„Ich brauche eine wirklich starke Geschichte“

Interview mit Wolfgang Becker, dem Stargast des Deutschen Kinofestivals

Von Ivana Forster und Michaela Ehammer

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Der deutsche Regisseur Wolfgang Becker ist vor allem mit seinem Film “Good Bye Lenin” in Erinnerung geblieben. Seit diesem Beitrag sind jedoch viele Jahre vergangen. Nun glänzt er erneut mit seinem aktuellen Film “Ich und Kaminski”, nicht nur am deutschen Filmhimmel. Seit unglaublichen zwei Jahren tourt er in der Weltgeschichte herum, hat Werbung für seinen Film in stolzen 56 Ländern gemacht und bisher 850 Interviews gegeben. Im Rahmen des 16. “Festival de Cine Alemán” wurde sein jüngstes Werk gestern als Eröffnungsfilm gezeigt. Zu diesem Anlass ist Wolfgang Becker persönlich nach Buenos Aires gereist.

Herr Becker, gab es denn einen bestimmten Grund für die lange Pause seit Ihrem letzten Film, welcher ja bereits zwölf Jahre zurückliegt?

Nichts hätte ich lieber gemacht als gleich wieder einen Film, aber dafür braucht man einfach ein gutes Drehbuch. Es gibt Regisseure, die verfilmen Drehbücher, weil sie damit Geld verdienen. Aber die hängen nicht mit so einem Herzblut an dem Film. Ich brauche eine wirklich starke Geschichte, die mir den langen Atem für zwei, drei oder vier Jahre gibt. Und die liegen nicht rum wie Sand am Meer. Außerdem kann ich nicht alles erzählen. Jeder hat seine Talente- wenn ich etwas finde, das mit meinem Talent für eine bestimmte Art von Geschichten zusammenkommt, dann kommen auch tolle Filme dabei heraus. Einfach nur einen Film zu machen, weil man einen machen will, würde bei mir zu einer ziemlichen Katastrophe führen. Deswegen mache ich lieber keinen. Ich habe nur wenige, aber alle stehen sehr gut da und ich mag sie wie meine Kinder. Es gibt keinen, den ich lieber verstecke. Außerdem dauert es immer sehr lange, einen Film zu promoten. Während Daniel Brühl schon fünf weitere Filme gedreht hatte, war ich immer noch mit “Ich und Kaminski” beschäftigt.

Sie haben Daniel Brühl erwähnt- er hat sich ja insgesamt sehr weiterentwickelt seit dem letzten Film. Wie hat sich die Zusammenarbeit seit “Good Bye Lenin” verändert?

Daniel war damals 21 oder 22 Jahre alt. Das war wirklich ein Vater-Sohn-Verhältnis. Er hat dann sehr viele Rollen bekommen, allerdings auch sehr einseitige Angebote. Er hatte auch eine Sehnsucht, danach, mal ein Arschloch zu spielen. Wenn man jung ist, macht man viel stärkere Entwicklungen durch. Die Veränderung in meinem Alter ist nicht mehr so stark.
Der Unterschied war, dass aus dem Vater-Sohn- ein Freundschaftsverhältnis geworden ist – trotz des großen Altersunterschiedes. Wir sind Kumpels und ziehen gemeinsam los und in den Urlaub. Er ist jetzt ein Kollege auf Augenhöhe mit einem großen Erfahrungsschatz. Man muss sich vorstellen: Er hat seit “Ich und Kaminski” sechs Filme gedreht und ich sitze immer noch hier und mache Interviews zum selben Film.

Da Sie eben die so genannte “Arschloch-Rolle” angesprochen haben – war Daniel Brühl Ihre erste Wahl für den Film?

Ja, er war die einzige Wahl. Wenn er den Film nicht gemacht hätte, hätte ich den auch nicht gedreht. Daniel hatte viele Anfragen für Drehs, bei denen er viel, viel mehr verdient hat. Wir mussten immer sehen, welche Zeit er für den Film freihält, denn wir konnten nur im Sommer drehen. Hätte das nicht geklappt, wäre der Film gar nicht erst gedreht worden. Ich kenne nämlich keinen anderen Schauspieler, der es hinbekommt, ein Arschloch zu sein, aber gleichzeitig doch irgendwie nach einer bestimmten Zeit bei Frauen so einen Schutzreflex hervorzurufen. Bei Männern ist es so, dass man ihn eigentlich schütteln möchte. Man nimmt es ihm nicht so übel, wie man es anderen Leuten übelnehmen würde. Das gehört auch zu seiner privaten Persönlichkeit (lacht). Was mich maßlos an unserem Verhältnis ärgert, ist, dass er sich Dinge, also Kleinigkeiten leisten kann, die man mir immer übelnimmt. Beispielsweise schnorrt er überall Zigaretten. Aber sein natürlicher Charme macht es wieder wett.

Für diejenigen, die “Ich und Kaminski” nicht gelesen haben – waren die Personen im Buch auch solche sturen Köpfe?

Ja, die waren sie, doch jeder liest das Buch anders und interpretiert für sich selber, inwieweit es für den Leser nun ein Sturkopf und Egozentriker ist. Im Film ist das festgelegt, da lässt sich das nicht mehr interpretieren. Das ist der große Unterschied zur Literatur.

Sie hatten bei der Pressekonferenz einen Kameramann erwähnt, für den Sie sich eigentlich entschieden hatten, welcher jedoch verstorben ist.

Der Kameramann, mit dem ich all meine Filme gedreht habe, war Martin Kukula. Mit ihm habe ich angefangen. Ich habe ihn kennengelernt, während ich an der Filmhochschule war und meinen Abschlussfilm gedreht habe. Das war sein erster größerer Film und danach haben wir viele zusammen gedreht. Er ist an Krebs verstorben und ein wichtiger Mitarbeiter ist damit weggebrochen. Er ist einfach nicht mehr da gewesen. Der Kameramann ist für mich der wichtigste Partner, den man als Regisseur hat. Die Arbeit mit Martin war eine fast nonverbale. Er fehlt mir heute noch und ist eigentlich gar nicht ersetzbar, auch als Mensch nicht. Doch mit Jürgen Jürges ist die Zusammenarbeit auch ein Vergnügen.

Nun eine inhaltliche Frage zum Film. Wie hat sich der Verdacht Sebastian Zöllners, dass Kaminski gar nicht blind sei, so verhärtet?

Er hat letztendlich keinen Beweis dafür. Zöllner ist ja ein Schaumschläger und will unbedingt sein Buch verkaufen. Er kommt sozusagen mit einem Dummy an, auf dem sein Name schon draufsteht, genauso groß wie „Kaminski“. Den Inhalt will er noch schnell schreiben und behauptet, die Sensation überhaupt zu haben. Das ist ja heute so, man kann Biografien nur noch verkaufen, indem man eine völlig abstruse These hinstellt. Beispielsweise die von Gandhi: Vor zwei, drei Jahren hat ein Engländer eine neue Biografie über Gandhi, die Galionsfigur des gewaltlosen Widerstandes, geschrieben. Die wurde damit genährt, dass Gandhi seine Frauen verprügelt habe. Man braucht halt einen kleinen Skandal als Aufhänger, wenn man etwas verkaufen will. Woher Zöllner diesen Verdacht letztendlich hat, ist unerheblich, und er stellt dann am Ende zu seinem Erstaunen fest, dass er sich anscheinend geirrt hat.

Warum wurden ausgerechnet die 90er Jahre als Schauplatz für den Film gewählt? War das im Buch auch schon so vorgegeben?

Die ganze Kunstszene, wie sie im Buch beschrieben ist, würde mit dem Zeitpunkt, an dem wir angefangen haben zu drehen, nicht mehr übereinstimmen. Man hätte das sehr stark verändern müssen. Die Kunstszene hat sich innerhalb dieser Jahre so unglaublich verändert, dass es nicht mehr glaubwürdig gewesen wäre. Es hätte auch nicht gepasst, wenn es im Jahr 2015 spielt, denn wenn man einmal nachrechnet, wie alt jemand sein muss, um Schüler von Matisse gewesen zu sein, dann müsste Kaminski ja schon weit über 100 sein.

Gibt es ein Idol, das Sie besonders inspiriert hat, den Beruf als Regisseur zu wählen?

Ich gehöre nicht zu den Regisseuren, die in der Talkshow erzählen können, dass sie schon mit sechs Jahren auf dem Schoß des Filmvorführers gesessen haben und, wie heißt es so schön, das Leben für das Kino geschwänzt haben. Dass ich selbst einmal mit dem Kino zu tun haben würde, habe ich selbst im Alter von 20 Jahren noch nicht gewusst. Ich habe zunächst Germanistik und Geschichte studiert, bin also ausgebildeter Historiker, und bin erst über die Kameraarbeit zur Regie gekommen. Es gibt schon Leute, die mich sehr begeistern, und diese beeinflussen mich natürlich auch in meinem Tun. Ich mag Filme von Martin Scorsese, Mike Leigh oder Truffaut, auch Kubrick-Filme gefallen mir sehr, doch ich bin da nicht exzeptionell, denn die gefallen vielen Menschen.

Noch eine kurze Frage zum Schluss: Dürfen wir uns schon auf ein neues Filmprojekt freuen?

Ich plane einen neuen Film und einer der Drehorte soll Buenos Aires sein, aber ich möchte noch nichts Genaueres darüber verraten (schmunzelt).

Herr Becker, vielen Dank für das Gespräch.

Foto:
“Ich und Kaminski”-Regisseur Wolfgang Becker.

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