Bewusstseinsstrom-Film mit umwerfender Bildersprache

BAFICI-Beitrag “Above And Below” (Schweiz/Deutschland) von Nicolas Steiner begeistert

Von Susanne Franz

Above and Below 1
“Ich bin das erste Mal in Argentinien – wenn ihr hier immer so tolles Wetter habt, dann seid ihr ja völlig verrückt, überhaupt ins Kino zu gehen!”, sagte Nicolas Steiner am Montagnachmittag im Saal 6 des Village Recoleta, wo er seinen Beitrag “Above And Below” (2015) vorstellte. Der Dokumentarfilm des jungen Schweizer Filmemachers war seine Abschlussarbeit an der Filmhochschule Ludwigsburg. “Ich habe ihn mit den Leuten gemacht, mit denen ich zu der Zeit auch zusammengelebt habe”. Die deutsch-schweizerische Koproduktion ist einer der Wettbewerbsfilme im Internationalen Wettbewerb des BAFICI.

“Wir haben uns bei der Vorbereitung einige Schweizer Dokumentationen angesehen, alle sehr gut”, sagte Festivaldirektor Marcelo Panozzo vor dem Film. “Ihr könnt sie sehen, sie laufen in der Sektion Panorama. Aber dieser hier, der ragte heraus, den wollten wir in unserem internationalen Rennen haben.”

Zwei Stunden Filmdauer in einem fast zu sehr gekühlten Kino, während draußen die Sonne scheint. Und jede Minute hat sich gelohnt. Nicolas Steiner hat sich auf die Spuren von Menschen in den USA begeben, die am Rande der Gesellschaft leben. Ein nicht mehr junges Pärchen, Cindy und Rick, wohnt in einem Tunnel unter der glitzernden Stadt Las Vegas. Auch der “Pate” lebt hier, er ist Streitschlichter und Philosoph unter den Tunnelbewohnern. In einem verlassenen Bunker in der Wüste wohnt Dave. Er hat sein Leben Gott anvertraut und schreibt Botschaften für Aliens in den Sand. Seine Beobachtungen und Reflektionen schwanken dauernd zwischen Humor und Verzweiflung. Ein Team von Forschern erprobt in der Wüste ein Leben auf dem Mars. Das Interesse des Filmemachers konzentriert sich hauptsächlich auf April, Ex-Soldatin und einzige Frau im Team.

Das Paar, der Pate, die Marsforscherin, der Einsiedler. Im Laufe des Films rücken wir ihnen näher, lernen ihr ethisches Gerüst kennen, puzzeln uns ihre Vergangenheit zusammen und erfahren, warum sie obdachlos geworden bzw. in ihrer absonderlichen Situation gelandet sind. Wir sitzen mit ihnen im Kerzenschein in der Behausung im Tunnel und haben Angst, dass das Wasser uns fortreißt, radeln mit Dave durch die Wüste, bewundern die schonungslose Ehrlichkeit Aprils. Es ist ein schon fast unheimlicher Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt dieser Menschen, als säße man in ihren Köpfen. Mit diesem Bewusstseinsstrom-Film, der von einer umwerfenden Bildersprache getragen ist, ist Steiner ein Meisterwerk gelungen.

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