Ein Gott im Theater

Seit einer Woche ist der junge Journalist Tobias Zwior gerade mal in Buenos Aires – Diego Maradona zu treffen, kann er schon von seiner To-do-Liste streichen

maradona2Eigentlich wollte ich nur ins Theater gehen. Wollte mich kurzweilig unterhalten lassen von Dalma Maradona, der “Tochter Gottes”, wenn man dem Titel des Theaterstückes Glauben schenkt. Wollte wissen, wie man sich das Leben einer solchen Tochter vorstellen kann. Man kann schließlich über die Familie Maradona vieles sagen, aber nicht, dass sie keine Unterhaltung böte. Das Stück lief vergangenes Wochenende zum letzten Mal und ich sagte daher noch drei deutschen Freunden Bescheid, die es ebenfalls noch nicht gesehen hatten.

Zunächst wollten wir am Sonntag gehen, doch dann kam mir ein anderer Termin dazwischen. Danach stand der Freitag zur Debatte, den sagten meine Freunde jedoch in letzter Minute noch ab. Also blieb wohl oder übel nur noch der Samstag übrig. Typisch deutsch treffen wir uns eine Stunde vor Beginn des Stücks vor dem Theater, um die Karten an der Abendkasse zu kaufen. Es ist so früh, dass der Portier uns zunächst noch gar nicht ins Gebäude lassen will. Doch als wir nach rund einer Stunde Wartezeit und einem halben Liter Cola pro Person als erste den Theatersaal betreten, hat es sich gelohnt: Die erste Reihe ist noch frei. Denken wir.

Aber als wir näher kommen, leuchten uns schon die weißen “Reserviert”-Schilder entgegen. Zu einem meiner Freunde sage ich noch im Spaß “So dick kann der Diego doch nicht geworden sein, dass er gleich die ganze Reihe reservieren muss.” “Als ob der heute hier ist”, antwortet mein Freund. “Stimmt auch wieder.” Gut, so setzen wir uns eben in die dritte Reihe. Der Saal füllt sich zügig bis auf den letzten Platz. Kurz vor Beginn des Stücks wird es noch einmal für einige Sekunden stockdunkel, doch dann erscheint Dalma auf der Bühne. Erzählt die großen und kleinen Geschichten ihrer Kindheit und Jugend. Wie ihre Idole, die Backstreet-Boys, ein Autogramm ihres Vaters haben wollten. Wie sie zum 12. Geburtstag ein Auto geschenkt bekam. Wie sie bei Fidel Castro auf dem Schoß saß. Als sie das Video des Maradona-Tores gegen England 1986 auf der Leinwand zeigt, brechen im Saal spontane Jubelstürme aus.

Irgendwann, gegen Mitte des Stückes, fällt mir in der ersten Reihe ein Herr auf, der bei vielen von Dalmas Anekdoten besonders laut lacht und meistens als erster klatscht. Ab und zu ruft er auch etwas rein. Meinem Freund neben mir ist er auch aufgefallen. Wir schauen genauer hin. “Von hinten sieht der aus wie…”, flüstert mein Freund. “Das kann nicht sein”, entgegne ich. Aber auch ich muss zugeben, dass es tatsächlich derjenige sein könnte, wegen dem wir alle hier sitzen, als ich seine markanten Ohrringe sehe. Von diesem Moment an kann ich mich nicht mehr auf das Stück konzentrieren. Mag ja lustig sein, was Dalma und ihr kongenialer Bühnenpartner noch erzählen, aber ich will nur noch wissen, ob der Kerl dort vorne tatsächlich Diego Maradona ist, oder nicht. Meinen Freunden geht es genauso. Genau können wir es nicht erkennen. Zähes Warten. Dann, endlich, folgen Dalmas abschließende Worte: “…er ist nicht Gott. Er ist mein Papa. Und er ist heute Abend hier.”

Von einem Moment auf den nächsten verwandelt sich der ganze Saal in ein Tollhaus. Als dann tatsächlich Diego Maradona auf der Bühne erscheint, seine Tochter umarmt und kurz flüchtig ins Publikum winkt, hält es keinen mehr auf seinem Sitz, auch uns Deutsche nicht. Alle singen, klatschen und rufen immer wieder “Diego, Diego” und “Dios”. Es herrscht eine Stimmung, als hätte Argentinien gerade die WM-Finals von 1990 und 2014 doch noch gewonnen. Nach rund fünfzehn Sekunden Bühnenpräsenz verschwindet der Umjubelte dann schnell durch den Hinterausgang. Doch jetzt geht die Party erst richtig los.

Ein Großteil der Zuschauer rennt Richtung Ausgang, um “D10S” noch für ein Autogramm abzufangen. Selbst das Rentnerehepaar vor mir hat schon den schwarzen Filzstift gezückt. Und einer meiner Freunde kann sich nicht anders behelfen und ruft tatsächlich noch aus dem Theatersaal heraus seine Eltern in Deutschland an. Dass dort gerade vier Uhr nachts ist, geschenkt. Er: “Mama, ich bins.” Sie: “Ist was passiert?” Er: “Ja, ich habe gerade Diego Armando Maradona getroffen.” Sie (zugegeben für diese Uhrzeit sehr originell): “Wo, in der Disco?”. Er: “Nein, im Theater”. Sie: “Schön, dann lass mich jetzt weiterschlafen.” Recht hat sie. Einen Mann, dessen schöpferische (in diesem Fall: fußballerische) Glanzzeit fast 30 Jahre zurückliegt als Gott zu verehren, wo gibt’s denn sowas?, denke ich mir in einem ruhigen Moment. Doch die Antwort ist eigentlich klar: Überall dort, wo Diego Armando Maradona auftaucht, egal ob in Argentinien oder sonst wo auf der Welt. Gracias a Dios.

Foto:
Vater und Tochter: Diego und Dalma Maradona auf der Bühne.
(Foto: Tobias Zwior)

Un comentario sobre “Ein Gott im Theater”

  1. Fips dice:

    Da kann man mal wieder sehen, wie die eingebildeten europäischen Journalisten sich über unser grosses Argentinien lustig machen. Nich einmal vor DIOS machen sie Halt!


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