… si el tiempo lo permite

9. Biennale des Mercosur in Porto Alegre, 13. September – 10. November 2013

Von Maike Pricelius


… wenn es das Klima erlaubt. Ende September, genau in der Regenzeit, erlaubt das Wetter eigentlich ziemlich wenig in Porto Alegre. Aber zum Glück findet die 9. Biennale vor allem in Innenräumen statt, an drei zentralen Ausstellungsorten im Zentrum der Stadt (Memorial, Santander Cultural, Museo de Arte do Rio Grande do Sul Ado Malagoli, MARGS) und in einer alten umfunktionierten Fabrik (Usina do Gasômetro), welche direkt am Wasser liegt.

Die Ausstellung mit dem Titel “Portale, Vorhersagen und Inseln” widmet sich dem Klima als Phänomen, “atmosphärisch, emotional, politisch”. Das Wetter beeinflusst einen eben, wie der Eingangstext feststellt, es ist vorhersehbar, aber nicht kontrollierbar.

Die Kuratorin Sofía Hernández Chong Cuy war als Agentin auf der dOKUMENTA 13, 2012, tätig. Einige der von der künstlerischen Direktorin Carolyn Christov-Barkagiev in Kassel angeschnitten Themen finden sich in Porto Alegre in neuer Form wieder, wie das Interesse an Kooperationen von Wissenschaft, Technik und Kunst, wie auch die Verbindungen von Natur und Kultur. Die Interaktion zwischen Natur, Kultur und Technik bildet eine der zentralen thematischen Achsen der Biennale, weshalb vor allem kooperative Projekte, die sich an der Grenze von Wissenschaft und Kunst ansiedeln, gezeigt werden.

Das Herzstück der Ausstellung, in der Mitte des Santander Cultural, bildet ein riesiger Tank voll blubberndem, Blasen werfendem, halb flüssigem Schlamm. Es handelt sich dabei um Robert Rauschenbergs “Mud Muse”, 1971, welche paradigmatisch für die unterschiedlichen Tendenzen dieser Ausstellung stehen kann. Ein von dem Performance-Künstler Petrie Mason Robie aufgenommener Soundtrack löst die Blasen über ein unter dem Tank angebrachtes System von Luftventilen aus. Das Klicken der Ventile und die Geräusche der Blasen bilden die Geräuschkulisse in der gesamten Eingangshalle. Rauschenberg arbeitete zusammen mit den Ingenieuren Lewis Ellmore und Frank LaHayne im Rahmen des “Art and Technology Program” an der Aktivierung dieser Schlammmassen, die aus einer Mischung aus Vulkanasche und Wasser bestehen. Diese Kooperation zwischen Künstlern und verschiedenen Industriezweigen, von Kunst und Technologie, war 1969 von Maurice Tuchman, der zu dieser Zeit Kurator am L.A. Museum for Contemporary Art war, initiert worden. Es drückt den vorherrschenden Glauben dieser Zeit an die Möglichkeiten neuer Technologien für die Kunst aus. Rauschenberg hatte schon in den frühen 1960ern zusammen mit den Ingenieuren Billy Klüver und Fred Waldhauer und dem Künstler Robert Whitman die Gruppe E.A.T. (Experiments in Art and Technology) gegründet, die sich als eine der Ersten der Kooperation von Künstlern und Ingenieuren gewidmet hatte.

An allen Ausstellungsorten findet sich mindestens ein konzeptuelles Werk aus den 1960er oder frühen 1970er Jahren, welche sich mit dem Begriff der Systemkunst beschreiben ließen und die zahlreiche Bezüge zu den zeitgenössischen Produktionen bilden. Die zentrale Halle im MARGS wird von einer Struktur, bestehend aus 4800 Tetraedern und Oktaedern aus Pappkarton dominiert, die Tony Smith ebenfalls im Rahmen des “Art and Technology Program” zusammen mit der Firma Container Corporation of America entwickelt hatte. “Bat Cave”, 1970, ist Felsformationen, wie sie in der Wüstenlandschaft der USA zu finden sind, nachempfunden, wobei das Material des Kartons an Sand und Stein erinnert. Tony Smith ist durch seine schwarzen, kubischen Stahlskulpturen berühmt geworden, zu denen sich diese komplexe Struktur aus so einem ephemeren Material wie Karton im Vergleich abhebt.

Weitere Beispiele für diese Art der Systemkunst wären Hans Haackes “Circulation”, 1969, ein Kreislauf aus Wasser und Luftblasen, die durch sich immer weiter verzweigende, durchsichtige Plastikröhren fließen und welche den Boden eines ganzen Raumes in der Usina do Gasômetro einnehmen. Durch die sich immer weiter auffächernden Röhrensysteme ändert sich der Rhythmus des Wasserflusses, der erst voller Druck ist, dann immer langsamer wird, um dann schließlich an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Auch die frühen Happenings von Martha Minujín beziehen sich auf eine Art Kreislauf, auf Experimente der Kommunikation, inspiriert von den neuen Möglichkeiten von Medien wie Fernsehen und Video. Im Memorial werden Dokumente von dem Happening der argentinischen Künstlerin gezeigt. In Zusammenarbeit mit Wolf Vostell und Allan Kaprow inszenierte sie am 24. Oktober 1966 in Buenos Aires das Happening “Simultaneity in Simultaneity”, welches in New York und Berlin übertragen werden sollte. Durch Satellitenübertragung sollten gleichzeitig Fernsehbilder und Radiosendungen an diesen weit entfernten Orten empfangen werden. Auch wenn alle drei Künstler einen Beitrag entwickelten, sind auf der Biennale ausschließlich Dokumentationen des Happenings von Minujín zu sehen. Dieses bestand aus einer Rückkopplung von Video- und Tonaufnahmen, die von einem eingeladenen Publikum gemacht worden waren und ihnen am zweiten Tag in Fernsehern und Radio wieder vorgeführt wurden. Das Publikum sah sich also mit seinem eigenen Bild, vermittelt durch die Medien, konfrontiert.

Das Thema der Kommunikation wird im gleichen Gebäude von einem jungen Argentinier in anderer Form wieder aufgenommen. Die Arbeit “Nostalgia Arrow”, 2013, von Nicolás Bacal besteht allein in einem ausstehenden Telefonanruf. Bacal, der sich schon in früheren Arbeiten mit dem Vergehen der Zeit auseinandergesetzt hat, hat nun in Brasilien die Stimme ausfindig gemacht, die seit den 1970er Jahren für das nationale Observatorium die Zeit ansagt. Eloí, deren Stimme über Jahre zu hören war, ist immer noch präsent, wenn man die 0800-0000-130 wählt. Ihre Ansage ist die Gleiche geblieben, jedoch ist die Stimme heute unverkennbar gezeichnet durch den Verlauf der Jahre. Im Zeitraum zwischen dem 13. September und dem 10. November 2013 kann es sein, dass das im Erdgeschoss aufgestellte Telefon zu klingeln beginnt, und sie am Apparat ist.

Auch die argentinische Poetin Fernanda Laguna hat ein Werk über Kommunikation im Auftrag der Biennale angefertigt. Ebenfalls im MARGS liegt ein von ihr geschriebener Brief zum Lesen aus, während sie die Antwort als Flaschenpost im Fluss versenkt hat. Eine ähnliche Idee findet sich einen Raum weiter. Auch der Kolumbianer Daniel Santiago entwickelte ein Projekt im Rahmen eines Aufenthaltes in Kanada, für das er all sein Hab und Gut in einer Kiste verpackte und diese in einem See in der Nähe von Toronto versenkte. Im MARGS sind der Schlüssel zu dieser Kiste, eine Karte mit einem eingezeichneten X und ein Video, “tesoro, diálogo entre tiempos”, 2012, zu sehen, in welchem diese Aktion dokumentiert wurde. Die Skulptur “Perfect Crime”, 2013, von Anthony Arrobo ist eine exakte Nachbildung eines Felsblockes aus durchsichtigem Kunstharz, den der Künstler vorher im Guaíba vor der Stadt hat untergehen lassen.

Die Ausstellung ist geprägt von diesen unsichtbaren Werken, die sich nur in der Imagination des Betrachters vollziehen. Die Kuratoren sprechen daher auch von den Kunstwerken als Portalen, die es ermöglichen, sich andere mögliche Welten zu vergegenwärtigen. Die 9. Biennale versucht, unsere Erde zu kartopgraphieren und gleichzeitig zu zeigen, was unter der Oberfläche liegt. So finden sich Verweise auf Vulkanausbrüche, Bilder von Blitzen, von den Tiefen des Meeres, über die höchsten Baumwipfel bis hin zu weit entfernten Galaxien. Hat man das Thema erstmal entdeckt, taucht es überall wieder auf: Steine, in der Form von Felsen, Sternen oder als Erdboden. Und so erscheint es mehr als folgerichtig, dass durch die Räume des Memorial die Hymne der Biennale zu vernehmen ist, welche aus einer Adaption eines Liedes des brasilianischen Sängers Caetano Veloso, “If You Hold a Stone”, von Mario García Torres, besteht.


Vor allem im Santander Cultural sind Kunstwerke an der Schnittstelle zwischen Kultur und Natur zu sehen. Im ersten Stock zeigt die Biennale ein Gemälde des Meteoriten “Mesón de Fierro”, 2011, des argentinischen Künstlerduos Faivovich und Goldberg. Schon auf der dOKUMENTA 13, 2012, hatten sie viel Aufmerksamkeit für ihre langjährige Forschung über das Meteoritenfeld Campo del Cielo in der Region Chaco bekommen, vor allem für El Chaco, die geplante Reise des 37 Tonnen schweren Steins aus dem All, bzw. Chaco, nach Kassel, welche am Schluss scheiterte. Die Darstellung des “Mesón de Fierro”, der auch aus der Chaco-Region stammt, ist ebenfalls nicht ganz so einfach, wie es scheint, da der Meteorit seit 1783 verschollen ist.

Auch die Arbeit von Allan McCollum, “The Event: Petrified Lightning from Central Florida (with Supplemental Didactics)”, 1997-98, zeigt Formationen, die an Lehmgebilde erinnern, gleich neben dem Tank von Rauschenberg. Es handelt sich dabei um mehr als 13.000 Blitzsinter (Fulguriten), die die gleiche Farbe wie der Schlamm bei Rauschenberg haben. McCollum arbeitete zusammen mit Wissenschaftlern daran, künstlich Blitze anzuziehen. Die Blitzsinter bestehen aus Sand, der durch die hohe Energiezufuhr eingeschmolzen wird. Die in der Ausstellung zu sehenden Replica sind aus dem gleichen Sand geformt, an dem diese Ereignisse stattgefunden haben. Zusätzlich hat McCollum eine Auswahl von mehr als 10.000 kulturellen Zeugnissen, Berichten, Untersuchungen in Broschürenform zusammengestellt, die von diesem seltenen Phänomen handeln.

Die Installation von Elena Damiani, “Fading Field, Nr. 3”, 2013, kombiniert wiederum geologische Formationen mit abstrakten Strukturen. Sie löst damit den realen Ort in den Fotos in ihren dreidimensionalen Collagen auf. Genauso löscht der Wandtext von Fritzia Irizars “Untitled (Fake Nature)”, 2012, jegliche Illusion aus, dass es sich bei dem Diamanten in der Vitrine um einen echten Stein handelt. Dieser wurde aus den Haaren der Tarahumara, einer indigenen Gemeinde in den Bergen von Chihuahua, Mexiko, hergestellt, einer Gegend, die von einer Hungersnot heimgesucht worden ist. Da sich Spuren des Mangels in den Haaren wiederfinden, wurde die Geschichte der Menschen so Teil dieser Diamantskulptur, die auf den ersten Blick nichts als ein Luxusobjekt zu sein scheint.

Die Werke im MARGS funktionieren ebenfalls nur als Hilfskonzepte, um Nicht-Visuelles sichtbar zu machen. Hier dominieren vor allem unsichtbare Kräfte, wie Magnetismus und Radiowellen, die Räume.

Allora & Calzadillas Installation “Ten Minute Transmission”, 1997/2003, besteht aus unzähligen Drahtkleiderbügeln, die eine Antenne bilden, die Kontakt zur Internationalen Raumstation (ISS) aufnimmt, je nach ihrer Stellung ist die Übertragung für zehn Minuten möglich. In der Ausstellung sind ebenfalls Fotografien von Trevor Paglen zu sehen, die zeigen, was nicht zu sehen ist, geheime Satelliten oder eigentlich nicht existierende Orte tausende Kilometer entfernt im All. Diese Bilder, die sich an der Grenze unserer Wahrnehmung ansiedeln, sind nur Dank neuester Technik und wissenschaftlicher Forschung möglich.

Die ältesten Arbeiten auf der Biennale stammen von dem Griechen Takis, der sich seit den 1950er Jahren mit Magnetismus in seiner Kunst beschäftigt. Diese unsichtbaren Kräftefelder macht der Künstler in seinen Installationen sichtbar. Als einer der ersten Künstler, der 1968 Mitglied im angesehenen Center for Advanced Visual Studies (CAVS) am MIT wurde, arbeitete auch er zusammen mit Wissenschaftlern und Ingenieuren. Die Arbeiten auf der Biennale stammen aber von vor dieser Zeit: “White Magnetic Wall, No. 8”, 1961, besteht aus einer weißen Leinwand, auf die ein schwarzer Kegel zufliegt, der aber mitten im Raum in der Luft angehalten scheint und in der Luft schwebt, seine Spitze auf die Leinwand gerichtet. Auch die anderen monochromen Leinwände in Gelb, Rot oder Schwarz dieser Serie bilden durch die Magnetfelder ein dreidimensionales Ganzes.

Der Kreislauf der Ausstellung lässt sich mit dem unsichtbaren Labyrinth, 1971, des Argentiniers Luis F. Benedit schließen. Die Installation ist selbst ein Klassiker der lateinamerikanischen Systemkunst. Benedit war Teil der Gruppe der 13, die in Buenos Aires im Zentrum für Kunst und Kommunikation, CAyC, an der von Jorge Glusberg 1971 wegweisenden Ausstellung “Systemkunst” teilnahmen. Die Gruppe um Glusberg war ebenfalls an neuen Formen der Kunst interessiert, die sich in globalem Maßstab verbreiten lassen sollte und gleichzeitig die Grenzen zwischen den Disziplinen, von Wissenschaft, Technik und Kunst, in einem einzigen Lebenssystem auflösen würde. Der Fokus lag auf der Neuformulierung von existierenden Denksystemen, Informationen und Kommunikation im Zusammenhang mit Kunst, ein Anspruch, dem sich auch die Kuratoren der Biennale verpflichtet – und den sie auf konsequente Weise eingehalten haben.

Fotos von oben nach unten:
Luis F. Benedit, “Laberinto invisible”, 1971.

Robert Rauschenberg, “Mud Muse”, 1970/71.

Tony Smith, “Bat Cave”, 1970/2013.

(hinten) Daniel Santiago, “tesoro, diálogo entre tiempos”, 2012, und (vorne) Anthony Arrobo, “Perfect Crime”, 2013.

Faivovich & Goldberg, “Mesón de Fierro”, 2011.

Allan McCollum, “The Event: Petrified Lightning from Central Florida (with Supplemental Didactics)”, 1997-98.

Allora & Calzadilla, “Ten Minute Transmission”, 1997/2003.

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