Korruption

Das heimliche Geschäft

Von Friedbert W. Böhm

korruptionKorruption ist die folgenreichste, am leichtesten zu begehende und am schwersten zu beweisende Straftat. Es sind ja immer zwei Schelme, beide Geber und Nehmer. Im einfachsten Fall gibt der Verkehrssünder einige Scheinchen und nimmt den Verzicht auf Strafe für ein überfahrenes Rotlicht entgegen. Der Polizist gibt ein zugedrücktes Auge und nimmt die Scheinchen. Beim ersten Mal haben beide ein schlechtes Gewissen. Der Verkehrssünder beruhigt es damit, dass er ja eigentlich ein disziplinierter Fahrer ist und nur eben diesmal nicht aufgepasst hat, einmal ist keinmal. Und der Polizist sagt sich, dass die Kreuzung ja übersichtlich und frei war, der Fahrer also niemanden in Gefahr brachte oder behinderte, und dass die Scheinchen gerade recht kamen, um seinem Töchterchen ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen.

Selbstverständlich ist einmal nicht keinmal. Die Fälle wiederholen und häufen sich. Dann gibt es keine Gewissenskonflikte mehr. Es machen doch Viele, beinahe Alle. Das wissen auch die Chefs der Polizisten. Es kann doch nicht sein, sagen diese, dass unsere Leute lukrative Nebeneinnahmen haben und wir nicht. Also werden diese Einnahmen im Revier heimlich besteuert. Die Besteuerung setzt sich durch über die oberen Ränge bis in die lokale, regionale und nationale Administration.

Jede Administration hat Geldsorgen. Ein Großteil (wenn nicht der größte) der Ausgaben sind die Gehälter. Warum nicht hier etwas sparen? Unsere Leute bekommen ja so viele Trinkgelder, dass sie nicht unbedingt auf gute Gehälter angewiesen sein sollten. Für die eingesparten Mittel werden wir schon eine Verwendung finden. Jetzt ist bei Verkehrssündern und Polizisten von Gewissen gar keine Rede mehr. Im Gegenteil: Ist es nicht geradezu eine humanistische, patriotische Handlung, durch einige Scheinchen die menschenverachtende Lohnpolitik der Obrigkeit zu mildern?

Die Polizisten mögen dem Autor vergeben. Wenn hier von ihnen gesprochen wurde, so nur als Beispiel für die Situation aller öffentlichen Angestellten. Schließlich sind Polizeigehälter nur ein winziger Ausschnitt des gesamten öffentlichen Lohnschemas. Wenn auch nur ein Schein von Gerechtigkeit gewahrt werden soll, können Büroangestellte, Zöllner, Lehrer, Fahrer, Straßenfeger, Boten, Inspekteure und viele Andere kaum besser gestellt sein als die Wahrer der öffentlichen Ordnung, welche diese schließlich unter Hinhaltung ihrer Haut zu verteidigen haben.

Also führt die immer schlechtere Besoldung einer Gruppe zu universell unzureichenden Löhnen und Gehältern im gesamten staatlichen Bereich. Dies hat mehrere mit der Zeit katastrophale Weiterungen:

Je allgemeiner die tagtägliche “kleine” Scheinchenkorruption wird, desto größer sind ihre Auswirkungen in den oberen Etagen der Administration. Dort ist man ja auch irgendwie dem Gehaltsschema unterworfen und bezieht Einkünfte, mit denen man sich auf keinem Golf- oder Poloplatz sehen lassen kann. Man ist aber doch ein bedeutender, sich aufopfender Staatsdiener, der mindestens Anrecht auf den Lebensstandard eines Wirtschaftskapitäns hat. Niemand kann es einem also verwehren, sich durch Nepotismus, Provisionen auf Staatsaufträge oder auf sonstige Weise schadlos zu halten. Die im allgemeinen Gehaltsschema eingesparten Mittel erlauben das ja, und, wenn nicht, kann man den Haushalt ja durch die Notenbank auffüllen lassen.

Nicht alle öffentlichen Angestellten besitzen die Möglichkeit, sich einigermaßen stabile oder überhaupt Nebeneinkünfte zu beschaffen. Die es nicht können, laufen ständig Gefahr, im Einkommen zurückzufallen. Drohung und Nötigung sind ihre einzigen Mittel, diese Gefahr zu mindern. Sie arbeiten “a reglamento”, streiken, sperren Durchgangsstraßen oder besetzen öffentliche Gebäude, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Zehntausende von Mitbürgern müssen jeweils unter diesen Maßnahmen leiden.

Im Übrigen sind die Staatsdiener permanent demotiviert, was sich in schludriger Arbeit äußert und missmutiger Betreuung der Bürger. Ihre Produktivität sinkt. Das Manko wird durch Neueinstellungen kompensiert. Diese erhöhen die Gehaltsausgaben des Fiskus, wodurch die Möglichkeit einer ausreichenden Besoldung der Angestellten erneut verringert und deren Notwendigkeit für Nebeneinnahmen erneut erhöht wird – ein Teufelskreis.

Dass das Unrechtsbewusstsein bezüglich Korruption in der Gesellschaft rasch verschwindet, wurde schon angedeutet. Es verschwindet jedoch nicht nur in dieser Hinsicht. Wer beim Schmieren oder Geschmiertwerden keine Gewissensbisse mehr empfindet, wirft auch den Abfall auf die Straße, gibt dem sehschwachen Rentner das Wechselgeld falsch heraus, fährt als Taxifahrer den Touristen auf teuren Umwegen, lügt bei Gericht, betrügt die Steuerbehörde, seine Angestellten, seinen Arbeitgeber oder seine Wähler und betrachtet schließlich jedes Versprechen, jeden Vertrag und jedes Gesetz als unverbindliche Empfehlung.

Steht jemand unter Korruptionsverdacht, rauft er sich entrüstet die Haare und fordert eine gerichtliche Untersuchung. Er weiß nämlich ganz genau, dass, wenn überhaupt, nur ganz dumme Korrupte je verurteilt werden. Korruption ist ein heimliches Bargeschäft. Wo sollen die Beweise herkommen? Außerdem gibt es ja immer zwei Verdächtige, den Aktiven und den Passiven (übrigens eine wenig überzeugende Unterscheidung, denn beide geben und nehmen). Sollen die sich etwa gegenseitig der Anstiftung bezichtigen? Und wenn es einen Zeugen gibt, steht seine Aussage immer gegen die zweier Leugner.

Als die große Choleraepidemie von 1892 das Hamburger Staatswesen korrumpiert hatte, nahm die Kriminalität überhand, da die schlecht bezahlten Polizisten Wegschauhonorare kassierten. Sobald man ihnen die Gehälter verdoppelt und klargemacht hatte, dass allein der Korruptionsverdacht ein Entlassungsgrund sein konnte, kam die Stadt wieder in Ordnung. Schon die alten Römer wussten, dass die Gemahlin des Caesars nicht nur keusch sein musste. Sie musste es auch erscheinen.

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