Mit Blaulicht nach Buenos Aires

Kristof Magnusson stellt heute Abend auf der Buchmesse sein Werk “Arztroman” vor

magnusson_kratz2Der deutsche Schriftsteller Kristof Magnusson weilt anlässlich der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires und auf Einladung der deutschen Botschaft in Buenos Aires und des Goethe-Instituts zum ersten Mal in Argentinien. Der 1976 in Hamburg als Sohn eines Isländers und einer Deutschen geborene Schriftsteller, der heute in Berlin lebt, ist nebenbei Übersetzer aus dem Isländischen. In seinem neuesten Erfolgsbuch “Arztroman” schildert er das turbulente Leben einer Notärztin in Berlin. Im Interview mit Kunst in Argentinien-Herausgeberin Susanne Franz gab er Einblicke in sein schriftstellerisches Schaffen und erzählte u.a., wie er für die Recherche zu seinem Roman in Rettungswagen mitgefahren ist.

SF: Herr Magnusson, Sie stellen heute Abend auf der Internationalen Buchmesse von Buenos Aires Ihr Werk “Arztroman” vor. Freuen Sie sich auf Ihre erste Begegnung mit dem argentinischen Lesepublikum?

Kristof Magnusson: Das auf jeden Fall, ja, es ist wirklich immer eine besonders schöne Art und Weise, ein Land kennenzulernen – nicht nur da zu sein als jemand, der irgendwelche Sehenswürdigkeiten besichtigt – was natürlich auch schön ist -, aber es ist immer besonders schön, wenn man die Möglichkeit,hat, die Leute gleich kennenzulernen über einen gemeinsamen Austausch. Ich habe das schon oft gemacht, in vielen Ländern, in Indien, in Griechenland, in Portugal, oder in Schweden oder Amerika, es ist eine ganz besonders gute Art und Weise, Land und Leute kennenzulernen.

SF: Sie sprechen heute mit dem argentinischen Schriftsteller und Journalisten Ariel Magnus über Ihren Roman; er hat Passagen Ihres Werkes ins Spanische übersetzt. Wird er auch den gesamten Roman übersetzen und wird dieser hier erscheinen?

Kristof Magnusson: Das ist gerade in Arbeit, es gibt auf jeden Fall Interesse, es gibt noch nichts, was spruchreif ist, aber das Interesse ist auf jeden Fall erst mal da. Ob Ariel Magnus das Buch übersetzt, hängt sicher von dem Verlag ab und von dem Zeitplan, er ist ja ein vielbeschäftigter Mann. Ich würde mich freuen, aber er muss natürlich gucken, ob er Zeit hat.

SF: Sie sind halb Isländer, halb Deutscher. Sie übersetzen Literatur aus dem Isländischen ins Deutsche, schreiben selbst aber lieber auf Deutsch. Warum ist das so? Liegt es an den Besonderheiten der beiden Sprachen?

Kristof Magnusson: Das hat wirklich den ganz profanen Grund, dass Deutsch meine Muttersprache ist. Ich habe zwar fünf, sechs Jahre in Island verbracht, habe da auch studiert, aber aufgewachsen bin ich die meiste Zeit in Deutschland, und bin auch nie in Island zur Schule gegangen, was ja auch für den Spracherwerb eine sehr wichtige Phase ist, dieses mit den Gleichaltrigen zusammen aufwachsen, eine Sprache sprechen, und das Abgleichen mit der Sprache, die die Lehrer und die Erwachsenen sprechen – diese Reibung ist sehr wichtig dafür, dass man auch Subtilitäten darstellen kann, und das habe ich im Deutschen viel viel mehr als im Isländischen. Ich habe sozusagen mehr verschiedene Register, die ich ziehen kann auf Deutsch. Deswegen könnte ich das gar nicht, auf Isländisch. Ich übersetze auch nie aus dem Deutschen ins Isländische, sondern immer nur aus dem Isländischen ins Deutsche.

SF: Ihr Werk “Arztroman” ist in Deutschland ein großer kommerzieller Erfolg. Glauben Sie, dass das auch damit zu tun hat, dass Sie darin das Phänomen Burnout ansprechen, das ein universelles Problem der heutigen Zeit ist?

Kristof Magnusson: Ich finde das immer schwer, das zu sagen. Ich hoffe das, weil das eine Sache ist, die mir wichtig ist. Ich hoffe aber natürlich, dass die Leute diesen Roman auch deswegen gerne lesen aufgrund der humorvollen und unterhaltsamen Komponenten, also, obwohl es ja auch um das medizinische Milieu geht, Krankheit natürlich auch, soll es kein “Problembuch” sein in dem Sinne, sondern einfach ein Buch, das Lebenswelten in Berlin und teilweise auch ein Gesellschaftsporträt zeigt, was gewisse “Probleme” zwar thematisiert, ohne das jetzt auf eine dramatische Art und Weise zu tun. Eher auf eine leichte, humorvolle Weise. Deshalb hoffe ich, dass das ein Aspekt der Wahrnehmung ist, aber hauptsächlich sind es einfach diese spannenden Geschichten, die sich in einer Großstadt heutzutage abspielen, ich hoffe, dass das die Leute genauso interessiert.

SF: Also geht es eher darum, wie die Menschen mit ihrer jeweiligen Situation umgehen.

Kristof Magnusson: Genau, und manchmal gelingt es den Leuten, positiv oder humorvoll damit umzugehen, und manchmal gelingt es ihnen nicht, genauso wie es bei uns im Leben ja auch ist. Wir bestehen ja nicht nur aus positivem Denken, das funktioniert einfach nicht, und manchmal kommen wir nicht gegen die Probleme an, aber manchmal gelingt es uns dann wiederum doch.

SF: Sie haben sehr viel recherchiert zu ihrem Werk, Sie haben Freunde und Bekannte, die Ärzte sind, Sie sind auch selber mitgefahren in den Rettungswagen, um ganz lebendig schildern zu können, wie der Alltag Ihrer Heldin des Romans aussieht. War das eine spannende Herausforderung für Sie? Oder teilweise auch bedrückend? Wie lange haben Sie recherchiert?

Kristof Magnusson: Die Recherche hat sicherlich länger als ein halbes Jahr gedauert, weil ich auch immer recherchiert habe und dann geschrieben habe und dann wieder zur Recherche zurückgegangen bin. Die Gespräche mit den Ärzten, das war ein Teil, der mich sehr lange begleitet hat, und was natürlich interessant ist, ist, dass ja eigentlich sozusagen die Frage dahintersteckt, es gibt eine Welt, die man beschreiben möchte und dann ist die Frage, wie ist diese Welt mit ihren Eindrücken und wie wird daraus dann Text. Das ist ein Weg, den man sonst immer mit sich selber ausmacht, und jetzt waren da diese Ärzte dabei, denen ich auch Sachen zum Lesen gegeben habe, die haben dann gesagt “Ja, hier, da könnte man noch das machen, das wär noch spannender” oder “Hier, das stimmt so nicht”, also dieser Prozess, der sonst bei meinen Büchern immer ein sehr intimer Prozess war, da hatte ich diesmal auf einmal diese “Gegenüber”, das hat es für mich interessant gemacht.

Bei den Malen, bei denen ich mitgefahren bin mit den Notarztwagen, das war natürlich sehr, sehr aufregend, am Anfang habe ich gedacht, ich störe, oder ich stolpere über den Sauerstoffschlauch, es brauchte eine Weile, bis die Ärzte und Feuerwehrleute mir diese Angst genommen haben. Das war für mich sehr wichtig, diesen ganzen Alltag zu sehen, weil Recherchegespräche sind eine Sache, und dass es medizinisch stimmt, kann man alles recherchieren, aber da gibt es diese verrückten Details wie zum Beispiel, dass die Menschen sich die Ohren zuhalten, wenn man mit dem Rettungswagen vorbeifährt, und das ist eine Sache, das muss man gesehen haben. Oder dass man oft gar nicht weiß, dass man mit Blaulicht unterwegs ist, aber wenn man dann durch eine enge Straße fährt, sieht man auf einmal, wie sich das spiegelt. Oder man fährt über Kopfsteinpflaster und spürt dieses Vibrieren, diese zwei Tonnen Ausrüstung, die man hinter sich hat. Für solche Sachen war es wichtig, mitzufahren.

SF: Sie haben einmal gesagt, dass sozusagen vor dem Notarzt alle Menschen gleich sind – die Reichen, die Armen, die Alten, die Jungen, so dass Sie durch Ihre Recherchen Einblick in ein gesamtes Gesellschaftsbild gewinnen konnten.

Kristof Magnusson: Ja, das war mir wichtig und natürlich der Reiz daran, eine Ärztin zu haben, die zu den Menschen nach Hause kommt, dass sie überall hineinkommt und niemand kann vorher aufräumen. Das hat man in Krankenhäusern und Arztpraxen nicht so, die haben meist ein bestimmtes Klientel, ärmer oder reicher. Diese große Bandbreite, die hat man im Notarztdienst natürlich sehr stark, und das heißt, es lässt sich so auf eine relativ – wie ich finde – elegante Weise ein Porträt der ganzen Gesellschaft zeigen.

SF: Was möchten Sie mit dem Schreiben erreichen? Möchten Sie Ihre Leser unterhalten, sie glücklich machen? Möchten Sie die Leser zum Nachdenken anregen bzw. in ihnen eine Veränderung bewirken?

Kristof Magnusson: Das kann ich gar nicht so genau sagen. Was ich erst mal machen möchte, ist Geschichten erzählen, die mich selber interesieren, weil alles andere ist so zufällig, ob das nun Menschen interessiert oder nicht, oder glücklich macht oder nicht. Ich kann immer nur davon ausgehen, dass ich schon Bücher gelesen habe, die mich verändert haben, ich habe auch Bücher gelesen, die mich glücklich(er) gemacht haben, aber ich glaube, man kann sich das als Autor nicht von vornherein vornehmen, Man kann von sich selber ausgehen und dann hoffen, dass es andere Leute auch interessiert. Ich merke das auch bei mir selber, wenn ich die Bücher von anderen Autoren lese, das Thema muss mich nicht unbedingt interessieren, über das sie schreiben, aber ich muss das Gefühl haben, das hat den Autor interessiert, nicht mit einem bestimmten Ziel, sondern aus einem inneren Antrieb heraus. Und das ist bei mir mit dieser Welt der Medizin eben ganz stark, das ist etwas, was mich schon als Kind immer begeistert hat, und irgendwie ist meine Aufmerksamkeit an diesem Thema hängengeblieben. Dann kam dazu, dass es ja eine gewisse Relevanz für die Gesellschaft hat – ein Gradmesser dessen, wie wir unsere Gesellschaft haben wollen, ist ja, wie wir unser Gesundheitssystem organisieren. So ist zu meiner emotional unerklärlichen Begeisterung noch ein vernunftgetragener Grund hinzugekommen.

SF: Noch eine Frage zu Ihrem Schreiben: Sprudelt es aus Ihnen heraus oder müssen Sie sehr streng mit sich sein und sagen, ich schreibe jetzt vier Stunden am Tag? Wie machen Sie das, ist das eher eine Disziplinfrage? Denn Schreiben ist ja schwer.

Kristof Magnusson: Natürlich ist es schwer, das wissen wir ja alle. Ich schreibe sehr viel, das Schwierige oder wo die Disziplin ins Spiel kommt, ist einfach, die guten Ideen von den schlechten zu unterscheiden. Dieser Roman (er tippt auf seinen “Arztroman”, der auf dem Tisch liegt) war sicherlich am Anfang dreimal so lang. Ihn zu überarbeiten, immer weiter zusammenzukürzen, das zu tun, was eigentlich auch Dichtung ist, also das Ver-Dichten, dass man aus den ganzen Beobachtungen die paar herausfiltert, die nicht nur etwas beschreiben, sondern darüber hinaus für etwas stehen. Also eher eigentlich beides: erst dieses Sprudeln, aber damit ist noch nicht mal die Hälfte getan, das ist noch nicht mal die halbe Miete – die eigentliche Arbeit ist das Überarbeiten.

SF: Es ist sicher auch nicht einfach, den Moment zu bestimmen, an dem das Buch “fertig” ist.

Kristof Magnusson: Absolut, und ich glaube, solange ich Lesungen mache und mich mit Leuten über das Buch unterhalte und immer noch wieder jemand einen neuen Aspekt anspricht und sagt “Das fand ich interessant und das fand ich nicht so interessant”, solange ist das Buch für mich auch nicht fertig, weil das Buch entsteht ja immer wieder. Also das Buch ist ja nur zu einem Teil wirklich dieses physische Produkt (er klopft wieder auf den “Arztroman”) – zu einem großen Teil ist es auch das, was in den Köpfen der Leute passiert, nicht nur, wenn sie es lesen, sondern auch, wenn sie darüber sprechen.

SF: Herr Magnusson, vielen Dank für das Gespräch!

Heute: Lesung
Heute, Freitag, 24. April, um 18.30 Uhr: “Arztroman” – Lesung und Gespräch mit Kristof Magnusson und Ariel Magnus. Veranstaltet von der deutschen Botschaft in Buenos Aires, dem Goethe-Institut Buenos Aires und der Fundación El Libro. 41. Internationale Buchmesse Buenos Aires, Saal Alfonsina Storni, La Rural, Plaza Italia, Buenos Aires. Deutsch mit Konsekutivübersetzung.

Foto:
Bestsellerautor Kristof Magnusson (rechts) und Kulturattaché Michael Kratz vor Alfredo Segatoris Berlin-Graffiti an der Außenwand der deutschen Botschaft in Buenos Aires.
(Foto: Deutsche Botschaft)

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