Santiago Porter und die Erinnerung

Der argentinische Fotograf zeigt “Condición de las flores” bei Rolf Art und “La Ausencia” bei arteBA

Von Susanne Franz

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Der argentinische Fotograf Santiago Porter macht zur Zeit mit gleich zwei Ausstellungen in Buenos Aires von sich reden. Eine ist die Einzelschau “Condición de las flores”, die seit einigen Wochen und noch bis zum 30. Mai in der auf Fotografie spezialisierten Galerie Rolf Art in Recoleta zu sehen ist. Die andere ist sein Auftritt am Stand von Rolf Art – zusammen mit anderen renommierten Fotografen – auf der Kunstmesse arteBA, die bis einschließlich Montag, den 26. Mai, im Messegelände Rural im Brennpunkt des Interesses steht.

In der Galerie Rolf Art wird man, nachdem man geklingelt hat, eingelassen und freundlichst über die Ausstellung informiert. Hatte man sich unter dem Titel, den man etwa mit “Befindlichkeit der Blumen” übersetzen könnte, eher eine farbenfrohe Geschichte vorgestellt, wird man im ersten Saal der Galerie von intimistischen, kleinformatigen, zarten Werken in Schwarz-Weiß überrascht. Sie sind mehr als 15 Jahre alt, Porter hat sie bislang noch nie gezeigt.

In den weiteren Räumen der Galerie hängen Bilder jüngeren Datums von Zweigen aus verbrannten Wäldern, ein großformatiges Werk aus Porters Foto-Serie in einem leerstehenden ehemaligen Gefängnis, und auch ein Bild aus seiner Umzugsserie, mit der Porter seit Jahren seine häufigen Wohnungswechsel dokumentiert.

Der rote Faden, der sich durch die Ausstellung zieht, ist das Werk des mexikanischen Kult-Schriftstellers Mario Bellatin. “Condición de las flores” heißt eines seiner Bücher, das für Santiago Porter ausschlaggebend wurde, diese unveröffentlichten Arbeiten auf diese Weise jetzt zu zeigen. Porter gibt damit Einblick in einen bestimmten Moment der Klarheit in seinem schöpferischen Prozess, in dem verschiedene Punkte der Vergangenheit zusammenlaufen und einen Sinn ergeben. Der Besucher dieser schönen Ausstellung wird Zeuge eines nur selten öffentlich mit-erlebbaren Phänomens: Wie im Schaffensprozess eines Künstlers für diesen selbst verborgene Mechanismen wirken können, die erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit ihr Geheimnis preisgeben.

Um eine andere Art von Erinnerung geht es Porter in seiner Bilderwand „La Ausencia“ (2001-02) auf der Kunstmesse arteBA. Porter arbeitet mit diesem Projekt das Attentat auf das jüdische Sozialwerk AMIA im Juli 1994 auf, das 85 Menschen in den Tod riss und das bis heute eine offene Wunde darstellt, da die Schuldigen nie gefunden wurden. Die Lücke (ausencia= Abwesenheit), die die bei dem blutigen Anschlag vor fast 20 Jahren getöteten Menschen für immer im Leben ihrer Angehörigen hinterlassen haben, zeigt Porter anhand von 20 Triptychen – er wählte nach eigenen Kriterien 20 Betroffene aus.

Ein Foto zeigt die Person oder die Personen, die einen Menschen verloren haben, daneben ist ein Objekt abgebildet, das diesem gehörte, auf einem dritten Bild steht ein kurzer Text. So wird etwa Rosa gezeigt, die Mutter von Sebastián Barreiros. Der Fünfjährige ging an ihrer Hand gerade an dem AMIA-Gebäude vorbei, als kurz vor 10 Uhr morgens am 18. Juli 1994 die Bombe explodierte. Auf dem anderen Foto ist sein Fußball zu sehen.

Porters aufwühlende Arbeit macht das unendliche Leid unmittelbar deutlich, das das AMIA-Attentat verursacht hat. Mit der Sparsamkeit seiner Mittel und seiner rigorosen Sprache bezieht der Künstler auch Stellung zum heutigen Foto-Journalismus, der mit immer schockierenderen Fotos von Katastrophen zu punkten versucht. Vielleicht lassen diese die Menschen dem Leid gegenüber eher abstumpfen.

Santiago Porter wurde 1971 in Buenos Aires geboren. Der Künstler wurde mit zahlreichen bedeutenden Preisen ausgezeichnet und u.a. mit einem Guggenheim-Stipendium ausgestattet. Sein Werk ist in nationalen und internationalen Museen vertreten.

  • Santiago Porter, “Condición de las flores”. Rolf Art, Posadas 1583, PB (Erdgeschoss) “A”, Buenos Aires. Mo-Fr 11-20 Uhr. Eintritt frei. 27.3.-30.5.
  • 23. Internationale Kunstmesse arteBA. Messezentrum La Rural, Av. Sarmiento 2704, Buenos Aires. 14-21 Uhr. Eintritt 90 Pesos. 23.5.-26.5.

Foto:
Santiago Porter, “La Ausencia”, 2001-02.

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