Heraus aus der Unsichtbarkeit

Das unbekannte Afroargentinien in der “FotoGalería” des San Martín-Theaters

Von Philipp Boos

cirio11Dem argentinischen Selbstverständnis muss unterstellt werden, dass es sich von seiner afrikanischen Geschichte stets abgewandt hat. Der demographische Rückgang der schwarzen Bevölkerung sowie ein dominantes hegemoniales Selbstverständnis als europäisches Einwandererland sind Gründe dafür. Umso mehr überrascht die unauffällige Fotografieausstellung “Los Afroargentinos. Fotografías entre 1860-1960” in der “FotoGalería” des San Martín-Theaters, an der stets belebten Avenida Corrientes. Die Exposition stellt einen Versuch dar, am Fundament dieser Selbstwahrnehmung zu rütteln und mit der populären Verklärung zu brechen. Denn eine Nation ist doch immer auch das Produkt seiner eigenen Geschichte.

Aus sieben Privatsammlungen zusammengetragen, zeigen die Zeitzeugnisse einmalige Einblicke in eine in Vergessenheit geratene argentinische Gesellschaft. In der Vielzahl der Fotografien präsentiert sich dem Betrachter ein ebenbürtiges Miteinander schwarzer und weißer Einwanderer und ihrer Nachfahren. Spätestens in den 1950er Jahren kann von einer kompletten Assimilierung der schwarzen Bevölkerung am Río de la Plata gesprochen werden, die Bemühungen um eine gleichwertige Partizipation erleben ihre Blütezeit. Vor allem im Bereich der Kunst, sowie im Sport, wird dies sehr deutlich.

Für dieses “Ankommen” stand vor allem die über die Landesgrenzen hinaus bekannte afroargentinische Schauspielerin und Sängerin Rita Lucía Montero, auf einem Foto 1957 an der Seite Louis Armstrongs zu sehen. Auf der gesellschaftlich-institutionellen Ebene manifestierten sich die Assimilationsbemühungen in Organisationsformen wie den “cofradías” (Bruderschaften), den “sociedades africanas”, den karnevalistischen “comparsas” oder den “candombes”, was die Fotos dokumentieren.

Die Ausstellung fragt nicht nach den Wurzeln der Ignoranz gegenüber den Afroargentiniern. Vielmehr wird diese Frage beim Besucher automatisch aufkommen. Schließlich wird hier die argentinische Identität in ein neues Licht gerückt. Die nationale Identität ist in einem ständigen Wandel und bedarf einer kontinuierlichen Synchronisierung. Man kann auch einen Schritt zurückgehen und die indigene Kultur mit einbinden, oder aktuell auf die Immigration aus anderen südamerikanischen Ländern verweisen, um vor Augen zu führen, dass sich das Land mit einer geistigen Öffnung hinsichtlich seiner Selbstwahrnehmung nach wie vor schwer tut.

Die Fotografien können bis einschließlich 28. Februar im Teatro San Martín (Av. Corrientes 1530) besichtigt werden. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag ab 12 Uhr, Samstag und Sonntag ab 14 Uhr, bis zum Ende der Aktivitäten im Theater. Der Eintritt ist frei.

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