Ran an die Waffen!

Die Schau “Krieg & Propaganda 14/18” im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt, dass der Erste Weltkrieg auch eine Propagandaschlacht nie gekannten Ausmaßes war

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

Krieg_und Propaganda1
Eine Kinovorstellung irgendwo in den USA im Jahre 1917. Die Ära des Tonfilms ist noch nicht angebrochen. Kino aber ist bereits “Big Business”. Viele Millionen Menschen strömen täglich in die Lichtspielhäuser. Doch bevor der Stummfilmpianist in die Tasten haut, hat in den Zeiten des Weltenbrandes erst noch ein anderer seinen Auftritt. Rund 75.000 sogenannte “Four MinuteMen” heizten der US-amerikanischen Öffentlichkeit gegen Ende des Ersten Weltkriegs vornehmlich in Kinos, aber auch in Theatern oder Kirchen ein, um Rekruten anzuheuern, die Zuhörer von der Notwendigkeit des Krieges zu überzeugen und für die Zeichnung von Kriegsanleihen zu werben. Vier Minuten nur, und alles musste gesagt sein. Prägnant, emotional und mitreißend. Hier wurde sozusagen die moderne PR- und Werbekampagne geboren.

In Deutschland ging man zur selben Zeit noch wesentlich archaischer zur Sache: Besonders beliebte patriotische Kollektivveranstaltungen waren “Nagelungen”. Millionen Menschen beteiligten sich daran, auf öffentlichen Plätzen Nägel in klobige Holzstatuen deutscher Helden einzuschlagen. Je nach Geldbeutel erwarb man eiserne, silberne oder goldene Nägel – demonstrierte Entschlossenheit und finanzierte so den Kriegsfortgang.

Diese und viele andere Beispiele von Kriegspropaganda während des Ersten Weltkriegs stehen im Zentrum der Ausstellung “Krieg & Propaganda 14/18”, die jetzt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe anhand von über 400 Exponaten aus dem Deutschen Reich, Frankreich, England, den USA, Russland, Italien und Österreich-Ungarn vor Augen führt, mit welch ausgeklügelten, patriotischen, mitunter aber auch perfiden Mitteln auf allen Seiten an Heldenlegenden und Gräuelgeschichten gestrickt wurde, wie der Gegner diffamiert und die eigene Bevölkerung zum Weitermachen angestachelt wurde.

Dennis Conrad, der Kurator der europaweit einzigen Ausstellung, die sich jetzt explizit dem Thema Propaganda im Ersten Weltkrieg widmet, stellt fest: “Vor 100 Jahren wurde der Grundstein einer multimedialen Öffentlichkeitsbeeinflussung gelegt. Man nutzt während der Kriegsjahre alle zur Verfügung stehenden Medien, um die Meinung der Öffentlichkeit zu lenken.” Die Hamburger Ausstellung versammelt Plakate, Filme, Kinderspielzeug, patriotischen Nippes, Postkarten und viele andere Druckerzeugnisse und Objekte, die den Krieg in jeden Winkel des Alltagslebens trugen. Am Beispiel von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, dem Chef der Obersten Heeresleitung, etwa wird gezeigt, wie der Kriegsherr zur positiven “Marke”, ja, zum Mythos fetischisiert wird. Ob auf Seifenschachteln, Zigarrenkisten oder Bildpostkarten: Vor dem markanten Konterfei des zum “Russenbezwinger” hochstilisierten, bärbeißigen Pickelhaubenträgers gab es im Alltag kein Entrinnen.

UnclesamIn Ländern ohne Wehrpflicht, wie etwa England oder den USA, war die Propagandamaschinerie vor ganz andere Probleme gestellt. Hier galt es, Freiwillige für den Kriegseinsatz im Namen von Freiheit und Demokratie zu rekrutieren. James Montgomery Flaggs weltberühmtes Uncle-Sam-Plakat mit dem ausgestreckten Zeigefinger und der Aufforderung “I Want Youfor U.S. Army” wird flankiert von zahlreichen weiteren, grafisch prägnanten Beispielen aus dem angelsächsischen Raum, die letzten Endes auch die Grundlagen für eine moderne Werbeästhetik im zivilen Leben bildeten.

Einen besonderen Schwerpunkt legt die Hamburger Schau auch auf die Präsentation von Filmen und auditiver Propaganda. Im Hauptraum der Schau können Spiel- und Dokumentarfilme betrachtet und an zahlreichen Hörstationen patriotische Reden und Durchhaltelieder angehört werden. Die überaus sehenswerte, mit großer kuratorischer Sorgfalt zusammengestellte Ausstellung regt zudem dazu an, historische Propagandamechanismen, Zensurmaßnahmen und Strategien der Bildmanipulation mit den heutigen Methoden staatlicher und massenmedialer Beeinflussung zu vergleichen. Viel mehr kann eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg eigentlich kaum leisten.

Escriba un comentario