Von der großen in die kleine Welt

Neues Programm des “Ballet Contemporáneo del Teatro San Martín”

Von Maren van Treel


Mit Einbruch der Dunkelheit erwachen die Straßen von Buenos Aires zum Leben. Am Obelisken strömen Sinneseindrücke auf den kleinen Passanten, die denen des New Yorker Times Square gleichkommen: ein Meer von Autos, Lichtern, Menschen.
Nicht unweit des Obelisken befindet sich der nächste Superlativ, das Teatro San Martín. Mit dem Öffnen der Tür tritt man jedoch von der großen Welt vor der Tür in die kleine Welt für sich.

Am Freitagabend vergangener Woche fand hier die Aufführung dreier verschiedener Werke statt, getanzt vom “Ballet Contemporáneo” unter der Leitung Mauricio Wainrots. Uraufgeführt wurden das Werk “Galaxia” mit Choreographie und Videoinstallationen von Margarita Bali und “Oscuras golondrinas” unter der Leitung Daniel Goldins, wieder aufgenommen wurde das bekannte Werk “La consagración de la primavera” mit einer Choreographie von Mauricio Wainrot.

Auch hier wurde der Zuschauer von der großen in die kleine Welt geführt, denn begonnen wurde mit dem Stück “Galaxias”, inszeniert von Margarita Bali zur Musik von Gabriel Gendín. Mit dem Erscheinen des Universums auf der Leinwand an der Rückwand der Bühne wurde der Zuschauer mitgenommen in eine Welt, die unbegreiflich größer ist als die große Stadt vor der Tür des Theaters.

Die Videoinstallationen und die Miniaturtänzer auf der Leinwand wurden von ihren menschlichen Vorbildern begleitet, die jeweils mit einer weißen Kugel in der Hand auf die Bühne eilten.

Was dann folgte, waren tanzende Galaxien, jeder der Tänzer ein Stern oder ein Planet. Die Zuschauer sahen die unterschiedlichsten Phänomene des Universums. Im Mittelpunkt stand dabei die immerwährende Bewegung des Kosmos. So wie die Planeten sich um ihre eigene Achse drehen, drehten sich auch die Tänzer in Pirouetten um sich selbst. Unterbrochen wurden die einzelnen Sequenzen von einem Mann im schwarzen Frack, der einen Astronomen darstellte und die Ereignisse sorgfältig studierte.

Das zweite Stück trug den Namen “Oscuras golondrinas” und wurde unter der Leitung Daniel Goldins zu der Musik von Dimitri Schostakowitsch aufgeführt. Vom Universum zurück zum Planeten Erde, der Schauplatz: die Stadt. Straßenlaternen, beschmierte graue Wände, eine Bushaltestelle, ein Haus. Die Handlung sponn sich um das Leben der Menschen in der Metropole. Oft tanzten die Tänzer parallel zueinander, liefen aneinander vorbei, hektisch und schnell. Selten schenkten sie sich innige Gesten. Parallel zueinander und dem Publikum zugewandt, fassten sie sich allesamt wie verzweifelt an den Kopf oder bewegten die Lippen wie im Gespräch zu einem unsichtbaren Gegenüber – dem Publikum, oder gar sich selbst? Das Ganze hatte fast etwas Zombiehaftes. Leben in der großen Stadt: Anonymität, ein Nebeneinander, selten ein Miteinander, und ein ewiges Überschneiden der Lebenswege an den immer gleichen Orten des Alltags. Ihren Ausdruck fand diese Melancholie auch darin, dass alle Tänzer zum Schluss schwarze Mäntel trugen. Einsamkeit und Isolation mitten in der Menschenmasse.

Das dritte und letzte Stück des Abends war das bekannte Ballett “La consagración de la primavera”. Das Stück wurde neu inszeniert von Mauricio Wainrot, dem Leiter des “Ballet Contemporáneo”. Es spielt im heidnischen Russland und handelt von einer Frühlingsopferung zur Beschwichtigung des Frühlingsgottes.

In Pastelltönen gekleidet, boten die Tänzer dem Publikum ein Spektakel der Gruppendynamik. Besonders eindrucksvoll war der rivalisierende Tanz der Geschlechter, bei dem die Männer auf dem rechten und die Frauen zeitgleich auf dem linken Teil der Bühne tanzten. Im Laufe des Stücks wurde die Jungfrau bestimmt, die geopfert werden sollte. Vergeblich flehte sie um Gnade, fügte sich dann jedoch in ihr Schicksal. Gekrönt wurde das Ganze mit einem spektakulären Schlussbild.

Mit dieser letzten Szene schloss sich der Vorhang, es gab “Bravo”-Rufe, und das Publikum strömte aus dem Saal. Hinaus aus der kleinen Welt, zurück in die große.

Die Aufführung der drei Werke ist noch bis zum 25. August donnerstags um 14.30 Uhr, freitags und samstags jeweils um 20.30 Uhr und sonntags um 19 Uhr im Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530) zu sehen. Sie dauert insgesamt 130 Minuten und beinhaltet zwei Pausen von je einer halben Stunde. Der Eintritt kostet 70 Pesos für Sitzplätze im Pullman und 90 Pesos für Sitzplätze im Parterre. Donnerstags kann man sich die drei Stücke für nur 30 Pesos ansehen.

Foto:
Tanzende Galaxien: Choreographie von Margarita Bali.
(Carlos Flynn)

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