Hinschauen, ohne zu blinzeln

Nina Jäckle stellte auf der 40. Internationalen Buchmesse ihren ersten auf Spanisch erschienenen Roman “Zielinski” vor

Von Susanne Franz

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“Als ich das Buch schrieb, passierten gerade in der Welt viele Selbstmordanschläge”, erzählt die deutsche Autorin Nina Jäckle dem Publikum der Internationalen Buchmesse von Buenos Aires. “Da war ein ganz großes Unverständnis in mir. Ich wollte über diese Radikalisierung nicht oberflächlich urteilen – ich wollte sie ansehen.” Jäckles Roman “Zielinski” über den Weg eines Menschen in den Wahnsinn, der in Deutschland im Jahr 2011 erschienen ist, ist der erste aus dem ansehnlichen Werk der 1966 in Schwenningen geborenen Schriftstellerin, das auf Spanisch erschienen ist (Verlag Serapis) – ein weiteres Buch Jäckles ist bereits ins Spanische übersetzt.

Die Autorin weilte auf Einladung des Goethe-Instituts und der Frankfurter Buchmesse einige Tage in Argentinien. Die Veranstaltung “Erzählung und Wahn”, die am 10. Mai im voll besetzten Bioy-Casares-Saal des Messegeländes La Rural stattfand, mag zwar wegen der begrenzten Kapazität des Raumes keine Massen angezogen haben, sie fand aber durch ein sehr positives Echo in Radio-, Zeitungs- und Webbeiträgen ein großes Publikum.

Im Gespräch mit dem argentinischen Autor Ariel Magnus gab Nina Jäckle einen Einblick in ihre Motivation zum Schreiben von “Zielinski” und die gesellschaftliche Relevanz der Figuren ihres Romanes – der Hauptperson Schoch, dessen psychische Dekadenz beschrieben wird, und der “Person” Zielinski, einer imaginären Gestalt, die sich in Schochs Wohnzimmer breit macht und die nach und nach vom freundlichen Zimmergenossen zum Peiniger wird, obwohl Schoch in lichten Momenten weiß, dass Zielinski nur in seiner Einbildung existiert.

Andere Themen waren u.a. das Schreiben an sich und die Eindrücke, die Nina Jäckle bei ihrem ersten Aufenthalt in Argentinien gesammelt hat. Außerdem gelang es der Autorin, bei der Fragerunde, die die Veranstaltung abschloss, auf eindrucksvolle Weise so intensiv auf jeden einzelnen Frager einzugehen (was beim intellektuellen argentinischen Publikum, dessen Fragen manchmal sehr komplex sind, gar nicht so einfach ist), dass die Zuschauer mit einem schönen Gefühl eines gemeinsamen Erlebnisses nach Hause gingen.

“Was mich eigentlich interessiert hat, ist, wie es sein kann, dass jemand sich einer Situation hingibt, dass jemand etwas mit sich machen lässt, das von außen völlig unverständlich erscheint, das aber von innen eine zwingende Logik hat.” Schoch lässt Zielinski gewähren, auch als dieser beginnt, ihn zu schlagen. Nach anfänglichem Entsetzen werden die Schläge für Schoch sogar zunehmend zu einer Art religiöser Zeremonie. “Wie kann so etwas passieren?” – mit dieser zentralen Frage setzte sich Nina Jäckle beim Verfassen des Buches auseinander. “Ich wollte beschreiben, wie schnell man sich an eine Sitation gewöhnt”, sagt die Autorin. “Aber ich wollte nicht werten und auch nicht zum Widerstand aufrufen.”

Hinschauen, ohne zu blinzeln, das kann auch für den Leser schwierig sein. Ariel Magnus sagt, er habe in Kritiken zu “Zielinski” in Deutschland Vergleiche mit Beckett gelesen. Nina Jäckle ist davon überrascht. “Beckett – das ist gut!”, freut sie sich. Und gibt zu, dass ihr Werk ein Buch sei, das “keine Notausgänge” habe. “Meine ersten Leser sind immer meine Mutter und meine Schwester”, erzählt sie. Letztere habe in “Zielinski” eine Rolle gehabt. Nach dem Lesen kamen die Reaktionen – die Schwester: “Das bin ich nicht!”, die Mutter: “Nina, geht es dir gut?”

Und wie ist Nina Jäckle zum Schreiben gekommen? Sie sei mit einem sprachaffinen Vater aufgewachsen, und der habe gesagt: “Nina, du hast überhaupt keine Talente, aber du kannst dich gut rausreden.” Die Autorin nachdenklich: “Vielleicht mache ich das – ich rede mich raus.”

Foto:
Nina Jäckle im Gespräch mit Ariel Magnus.
(Foto: Editorial Serapis)

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