Beklemmendes Bild der Gesellschaft

Bruckners “Enfermedad de Juventud”, inszeniert von Carlos Kaspar

Von Michaela Ehammer

enfermedad
Sechs junge Menschen, geprägt durch Orientierungslosigkeit und Unfähigkeit zu lieben, verwandeln sich auf der Suche nach den richtigen Werten zu Sklaven der Erotik. Einige von ihnen stehen kurz vor dem Abschluss ihres Medizinstudiums, doch weil sie alles wollen, geben sie sich in ihrem Liebeswahn schmerzvollen Exzessen der Fremdbestimmung hin. Zwischen Karriere, Heirat und Selbstmord suchen sie den Sinn des Lebens. Unter der Regie von Carlos Kaspar wird das expressionistische Theaterstück “Krankheit der Jugend” des österreichischen Dramatikers Ferdinand Bruckner (1891-1958) nun in Buenos Aires neu inszeniert.

In einem Raum mit klinisch weißem Dekor fängt alles unschuldig an und eskaliert am Ende in einer Tragödie. Die hübsche Maria blickt zu Beginn noch fröhlich in eine heile Zukunft. Am Tag ihres Abschlusses erfährt sie jedoch, dass ihr verwöhnter Freund “Bubi” ihrer Freundin Irene nachsteigt. Aus den Freundinnen werden unberechenbare Feindinnen. Die mangelnde Zuneigung zerreißt Maria, auch bei ihrer alten Liebe Desirée findet sie keine wirkliche Erfüllung – am Ende erfleht sie nur noch ihren Tod.

Lucy, die schüchterne, naive und unschuldige Bedienstete, die es allen recht machen will, kommt durch Freder in den Genuss von Sexualität. Der sadistische Möchtegern-Arzt und Zuhälter, der jede Gelegenheit wahrnimmt, um Sex zu haben, führt Lucy nach Strich und Faden an der Nase herum, bis sie schlussendlich als skrupellose Prostituierte auf der Straße landet. Desirée, die ihre Lust für Maria nicht im Geringsten zu verstecken versucht, wird, von stets auf- und abwallenden Jubelwellen überrollt, schließlich in den Wahnsinn bis hin zum Selbstmord getrieben. Und dann ist da noch Alfredo, ein Arzt und Beobachter, der meist versteckt im Hintergrund nur das Nötigste kommentiert und notiert.

Das Stück wurde 1926 geschrieben und behandelte die Auswirkungen einer enttäuschten Jugend nach dem 1. Weltkrieg. Eine Jugend, die an der Haltlosigkeit in einer Gesellschaft litt, die keine bürgerlichen Werte mehr aufwies. Die packende Handlung, verwoben mit psychoanalytischer Deutlichkeit, wurde von Carlos Kaspar durch Improvisationen aktualisiert und ins Hier und Jetzt verlegt. Das Stück birgt viele Probleme, die auch heute noch von brennender Aktualität sind, denn Korruption, Verlockungen jeglicher Art, Demütigung und Kränkung anderer, um sich selber besser zu fühlen, sprich “Krankheiten der Jugend”, halten auch in der heutigen Zeit Einzug. So wird weniger wie beim Original nach verlorenen Werten gesucht, sondern vielmehr über die Werte debattiert: Moral oder Ehrgeiz, Anstand besitzen oder Mut beweisen, Regeln beachten oder sich der Hemmungslosigkeit hingeben.

Durch den Tod Desirées werden die Protagonisten verantwortlich gemacht für ihr Benehmen, ihre Äußerungen und ihre Handlungen. Sie müssen der grausamen Wirklichkeit ins Auge schauen, dass jeder Einzelne von ihnen sie zum Selbstmord getrieben hat, bewusst oder unbewusst.

Nach zahlreichen Aufführungen und Verfilmungen des Stücks in Deutschland und Österreich, kann man es nun in der Theaterbar “El Método Kairòs” (El Salvador 4530, Palermo) noch bis zum 26. Juni immer freitags um 20.30 Uhr sehen.

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