Göttliche Theatermaschine

Heiner Goebbels` “Stifters Dinge” im Teatro Colón

Von Susanne Franz

stiftersdinge
Einzigartige Mischung aus Performance und Installation: Am vergangenen Wochenende kam das Theaterpublikum von Buenos Aires in den Genuss, das Werk “Stifters Dinge” des berühmten deutschen Theaterschaffenden Heiner Goebbels im Teatro Colón zu sehen. Im Rahmen des Programms “Colón Contemporáneo” (Zeitgenössisches Colón) und mit der Unterstützung des Goethe-Instituts Buenos Aires und der Deutschen Botschaft in Argentinien konnten jeweils 150 Menschen die vier Vorstellungen des 2007 entstandenen Werkes erleben, das in der Schweiz uraufgeführt wurde und seitdem auf den renommiertesten Theaterfestivals und den wichtigsten Bühnen der Welt gezeigt wird.

Im Teatro Colón durfte das Publikum erstmals in der Geschichte des ehrwürdigen Opernhauses mit auf der Bühne sitzen, und vor seinen Augen agierte – eine Maschine. Die verschiedenen Bestandteile des Ungetüms, mehrere Klaviere, Schlaginstrumente, verdorrte Bäume, Lautsprecher, große Video-Leinwände, sind auf drei hintereinander liegenden Schienen angebracht nd werden von Kabeln und Roboter-Greifarmen bewegt. Die Schienen trennen drei Becken voneinander ab, neben denen jeweils ein beleuchtetes Wärterhäuschen steht. Die Becken sind zu Anfang leer, dann streuen zwei im Dienst der Maschine stehende Menschen eine Saat über sie aus und bewässern sie, später sind sie mit einer Art Ursuppe gefüllt, die vor geheimnisvollem, blubberndem Leben zu wimmeln scheint.

Die drei Ebenen der Maschine fahren gegen Ende des Werkes nach vorne und verbinden sich zu einem hämmernden Ganzen, das sich dem Publikum nähert, Dieses aber hat zu dem Zeitpunkt bereits die Angst vor dem Unbekannten verloren und hat verstanden, dass die Maschine Perlen der menschlichen Zivilisation gesammelt hat und versucht, diese demjenigen behutsam in Erinnerung zu rufen, der sie kennt, oder dem nahe zu bringen, der sie vergessen hat oder nie erfahren durfte.

Heiner Goebbels’ Werk ist ein kultureller Webteppich – eine Klangcollage mit visuellen Reizen, die dem Publikum erlaubt, in eine packende Erzählung Adalbert Stifters einzutauchen, Bachs ergreifende Musik zu genießen, über Lévi-Strauss’ Gedanken in einem Interview zu lächeln und zu staunen, Malcolm X’ revolutionäre Ideen zu vernehmen, dem Sprechgesang eines vergessenen Volkes zu lauschen, ein Klagelied zu hören, das allen Schmerz und alles Leid auszudrücken scheint. Die Töne, die die Maschine dazu erzeugt, sind teilweise so fremd, als stammten sie von einem anderen Planeten.

Was ist diese Maschine? Ein letztes Überbleibsel der menschlichen Zivilisation, ein besonders sensibles und poetisches Destillat, das wenigen Übriggebliebenen deutlich macht, was alles verlorengegangen ist? Ist sie eine Mahnung? Oder vielleicht einfach ein Traum?

Sicher ist sie für jeden einzelnen Zuschauer etwas anderes. Im Anschluss an das Stück wird das Publikum eingeladen, die Maschine von Nahem zu bestaunen, und es gibt keinen, der nicht ausgiebig und neugierig um sie herumstromert und sie zu verstehen versucht.

Heiner Goebbels war persönlich in Buenos Aires und verbeugte sich bescheiden beim begeisterten Applaus. Er deutete hinter sich – hier, die Maschine war es, nicht ich – und stand am Ende lächelnd am Rande, um die Menschen beim Betrachten seiner Kreation zu beobachten.

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