Filme statt Bomben

Anlässlich des 70. Geburtstags des Filmemachers Rainer Werner Fassbinder zeigt der Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung “Fassbinder – JETZT”

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

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Auch 33 Jahre nach seinem Tod 1982 ist Rainer Werner Fassbinder immer noch aktuell. Die Faszination und Strahlkraft von Person und Werk haben bis heute nicht nachgelassen. Und: So einer wie er, der frei nach dem Motto “Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme” den Finger in die offenen Wunden der deutschen Geschichte und Gegenwart legt, der sein Publikum verstört, ja quält, um es gleich im nächsten Moment wieder grandios zu unterhalten, der fehlt in der heutigen, oft bloß noch auf Konsens, Quote und Marktgängigkeit ausgerichteten deutschen Kino- und Fernsehlandschaft.

Zu dieser Erkenntnis gelangt man bereits kurz nach dem Betreten der Ausstellung “Fassbinder – JETZT” im Berliner Martin-Gropius-Bau. Eine Videowand mit neun kurzen, aber prägnanten Ausschnitten aus Interviews und Talkshows stellt dem Ausstellungsbesucher den Menschen Fassbinder in all seiner Intensität, Freiheitsliebe, Selbststilisierung und Kompromisslosigkeit vor.

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Die vom Deutschen Filmmuseum in Frankfurt entwickelte Schau war dort bereits 2013 zu sehen. In Berlin, wo es jetzt anlässlich des 70. Geburtstags von Fassbinder am 31. Mai gezeigt wird, steht dem Projekt jedoch in den neun Räumen des Gropius-Baus doppelt so viel Fläche zur Verfügung wie zuvor Frankfurt. Gelegenheit also für die Macher der Schau, ein breites Spektrum an Exponaten zu zeigen. So ist ein ganzer Ausstellungsraum den aufwendigen Kreationen der Kostümbildnerin Barbara Baum gewidmet. Hanna Schygullas Silberlamé-Kleid aus dem Film “Lili Marleen” darf da ebensowenig fehlen wie der braune Wollanzug des einarmigen Franz Biberkopf aus “Berlin Alexanderplatz” oder die körperbetonten Matrosenuniformen aus “Querelle”.

fassbinder4Einen weiteren, allerdings nicht unbedeutenden Nebenschauplatz eröffnet die Schau mit Werken von zeitgenössischen Künstlern wie Olaf Metzel, Jeff Wall, Rirkrit Tiravanija oder Ming Wong. Fassbinders stark stilisierte Art der Blickführung, sein Umgang mit Licht, Kostümen und Verfremdungseffekten liefert bis heute auch bildenden Künstler wichtige Impulse für eigene Arbeiten. Der in Singapur geborene Berliner Videokünstler Ming Wong etwa mimt in seiner Videoparodie “Lerne Deutsch mit Petra von Kant” eine der vielen überspannten Frauenfiguren aus einem der frühen Fassbinder-Melodramen.

Im Mittelpunkt der Berliner Schau steht allerdings die Person Fassbinder selbst, der deutsche Filmemacher, der wohl am radikalsten die Machtverhältnisse in Zweierbeziehungen, Familien, der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und dem Staat seziert hat. Auratische Objekte wie seine schwarze Lederjacke, eine Sitzlandschaft, sein Flipperautomat oder seine Schreibmaschine befriedigen natürlich einen gewissen Voyeurismus. Daneben gibt es aber auch die Gelegenheit, inhaltlich tief einzusteigen: Filmausschnitte, Drehbücher, Briefe, der komplizierte Drehplan für “Berlin Alexanderplatz”, aber auch eine Audiostation mit Fassbinders Stimme beim Diktat machen nachvollziehbar, wie es dem permanent für seine Sache brennenden Filmemacher gelungen ist, in nur 16 produktiven Jahren 44 Filme zu realisieren, deren ästhetische und gesellschaftskritische Sprengkraft bis heute spürbar ist.

  • Ausstellung: Fassbinder – JETZT
  • Ort: Martin-Gropius-Bau, Berlin
  • Zeit: 6. Mai bis 23. August 2015. Mi-Mo 10-19 Uhr. Di geschlossen. An den Feiertagen geöffnet
  • Katalog: Hrsg. Deutsches Filminstitut, 304 S., zahlreiche Abb., 25 Euro
  • Internet: Webseite des Martin-Gropius-Baus, Webseite der Ausstellung

Fotos von oben nach unten:
Rainer Werner Fassbinder, 1970.
(Dt. Filminstitut/Gauhe)

Fassbinders Lederjacke und sein Trikot des FC Bayern München 1974.
(Klaas)

Fassbinders Flipper.
(Klaas)

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