Die DDR-Kinder von Namibia

430 junge Namibier wuchsen im zweiten deutschen Staat auf

Von Marcus Christoph

ddr_namibierinEin ganz besonderes Kapitel der deutsch-namibischen Geschichte stellen die sogenannten “DDR-Kinder von Namibia” dar. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von insgesamt 430 Kindern, die weite Teile ihrer Jugend im zweiten deutschen Staat zugebracht haben. Nach dem Zusammenbruch der DDR und der 1990 erreichten Unabhängigkeit Namibias kehrten sie in ihr Herkunftsland zurück.

Hintergrund für die kuriose Episode der Geschichte ist die politische Situation im südwestlichen Afrika in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Das Gebiet, das heute Namibia ist, war von den Südafrikanern besetzt. Diese indtallierten ein Apartheidsregime, das die schwarze Mehrheitsbevölkerung stark benachteiligte.

Die marxistisch orientierte Befreiungsorganisation SWAPO bekämpfte die Besatzer auch von
Basen im benachbarten Angola aus. Die Situation spitzte sich dramatisch zu, als die südafrikanische Armee 1978 ein Ausbildungs- und Flüchtlingslager der SWAPO nahe der Stadt Cassinga im südlichen Angola angriff. Mehr als 600 Personen kamen dabei ums Leben, darunter zahlreiche Zivilisten, von denen 122 Kinder waren.

Angesichts dieser Ereignisse wandte sich SWAPO-Chef Sam Nujoma an verbündete sozialistische Staaten mit der Bitte, namibische Kinder aus den Flüchtlingslagern aufzunehmen, um ein zweites Cassinga zu verhindern. Im September 1979 stimmte das Zentralkomitee der DDR-Staatspartei SED dem Ansinnen Nujomas zu und erklärte sich bereit, Kinder aufzunehmen.

Im Dezember desselben Jahres trafen die ersten 80 namibischen Kinder im Alter zwischen drei und sieben Jahren im winterlichen Berlin ein. Sie wurden zunächst im Jagdschloss Bellin nahe Güstrow in Mecklenburg untergebracht. Ab 1985 brachte man die älteren Klassen in der “Schule der Freundschaft” in Staßfurt in Sachsen-Anhalt unter. Die Erziehung der namibischen Kinder war darauf gerichtet, sie zur Führungselite ihres Heimatlandes nach der Unabhängigkeit zu formen. Durch die deutschgeprägte Umgebung verloren sie aber zusehends den Bezug zur Kultur Namibias.

Nach elf Jahren endete das ungewöhnliche Kapitel der Geschichte. Fast zeitgleich fielen das Ende der DDR und die Unabhängigkeit Namibias zusammen, so dass weder Sponsor noch Grund für den Aufenthalt der namibischen Kinder auf deutschem Boden mehr vorhanden waren.

Die Wiedereingliederung der nunmehr fast erwachsenen Jugendlichen in die namibische Gesellschaft verlief unterschiedlich. Für nicht wenige Schwarze waren die in der DDR Aufgewachsenen “Deutsche”. Zu groß war die durch die Prägung in der DDR entstandene Entfremdung von der namibischen Kultur – und die angestammten Deutschnamibier betrachteten die DDR-Kinder aufgrund von Hautfarbe und Erziehung in einem kommunistischen Staat auch nicht als Ihresgleichen.

Manche der einstigen DDR-Kinder konnten ihre durch den langjährigen Auslandsaufenthalt gewonnenen Sprachkenntnisse für ihre berufliche Karriere nutzen. Zuihnen gehört Hilda Kenda Lucas. Die heute 42-Jährige arbeitet als Immobilienmaklerin in Windhoek. Bevorzugt kümmert sie sich um deutschsprachige Kunden. Davor war sie mehrere Jahre lang Betreiberin einer Diskothek.

Andere sind jedoch auf die schiefe Bahn geraten. So gibt es eine Gruppe von einstigen DDR-Kindern, die in der Innenstadt von Windhoek gezielt deutsche Touristen ansprechen. Denen erzählen sie in nahezu perfektem Deutsch wahlweise, dass sie Spenden für eine Ausstellung zur Geschichte der namibischen Kinder in der DDR sammeln oder für die Organisation eines Treffens Geld benötigen. Doch dies sind nur Vorwände, um den Touristen die Geldscheine aus dem Portemonnaie zu ziehen. Die Allgemeine Zeitung hat dem Kleinganoventrick schon mehrere Artikel gewidmet, die auch im Eingangsbereich der Christuskirche ausgelegt sind. Hilda ist das Gebaren ihrer einstigen Weggefährten peinlich, da es ein schlechtes Licht auf die DDR-Kinder wirft.

Foto:
Hilda Kenda Lucas gehörte zu den 430 DDR-Kindern von Namibia.
(Foto: Carlota Salomón)

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