Der Himmel wird zur Tango-Bühne

Cai Guo-Qiang begeisterte 200.000 Zuschauer mit beeindruckendem Feuerwerk

Von Jannik Jürgens

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Der chinesische Künstler Cai Guo-Qiang verwandelte am Samstagabend den Himmel über La Boca in eine einzigartige Tango-Show. Unter dem Titel “Das Leben ist eine Milonga. Tango und Feuerwerk für Argentinien” begeisterte Guo-Qiang mit über 43.000 Feuerwerkskörpern und einem Orchester die Zuschauer. Nach offiziellen Angaben kamen über 200.000 Menschen nach La Boca, um die Performance zu sehen.

Schon auf dem Weg wird klar, dass heute abend etwas Besonderes passiert. Die Busse sind brechend voll und auf den Straßen herrscht ein Verkehr wie sonst nur bei Spielen der Boca Juniors. Irgendwann geht nichts mehr, die Menschen lassen das Auto stehen und gehen zu Fuß zum Hafen. Dort warten viele schon seit Stunden auf das Spektakel. Sie haben die besten Plätze reserviert, ganz nah am Wasser, um auch die Reflexionen des Feuerwerks sehen zu können.

Um kurz vor acht steigt die Spannung. Gleich soll es losgehen. Doch dann die Enttäuschung: Der Beginn des Feuerwerks wird um eine Stunde nach hinten verschoben. Buh-Rufe quittieren die offizielle Ansage. Dann kommt endlich Cai Guo-Qiang ans Mikrofon. Auf Mandarin kündigt er das Feuerwerk an. Die Übersetzerin kommt ihm zu Hilfe: “Fünf, vier, drei, zwei, eins, null.” Gebannt schauen die Menschen in den Himmel, einige halten den Atem an. Ein ohrenbetäubender Knall. Mit einer großen Explosion beginnt das Feuerwerk, gespenstische Rauchschwaden ziehen durch den Hafen. Dann erklingen die ersten Takte von “La Cumparsita”, erst leise, dann lauter. Zeitgleich steigen Raketen in den Himmel, harmonisch abgestimmt mit der Musik. Die blauen und weißen Feuerwerkskörper stellen die Tänzer da, die silbernen und goldenen Lichter den Korpus des Akkordeons.

Cai Guo-Qiang lässt die Geschichte des Tangos als Feuerwerk Revue passieren. Das Orchester liefert die passende Musik. Als zweites Stück kommt “Felicia”. Weiße Girlanden und schwarze Blitze lassen Erinnerungen an den Beginn des Tangos erwachen. Damals wurden die Tänzer im Fernsehen in schwarz-weiß gezeigt. Insgesamt hat Guo-Qiang seine Performance in vier Tango-Epochen eingeteilt: Von 1890 bis 1943, von 1943 bis 1955, von 1955 bis 1983 und von 1983 bis heute. In den Pausen des Feuerwerks kommentiert er das Geschehen: “Heute ist eine unbeschreibliche Nacht. Jetzt möchte ich, dass Sie Tango tanzen.” Das Orchester spielt und einige Zuschauer kommen der Aufforderung nach. Vorsichtig tanzen sie in der Menschenmasse, es ist ein Tango auf dem Bierdeckel.

Nach einem Electrotango-Feuerwerk kommt es zum großen Finale. “Volver al sur” ist der Höhepunkt und stellt alles andere in den Schatten. Das Feuerwerk zeichnet sanfte Bewegungen in den Nachthimmel und die Musik harmoniert perfekt mit den Explosionen. Die Raketen erreichen eine Höhe von 180 Metern. Den Schluss bildet eine Kaskade von weißen Explosionen, und für einen Moment ist ein riesiges Akkordeon über dem Hafen zu sehen. Später sagt der Kommentator, es sei 180 mal 60 Meter groß gewesen.

So beeindruckend das Feuerwerk ist, so vergänglich ist es auch. Guo-Qiangs Bilder sind da langlebiger. In der Proa-Stiftung, die Guo-Qiang zusammen mit der Kulturabteilung der Stadt nach Buenos Aires holte, sind seine Schießpulver-Bilder ausgestellt. Guo-Qiang hat seine eigene Technik für die Werke konzipiert. Auf Videos, die den Entstehungsprozess zeigen, kann der Besucher diese Technik nachvollziehen.

Am Anfang steht die Recherche: Guo-Qiang reist an den Ort, den er malen will. In Argentinien war er unter anderem an den Iguazú-Wasserfällen und in der Wüste. Dort beginnt der kreative Prozess. Cai zeichnet, fotografiert die Landschaft und lässt sich von lokaler Kunst inspirieren. Dann entwickelt er sein Werk. In der Werkstatt trägt er das Schießpulver auf vorher gezeichnete Flächen auf. Von Pappe abgedeckt, wird das Pulver gezündet. Unmittelbar danach muss das Feuer erstickt werden – und das Werk ist fertig. So ist Guo-Qiangs Kunst zwar durchgeplant, doch die Explosion hat immer etwas Unvorhersehbares. Jedes Werk ist ein Stück weit Unfall und Improvisation.

Guo-Qiang hat auch das Feuerwerk für die Olympischen Spiele in Peking gemacht. Seine Kunst ist nicht politisch, wie die des im Westen gefeierten Ai Weiwei. Guo-Qiang ist keiner, der Kritik an China äußern würde. Er will mit seiner Kunst Menschen begeistern und an die Traditionen ihres Landes erinnern. In La Boca ist ihm das gelungen.

Foto:
Cai Guo-Qiang ließ die Geschichte des Tangos als Feuerwerk Revue passieren.
(Cultura BA)

Das Spektakel auf Youtube.

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