Film ab!

Das 13. Deutsche Kinofestival steht vor der Tür

Von Susanne Franz


Wunderschöne Landschaften, schnelle Autos, brave, geschniegelte Schulkinder: Alles scheint perfekt in deutschen Landen. Doch unter der Oberfläche brodelt das Böse, lauern das Perverse, die Langeweile und die Gnadenlosigkeit: Mit der Satire “Finsterworld” wird das diesjährige 13. Kinofestival von Buenos Aires am Donnerstag, den 12. September, eröffnet. Die Regisseurin und Co-Autorin Frauke Finsterwalder reist persönlich an, um ihren Film dem Publikum in Argentinien vorzustellen.

Bis Mittwoch, den 18. September, haben Kinoliebhaber die Gelegenheit, die jüngsten Produktionen talentierter junger Filmschaffender in 11 Langspielfilmen und einem Kurzfilmprogramm kennenzulernen. Alle Filme laufen im Saal 6 des Kinokomplexes Village Recoleta, Junín/Vicente López, Buenos Aires. Der Vorverkauf hat am 7. September bereits begonnen.

Einzelkarten kosten 50 Pesos, es gibt auch ermäßigte Abos. Der Stummfilm mit Livemusik, der das Festival traditionsgemäß abschließt, kostet 62 Pesos Eintritt. Informationen zu den Filmen, zum Publikumspreis etc. finden Sie auf der Webseite des Festivals.

Hier einige Filmkritiken:

“Am Himmel der Tag”

Von Carlo-Johannes Schmid


Wilde Küsse, herzhaftes Lachen, Bier, Longdrinks, Schnaps, noch mehr Küsse, Sex und Leidenschaft – am Wochenende. Kopfweh, Aspirin, Übelkeit, Spaghetti, lustlose Lernerei, noch mal Spaghetti und Warten auf das Wochenende – grauer Alltag. Ja, “Am Himmel der Tag” zeigt das Leben einer Studentin. Oder besser gesagt, das Bild einer ganzen Generation von Studenten. Immer auf der Suche nach ein bisschen Authentizität im Leben. Wer bin ich? Was studiere ich da eigentlich? Und wie sieht die Zukunft aus? Mit diesen Fragen schlägt sich die 25-jährige Hauptperson des Films, Lara, herum. Da kommt es ihr nach anfänglichen Zweifeln gar nicht mal so ungelegen, dass sich das zweite große Thema des Films überraschend ankündigt. Das Leben selbst. Lara ist plötzlich schwanger. Ein Schock. Denn das Leben geht weiter, das Studium, die Partys, die Lernerei. Nur eins ist jetzt anders, es hat einen Sinn. Dies erkennt Lara und entschließt sich, das Kind zu behalten. Sie will Verantwortung übernehmen für ihr Leben.

Die anfängliche Skepsis weicht der Vorfreude. Sie bereitet alles auf das Leben mit ihrem Kind vor, freut sich mit ihrer besten Freundin über ihre wachsenden Brüste und streicht das Zimmer. Die junge Studentin meistert alle Veränderungen mit einer erstaunlichen Leichtigkeit und Begeisterung. Bis das Leben erneut zuschlägt. Und wieder muss es einfach weitergehen.

“Am Himmel der Tag” ist der erste Langspielfilm der Regisseurin Pola Beck. Die damit selbst erst ihr Studium an der Filmhochschule “Konrad Wolf” beendete. Die Hauptdarstellerin Aylin Tezel, gewann für die Rolle der “Lara” 2012 den Preis als “beste Schauspielerin” beim 30. Torino Filmfestival.

“Speed”

Von Maren van Treel


Speed, die “Droge” unserer Gesellschaft. Technik und Maschinen takten unser Leben, eine einzige Effizienzsteigerung. Am Ende steht für immer mehr Menschen die totale Erschöpfung: der Burn-Out. “Wollen wir so leben?”, lautet die Frage, die sich Florian Opitz, Dokumentarfilmemacher und Autor, stellt. Und warum tun wir es überhaupt? Davon handelt sein Dokumentarfilm “Speed – auf der Suche nach der verlorenen Zeit”.

“Was? Eine Stunde und 37 Minuten dauert der Film? Kann ich mir das leisten? Ich muss doch noch…”, denke ich zu Beginn des Films. Moment. Innehalten. Genau so sieht sie aus, die Beschleunigung der heutigen Zeit. Opitz sucht aber nicht nur nach deren Ursache, sondern auch nach anderen Lebenskonzepten. Das führt ihn zu Therapeuten, mehr oder weniger hilfreichen Selbsthilfe-Gurus und Wirtschaftsvertretern, aber auch in ferne Länder und zu Menschen, die ihr ganz eigenes Konzept des langsamen Lebens entwickelt haben.

Auch wenn einige der Ergebnisse schon bekannt sind, ist der Film doch eine gute Zusammenfassung, in der der Zuschauer manches Mal überrascht wird. Sehenswert ist er aber vor allem als Ausgangspunkt für die eigene Suche nach Auswegen aus der ständigen Rastlosigkeit. Diese Zeit sollte man sich nehmen, es geht schließlich um die eigene Lebensqualität.

“Hannah Arendt”

Von Marcus Christoph


Regisseurin Margarethe von Trotta hatte schon mit ihrem Film über Rosa Luxemburg einer bedeutenden Frau der deutschen Geschichte ein cineastisches Denkmal gesetzt. Nun lässt sie mit “Hannah Arendt” ein weiteres folgen. Als Hauptdarstellerin setzte von Trotta auch diesmal auf Barbara Sukowa. Dieser gelingt es, die deutsch-jüdische Philosophin überzeugend darzustellen. Dabei erhebt der Film nicht den Anspruch, das ganze Leben Arendts nachzuzeichnen. Er beschränkt sich auf die Zeit des Prozesses gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann, den die Philosophin in ihrer berühmten Analyse der “Banalität des Bösen” beschreibt. Arendt wohnt der Gerichtsverhandlung in Jerusalem bei. Eichmann nimmt sie nicht als “Monster” wahr, sondern als mittelmäßigen Bürokraten. Als dieser verkörpere er das moderne Böse, das nicht dämonisch, sondern banal sei.

Der Film zeigt auch die Anfeindungen, denen Arendt nach Veröffentlichung ihrer Studie ausgesetzt war. Ihre Kritik an den Judenräten, die sie der Kollaboration mit den Nazis bezichtigte, war für viele nicht hinnehmbar. Weggefährten im New Yorker Emigrantenmilieu oder in Israel wenden sich von ihr ab.

In dem Film sind Rückblenden zu sehen, die Arendt mit ihrem früheren Mentor Martin Heidegger zeigen. Die komplexe Beziehung zwischen der Jüdin und dem Philosophen, der zeitweise mit der NS-Bewegung sympathisierte, wird aber leider nur kurz beleuchtet. Trotzdem ist “Hannah Arendt” ein sehenswertes Drama, bei dem man viel über Geschichte lernt.

“Transpapa”

Von Susanne Franz


Die Fete zu ihrem 15. Geburtstag endet mit viel Müll – und dann macht auch noch der Angebetete Schluss. Ihre Freundin erzählt ihr am Handy, wie er in der Schule über sie herzieht. Maren (Luisa Sappelt) ist am Boden zerstört. Doch es soll noch schlimmer kommen: Ihre Mutter beichtet ihr, dass ihr Vater nicht etwa wie vermutet als Aussteiger seit Jahren in Nepal lebt, sondern in einem Vorort von Köln, und dass er jetzt Sophia heißt und als Frau lebt. Nach dem ersten Schock macht Maren sich heimlich auf, ihn/sie zu besuchen, ihrer Mutter tischt sie eine Lügengeschichte auf. Sophia (Devid Striesow) ist mindestens ebenso nervös wie Maren, als sie sie am Bahnhof abholt. Was nun? Wie werden die beiden ihre Beziehung definieren in einem Moment, in dem sie beide in Umbruchphasen stecken – und in denen beider Hormone ziemlich verrückt spielen?

Das Schöne an “Transpapa” ist, dass hier ein komplexes Thema als warmherzige, “kleine” Geschichte erzählt wird. Maren und Sophia sind auf Neuland und bewegen sich behutsam aufeinander zu, ohne großartige Lösungen parat zu haben. Eine sehr menschliche Geschichte und ein sehr gelungenes Langfilmdebüt der jungen Regisseurin Sarah Judith Mettke, die damit auch ihre eigene Geschichte verarbeitet.

“Schuld sind immer die anderen”

Von Carlo-Johannes Schmid

Ein Film über Reue und Vergebung, in dem sowohl Täter als auch Opfer auf eine harte Probe gestellt werden. Ben ist ein krimineller Jugendlicher ohne Perspektive, der sich mit einem brutalen Überfall endgültig auf das falsche Gleis katapultiert. Zusammen mit einem Komplizen raubt er eine Frau aus und verprügelt die am Boden Liegende. Die Konsequenz seines Lebenswandels holt ihn bald ein: Knast. Dort sitzt er wegen kleinerer Delikte. Der Überfall konnte nicht aufgeklärt werden. Dass es im Gefängnis nicht angenehm ist, bemerkt er, als er selbst Prügel einstecken muss, deshalb lässt er sich auf das Angebot des Sozialarbeiters Niklas ein. Dieser nimmt ihn mit in den freien Vollzug in die Einrichtung “Waldhaus”, die er zusammen mit seiner Frau Eva führt. Dort gibt es weder Zäune noch Mauern, dafür aber einen straffen Tagesablauf, viele Regeln und ein Bewertungssystem, durch das man sich in der Hierarchie nach oben arbeiten kann. Das Ziel ist der sogenannte Täter-Opfer-Ausgleich, der besagt, wenn der Täter ehrlich bereut, wird ihm das Opfer auch verzeihen. Anfangs sträubt sich Ben gegen alle Regeln, findet sich aber bald besser zurecht. Er fängt an, eine Zukunft für sich zu sehen und träumt von einer Ausbildung als Automechaniker. Als jedoch Eva aus dem Urlaub kommt, muss Ben entsetzt feststellen, dass es sich bei der Frau von Niklas um sein Prügelopfer handelt.

Der Regisseur Lars-Gunnar Lotz beleuchtet in “Schuld sind immer die anderen” nicht nur die Rolle des Gewalttäters und dessen Versuch der Besserung. Er zeigt auch, wie schwer es ist, zu verzeihen. Auch für Eva, die Jugendlichen seit Jahren beibringt, dass Vergebung möglich ist.

“Wir wollten aufs Meer”

Von Marcus Christoph


Wer die DDR frei nach Günter Grass als “kommode Diktatur” wahrgenommen hat, der bekommt bei dem Politdrama “Wir wollten aufs Meer” eine härtere Version totalitärer Herrschaft vor Augen gehalten. Düster, voller Intrigen, Verrat und brutaler Gängelung stellt Regisseur Toke Constantin Hebbeln in seinem zweiten Langfilm den “Arbeiter- und Bauernstaat” dar. Im Zentrum der Handlung stehen mit Cornelis (Alexander Fehling) und Andreas (August Diehl) zwei junge Männer, die 1982 nach Rostock kommen, um möglichst bald als Matrosen in die weite Welt zu fahren. Doch sie finden nur Beschäftigung am Hafen. In dieser Situation bietet die Stasi an, die beiden zur Handelsmarine zuzulassen, wenn sie den zur Flucht bereiten Vorarbeiter Matthias (Ronald Zehrfeld) aushorchen. Das Drama nimmt seinen Lauf, als dessen Fluchtversuch scheitert und der Bespitzelte in den Knast muss. Andreas dient sich der Stasi an. Cornelis hingegen leidet an Gewissensbissen und versucht schließlich selbst, mit seiner vietnamesischen Freundin Phuong Mai (Thao Vu) über die tschechische Grenze in den Westen zu entkommen. Phuong Mai schafft die Flucht, Cornelis aber wird verhaftet. Im Gefängnis trifft er seinen einstigen Vorarbeiter Matthias wieder. Während sie in der Haft Schikanen ausgesetzt sind, intrigiert der zum hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter aufgestiegene Andreas eifrig gegen seinen einstigen Freund.

Unter dem Strich ein beklemmender Film darüber, was ein totalitäres Regime mit Menschen anstellen kann.

“Freier Fall”

Von Susanne Franz


Wer in einem Läuferfeld an erster Position liegt, muss schon eine besondere Persönlichkeit besitzen, um nicht nervös zu werden, wenn ihm die anderen dicht auf den Fersen sind. Der Film “Freier Fall” beginnt mit einem Läufer, der ganz entspannt ein Rudel schwitzender Polizeischüler anführt. Hinter ihm keuchend ein anderer, der schon bald mit Seitenstechen aufgeben muss. Kay (Max Riemelt), der Erste, und Marc (Hanno Koffler), der Zweite, geraten im Laufe der Fortbildung aneinander und werden beide gerügt. Danach rauchen sie eine Zigarette zusammen, dann einen Joint, dann laufen sie gemeinsam. Eins kommt zum anderen – die beiden stürzen sich in eine heftige Affäre.

Marcs “normales Leben” bleibt davon zunächst unberührt. Mit seiner hochschwangeren Freundin ist er gerade in ein von den Eltern und Schwiegereltern finanziertes Haus gezogen, das auch noch direkt an die Häuser der vier Eltern grenzt. Kein Wunder, dass der Mann nicht atmen kann. Dort wäre Marc wahrscheinlich alt geworden und hätte das ganz normal gefunden, doch Kay hat sich in ihn verliebt und taucht unvermutet als neuer Kollege bei Marcs Arbeit auf. Und die beiden können die Finger nicht voneinander lassen. Als Marcs Sohn geboren wird, macht er mit Kay Schluss, doch da kann er schon nicht mehr zurück in sein altes Leben. Wohin es gehen soll, weiß er auch nicht: Er steht vor einem Trümmerhaufen. Dennoch sieht man am Ende, wie Marc – erneut bei der Fortbildung – das Feld anführt. Von Atemschwierigkeiten keine Spur.

Die Sexszenen im Film vermitteln die intensive erotische Anziehung zwischen beiden Männern, “nackte Tatsachen” werden hingegen kaum gezeigt. Regisseur Stephan Lacant hätte sein Langfilmdebüt gar nicht im Polizistenmilieu ansiedeln müssen. Es wäre auch so ein guter Film geworden.

“Finsterworld”

Von Carlo-Johannes Schmid

Der Eröffnungsfilm des 13. Deutschen Kinofestivals ist das Spielfilmdebüt von Frauke Finsterwalder. Sie führte Regie und schrieb zusammen mit ihrem Mann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, das Drehbuch. Im Film wird der Zuschauer auf eine Reise geschickt unter die Oberfläche der deutschen Gesellschaft. Die Dinge, die man sonst nicht mitbekommt, kommen zum Vorschein. So folgt man in dem Film verschiedenen Charakteren mit ihren Vorlieben und Macken, die alle eine eigene Geschichte erzählen und am Ende doch auf teils dramatische Weise zusammenhängen und kollidieren.

Ein wohlhabendes Ehepaar jettet um die Welt. Dabei geht es seiner Lieblingsbeschäftigung nach, sie beschweren sich über die schlechten Zustände, die in Deutschland herrschen und wie viel besser es früher war. Währenddessen beschwert sich ihr verzogener Sohn über einen langweiligen Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers und lässt sich zu dem ein oder anderen geschmacklosen Scherz hinreißen, mit teils schwerwiegenden Auswirkungen für seinen Lehrer. Der Junge scheint die Ignoranz seiner Eltern zu genießen, was man von seiner Großmutter nicht behaupten kann. Sie fristet ein einsames Leben, abgeschoben in einem Altersheim. Da es ihrem Fußpfleger, der ihre Hornhaut sammelt, ähnlich zu gehen scheint, fangen die beiden eine Liebschaft an. Ergänzt werden die kuriosen Vorlieben der Charaktere von einem Polizisten, der sich am liebsten als Kuscheltier mit Gleichgesinnten trifft und einem einsamen, im Wald lebenden Mann, der auf seine spezielle Art auf die Zerstörung seines Lebensraumes reagiert.

“Finsterworld” ist kein Wohlfühlkino, eher hinterlässt er ein mulmiges Gefühl. Eine vordergründig heile Welt wird auf satirische Weise als Lügengebilde entlarvt.

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