Die Macht der Musik

Soledad Villamil erobert das Tasso

Von Philipp Boos

SOLEDAD VILLAMIL
Am Eingang des Centro Cultural Torquato Tasso fragen mich drei italienische Touristen, ob hier heute mit einer Tango-Vorführung zu rechnen sei. Die Vorstellung beginnt gleich, das Eis, was ich mir gerade noch an der Straßenecke gekauft habe, droht von der Hand auf meinen Unterarm zu laufen. Zudem bin ich jetzt an der Reihe, der hochgewachsene Mann mit Schnurrbart und im Anzug fragt nach meiner Eintrittskarte.

Es bleibt also keine Zeit, die freundlichen Italiener darüber aufzuklären, dass sich Soledad Villamil heute Abend die Ehre geben wird. Und nach dem Konzert werde ich mir denken, welch glückliche Überraschung für die drei “Verlorenen”, die argentinische Sängerin und Schauspielerin eher zufällig entdeckt zu haben.

Das Tasso ist voll besetzt, Villamil “ausverkauft”. Auf den Tischen gefüllte Rotweingläser und appetitlich anmutende Speisen, darüber angeregte Unterhaltungen. Bevor der selbstbewusste und mit Eigenlob nicht geizende Ansager die Stimme erhebt und dem hohen Geräuschpegel Einhalt gebietet, ist der Vergleich mit einem Hühnerstall durchaus angebracht. Schließlich ist es soweit, der ausschweifenden und erheiternden Ankündigung, in welch manigfaltiger Gestalt uns täglich das Glück begegnet – so z.B., wenn der mit Dulce de Leche bestrichene Frühstückstoast vom Teller fällt und nicht mit der beschmierten Seite auf dem Boden landet -, darf das Publikum nun wieder zum alten Geräuschpegel zurückkehren und klatscht kräftig in die Hände. Denn heute, so die Ankündigung, haben wir alle das Glück, hier sein zu dürfen.

Von nun an ist alles einfach und heiter. Soledad Villamil zeigt sich von ihrer natürlichsten Seite, scherzt mit dem Publikum, kokettiert, sieht wie immer umwerfend aus und unterhält charmant zwischen den einzelnen Stücken. Eine echte Porteña eben. Den Großteil der Lieder entnimmt sie ihrem 2012 veröffentlichten Album “Canción de Viaje”, was den Abend abwechslungsreich gestaltet, da die Musik unterschiedlichste Klassiker Lateinamerikas ergründet. Mit der Villamil eigenen und charakteristischen Färbung. Ihre Stimme ist sanft und stets kontrolliert. Jeder Ton ist gewollt, und so gelingt es ihr, live jede noch so gute Studioaufnahme in den Schatten zu stellen.

Wie mächtig Musik sein kann, wird hier trotz des kleinen Rahmens deutlich. Nach großer Euphorie werden die Klänge bedächtiger. Hatte ich mich gerade noch mit Salsa und Bossanova-Rhythmen an kolumbianischen Stränden gewähnt und war mit “Volver, Volver” von Fernando Maldonado bis nach Mexiko vorgedrungen, hatte mit “O Sambo e o Tango” sogar am Zuckerhut gastiert, treten wir im letzten Drittel der Vorstellung die Heimreise an. Mit “Los Poetas de Montevideo” ist Argentinien nicht mehr weit und die Stimmung von schwerer, aber schöner Melancholie. So, als würde man aus einem ereignisreichen Sommerurlaub zurückkehren, in dem Wissen, dass einen bald schon wieder der Alltag im Griff hat.

Doch zum Schluss die unerwartete Wende. Kurz vor unserer Ankunft in der Heimat ein plötzlicher Kurswechsel. Da war ich dem alten Kontinent so weit wie lange nicht entkommen, da nimmt mich Soledad an die Hand und wir flanieren über die Boulevards von Paris. “Les Champs Elysées”. Die Italiener klatschen euphorisch in die Hände, denn jetzt ist es nicht mehr weit bis nach Hause. Die Gläser sind leer. Das Publikum erhebt sich, die Sängerin und Schauspielerin muss jetzt auf ihrem Weg zur Garderobe die vielen Hände schütteln und überschwängliche Lobpreisungen entgegennehmen. Was sie mit Leichtigkeit meistert. Schließlich lag ihr das Publikum schon bei der ersten Strophe zu Füßen.

Soledad Villamil ist jeden Freitag und Samstag jeweils 22 Uhr im Torquato Tasso, Defensa 1575, in San Telmo zu sehen. Vorverkauf: 130 Pesos, Abendkasse: 160 Pesos. Das Vorbestellen wird empfohlen. Kontakt: 4307-6506.

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