Zwischen Wahn und Wirklichkeit

Filmische Highlights vom Festival “BAFICI”

Von Michaela Ehammer

bafFilme gibt es viele. Der unterschiedlichen Art. Action-geladene oder herzzerreißende Hollywood-Filme stehen ja täglich auf unserem TV-Programm, aber viele Fime der etwas “anderen Art”, ergreifende, belehrende, provozierende, anregende, aufzeigende, hinweisende oder politische Dokumentationen rücken dabei eher in den Hintergrund. BAFICI, das internationale Festival der unabhängigen Filme in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires, hat genau diese Filme gesucht und zeigt sie von ihrer ganz speziellen, packenden und merkwürdigen Seite. Alle Genres sind vertreten, ob Horror, Komödie, Musikfilme, Psychothriller, wahre Geschichten, Klassiker, Schwarz-Weiß-Filme, Dokumentationen, Animationen, audiovisuelle Shows, Ausstellungen rund um das Thema Kino sowie Gespräche hautnah mit Stars, wie mit dem Ehrengast Isabelle Huppert – das diesjährige Film-Festival hält wieder einmal für jeden Kinoliebhaber das Seine im Sortiment. Doch bei über 400 Filmen fällt die Entscheidung wirklich nicht leicht. Gesehen haben kann man sie nicht alle, einige sollte man aber.

“Goodnight Mommy”
Wer hätte gedacht, dass es möglich ist, alle Emotionen in einen einzigen Film zu packen? Von Spannung pur über Lachen, Schamgefühlen, Ah!-, Oh!- und Uh!-Rufen, von purem Entsetzen und totalem Staunen bis hin zum “Grande Finale”? Die beiden Österreicher Veronika Franz, Journalistin beim Kurier, und Severin Fiala zeigen in ihrem Film “Goodnight Mommy” (zu deutsch “Ich seh Ich seh”), der im Internationalen Wettbewerb nominiert ist, wie es geht. Das Resultat: Ein wahrhaftes filmisches Meisterwerk, welches seine Zuschauer an die Grenzen der Imagination führt. Der Beginn ist dabei sehr unschuldig: Ein Haus am See, eine Mutter nach einer Gesichtsoperation und zwei Kinder. Die Kinder spielen in der Natur, die Mama braucht Ruhe. Mit der Zeit wird jedoch klar, dass etwas an dieser unschuldigen Geschichte nicht stimmen kann. Welches dunkle Geheimnis umgibt die Kinder? Ist es wirklich die echte Mama? Was ist bei dem Unfall tatsächlich passiert? Wie weit kann die eigene Psyche einen Menschen treiben? Wo endet die Wirklichkeit und beginnt der Wahn? Es gibt zu viele Fragen die angeschnitten, jedoch nicht beantwortet werden. Der Zuschauer wird dadurch immer wieder aufs Neue gefesselt, und während der Hobby-Filmschauer noch staunt, ist für das geschulte Kinoauge bald schon klar, in welche Richtung sich der Film dreht. Oder etwa doch nicht? Denn Franz und Fiala schaffen es mit ihrem Film aus dem Jahre 2014 immer wieder aufs Neue, dass Zweifel an dieser Theorie auftreten. So bleiben die Spannung und der Aha-Effekt bis zum Schluss bestehen. Mit der Zeit wird die Stimmung im Film zusehends dunkler, der Terror wächst und am Ende dreht sich der Film um spannende 360 Grad. Der Zuschauer wird so in alle Blickwinkel und Perspektiven der agierenden Personen hineingezerrt und es kommt zu einer Explosion – sprichwörtlich wie gefühlsmäßig. Und am Ende verlässt man den Kinosaal mit einem echten filmischen “Wow”-Erlebnis und Gänsehaut. Kein Film jedoch für schwache Nerven!

Ein Recht auf Liebe
Der kenianische Film “Stories Of Our Lives”, nominiert in der Kategorie “Human Rights Competition”, wirft hingegen ein ganz anderes Thema auf: Fünf Menschen erzählen ihre ganz persönliche Geschichte vom Leben als Homosexuelle in einem Land, wo dieses Thema noch immer als striktes Tabu gilt. Verfolgungen, Bestrafungen, Festnahmen sowie weitere Maßnahmen von den Familien, Freunden und vom Staat werden in dem afrikanischen Land gegen alle getroffen, dessen Sexualität nicht jener “normalen” entspricht. Basierend auf echten Bezeugungen eröffnen uns die fiktiven Protagonaisten eine Welt, fern von Toleranz und Gleichberechtigung. Ein grandioser Film, dem durch den Schwarz-Weiß-Effekt noch mehr Mitgefühl und die gewisse Portion an Extra verliehen wird. 60 Minuten zum Nachdenken und Umdenken. Filme dieser Art sollten bei einem Festival für unabhängige Filme auf keinen Fall fehlen. Jim Chuchu, geboren in Nairobi, ein visueller Künstler, Filmemacher und Musiker, lässt uns in seinem ersten Langfilm durch seine Großaufnahmen mit all seinen Darstellern hautnah mitfühlen. Warum werden Homosexuelle von der Gesellschaft ausgegrenzt? Welche Träume, oder viel mehr, welche Ängste begleiten ihr Leben? Sollen sie sich verstecken oder für ihr Recht auf Anerkennung kämpfen? Die Frage am Schluss wird für alle in den Raum geworfen und jeder kann sie ganz für sich beantworten: Haben wir Menschen, egal welcher Abstammung, Hautfarbe oder Hang zur Sexualität nicht alle eine Sehnsucht sowie ein Recht auf Liebe?

Rebel-Rock aus Grönland
Dass BAFICI auch eine musikalische Seite hat, zeigen die insgesamt 17 Filme rund um das Thema Musik. So etwa erzählt der grönländisch-dänisch-norwegische Film “Sumé – The Sound of a Revolution” von der ersten grönländischen Rockband in den 70er Jahren. Während Argentinien zu dieser Zeit von einer Welle aus Protesten und Gewalt geprägt war, braute sich auch in Grönland der Sturm einer Revolution zusammen. Eine andersartige Revolution jedoch, die, nach der anfänglichen Schüchternheit ihrer Landsleute, schon bald im ganzen Land Anklang fand und durch ihre Lieder die Nation Grönland stärkte und vereinte. Der grönländische Regisseur Inuk Silis Hoegh stellt in dieser musikalischen Dokumentation eine Hommage an “Sumé” mit einzigartigen Aufnahmen der damaligen Zeit dar: von den ersten Anfangen in kleinen Bars über Konzerte im Freien und Gastauftritte im dänischen Fernsehen bis hin zur großen Grönland-Tournee. Doch alles fing in Dänemark an. Malik Hoegh und Per Berthelsen, charismatische Studenten Anfang Zwanzig, gründeten während ihrer Studienzeit in Kopenhagen gemeinsam mit Freunden diese Rockband und sorgten damit erst einmal für große Aufregung – nicht nur in Grönland. Eine Band, die auf Grönländisch singt und dann auch noch mit ihren politischen Texten mehr Rechte für ihr Land sowie Unabhängigkeit von Dänemark fordert. Das war damals wohl für viele schwer vorzustellen. Die Jungs wollten nicht nur ihre Liebe zur Musik zum Ausdruck bringen, sondern auch auf die Missstände in ihrem Heimatland aufmerksam machen. “Wir wollten mit unserer Musik keinesfalls provozieren, sondern vielmehr aufzeigen, dass wir mit unserer Situation in Grönland nicht zufrieden waren. Unseren Mitmenschen eine Stimme geben und sagen, an was es uns fehlt, warum wir unglücklich sind”, so Malik Hoegh. Dies taten sie dann auch und brachten insgesamt vier Schallplatten heraus: “Sumut”, “Inuit Nunnat”, “Sumé” und “1973-76”. Diese Missstände sind auch heutzutage noch präsent im nordischen Land, und so findet Sumé auch heute noch großen Anklang bei Jung und Alt. Diese ganz spezielle Art von Rockmusik hat den perfekten Weg, zwischen Rebellion und Schüchternheit, in die Harmonie und in die Zukunft gefunden. Ganz nebenbei beeindruckt der Film auch durch traumhafte Aufnahmen der landschaftlichen Highlights von Grönland.

Das Leben des Edward Snowden
Ganz anders wieder der Film aus dem Jahre 2014 von der US-amerikanischen Künstlerin und Journalistin Laura Poitras “Citizenfour” (Kategorie Panorama). Nach “My Country, My Country” aus dem Jahre 2006 und “The Oath” von 2010 ist es bereits der dritte Film über einen Skandal der Weltmacht USA. Dieses Mal mit und über das Leben des Militärkindes Edward Snowden, der 2013 seine Entscheidung für die Enthüllung geheimer Daten über die NSA und gegen sein gewohntes Leben getroffen hat. Alle haben wir schon davon gehört, doch der Film zeigt unveröffentlichte Szenen, wie alles entstand. Er beginnt in einem Hotelzimmer in Hong Kong, wo sich Snowden absetzte und Poitras sowie zwei britische Journalisten vom “Guardian” anheuert, um seine Geschichte zu veröffentlichen, und endet in Moskau, wo er mit seiner Freundin bis heute noch im Exil lebt. Wir sehen in dieser Dokumentation, wie Journalist Glenn Greenwald sich ans Fernsehen wendet, die Enthüllung an die Öffentlichkeit kommt und Snowden den Prozess von seinem Hotelzimmer in Hong Kong aus betrachtet. Szenen, die uns eine völlig neue Perspektive des Geschehens eröffnen und uns als Betrachter in die Geschichte hineinziehen. Von der anfänglichen Euphorie Snowdens bis hin zu seinen Zweifeln. Dieser Film brachte Poitras 2015 einen Oscar in der Kategorie “Bester Dokumentarfilm”. 2014 gewann sie bereits den Pulitzer-Preis für “Dienst an der Öffentlichkeit”. Seit Jahren lebt sie in Berlin, denn zurück in die USA kann sie, spätestens nach diesem Film, nur schwer.

Wir werden alle nicht jünger
Der Film “La Once”, Kategorie Panorama – BAL Buenos Aires Lab, von der chilenischen Filmemacherin Maite Alberdi, hat ein ganz anderes Ziel vor Augen: das Altwerden. Das Leben vieler Menschen im hohen Alter wird oftmals sehr eintönig. Umso größer also die Freude bei den Treffen der Nachmittagstees, die ihre Darsteller Jahr für Jahr mit ihren alten Schulfreunden erleben. Es wird gelacht, gesungen, geweint, philosophiert und über die zu schnell vergangenen Jahren mit all uhren Schönheiten und Wehen geplaudert – alles in realen Aufnahmen. Alberne und belanglose Dinge werden aufgegriffen und in köstliche und witzige Dialoge verwandelt. Die Kamera fängt dabei jedes noch so kleine Detail ein. Pensionistenausflüge, Krankheiten, einfacher Klatsch und Tratsch, der Tod und die Liebe – alles wird im Film aufgegriffen und viele Lacher genauso wie vereinzelte Tränen sind dabei garantiert. Ein amüsanter Film und ein kleiner Blick in das Leben des “Altseins”, das uns alle einmal erwartet.

Die kühle Diva
Am Mittwoch Nachmittag öffnete auch das Teatro Colón seine Tore für ein Gespräch mit Isabelle Huppert, der unterkühlten französischen Schauspielerin, Kuratorin und Ehrengast des diesjährigen BAFICI. Eine gute Stunde lang gab sie uns einen kleinen Einblick in ihr Film- und Theaterleben. Schauspielern sei ihre Arbeit, aber auch ihre Welt, denn etwas anderes zu machen könne sie sich nicht vorstellen. Bereits seit ihrem 14. Lebensjahr sei das Theater ein Teil ihres Lebens geworden. 13 Filme mit Isabelle Huppert sind Teil des diesjährigen BAFICI, darunter auch Vorstellungen im Malba. Einer ihrer berühmtesten Filme ist wohl “Die Klavierspielerin” vom österreichischen Regisseur und Oscarpreisträger Michael Haneke, mit dem Huppert mehrfach arbeitete. “Die Vergangenheit ist bereits passiert. Was mich interessiert. sind die Gegenwart und die Zukunft”, so die gebürtige Pariserin bei der Pressekonferenz. Trotzdem blicke sie gerne zurück, denn sie sei stolz auf ihre Filme, die sie gedreht habe. Bei etwa 90 Filmen kann sie das auch sein! Nicht zuletzt deshalb gilt sie als eine der am höchsten und am häufigsten ausgezeichneten Schauspielerin ihrer Generation.

Filmfieber bis Samstag
Ein Festival von großer Vielfalt vereint Jung und Alt und Menschen aus allen Teilen der Welt, um eine Passion zu teilen. Und obwohl die Ehrung der Sieger bereits am heutigen Freitag stattfindet, hält das Festival-Fieber und der spannende Marathon um die Filme in Buenos Aires noch bis morgen an. Für alle diejenigen, die in diesem Jahr keine Chance dazu hatten – das nächste BAFICI ist bereits in Vorbereitung.

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