Ein Kinderleben im Schnelldurchlauf

| Film / Cine | 20/2/15 | 0 comentarios

Warum “Boyhood” den Oscar gewinnen sollte

Von Michaela Ehammer

boyhood
Glücklose Ehen, alleinerziehende Eltern, Umzug in ein neues Leben, Schulwechsel, der erste Tag am College, das erste Bier, der erste Kuss – all das sind ganz alltägliche Dinge, die im Leben vorkommen. Am Sonntag wird in Los Angeles wieder der rote Teppich ausgerollt, und “Boyhood”, ein Film über die Nichtigkeiten des Lebens, geht mit sechs Nominierungen auf Oscar-Jagd. Mit bereits drei Golden Globes sowie zahlreichen weiteren Auszeichnungen ist der filmisch wohl aufwendigste Film nicht nur einer der Top-Favoriten im Rennen um den begehrtesten Filmpreis der Welt, sondern kann sich schon jetzt als stolzer Gewinner betrachten.

2002 startete der berühmte Drehbuchautor Richard Linklater sein Langzeitfilm-Projekt “Boyhood”, 2014 wurde es fertiggedreht. Dieses Kindheitsporträt ist also mehr als nur eine Hollywood-Geschichte, es ist ein wahrhaftiges Lebenswerk, in dem das Erwachsenwerden eines kleinen Jungen gemeinsam mit drei Stammschauspielern vor der Kamera festgehalten wurde.

Das Leben von Mason Jr. (Ellar Coltrane) wird auf den Kopf gestellt: Mitten im ersten Schuljahr wird der Sechsjährige aus seinem gewohnten Umfeld gerissen, denn seine alleinerziehende Mutter Olivia (Patricia Arquette) will nach der glücklosen Ehe in ihre texanische Heimat zurück, um noch einmal das College zu besuchen. Für den verträumten Mason und seine zwei Jahre ältere Schwester Samantha (Lorelei Linklater), die sich gerne als Göre und Diva aufspielt, steht ein Umzug nach Houston bevor. Der Vorteil dabei: Die Kinder können ihren Vater, den Hobby-Musiker und Lebenskünstler Mason Sr. (Ethan Hawke), der seit der Scheidung kaum für seine Kinder dagewesen ist, wieder öfter zu Gesicht bekommen. Mason versucht sich an sein neues Leben zu gewöhnen und durchlebt im Film zwölf Jahre, die aus einem kleinen Jungen einen richtigen Mann machen: Der Wechsel von der Kindheit in die Teenagerzeit, Campingausflüge mit seinem Vater, den er neu wiederentdeckt, sein erstes Bier und die erste große Liebe.

“Boyhood” entführt seine Zuschauer in den 164 Minuten in eine besondere Welt. Obwohl es nicht der erste Langzeitfilm ist, bringt dieses Film-Projekt neue Aspekte mit sich: Jemanden buchstäblich vor der Kamera aufwachsen bzw. altern zu sehen, ist nicht nur ein Kino-Meilenstein, sondern birgt auch einen ganz besonderen Reiz für seine Zuschauer, denn dieser wird zum Zeugen und Betrachter von Masons Kindheit und Teenagerzeit sowie von den Erlebnissen seiner liberalen Familie im konservativen Texas. Und das in insgesamt nur 39 Drehtagen. Die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Szenen sind dabei unterschiedlich groß: Das können Stunden, Tage, Wochen, Monate oder auch mal ein ganzes Jahr sein. Die zeitliche Verortung zeigt sich ausschließlich über den Kontext der Handlung.

Ein unbedingt sehenswerter Film, der im Wesentlichen typische, oft ganz alltägliche Ereignisse aus dem Leben eines normalen Heranwachsenden zeigt: schöne und weniger schöne Momente mit Freunden und Familie, Streitereien unter Geschwisterm und tiefe Gespräche mit Eltern. Viele dieser Szenen werden dem Zuschauer im Gedächtnis bleiben. Mit wunderbar auf den Punkt gebrachten und vor allem ungemein authentischen Dialogen verwandeln Linklater und seine Oscar-reifen Schauspieler die Nichtigkeiten des Alltagslebens in magische Kinomomente.

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