Oper in der Krise?

Künstler aus Südamerika loten das Konzept von Musiktheater neu aus

Von Friederike Oertel

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Sie sitzen an einem Tisch auf der Bühne, in Alltagskleidung, den Rücken zum Publikum. Über ihnen eine Videokamera, die das Geschehen in Echtzeit auf eine Leinwand projiziert. Ihre Dialoge sind Rhythmen, raschelndes Papier und einzelne Wörter verschiedener Sprachen, die sich zu einem Cluster verdichten. Während das Sitzen in Bewegung übergeht, steigern sich die Geräusche zu einem Klang-Orgasmus. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint: auf der Bühne wird Musiktheater präsentiert.

Das klassische Konzept von Oper, deren Inszenierung auf einer originalen Partitur beruht, hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Selbst in traditionsbewussten Opernhäusern stehen mittlerweile modern inszenierte Stücke auf dem Programm. Konservative Kritiker ziehen gegen diese “Auswüchse” zu Felde, indem sie die Produktionen als Regietheater in der Oper geißeln, deren Zwang nach Aktualisierung die erhabene Kunstform schände.

Die Entwicklungen im Neuen Musiktheater spielen auch im beschriebenen Stück eine zentrale Rolle. Im Rahmen einer Initiative der Münchener Biennale – Festival für neues Musiktheater und dem Goethe-Institut Buenos Aires sind sechzehn junge Künstler aus ganz Lateinamerika zusammengekommen, um Praxen und Begriffe wie Musiktheater, Oper und zeitgenössische Oper zu diskutieren und in kollektiven Gestaltungsprozessen, jenseits von Hierarchien und geregelten Ablaufstrukturen, neu auszuloten. Kuratiert wird das Projekt vom Schweizer Komponisten Daniel Ott, der ab 2016 künstlerischer Co-Leiter der Münchener Biennale sein wird.

Nach zehn Tagen intensiver Arbeit wurden am Mittwoch vergangener Woche vier Stückentwürfe als „Work in Progress“ in der Fundación Beethoven vorgestellt. Die Herangehensweisen an die Kunstform könnten unterschiedlicher nicht sein: Während das Stück “Estimado John” mit Dokumentarfilm, Theaterkulisse und unterschwellig defensiven Klängen arbeitet, setzt “La vida de las máscaras” auf Klaviermusik, wechselnde Standfiguren und Neonlicht. “Sueños que olvidé soñar hasta el fin” hingegen interpretiert ein literarisches Werk und vermittelt musikalisch das Gefühl von flüchtiger, schmerzvoller Sehnsucht.

Die Diskussion um Wert und Existenzrecht moderner Operninszenierungen weicht der Frage nach den möglichen Ursprüngen einer musiktheatralen Produktion. Rahmen gebend ist einzig der kleinste gemeinsame Nenner: Nicht das Schauspiel oder die Sprache stehen im Vordergrund, sondern die Musik als Kommunikations- und Ausdrucksmittel. Ausgehend von dieser Prämisse demonstrieren die jungen Künstler, dass das Genre Oper kaum Grenzen kennt. Auch die Integration neuer Medien und verschiedener Kunstdisziplinen bildet keinen Widerspruch zu ihren ureigenen Grundprinzipien. Die Vielfalt des Abends zeigt, dass die Oper, befreit von der Autorität der Partitur, neue Dimensionen hinzugewinnen kann und dass jede noch so moderne Inszenierung, jeder riskante Stilbruch schon deshalb dem Stillstand vorzuziehen ist.

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Das Stück “Ping” integriert Geräusche und Rhythmen in das Musiktheater.
(Foto: Goethe-Institut Buenos Aires)

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