Herr der Giganten und Zwerge

Skulpturen von Ron Mueck in der Fundación Proa

Von Susanne Franz

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Die spannendste Ausstellung in Buenos Aires ist zur Zeit die Schau der hyperrealistischen Skulpturen des Künstlers Ron Mueck in der Fundación Proa, die am 16. November 2013 eröffnet wurde und noch bis zum 23. Februar läuft. Es ist die erste Exposition des Australiers in Lateinamerika. Das Publikumsinteresse ist gewaltig: Am 30. Januar meldete die Kunstgalerie im Stadtteil La Boca den 100.000. Besucher.

Für den eher kleinen Kunsttempel Proa ist es nicht einfach, die Massen unter Kontrolle zu halten; besonders an den Wochenenden bilden sich lange Schlangen auf der Explanade vor der Galerie. Drinnen herrscht dann großes Gedränge rund um die wenigen Skulpturen des Meisters Mueck, und im Auditorium, wo ein Dokumentarfilm über die Arbeitsweise des Künstlers gezeigt wird, findet man kaum ein Plätzchen und es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.

Es empfiehlt sich, bevor man den Film anschaut, zunächst einmal durch die Ausstellung zu gehen. Wenn man hereinkommt und das alte Paar am Strand unter dem Sonnenschirm sieht – beide im Riesenformat -, erinnert man sich urplötzlich, wie man sich als kleines Kind in der Gegenwart der riesigen Erwachsenen fühlte. Auch wenn dieser Effekt nur eine Sekunde anhält, ist es doch eine starke Bewusstseinsverschiebung, die man in gewisser Weise auch bei den anderen Menschenskulpturen Muecks – im Mini- oder “mittleren” Format – empfindet, oder angesichts eines überdimensionalen, an den Beinen von der Decke hängenden Hahn-Kadavers, oder beim Betrachten einer blau gestrichenen Wand, an der eine Luftmatratze hängt, auf der ein kleiner Mann in Badehose und mit Sonnenbrille liegt. Schaut man aus einer bestimmten Entfernung auf diese Wand, hat man das Gefühl, in der Luft zu schweben und den Mann von oben zu betrachten, während man gleichzeitig die Füße auf dem Boden spürt.

Das ist nur ein Beispiel dafür, dass bei Ron Mueck jeder Millimeter stimmt, wenn es um die ins Riesenformat oder ins Kleinformat übersetzten Dimensionen seiner Skulpturen geht, deshalb fühlt man sich durch seine Kunst auch nicht getäuscht, sondern eher überrascht, und man ist geneigt, seine eigene Sicherheit über den jedem “zustehenden” Platz in Raum und Zeit zu überdenken.

Der Film im Auditorium der Fundación Proa zeigt den Entstehensprozess einiger der Figuren in der Ausstellung – deshalb ist es interessant, auch nachher, mit dem neuen “Wissen”, noch einmal kurz durch die Ausstellungsräume zu gehen. Der Film ist in vielfacher Hinsicht faszinierend, nicht nur, weil man diesem wortkargen, konzentrierten, obsessiven Künstler und seinen Assistenten bei der Arbeit zusehen kann, sondern auch, weil sie in der relativ kleinen Werkstatt von äußerst realistisch aussehenden Körperteilen – Mini-Babyköpfen und -händchen, riesigen Oberkörpern etc. – umgeben sind, was dem Ganzen den Anstrich einer Art Horrorkabinett gibt. Erklärende Worte würden da nur stören, deshalb ist der Film von Gautier Deblonde, in dem kaum gesprochen wird, ein kleines Meisterwerk in sich.

Die Dokumentation heißt treffend “Still Life: Ron Mueck at work”. Deblonde, Fotograf und Filmemacher, hat dafür über 18 Monate hinweg jeden Tag Ron Mueck bei der Arbeit in seiner Werkstatt gefilmt, während Mueck für die Ausstellung in der Fondation Cartier in Paris die drei Werke “Young couple”, “Couple under umbrella” und “Woman with shopping” schuf. Schweigsam arbeitet Mueck mit zwei, manchmal drei Assistenten, mit unendlicher Geduld und Konzentration entwickelt er jedes Stadium bis zur Vollendung seiner Skulpturen. “Es ist eigentlich ein Film über die Zeit”, sagt Deblonde. “Über die Zeit und darüber, wie sehr Ron Mueck in seine Arbeit verwickelt ist.” Der Film dauert 48 Minuten und wird in Endlosschleife gezeigt.

Ron Mueck wurde 1958 als Kind deutscher Einwanderer in Melbourne geboren. Seit 1983 lebt er in London. 2003 sagte der Künstler dem “Kunstmagazin”: “Ich wollte etwas machen, dem ein Foto nicht gerecht werden würde. […] Obwohl ich viel Zeit mit der Oberfläche verbringe, ist es doch das Innenleben, das ich einfangen möchte. […] Meine Arbeiten sind mein Statement.”

Die Ausstellung wurde von der Fondation Cartier in Paris organisiert und letztes Jahr auch in der französischen Hauptstadt gezeigt. Kuratiert vom Direktor der Fondation Cartier, Hervé Chandès, sowie Grazia Quaroni, wandert die Schau nach ihrem Stopp in Buenos Aires weiter nach Brasilien ins “Museo de Arte Moderno” von Rio de Janeiro, wo sie von März bis Juni 2014 zu sehen sein wird.

  • Ron Mueck, Skulpturen.
  • Fundación Proa, Pedro de Mendoza 1929, La Boca, Buenos Aires.
  • Geöffnet dienstags bis sonntags 11-19 Uhr, montags geschlossen.
  • Eintritt 15 Pesos, Rentner 10 Pesos, Studenten 5 Pesos; dienstags gratis für Studenten.
  • 16.11.2013-23.2.2014.
  • Webseite.

Foto:
Ron Mueck (ganz links) mit einem Assistenten beim Aufbau von “Couple under umbrella”.

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