“Dieser Film ist keine Abrechnung” – Nachlese zum 13. Deutschen Kinofestival von Buenos Aires

| Film / Cine | 5/10/13 | 0 comentarios

Interview mit Frauke Finsterwalder, der Regisseurin von “Finsterworld”

Von Carlo-Johannes Schmid


“Finsterworld”, der Eröffnungsfilm des 13. Deutschen Kinofestivals, das Mitte September in Buenos Aires stattfand, ist das Spielfilmdebüt von Frauke Finsterwalder. Sie führte Regie und schrieb zusammen mit ihrem Mann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, das Drehbuch. Im Film wird der Zuschauer auf eine Reise geschickt unter die Oberfläche der deutschen Gesellschaft. Die Dinge, die man sonst nicht mitbekommt, kommen zum Vorschein. So folgt man in dem Film verschiedenen Charakteren mit ihren Vorlieben und Macken, die alle eine eigene Geschichte erzählen und am Ende doch auf teils dramatische Weise zusammenhängen und kollidieren.

CJS: Neulich haben Sie in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk gesagt, dass Sie noch nicht fertig sind mit Deutschland und deswegen einen Film über Deutschland machen mussten. Sind Sie denn nach “Finsterworld” jetzt fertig mit Deutschland? War dieser Film eine Art Abrechnung?

FF: Dieser Film ist keine Abrechnung, aber natürlich habe ich mir etwas von der Seele gesprochen damit. Es ist eher eine Analyse, würde ich sagen. Ich weiß nicht, ich bin ja Deutsche, ich spreche Deutsch, auch wenn ich im Ausland lebe, ich weiß nicht, inwieweit ich jetzt fertig bin mit Deutschland oder nicht, aber diese Identität würde nie weggehen, egal ob ich jetzt einen Film im Ausland machen würde oder nicht.

CJS: Was wollten Sie mit dem Film aussagen? Es ist schon eine Art Kritik an der deutschen Mentalität oder Gesellschaft?

FF: Also es liegt mir fern, da allgemeine Aussagen zu machen, dann könnte man ja auch sagen, ich will mich selber kritisieren, ich bin auch Deutsche. Ich möchte auf keinen Fall verallgemeinern, würde ich das wollen, würde der Film “Deutschlandwelt” heißen.

CJS: Was verbindet Sie mit Buenos Aires? Sie haben hier ja zwei Jahre lang gelebt. Was haben Sie hier gemacht und hat es Ihnen gefallen?

FF: Ja, mir hat es hier sehr gut gefallen, deswegen bin ich auch hierher gezogen. Ich glaube, dass es ganz viele Probleme, die in “Finsterworld” besprochen werden, hier so nicht gibt. Es gibt wesentlich mehr zwischenmenschliche Wärme, würde ich sagen, es gibt mehr Umarmungen, Berührungen, eigentlich permanent, das haben wir in Deutschland ja nicht. Ich habe es sehr genossen, in dieser schönen Stadt zu leben. Und auch meine Tochter hat ihr erstes Jahr in ihrem Leben hier verbracht und das war ganz toll, mit einem kleinen Kind hier zu leben. Kinder sind ja in Deutschland nicht so beliebt, aber hier sehr, ganz besonders Babys, und es gibt dann immer diese Situationen, wo man mit dem Kinderwagen auf der Straße ist, und dann kommen Leute und küssen das Kind. In Deutschland ist es eher so, dass die Leute sagen, schöner Kinderwagen, und das Kind selber wird ignoriert. Ja, es war eine ganz tolle Zeit, und das Drehbuch zu “Finsterworld” wurde ja auch zum Teil hier geschrieben.

CJS: Warum sind Sie Regisseurin geworden?

FF: Es war meine Berufung. Ich wollte immer schon Regisseurin werden, ich wollte das schon, als ich fünf Jahre alt war. Ich habe, glaube ich, mit acht Jahren mein erstes Theaterstück inszeniert, es war eigentlich immer klar, dass ich das wollte, auch wenn ich ein paar Umwege auf dem Weg zur Regisseurin genommen habe. Erst war ich im Theater tätig, und dann hat es sich eben zum Film hin verändert.

CJS: Sie haben ja angefangen mit Dokumentarfilmen, warum sind Sie umgesattelt auf Spielfilm?

FF: Das ist für mich jetzt gar nicht so ein großer Unterschied, es geht in beiden Fällen darum, Geschichten zu erzählen. Und auch meine Dokumentarfilme waren von der Form her oft sehr am Fiktiven dran. Man hat mir auch immer vorgeworfen, dass die Form des Erzählens in meinen Dokumentarfilmen sehr frei war. Ich weiß nicht, ich glaube, es ist kein großer Unterschied. Der größte Unterschied ist glaube ich, dass man beim Dokumentarfilm mit einem sehr kleinen Team arbeitet, mit nur einem Kameramann, manchmal macht man selber Kamera und Ton. Es gibt Situationen, wo man alleine ist mit den Protagonisten, und sonst ist man halt höchstens mit zwei anderen, das ist natürlich bei einem Spielfilm ganz anders. Da gibt es eine riesige Maschinerie, die man bewegt als Regisseur, angefangen bei den Schauspielern und den ganzen anderen Leuten am Set, keine Ahnung, wer noch alles was hinter den Kulissen macht. Das ist was, womit einige Dokumentarfilmer Probleme haben. Für mich war das eine Riesenbefreiung, ich finde das wahnsinnig toll, diese ganzen verschiedenen Leute zu haben, die einfach viele Sachen besser können als ich. Also ich kann zum Beispiel keine Kostüme machen oder Kulissen bauen. Auch mein Kameramann hat phantastische Arbeit geleistet. Für mich war das eine große Befreiung.

CJS: Wie viel Biographisches steckt in “Fisterworld”, von Ihnen und vielleicht auch von Ihrem Mann Christian Kracht, der das Drehbuch mitgeschrieben hat?

FF: Naja, es ist natürlich auch so ein kleiner Trick, so zu tun, als wäre das jetzt alles biographisch, muss man sagen, gerade der Charakter der Filmemacherin natürlich, das wäre ein bisschen zu einfach. Aber natürlich haben alle Geschichten, die man erzählt, mit einem selber zu tun und mit dem, was man erlebt hat, und in diesem Fall ganz extrem, also es gibt keine Figur, keine Geschichte, die nicht irgendetwas mit mir zu tun hätte, also das ist im besten Fall so, glaube ich.

CJS: Sie haben auf der Pressekonferenz anlässlich des 13. Deutschen Kinofestivals von Buenos Aires gesagt, dass Sie nach Deutschland gereist sind und dass Sie dort ganz viele unglückliche und unfreundliche Menschen getroffen haben. Was genau ist Ihnen denn da passiert, was haben die Menschen Ihnen erzählt?

FF: Also ich finde, das ist einfach ein gesamtes Stimmungsbild, ich kann es auch nicht so verallgemeinern, aber das kennt ja jeder von uns, wenn man in Deutschland lebt und man fährt in Urlaub und man landet dann wieder in Deutschland auf dem Flughafen und trifft die Flughafenangestellten, die einen dann anblöken, nachdem man drei Wochen in Asien unterwegs war, wo alle sehr nett sind. Ich glaube, das Gefühl kennt man, und die Deutschen sind halt sehr direkt und zum Teil sehr unhöflich und zum Teil auch sehr stolz darauf, unhöflich zu sein. Es wird einfach nicht so viel Wert auf ein gewisses Miteinander gelegt. Das angenehme Umgehen miteinander ist in Deutschland sehr unwichtig. Es geht immer eher um die einzelnen Personen, das ist wichtig, wie man sich fühlt, und das auch jeden spüren zu lassen, wie man sich fühlt.

CJS: Sie haben auch erwähnt, dass die Deutschen nicht so sehr über sich selber lachen können. Versuchen Sie mit diesem Film, anders zu sein als die Deutschen, indem Sie zeigen, dass Sie über sich selber lachen können?

FF: Das ist eine geschlossene Frage, da kann ich nur Ja sagen!

CJS: Warum sind Sie aus Deutschland weggezogen? Finden Sie die Menschen da wirklich so schlimm?

FF: Nein, überhaupt nicht, das ist einfach, weil ich gerne reise, weil mich das interessiert, weil für mich der Stillstand im Leben, der Stillstand an einem Ort, wie Sterben ist. Also ich brauche Bewegung im Raum, sonst werde ich verrückt. Und es hilft mir, um auf neue Ideen zu kommen, das sind die Gründe. Und ich finde Deutschland auch gar nicht so schrecklich, ich finde Deutschland zum Teil auch sehr komisch und ich bin da zu Hause, meine Familie lebt da und so weiter. Die Gründe sind eher, dass mich das Reisen interessiert, und da bin ich auch nicht alleine, also je mehr man im Ausland ist, desto mehr Menschen trifft man, denen es genauso geht, das ist auch unsere Zeit, glaube ich, dass man einfach nicht mehr so festgelegt ist auf das Land, aus dem man kommt.

CJS: Sie haben auf der Pressekonferenz gesagt, dass das Drehbuch aus Träumen und Alpträumen besteht, was ist denn zum Beispiel ein Alptraum von Ihnen in dem Film, und was ist ein Traum, also vielleicht auch etwas Positives, wenn man davon ausgeht, dass ein Traum positiv ist?

FF: Ein Traum sind auf jeden Fall die Momente von Liebe, die es in dem Film gibt, der Bär und das Kind zum Beispiel, und die Alpträume sind glaube ich ziemlich offensichtlich. Also zum Beispiel die Szene im Krematorium des Konzentrationslagers ist natürlich ein absoluter Alptraum.

CJS: Mich hat Ihr Film “Finsterworld” an den Film “Hundstage” von Ulrich Seidl erinnert, und selbiger wird ja auch in Ihrem Film genannt. Was hat es damit auf sich?

FF: Also, dass Ulrich Seidl und vor allem auch Haneke in dem Film erwähnt werden, liegt vor allem daran, dass in Deutschland alle immer so neidisch sind auf die österreichischen Filmemacher, die so tolle Filme machen. Das ist eine kleine Spitze, dass das in dem Film gesagt wird von einer Filmemacherin. Es gibt in der deutschen Filmszene immer diesen Ton, dass alle sagen, warum können wir Deutschen nicht so gute Filme machen wie die Österreicher. Deswegen ist es da drin, und ich persönlich finde, dass “Finsterworld” mit “Hundstage” sehr wenig zu tun hat. Ich finde den Tonfall einen sehr anderen, man kann sagen, es sind beides Analysen von bestimmten Personen oder so, aber ich empfinde “Hundstage” eher als einen Film, wo der Filmemacher in Welten geht, die nicht die seinen sind. “Finsterworld” beschäftigt sich meiner Meinung nach sehr stark mit der Bürgerlichkeit, und das ist ein Milieu, das ich gut kenne, und ich hoffe zumindest nicht, dass ich von oben herab auf diese Leute runterschaue, sondern ich hoffe, dass es gelungen ist, dass es auch ein liebevoller Blick ist. Das macht Ulrich Seidl anders. Aber es ist ja auch kein Urteil da drin.

CJS: Was hat es explizit mit der Szene mit dem wilden Mann im Wald auf sich? Für was ist das eine Metapher? Oder ist es überhaupt eine Metapher?

FF: Sie stellen mir lauter Fragen, die Sie selber beantworten müssten als Journalist.

CJS: Gut, dann versuch ich es mal zu beantworten. Steht dieser Charakter vielleicht dafür, dass man in Deutschland sehr skeptisch gegenüber allem Fremdartigen ist und versucht, das Fremde wegzuschieben, anstatt zu versuchen. mit ihm zu leben?

FF: Das ist sicherlich ein Punkt, die Außenseiterfigur. Es trifft natürlich nicht nur auf Deutschland zu. Als wir den Film drehten, passierte gerade diese Geschichte auf dem Times Square, dort wurde ein junger Mann erschossen, der eine Mischung zwischen Obdachlosem und drogensüchtigem Psycho war. Und der irgendwie rumrannte und rumschrie und ein Messer in der Hand hatte, aber eigentlich niemanden bedroht hat. Der Mann ist förmlich hingerichtet worden von acht Polizisten, die einfach alle auf den Mann geschossen haben. Das passierte genau in den Tagen, als wir diese Szene drehten. Diese Geschichte zeigt, dass die Gesellschaft sehr diktiert, was normal ist und was normal sein darf. Das ist ein Punkt. Aber was natürlich auch sehr wichtig ist im Zuge der Geschichte, ist, dass dieser Mann in einem absoluten paradiesischen Zustand lebt, im Einklang mit der Natur, mit einer fast kindlichen Naivität, und dass das Ganze dann zerstört wird, sobald die “Zivilisation” einbricht. Das ist ein Thema, das es ganz viel gibt in der Literatur und auch im Film. Das gab es auch schon in der Bibel.

CJS: Vielen Dank für das Gespräch!

FF: Gerne.

Foto:
Regisseurin Frauke Finsterwalder vor dem Filmposter beim Filmfest München, auf dem der Film im Juli 2013 uraufgeführt wurde.

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