“Eine starke Geschichte”

Interview mit Giulio Ricciarelli, dem Regisseur von “Im Labyrinth des Schweigens”

Von Marcus Christoph

ricchiarelli II11“Im Labyrinth des Schweigens” war der Eröffnungsfilm des diesjährigen Deutschen Kinofestivals von Buenos Aires. Bei dem Spielfilmdebüt von Regisseur Giulio Ricciarelli geht es um die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Der Film ist als deutscher Beitrag für den Wettbewerb um den Oscar für den besten nicht-amerikanischen Film nominiert. Ricciarelli stellte seinen Film persönlich in Buenos Aires vor. Im Interview erläuterte er Entstehung und Idee des Films.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Ricciarelli: Elisabeth Bartel, mit der ich das Drehbuch geschrieben habe, hatte die ursprüngliche Idee. Sie kam damit auf mich zu, und ich habe angefangen, zu lesen und habe gemerkt, dass das eigentlich ein unbekannter Teil unserer Geschichte ist. Ich konnte es mir zunächst auch gar nicht vorstellen, in irgendeiner Weise etwas über das Dritte Reich zu machen. Aber dann wurde mir klar, dass es eine starke Geschichte ist. Und es ist, glaube ich, tatsächlich auch der erste Spielfilm über die juristische Aufarbeitung des Holocausts in Deutschland.

Wieso hat es 50 Jahre gedauert, ehe das Thema des Auschwitz-Prozesses im Kino aufgegriffen wurde?
Ricciarelli: So wie es gedauert hat, dass sich Deutschland dem Holocaust stellte, ist wohl erst jetzt die Zeit da, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie aufgearbeitet wurde. Hätte mich jemand vor der Beschäftigung mit dem Film dazu gefragt, dann hätte ich gesagt: Es gab den Holocaust, und nach 1945 hat Deutschland angefangen aufzuarbeiten. Dass es aber fast 20 Jahre gedauert hat, ehe dies begann, das wusste ich nicht. Das ganze Land hatte in ersten Nachkriegsjahren eine kollektive Vereinbarung getroffen zu schweigen.

Es im Film schockierend zu sehen, wie gering die Kenntnisse vieler Personen über Auschwitz in der Nachkriegszeit waren.
Ricciarelli: Ja, aus heutiger Sicht es ist unglaublich. Das ist eigentlich auch die Kernachse des Films. Und gleichzeitig war es erzählerisch das Schwierigste. Aber so war es historisch. Es gab natürlich auch Ausnahmen. Aber im Großen und Ganzen war Auschwitz damals kaum im öffentlichen Bewusstsein. Wie kann man das eigentlich erzählen? Denn es ist das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, und man muss die Kinobesucher in eine Zeit zurückbringen, als man sagte, man wusste von nichts. Es gab in den Fünfziger Jahren wirklich eine Kultur des Verdrängens.

Weshalb sind manche Personen des Films – wie der Staatsanwalt Radmann – fiktiv, während andere realen Figuren entsprechen?
Ricciarelli: Oft haben historische Filme das Problem, dass sie viel über Geschichte erzählen, aber nicht spannend sind. Die Leute wollen aber eine Geschichte sehen mit einem klaren Hauptdarsteller. Da haben wir uns entschlossen: Wir erfinden die emotionale Reise des jungen Staatsanwalts Radmann. Das ist inspiriert durch mehrere Staatsanwälte, die damals dabei waren, deren Erfahrungen in die Figur Radmann hineingeflossen sind. Bei anderen Figuren wie dem Journalisten Thomas Gnielka und oder Generalstaatsanwalt Fritz Bauer haben wir versucht, historisch genau zu sein.

Wie erklären Sie sich, dass “Im Labyrinth des Schweigens” als deutscher Kandidat für den Wettbewerb um den Oscar für den besten nicht-amerikanischen Film nominiert wurde?
Ricciarelli: Man hat selten ein Filmthema, das die Leute wirklich interessiert. Das ist das, was den Film trägt. Ich bin auch stolz auf den Film. Aber es kommt alles aus der Geschichte heraus: Die Schauspieler, die wir gewinnen konnten. Dass ich als Erstlingsregisseur überhaupt so eine Chance bekommen habe. Es war das Bewusstsein von allen Beteiligten, dass man da eine interessante, wertvolle Geschichte hat, die man erzählen will. Das hat einen guten Geist in den Film hineingebracht. Es ist aber auch nicht leicht gewesen, einen Film über das Thema zu machen. Wo fängt man an und wo hört man auf? Man hätte auch den Prozess selber darstellen können.

Der Film endet ja, wo der eigentliche Prozess beginnt.
Ricciarelli: Das Wichtigste war zu erzählen, wie Ende der Fünfziger Jahre die Atmosphäre des Verschweigens war. Und wie schwierig der Kampf des Landes – und Johann Radmann steht auf der Metaebene ja für die junge Bundesrepublik – war, diesen Weg auch tatsächlich zu gehen. Eigentlich erzählen wir die seelische Reifung dieses jungen Staatsanwalts, bis er die richtige innere Haltung hat, den Prozess zu führen. Aber erzählt wird dabei natürlich auch viel über die Zeit, über die Schwierigkeiten, über den Prozess, über die Atmosphäre in dem Land.

Was waren die besonderen Schwierigkeiten bei der Produktion?
Ricciarelli: Für einen Debütfilm hatte er zwar ein gutes Budget. Aber für das, was wir erzählen wollten, war das Budget unheimlich klein. Auch die historisch exakte Darstellung war schwierig, weil überall moderne Dinge sind. Aber das Schwierigste war der Respekt vor der Geschichte. Denn wenn Deutschland einen Film macht, der in irgendeiner Weise mit Nazis zu tun hat, dann schaut die Welt hin. Und zwar nicht nur auf den Film an sich, sondern auch politisch.

Die aktuelle deutsche Hilfsbereitschaft bei Flüchtlingen: Rührt die aus der deutschen Geschichte?
Ricciarelli: Ich glaube schon. Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen durch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges heute eine starke demokratische Gesinnung entwickelt haben. Es gibt in dem Film den Schlüsselsatz: Die einzige Antwort auf Auschwitz ist, selber das Richtige zu tun. Ich glaube, dass das etwas damit zu tun hat.

Sie stammen ursprünglich aus Italien. Spielt Ihre Herkunft eine Rolle bei Ihrer Arbeit?
Ricciarelli: Ich glaube schon, dass die Emotionalität, die der Film hat, ein italienischer Einfluss ist. Die deutsche Identität ist durch den Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkriegs ungeheuer gebrochen. Den deutschen Filmen nach dem Krieg fehlt es oft an Emotionalität. Es gibt eine Scheu, wirklich emotional zu erzählen. Das ist in Italien anders. Dadurch, dass ich beides kenne, hat es die Machart des Films schon beeinflusst. Ich glaube, wenn ich nichts Italienisches hätte, würde der Film anders ausschauen.

Was planen Sie als nächstes? Vielleicht wieder etwas im historischen Bereich?
Ricciarelli: Nein, ich habe ein Projekt, das im Berlin von heute spielt. Es geht um einen Bundestagsabgeordneten. Es ist nicht historisch, hat aber zumindest eine politische Dimension. Es war ungeheuer erfüllend, mit einem Stoff auf politisches Interesse zu stoßen. Denn es gibt ganz viele Produktionen, bei denen es in der Bewertung nur darum geht, wie der Film geworden ist. Ich hatte bei “Im Labyrinth des Schweigens” aber das Gefühl, dass die Geschichte an sich das Interessante ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto:
Giulio Ricciarelli in Buenos Aires.
(Foto: Marcus Christoph)

Escriba un comentario