Deutsche Spuren in Namibia

Wechselvolle Geschichte: Von der deutschen Kolonie zum unabhängigen Staat

Von Marcus Christoph

kirche
Wer sich durch die Namib-Wüste der Atlantikküste nähert, könnte vielleicht meinen, es handele sich um eine Fata Morgana: Häuser mit Fachwerk, Amtsgebäude aus der wilhelminischen Kaiserzeit und ein rot-weißer Leuchtturm, wie es ihn an der deutschen Nord- oder Ostseeküste geben könnte. Dazu noch Straßenschilder mit Namen wie Bismarck, Moltke oder Kaiser Wilhelm. Dabei befindet sich Swakopmund, wie der 43.000 Einwohner-Ort im Südwesten Afrikas seit seiner Gründung 1892 heißt, gut 8000 Kilometer von Deutschland entfernt.

Nicht von ungefähr hat Swakopmund den Ruf, die “deutscheste Stadt” in Namibia zu sein. Die viertgrößte Stadt des dünnbesiedelten Landes legt noch heute deutliches Zeugnis ab für die Zeit, als das Gebiet zwischen Südafrika im Süden, Botswana im Osten und Angola im Norden deutsche Kolonie war. Von 1884 bis 1915 wehte die Fahne des deutschen Kaiserreiches über dem weitgehend unwirtlichen Gebiet am anderen Ende der Welt. Noch heute leben zahlreiche Nachfahren der einstigen Kolonialbeamten und Siedler dort. Die Zahl der Deutschnamibier wird gegenwärtig auf rund 20.000 geschätzt.

Den Anfang hatte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz gemacht, der im Süden des Landes (beim späteren Lüderitzbucht) 1883 einen Handelsstützpunkt schuf und das Gebiet durch trickreiche Verhandlungen mit den ansässigen Stammeshäuptlingen erweiterte. Ihm gelang es, den anfangs zögerlichen Reichskanzler Otto von Bismarck für die Idee zu gewinnen, das Gebiet unter deutschen Schutz zu stellen. Bei der Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 wurde der deutsche Anspruch auf die Kolonie bestätigt.

In der Folgezeit wurde eine deutsche Schutztruppe gebildet und die Ansiedlung von Deutschen aus dem Reich gefördert. Hauptstadt der Kolonie wurde Windhoek im Landesinneren. An der Küste wurde Swakopmund als Hafen für das Schutzgebiet geschaffen. Diamantenfunde in der Gegend bei Lüderitzbucht im Jahr 1908 sorgten für einen weiteren Einwanderungsschub.

Das Zusammenleben von Deutschen und den einheimischen Stämmen war mitunter konfliktreich. Zwischen der preußisch-deutschen Lebensweise und derjenigen der angestammten Bevölkerung klafften Welten.

Ein besonders dunkles Kapitel stellt die Niederschlagung des Herero-Aufstandes dar. Die Volksgruppe sah sich durch die deutschen Siedler und Kaufleute immer weiter in ihren Lebensgrundlagen zurückgedrängt. Als sich durch eine Rinderseuche ihre Situation weiter zuspitzte, wagten sie unter ihrem Anführer Samuel Maharero die Erhebung gegen die Kolonialherren. Diese waren bereit, ihren Besitz auch durch Anwendung brutaler Gewalt zu verteidigen.

Überliefert ist der “Vernichtungsbefehl” von Generalleutnant Lothar von Trotha, dem Kommandeur der deutschen Schutztruppe: “Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen.”

Nach der Entscheidungsschlacht am Waterberg flüchteten die Hereros in die Omaheke-Wüste. Die Deutschen hielten sie von den wenigen Wasserstellen ab, so dass sie zu Zehntausenden verdursteten. Die Zahl der ums Leben gekommenen Hereros wird auf 80.000 geschätzt. Die Tragödie gilt als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts. Im Süden des Landes erhoben sich etwa zur selben Zeit die Nama, die erst nach einem jahrelangen zermürbenden Kleinkrieg niedergerungen werden konnten.

Die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches hat sich zwar offiziell zur besonderen historischen und moralischen Verantwortung gegenüber Namibia bekannt. Direkte Wiedergutmachungszahlungen wurden bislang jedoch stets abgelehnt. Andererseits unterstützt Berlin Namibia mit vergleichsweise großzügiger Entwicklungshilfe. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind nach Auskunft des Auswärtigen Amts über 800 Millionen Euro in die einstige Kolonie geflossen. Dies ist die höchste Pro-Kopf-Förderung, die
Deutschland einem afrikanischen Land zuteil werden lässt.

leuchtturmDie Geschichte der deutschen Kolonie endete vor fast genau 100 Jahren am 9. Juli 1915, als sich die deutsche Schutztruppe der mit der Entente verbündeten südafrikanischen Armee ergeben musste. Im Friedensvertrag von Versailles 1919 wurde Deutschland zum Verzicht auf Kolonialbesitz gezwungen. Südafrika erhielt vom neu gegründeten Völkerbund das Mandat zur Verwaltung des einstigen Deutsch-Südwestafrikas übertragen. Die neuen Herren im Land wiesen rund die Hälfte der 15.000 dort lebenden Deutschen aus. Doch 1923 änderten sie ihre Politik. Die im Land gebliebenen Deutschen konnten die britische Staatsbürgerschaft annehmen, 3200 von ihnen nutzten das Angebot. Aber auch erneute Immigration aus Deutschland und die deutsche Sprache wurden nun wieder gefördert.

Als sich infolge der Weltwirtschaftskrise die ökonomische Situation der Deutschnamibier verschlechterte, schlossen sich nicht wenige von ihnen der aufstrebenden NS-Bewegung an, die landesweit Parteibüros gründete. Auch Befürchtungen, Südafrika könnte sich das Gebiet direkt in sein Staatswesen einverleiben, befeuerten die radikalen Tendenzen. Die Nazi-Partei erreichte ähnlich große Popularität wie in Deutschland.

Zu einer besonderen Belastung wurde der Zweite Weltkrieg, in dessen Verlauf viele Deutschnamibier nach Südafrika verbracht und dort interniert wurden. Die rund 20 Jahre zuvor zuerkannten britischen Staatsbürgerschaften wurden wieder kassiert. Erst 1946 kamen die Internierten frei.

Südafrika wandte seine 1948 eingeleitete Apartheidspolitik auch auf sein Mandatsgebiet an. Dies verschärfte naturgemäß die Gegnerschaft der schwarzen Mehrheitsbevölkerung zu der Mandatsmacht, führte aber andererseits zu einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen der Protektoratsverwaltung und den Deutschnamibiern. Diese gehörten nun neben den burischen und englischstämmigen Weißen zur privilegierten Minderheit der Rassentrennung. Zuwanderung aus Deutschland war wieder gerne gesehen.

1990 erreichte Namibia nach jahrelangen Kämpfen schließlich seine Unabhängigkeit von Südafrika. Damit ist das Land im Südwesten des Kontinents eine der jüngsten Nationen weltweit. Die Deutschnamibier sind heute eine von zahlreichen ethnischen Gruppen im Vielvölkerstaat Namibia. Sie leben in fast allen Teilen des Landes, das etwa doppelt so groß ist wie die Bundesrepublik, aber nur etwas mehr als zwei Millionen Einwohner zählt. Lediglich im Norden sind die Deutschstämmigen nicht präsent.

Die Deutschnamibier sind meist mehrsprachig. Neben der Muttersprache sprechen sie häufig auch Englisch und Afrikaans, die Sprache der Buren, die sich aus dem Holländischen entwickelt hat. Neben der deutschen Sprache, die eine der anerkannten Landessprachen ist, ist der deutsche Einfluss in der Esskultur, bei Volksfesten und Feiern, bei den zahlreichen Vereinen, sowie im Wirtschaftsleben spürbar.

Ganz frei von Spannungen ist das Verhältnis zwischen Deutschnamibiern und der schwarzen Mehrheitsbevölkerung aber weiterhin nicht. So hat man beispielsweise in Swakopmund den Eindruck, dass Deutschstämmige und Schwarze eher nebeneinander als miteinander leben. Zu groß scheinen die kulturellen Unterschiede und Lebensgewohnheiten weiterhin zu sein.

Für Aufregung sorgte zuletzt die Demontage des Reiterdenkmals (“Südwester Reiter”) von Windhoek. Das Denkmal war den Gefallenen der deutschen Schutztruppe gewidmet, die bei der Niederschlagung der Aufstände der Herero und Nama ums Leben kamen. Um Platz für das mit nordkoreanischer Hilfe entstandene nationale Unabhängigkeitsmuseum zu schaffen, beschloss die namibische Regierung 2009 den Abbau und die Zerstörung des Monuments. Der Deutsche Kulturrat wollte dem Ansinnen zuvorkommen und organisierte 2010 den Umzug des Reiters an einen anderen Ort. Man stellte ihn auf einem Sockel vor der “Alten Feste”, einer Festung aus der deutschen Kolonialzeit, neu auf. Doch die Regierung legte nach. Am 1. Weihnachtstag 2013 ließ sie das Denkmal unter großen Sicherheitsvorkehrungen von seinem neuen Platz entfernen. Derzeit lagert der Reiter nun versteckt im Innenhof der “Alten Feste”, in dem demnächst eine historische Ausstellung zu sehen sein soll.

An der Stelle, an der ursprünglich der Reiter stand, grüßt nun eine monumentale, in nordkoreanischer Ästhetik gehaltene Statue von Sam Nujoma, dem Gründungsvater der namibischen Nation, der von 1990 bis 2005 als Präsident des jungen Landes fungierte. Nujoma sorgte 2009 für Irritationen, als er der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia unterstellte, eine feindliche Haltung dem namibischen Staat gegenüber einzunehmen: “Wir tolerieren sie. Aber wenn sie sich nicht benehmen, werden wir sie angreifen. Und wenn sie dann ihre weißen Freunde aus Deutschland rufen, dann schießen wir ihnen die Köpfe ab.” Doch glücklicherweise scheint es sich bei den drastischen Worten des Elder Statesman lediglich um rhetorisches Getöse gehandelt zu haben.

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Fotos von oben nach unten:
Wahrzeichen der Hauptstadt Windhoek: die evangelisch-lutherische Christuskirche.

Der Leuchtturm von Swakopmund.

Der “Südwester Reiter” fristet heute ein Schattendasein (Windhoek).
(Fotos: Marcus Christoph)

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