Gesinnungsethik und Verantwortungsethik

Ein Enigma

Von Friedbert W. Böhm

drohne11Max Weber hat die Begriffe Gesinnungsethik und Verantwortungsethik vor 100 Jahren geprägt und damit den Zwiespalt beschrieben, der sich heute mehr denn je durch alle politischen Diskussionen zieht.

Einigkeit besteht weithin über unsere Gesinnung: Wir lieben das Gute und verabscheuen das Böse (oder tun wenigstens so). Gesinnungsethiker plädieren und arbeiten gegen den Krieg, die Armut, die Ausbeutung, den Autoritarismus, die Flüchtlingsmisere, die Atomenergie, sind für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit sowie den Schutz von Natur und Klima. Das sind alles überaus respektable, einige sogar auf lange Sicht überlebensnotwendige Ziele. Daher der Zulauf und die Opferbereitschaft, welche Propheten und Religionsführer bei uns von jeher hervorrufen konnten, wie es heute zahlreiche ONGs tun und Oppositionspolitiker, die sich ausrechnen können, bei Lebzeiten nicht einer Regierung anzugehören. Es ist nämlich recht wohlfeil, der Gesellschaft hehre Ziele aufzuzeigen, für deren Verwirklichung man nicht verantwortlich ist.

Verantwortungsethik ist etwas ganz Anderes, Mühsameres. Hier geht es darum, Ethik mit Praxis zu verbinden. Leider sind wir Menschen nicht edel, hilfreich und gut genug geboren, um unsere Eigeninteressen ohne Weiteres mit denen der Gesellschaft (heute einer globalen) und denen künftiger Generationen abzustimmen. Und zwingen lassen wir uns dazu nicht; wir müssen überzeugt werden. Dafür leisten die Gesinnungsethiker gewiss einen wichtigen Beitrag.

Die unsere Lebenswelt bestimmenden Entscheidungen jedoch werden von Politikern, Unternehmern und Gewerkschaftsführern getroffen. Ihre Aufgaben sind der ständige Ausgleich gegenläufiger Rechte verschiedener Gruppen, die Kosten/Nutzen-Analyse zu treffender Maßnahmen, ihre internationalen Auswirkungen sowie die Gewichtung der zu erwartenden kurz-, mittel- und langfristigen Folgen.

Wollen wir, um Krieg zu vermeiden, unbegrenzt zusehen, wie ein Regime seine Bürger knebelt, hungern, foltern und erschießen lässt, ohne im Geringsten auf internationale Vorhaltungen und wirtschaftliche Sanktionen zu reagieren? Oder ist ein solches Regime zu eliminieren? Soll ein starrköpfig aggressives Land unbehelligt fortfahren, seine Nachbarn öffentlich zu bedrohen, Terroristen zu unterstützen und zu beherbergen, die überall in der Welt grausame Anschläge mit hunderten unschuldiger Opfer begehen? Ist es gerechtfertigt, um solches zu unterbinden oder zu bestrafen, ohne Kriegserklärung durch unbemannte, ferngesteuerte Flugkörper mutmaßliche Terroristen zu töten mit dem Risiko, Unschuldige zu treffen?

Sind die Vorteile eines Mindestlohns (oder eines “Bürgergehalts”, wie es etwa in der Schweiz propagiert wird) ausreichend, um das Risiko einzugehen, dass die Arbeitslosigkeit steigt (oder es plötzlich niemanden mehr gibt, der einfache Arbeiten verrichten will)? Droht Europa durch die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer und den Balkan Überfremdung, steigende Kriminalität und soziale Verarmung oder sind diese meist jungen, belastbaren Menschen mit Initiative und Mut eine willkommene Lösung für unseren Geburtenrückgang? Erfordert die Eindämmung unseres CO2-Ausstoßes einen sofortigen Ersatz der Atom-(und Kohle)kraftwerke durch “weiche” Energie, mit den hierfür erforderlichen enormen Investitionen und Tariferhöhungen, oder ist es vorzuziehen, den Übergang zu strecken und schrittweise vorzunehmen?

Ist – in Argentinien – die massive Verteilung von Subsidien und Geschenken der richtige Weg zur Bekämpfung von Armut oder erfordert dies eine grundlegende Erneuerung des Erziehungs- und Sozialsystems mit Mitteln, die nur durch Rückkehr zum Rechtsstaat und Entzerrung der Wirtschaft beschafft werden können – einem langfristigen Prozess, der auf mittlere Frist bedeutet, den Gürtel enger zu schnallen?

Verantwortliche Intellektuelle und wohlgesinnte Macher sind gefragt.

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Ist es gerechtfertigt, ohne Kriegserklärung durch unbemannte, ferngesteuerte Flugkörper mutmaßliche Terroristen zu töten mit dem Risiko, Unschuldige zu treffen?

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