläufe zu vereinigen?”

Es geht tatsächlich vor allem um die Präsenz und die Wahrnehmung des Körpers und seiner Grenzen im Raum. Die Musik von Nicolás Varchausky wirkt industriell, fast mechanisch, und erlaubt, die Aufmerksamkeit auf die Körper an sich zu lenken. Während des gesamten Stückes ist ein “trompo”, also ein Kreisel, anwesend – mal in der synchronen Drehbewegung der Gruppe, mal in jener einzelner Tänzer. Dies erzeugt eine ungekannte Dynamik, die bis zur Erschöpfung der Tänzer ausgereizt wird.

Als Zuschauer wird man mit der Unmöglichkeit konfrontiert, alles zugleich wahrzunehmen. Man muss eine Auswahl treffen, kann immer nur einzelne Bewegungen erhaschen. Als sich gegen Ende eine Solotänzerin aus der Gruppe löst, scheint sie sich zu jedem einzelnen Ton der Musik zu bewegen. Eine packende und gelungene Choreographie.

Das Werk “Ínfima constante” der in Argentinien und Brasilien ausgebildeten Anabella Tuliano setzt mehr auf das Spiel mit Stimmungen und Erzählelementen. Beeindruckend ist der erste, sehr artistische Teil. Leichtrosa gekleidete Tänzerinnen sitzen auf den ausgestreckten Füßen der auf dem Rücken liegenden Tänzer. Vor einer Kulisse aus unzähligen Lichtern schweben sie elfengleich hin und her wie nachts im Winde wehende Blumen. Ein Meisterwerk der Körperbeherrschung. Die folgenden Teile der Choreographie werden leider dominiert von sehr opulenter Musik, die die Aufmerksamkeit erobert und so wenig Raum für das Wahrnehmen der Tänzerinnen und Tänzer lässt.

Das Bühnenbild von Analía González’ “Después del sol” erinnert mit den ungleichmäßig verteilten Stühlen entfernt an das berühmte “Café Müller” von Pina Bausch. Auch die überaus synchronen und sich wiederholenden, stampfenden Gruppenchoreographien können durchaus mit der Kompagnie aus Wuppertal verglichen werden. Sitzen, Fallen, Liegen, Hocken, das sind die Hauptelemente des Stücks. Wichtig sind zugleich Zweierkonstellationen, die zu der Klaviermusik von Ludovico Einaudi und Khaled Mouzanar Gänsehautpotenzial haben. Die Verbundenheit zweier Menschen, die nicht ohne einander können, aber auch nicht miteinander, wird sehr eindrucksvoll in unterschiedlichen Variationen und von verschiedenen Paaren dargestellt. Dabei kippt der Tanz nie ins Klischeehafte ab. Fallenlassen und Wiederaufstehen, Annäherung und Trennung und ein grundsätzliches Ausgeliefertsein an den anderen werden angedeutet und bekommen langen und emotionalen Applaus. Erwähnenswert sind auch die von Julieta Harca und Aliana Kuriss Dick entworfenen Kostüme. Die bunten Kleider der Tänzerinnen sind auffällig, jedoch nicht aufdringlich und passen so wunderbar zu dieser Choreographie.

Dieses neue Programm des “Ballet Contemporáneo” sollten sich Tanzkenner und Tanzneulinge keinesfalls entgehen lassen.

Vorstellungen sind donnerstags um 14.30 Uhr, freitags und samstags um 20.30 Uhr und sonntags um 19 Uhr im Teatro San Martín, Av. Corrientes 1530, Buenos Aires. Am 6. Juni gibt es keine Vorstellung; die letzte Aufführung ist am 9. Juni. Infos hier.

Fotos von oben nach unten:

Blütengleiche Artistik – ein Kraftakt.

Bunte Zweisamkeit in González’ Choreographie.
(Fotos: Alicia Rojo)

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