Gelebte Poesie

Der argentinische Dichter Juan Gelman starb 83-jährig in Mexiko

Von Philipp Boos

juan_gelman“Was erfreut die dunkle Nacht? Ein/Wort. Was/verseelt die dunkle/Nacht? Ein Wort.” In seinen Gedichten bediente sich Juan Gelman oft einfacher sprachlicher Mittel und konnte mit kurzen, prägnanten Versen gewaltige Bilder und Emotionen schaffen. Dass die große Kunst im Verzicht bestand, hat wohl keiner so gut verinnerlicht wie dieser bedeutende argentinische Dichter. Am Dienstag starb der 1932 als Kind ukrainischer Einwanderer in Buenos Aires geborene Dichter in Mexiko. Er wurde 83 Jahre alt.

Inspiriert vom Lebensgefühl seiner Heimatstadt Buenos Aires, schrieb er Gedichte über allzu Menschliches. Als Grundlage diente vor allem die Liebe, Inspiration für viele Dichter vor und wohl auch noch nach ihm. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Komplexe Gefühlswelten entwirrte Gelman mit Feinsinn und nicht selten mit großer Dramatik. Wie in seinem über die Landesgrenzen hinaus bekannten Gedicht “Gótan”, wo die einseitige, fanatische Liebe des Protagonisten schließlich nur den Ausweg des Selbstmordes kennt.

Argentinien trauert um einen Mann, der seinem Land 1976, mit Einsatz der Militardiktatur, den Rücken kehrt. Sein persönliches Leben kennt ebenso viele Schicksalsschläge, wie sie so oft Inhalt seines lyrischen Werkes waren. Doch hätte er die eigenen Erfahrungen gegen Ruhm und Buchauflagen eintauschen können, er hätte sich sicherlich auf einen solchen Handel eingelassen.

Schon während seiner Schulzeit am renommierten “Colegio Nacional de Buenos Aires” bewegt sich Gelman in Kreisen rebellischer Dichter und kommunistischer Aktivisten, die u.a. als “El Pan Duro” auf sich aufmerksam machen. Mit Einsatz der Diktatur im Jahre 1975, wird Argentinien für Gelman zu gefährlich und er verlässt das Land Richtung Mexiko.

Er muss nicht nur seine Heimat aufgeben, die inhaltlich in so enger Beziehung zu seinem lyrischen Schaffen steht. Denn oft sind Gelmans Verse eine Ode an die argentinische Kultur. Als wäre der Verlust des Mutterlandes nicht Strafe genug, nimmt Gelmans Leben eine weitere dramatische Wendung. Statt seiner entführt und ermordet die Militärjunta seinen Sohn Marcelo. Auch dessen damals hochschwangere Frau Claudia García wird Opfer der Diktatur. Und Gelman muss aus der Ferne tatenlos zusehen. Im Jahr 2000 schließlich ein später Glücksmoment, die Versöhnung mit der Vergangenheit. Gelman findet seine Enkelin in Uruguay.

Mit der Verleihung des Cervantes-Preises im Jahr 2007 wird seinem Lebenswerk die lang ersehnte internationale Anerkennung zuteil.

Juan Gelman ist stets ein poetischer Avantgardist gewesen, auch in Menschenrechtsfragen ein unermüdlicher Mahner. Sein Stil und die von ihm vertretene Ethik dienen als Vorbild, vor allem für schreibende Nachzügler. Die Welt verliert einen Dichter, dessen Leben und Werk eine einzigartige Einheit bilden. Gelmans Schaffen ist gelebte Poesie.

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