Vom Surrealismus zum Informel

Die Kunsthalle Bremen zeigt eine umfassende Retrospektive zum Werk des 1932 nach Paris emigrierten Deutschen Wols

Von Nicole Büsing & Heiko Klaas


“Wols ist ein furchtbarer Künstler, weil er uns Mühe macht”, sagt der Frankfurter Kunsthistoriker und Wols-Experte Ewald Rathke. “Doch wenn man sich die Mühe macht, hat man ein Vergnügen, und man gewinnt Einsichten.” Erwald Rathke hat zusammen mit Toby Kamps von der Menil Collection in Houston, Texas, zum 100. Geburtstag von Wols eine umfangreiche Retrospektive mit über 200 Werken in der Kunsthalle Bremen zusammengestellt. Es ist die umfangreichste Wols-Präsentation seit 25 Jahren. Gezeigt werden 32 Fotografien, 126 Arbeiten auf Papier, 36 Gemälde, 19 illustrierte Bücher, aber auch der Malkasten und das Banjo des Künstlers.

Frühe Schwarz-Weiß-Fotografien aus den 1930er und 1940er Jahren bilden den Auftakt der sehenswerten Schau. Surreale Arrangements weisen bereits hier in die Richtung, die der 1913 in Berlin als Alfred Otto Wolfgang Schulze geborene Wols einschlagen wird. 1932 verließ er Deutschland und ließ sich in Paris nieder. Hier erlebte er im Kreis der Surrealisten um Max Ernst, Yves Tanguy und Alberto Giacometti seine künstlerische Erweckung. Es entstehen frühe Aquarelle und Federzeichnungen: Traumsequenzen und noch der Realität verhaftete kleine Szenen. “Alles Zeichnen ist von Anfang an eine artifizielle Veranstaltung”, erläutert Kurator Ewald Rathke.

Die chronologisch aufgebaute Bremer Schau hangelt sich nicht, wie so oft bei Wols, entlang seiner tragischen Biografie, die geprägt ist von Aufenthalten in Internierungslagern, Alkoholsucht und dem frühen Tod im Jahr 1951 nach einer Lebensmittelvergiftung. Vielmehr zeichnet die Schau anhand seines künstlerischen Œuvres die Entwicklung vom Surrrealismus zum Informel nach, zur malerischen Abstraktion. “Da wird das Gegenständliche aufgegeben und in Strukturen überführt”, bringt es Ewald Rathke auf den Punkt.

So lässt sich an dem 1947 entstandenen Gemälde “Vert cache rouge” gut erkennen, dass alles, was wie zufällig entstanden aussieht, einer wohlüberlegten Ordnung entspricht. Eine imaginäre Achse teilt das abstrakte Gemälde in eine rechte und eine linke Bildhälfte, unterschiedlich dichte Bewegungsstrukturen geben einen Rhythmus vor. Wols hat mehrere Farbschichten aufgetragen und mit dem Pinselstiel noch ins feuchte Rot geritzt. “Man muss das Bild begreifen als etwas, das keine Realität ist und doch der Realität nahe kommt”, erläutert Ewald Rathke.

Wols’ informelle Bilder thematisieren Leiden und Freude, Verzweiflung, Ängste und erlittene Traumata. Zu seinen Lebzeiten wurde Wols erst spät entdeckt. Der Pariser Galerist René Drouin richtete ihm im Jahr 1947 eine Ausstellung aus. Doch wirklich geschätzt wurde Wols’ prägnantes Werk erst nach seinem Tod. So war er auf den ersten drei Documenta-Ausstellungen vertreten. 1958 wurde er auf der Biennale Venedig ausgestellt.

Wols’ malerisches Œuvre ist schmal geblieben. Die wenigen Gemälde befinden sich in Museen und im Privatbesitz. Die Bremer Schau konnte jetzt 36 Gemälde zusammentragen. Das entspricht fast der Hälfte seines aus insgesamt nur 80 Gemälden bestehendem malerischen Werks.

  • Ausstellung: Wols: Die Retrospektive
  • Ort: Kunsthalle Bremen
  • Zeit: bis 11. August 2013
  • Di 10-21 Uhr, Mi-So 10-17 Uhr
  • Katalog: Hirmer Verlag, 300 S., 165 Farbtafeln, 60 Farbabb., 224 Miniaturabb., 29,00 Euro (Museum), 45,00 Euro (Buchhandel)
  • Internet

Fotos von oben nach unten:

Wols: Deux sous le baldaquin rayé, um 1938/39. Tuschpinsel und Aquarell auf Aquarellpapier, auf Ingres-Bütten aufgezogen, 31,5 x 42 cm. Privatbesitz, Deutschland.
(Joachim Fliegner, Bremen, © VG Bild-Kunst, Bonn 2013)

Wols: Selbstporträt, Paris 1938. Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden.
(© VG Bild-Kunst, Bonn 2013)

Wols: Ohne Titel, 1942/43. Tuschfeder und Aquarell auf Papier, 19,9 x 12,8 cm. Karin und Uwe Hollweg Stiftung, Bremen.
(Joachim Fliegner)

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