Vom verregneten Teppich

Anekdoten zum Filmfestival BAFICI

Von Philipp Boos

La Salada
Ein bisher abwechslungsreiches BAFICI läutete die kulturelle Jahreszeit in Buenos Aires ein. Pünktlich zum Herbstanfang erschwerten monsungleiche Regengüsse die Anreise für die Festivalbesucher, so wie goldene Herbsttage lichtscheue Kinogänger nach den Vorstellungen warm in Empfang nahmen.

Manchmal ist nicht ganz klar, wo sich hier Filmreifes abspielt, ob auf oder vor der Leinwand. Die edel gekleidete Anwältin in ihren 60er Jahren, ein kräftiger roter Lippenstift bringt ihren Mund zum Leuchten, sitzt mit mir in jeder zweiten Vorführung. Die Frage, ob sie derzeit keine Fälle zu lösen habe, von mir nicht ganz ernst gemeint, tut sie mit dieser typischen „nooo por favor“-Geste ab. Sie nehme sich die Zeit, für die Filme. Sie erzählt mir von ihren Reisen nach Deutschland, die Märchenstraße habe sie zuletzt abgefahren. Und unter anderem die Bronzestatue der Bremer Stadtmusikanten in der gleichnamigen Hansestadt gesehen und berührt. Sie kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Fünf Minuten später weiß ich dann auch, dass sie einen Geliebten in München hat.

Die Kinogängerin vor mir ist sichtlich irritiert, immer wieder zuckt sie zusammen, wenn die laute und selbstbewusste Dame, die immer gleich alle um sie stehenden Menschen adressiert, den Mund aufmacht. Die Schlangen von wartenden Kinobesuchern vor dem Kinokomplex Village Recoleta sind ein guter Ort für Beobachtungen, sicherlich auch für den ein oder anderen Drehbuchautor.

Den Kinobesucher gibt es im BAFICI nicht. Da ist der Hipster in Röhrenjeans, der auch im Kinosaal nicht seine Sonnenbrille absetzt; Cineasten im höheren Alter, unter dem Arm den Festivalkatalog geklemmt, als wäre er in die Achselhöhle geklebt, Brille mit dicken Gläsern und in sich gekehrt, Kontaktaufnahme nur im Notfall. Modisch gekleidete Menschen aus dem angrenzenden Palermo und Recoleta, die die Warteschlange auch schon mal mit dem roten Teppich in Cannes verwechseln, aber auch Familien sind zugegen. Ein schöner, unterhaltsamer “bunter Haufen” also.

Seit Festivalbeginn am 2. April herrscht um das Centro Cultural Recoleta, wo sich das Festival-Hauptquartier befindet, sowie im Village Recoleta, wo zehn Kinosäle dem Festival gewidmet sind, reges Treiben. Das Festival ist größer als letztes Jahr, 50 Filme mehr werden gezeigt. Ob man trotz des launigen Wetters die Besucherzahl von 370.000 im Vorjahr zu überschreiten vermag, ist nach Auskunft der Organisatoren jedoch fraglich.

“La Salada” sei ganz toll gewesen, werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Rote Lippen brennen sich auf meiner Netzhaut ein. Der Einlass beginnt, und einer folgt nun dem anderen. Das hat schon fast Zeremoniecharakter. Auch die Kritik ist von dem Beitrag aus Taiwan mit argentinischem Einschlag, der im internationalen Wettbewerb konkurriert, begeistert. Und der Erfolg gibt dem in Argentinien groß gewordenen und ausgebildeten Regisseur Juan Martín Hsu recht. Etliche Preise, auch auf unterschiedlichen europäischen Festivals, hat er bisher abgeräumt.

“La Salada” beschäftigt sich mit Argentiniens neuen Immigranten und gibt ihnen ein Gesicht. Der Film ist als Mosaik angelegt, drei unterschiedliche Schicksale treffen auf dem riesigen, illegalen Markt “La Salada” aufeinander. Aus Südkorea, Bolivien und Taiwan kommen die Protagonisten. Erzählt wird eine Augen öffnende Geschichte von Entfremdung und Einsamkeit in der neuen Heimat.

Ebenfalls im internationalen Wettbewerb zu sehen ist der mutige Dokumentarfilm “Iranian” des in Paris lebenden iranischen Architekten und Filmemachers Mehran Tamadon. Dieser reist in den Iran, da es ihm nach langer Suche gelungen ist, vier treue Regimeunterstützer unter einem Dach zusammenzubringen. Diskutiert werden Demokratie, der Schleier, die Rollen von Mann und Frau sowie die Bürde, die eine Minderheit in einer seit mehr als 30 Jahren bestehenden, gewählten islamischen Republik zu tragen hat. Ob es dem Liebhaber aus dem fernen München geschuldet ist, man weiß es nicht, aber die Dame mit dem Lippenstift und der großzügigen Perlenkette verlässt die Veranstaltung schon zur Halbzeit.

Wer es auch an diesem letzten Wochenende nicht zum Festival schafft, dem sei ein Blick auf die Webpräsenz des BAFICI empfohlen. Man bekommt einen guten Überblick über die Wettbewerbe und die darin enthaltenen Filme und kann sich die dazugehörigen Trailer ansehen. Für ein paar Anregungen lohnt es sich ganz bestimmt.

Foto:
“La Salada” von Juan Martín Hsu, der im internationalen Wettbewerb konkurriert, wurde von der Kritik und dem Publikum begeistert aufgenommen.
(Foto: BAFICI)

Escriba un comentario