Außenseiter aus Leidenschaft

Retrospektive des deutschen Filmemachers Werner Schroeter in Buenos Aires

Von Carlo-Johannes Schmid


Er ist der große Außenseiter des deutschen Films und der Opern- und Theaterbühnen, einer, der konsequent die Schönheit, die Sinnlichkeit, das Schillernde und das Zerbrechliche gegen die Wirklichkeit verteidigte. Einer, der sich von den Kinorealisten heraushob wie kein Zweiter. Seine Filme waren weder kommerzielle Erfolge, noch wurden sie unter Kritikern frenetisch gefeiert. Er war dem breiten Publikum nie so bekannt wie seine Zeitgenossen Werner Herzog oder Rainer Werner Fassbinder, dennoch ist die Bedeutung Werner Schroeters für den “Neuen Deutschen Film” enorm.

Werner Schroeter ist im Jahr 2010 im Alter von 65 Jahren gestorben. In Buenos Aires bekommt man nun in einer umfangreichen Veranstaltungsreihe die Gelegenheit, diesen Künstler besser kennenzulernen. Ab dem heutigen Samstag (und bis zum 1. September) werden 19 seiner Filme im Rahmen der vom Goethe-Institut Buenos Aires organisierten Werkschau “Die unerträgliche Wirklichkeit überwinden” im Lugones-Saal des Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530) gezeigt.

In die Veranstaltungsreihe führte am gestrigen Freitag Schroeters Weggefährte, der Produzent Frieder Schlaich, ein, der in der Universidad del Cine den Vortrag “Produktion und Verleih innovativer Filme am Beispiel Werner Schroeter” hielt. Ergänzt wird die Retrospektive auch von der Buchpräsentation “Schroeter, una autobiografía” (Verlag Mardulce), die am Dienstag, den 20. August, um 19.30 Uhr, bei freiem Eintritt im Lugones-Saal stattfinden wird.

Schroeter selbst war mehrmals in Argentinien. 1983 folgte er einer Einladung des Goethe-Instituts, die auf Initiative von Marielouise Alemann ausgesprochen wurde. Er hielt ein Seminar über Experimentalfilme und fing an, einen Film in den Elendsvierteln der Stadt zu drehen. Dabei interviewte er auch Vertreter von Menschenrechtsorganisationen. Zwischenzeitlich musste Schroeter das Projekt jedoch aufgrund von Drohungen rechtsextremer Gruppen abbrechen. Zwei Jahre später kam er zurück und drehte den Film “De L’Argentine” (1983-1985) mit Hilfe von Freunden und Schülern zu Ende. Im Rahmen der nun stattfindenden Werkschau wird der Film erstmals in Argentinien gezeigt; das argentinische Filmteam, das Werner Schroeter damals begleitete, wird bei der Vorführung anwesend sein.

Hört man seine Weggefährten und Kollegen über Werner Schroeter reden, bekommt man eine Ahnung von seiner kreativen Persönlichkeit und seinem bewegten Leben. So sagte Rainer Werner Fassbinder: “Werner Schroeter hat als einer der wenigen Menschen auf dieser Erde die Gabe des Künstlerblicks und, wer weiß, auch das seltene Privileg, in die Mysterien des Universums einzudringen.” Elfriede Jelinek nannte ihn gar einen Gott: “Ein Gott langweilt sich nie, denn auch sein Nichtstun ist Arbeit. So war Werner.”

Doch letztendlich machte auch vor ihm der Tod nicht halt. Als er 2010 nach langer Krebskrankheit starb, veröffentlichte der “Spiegel” einen emotionalen Abschiedsbrief seines ehemaligen Geliebten Rosa von Praunheim, der einen sehr persönlichen Einblick in Schroeters Leben gibt. Darin beschreibt Praunheim Schroeter als einen “perversen Poeten, ein Zauberer des Lichts und der Schönheit”, als einen “rastlosen Wanderer, der mit seinem schwarzen Anzug und großem Hut und einer kleinen Tüte um die Welt reiste”. Die Beiden hatten sich in den 60er Jahren auf dem Experimentalfilmfest im belgischen Knokke kennengelernt, einem Treffpunkt internationaler Undergroundfilmer – für Schroeter eine Initialzündung. Er verstand sich fortan endgültig als Filmemacher.

Geboren am 7. April 1945 im thüringischen Georgenthal, wusste er jedoch schon früher, wohin ihn seine Reise führen sollte. Mit fünf Jahren äußerte er bereits den Wunsch, Filmregisseur zu werden.

Werner Schroeter wuchs in Bielefeld und Heidelberg auf. Dort hatte er mit 13 Jahren am Küchentisch seiner Familie ein richtungweisendes Erlebnis: Er hörte die Radioübertragung einer Opernarie von Maria Callas. Das brachte ihn nicht nur zum ersten Mal mit dem Thema Oper in Berührung, fortan war die Sängerin das einzige Idol seines Lebens. In Interviews bezeichnete er sie als Botin zwischen Gott und den Menschen. Auch einige seiner ersten Filme widmete er der Operndiva.

Schroeter zog es dann schnell von zu Hause weg, er war ein Ausreißer, der mit 14 Jahren alleine in Italien zur Schule ging, es später nur ein paar Wochen an der Münchner Filmhochschule aushielt und daraufhin nach Berlin zog, um Filme zu machen. Das Handwerk brachte er sich selbst bei.


Angefangen mit einer 16-Millimeter-Kamera, die ihm seine Mutter schenkte, drehte er Ende der 60er Jahre immer wieder Low- und No-Budget Filme. Einen ersten Erfolg konnte er mit seinem zweistündigen Experimentalfilm “Eika Katappa” verbuchen, er wurde von der Internationalen Filmwoche Mannheim 1969 mit dem Josef-von-Sternberg-Preis ausgezeichnet.

Neben dem Film arbeitete Schroeter ab 1972 regelmäßig an Theater- und Operninszenierungen in verschiedenen Städten der ganzen Welt mit. Dass ihn das Erlebnis in der Küche seiner Eltern nachhaltig geprägt hatte, merkte man nicht nur an seinem Schaffen auf der Bühne, auch viele seiner Filme sind von der Liebe zur Oper geprägt.

Einen seiner größten Erfolge feierte Schroeter jedoch mit seinem ersten realistischen Film. Für das Drama “Palermo oder Wolfsburg” gewann er 1980 den Goldenen Bären bei den Berliner Filmfestspielen. An derselben Stelle, in Berlin, holte er sich auch seinen letzten Preis persönlich ab: Der Regisseur, der stets offen mit seiner Homosexualität umgegangen war, wurde 2010 für seinen Verdienst als “radikaler Experimentierer und großer Außenseiter des Neuen Deutschen Films” mit dem schwul-lesbischen Teddy Award geehrt.

So verträumt, schillernd und phantasievoll seine Werke sind und sein Leben war, so überraschend nüchtern ging er mit seiner Krankheit und dem Tod um: “Sie gehört zum Leben dazu. Der Tod gehört zum Leben dazu.” Er hinterlässt ein großes Werk, welches es für viele Menschen erst noch zu entdecken gilt. Von Praunheim drückte es so aus: “Ich bin aber sicher, es wird bald wieder eine Generation geben, die dein Werk, lieber Werner, wiederentdecken wird und sich absetzt von dem kommerziellen Scheiß, der bei uns im Moment das Sagen hat. Und man wird zurückblicken auf dein poetisches Werk, mit dem du uns verzaubert hast.”

Infos und Programm hier.

Fotos von oben nach unten:
Werner Schroeter.
(© Filmmuseum München)

Werner Schroeter, “Isabelle Huppert, Goldregen”, Frankfurt, 2009.
(© Werner Schroeter/Christian Holzfuss Fine Arts & Galerie VU)

“Nuit de chien”, Filmszene.
(© Filmmuseum München)

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