Homo Sapiens

Der liebe Gott wird’s schon richten

Von Friedbert W. Böhm

gottAls der Homo Sapiens Selbsterkenntnis erreicht zu haben glaubte, artete diese unmittelbar in Selbstüberschätzung aus. Er nannte sich fortan Mensch und bildete sich ein, die Krone einer “Schöpfung” zu sein.

Andere Lebewesen nehmen die Welt, wie sie ist. Man muss fressen und aufpassen, nicht gefressen zu werden. Wer erfolgreich ist, pflanzt sich fort; das macht Spaß und bringt Ehre. Wer nicht, der lebt halt allein oder im Verliererkollektiv. Auch ein voller Magen oder eine überstandene Gefahr zeitigen glückliche Momente. Und irgendwann sterben muss man allemal.

Nicht so der sogenannte Mensch! Das bisschen Mehr an Großhirn, das ihn von Anderen unterscheidet, flüstert ihm ein, privilegiert zu sein. Die Welt bestehe zu seinem Nutzen, sei für ihn geschaffen worden, meint er.

Geschaffen? Kein anderes Lebewesen, so großhirnig es auch sei, käme auf eine solch abstruse Idee. Die Welt ist einfach da, war es immer. Das sagt doch die primitivste Logik! Einfache Logik ist dem Menschen aber zuwider. Er ist doch die Krone seiner Welt und muss einer anderen Logik gehorchen!

Seine Logik begründet der Mensch in sich selbst. Da er Werkzeuggebrauch und –herstellung weiter entwickelt hat als andere Großhirner und ständig neue, im Rest der Welt unbekannte Dinge herstellt, sie schafft, hält er es für eingängig, dass die gesamte Welt geschaffen sei. “Schöpfung” nennt er sie deshalb. Nie hat der Mensch den geringsten Beweis, nicht einmal ein Indiz, dafür erbracht, dass diese Logik stimmt.

Seine Logik zwang ihn aber von Anfang an, hinter der Schöpfung Schöpfer zu postulieren. Der oder die mussten irgendwie menschenähnlich sein, denn außer dem Homo Sapiens war weit und breit nichts zu sehen, was schaffte. Also schaffte der Mensch sich seinen Schöpfer nach seinem Ebenbilde.

Anfangs waren es mehrere Schöpfer, entrückte Ahnen, an deren Vollkommenheit oder Allmächtigkeit niemand zweifelte, da niemand sich mehr an sie erinnern konnte. Sie wohnten auf unzugänglichen Berggipfeln oder in der Sonne und es fiel ihnen kein Stein aus der Krone, wenn sie ab und zu herabstiegen, um ein paar Halbgötter zu zeugen. Oder sie hatten den Anschein von Übermüttern – Gaia, Pacha Mama – die Fruchtbarkeit zu gewähren versprachen. Man hatte ihnen Opfer zu bringen, denn wenn sie schlecht gestimmt waren, drohten Krankheiten, Missgeburten, Missernten. Die Götter manifestierten sich durch Blitz und Donner, zweiköpfige Kälber und andere Naturerscheinungen. Das beeindruckte die Menschen und bestärkte sie im Glauben an ihre eigene Schöpfung. Bereitwillig glaubten sie die Göttermärchen.

Irgendwann allerdings – spätestens, als es göttliche Pharaonen und Kaiser gab – war kaum noch zu verheimlichen, dass die Menschenlogik mit der allgemeinen, wirklichen, immer weniger übereinstimmte. Aus den vielen Göttern wurde ein Gott – sozusagen eine Flurbereinigung. Dessen Existenz konnte nun allerdings bloß noch durch althergebrachte Überlieferungen erklärt werden. Kaum jemand wollte dennoch an deren Wahrheitsgehalt zweifeln, denn: Wie könnte etwas unwahr sein, das so lange Zeit von so vielen gelehrten, ehrwürdigen Chronisten bewahrt worden war? Und: War nicht die Vielfältigkeit und Herrlichkeit des irdischen Lebens und der die Erde umkreisenden Gestirne ein schlüssiger Beweis für die Existenz einer überirdischen, intelligenten Macht? Dann gab es ja noch gelegentliche Wunder. Man hatte sie zwar nicht selbst erlebt oder beobachtet, aber wenn so viele Gottesmänner und Gläubige sie bestätigten, wäre es wohl ketzerisch, sie in Zweifel zu ziehen.

Es ist kaum zu glauben, wie zäh die anthropozentrische Vorstellung von dieser angeblichen überirdischen – inzwischen überweltlichen – Macht jeder wirklichen Logik, jeder Erfahrung und jeder Wissenschaft widersteht. Sie überlebte Aristoteles, Kopernikus, Galilei, Darwin und Einstein, die Enträtselung der Gestirnsbewegungen, des Wettergeschehens, des atomaren Aufbaus der Materie und des molekularen Lebens sowie dessen historischer Entwicklung, und nicht einmal die neurologischen Erkenntnisse über die Beschränktheit des menschlichen Gehirns können ihr anscheinend etwas anhaben. Während die Sagen des Altertums und mittelalterlichen Märchen heute müdes Lächeln erzeugen, gilt ein Gottesbild als unangreifbar, das, von greisen Männern vor Tausenden von Jahren erfunden, tausendmal tradiert, interpretiert, durch theologische Bürokraten nach Gusto modifiziert, sein Überleben allein dem Umstand verdankt, dass es gegen jedes bessere Wissen von machtvollen Organisationen aufrecht erhalten wird.

“Ohne Gott keine Moral” predigen diese. Aber wo war denn diese Moral während der Kreuzzüge und Hexenverfolgungen, der Pogrome, der Inquisition, der Conquista, des Dreißigjährigen Krieges, also in den Zeiten größter Gottesfurcht? Und wo ist sie heute, da Selbstmordattentäter im Namen der Religion Tausende Unschuldiger morden und sich als tief religiös bezeichnende Staatsmänner sinnlose Kriege beginnen? Ein etwas tieferer Blick in die Geschichte lehrt doch, dass die angebliche überirdische Macht nie mehr war als ein Vorwand machtgieriger Menschen, ihresgleichen zu beherrschen!

Dass man zu König Knuts Zeiten als Vertreter des Donnergottes analphabetische Leibeigene beeindrucken konnte, ist verständlich. Aber heute hat der Mensch bald 100 Generationen Aufklärung hinter sich. In der Regel besitzt er Schulbildung, liest Zeitung, hört Radio, navigiert im Internet und reist in fremde Länder. Kommt es ihm eigentlich nicht in den Sinn, dass sein kindlicher Glaube an eine überweltliche Macht völlig wirklichkeitsfremd ist und, vor allem, widersprüchlich? Wie erträgt es ein ehrlicher Gebildeter, sich einerseits für das außerordentlichste Wesen zu halten, das die Welt je hervorgebracht hat, zum anderen aber hilfloses Objekt zu sein einer unerfahrbaren, gestaltlosen Macht, deren Wahrheitsgehalt das Hörensagen ist?

Wahrscheinlich kommt ihm der Widerspruch schon in den Sinn. Es ist aber weit bequemer, solche Erkenntnis zu verdrängen, als sich den aus ihr resultierenden Notwendigkeiten zu stellen, welche, das ahnt er, mühsam und unerfreulich wären. Der liebe Gott wird schon alles richten, denkt der Mensch, er hat uns ja auch bisher durchgebracht und mir ein alles in allem ganz erträgliches Leben beschert. Er wird schon dafür sorgen, dass die Menschheit Techniken und Methoden findet, um den Klimawandel zu stoppen, unendliche, schadstofffreie Energiequellen zu erschließen, Krebs und Aids zu eliminieren, den Hunger eines Drittels der Erdbewohner – sowie der Milliarden, die demnächst dazukommen – zu stillen und ein wenig unberührte Natur übrig zu lassen.

Und so etwas nennt sich Mensch? Krone der “Schöpfung”? Ein Wesen, das sein privilegiertes Großhirn dazu benutzt, alle anderen Lebensformen zu unterwerfen, zu dezimieren, auszurotten, das wider jede Logik einen Planeten denaturiert und damit seine eigene Daseinsgrundlage zerstört? Das seine werkmächtigen Hände in den Schoß legt und die Verantwortung für sein Tun einer fiktiven Macht überträgt, von der er, da er sie selbst erdacht hat, wissen müsste, dass sie ungegenwärtig, unwissend und ohnmächtig ist?

Sapiens?

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Der kindliche Glaube an eine überirdische Macht widersteht jeder wirklichen Logik, jeder Erfahrung und jeder Wissenschaft.

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