Warte, warte nur ein Weilchen

Hamburger Kunsthalle zeigt Ausstellung “WARTEN. Zwischen Macht und Möglichkeit”

Von Nicole Büsing & Heiko Klaas


Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Warten gehört zum Alltag. Egal ob im Feierabendstau, an der Bushaltestelle, beim Check-in am Flughafen oder – der Klassiker – beim Hausarzt im Wartezimmer voller schniefender und dauerhustender Patienten. Wir alle kennen dieses enervierende Gefühl, diesen unproduktiven Zwischenzustand im minutiös durchgetakteten Tagesablauf.

Doch halt: Bedeutet Warten wirklich immer nur etwas Negatives? Lässt sich der vermeintliche Zeitverlust nicht auch produktiv oder kreativ nutzen? “Wer es aushalten kann, zu warten, der gewinnt immer!”, diese Erkenntnis gab schon Robert Musil seinem “Mann ohne Eigenschaften” mit auf den Weg.

Die Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle geht dem ambivalenten Phänomen des Wartens jetzt genauer auf den Grund. 23 internationale Künstler präsentieren in der groß angelegten Ausstellung “WARTEN. Zwischen Macht und Möglichkeit” Videoarbeiten, Installationen, Skulpturen, Fotografien und Performances zum Thema.

Brigitte Kölle, die Kuratorin der Schau, will mit ihrer Auswahl aber auch zeigen, dass es sich durchaus lohnen kann, sich dem Warten wieder ganz bewusst auszusetzen: “Geduld und Langmut geraten in unserer Zeit, in der alles jederzeit und überall verfügbar erscheint, vermehrt aus dem Blick. Pausenfüllender Konsum und der minütliche Kontrollblick aufs Smartphone vertreiben das Warten und damit auch eine mögliche Zeit der Reflexion und des Bei-Sich-Seins.”

Genau das scheinen sich auch die unter einer Autobahnbrücke in Nigeria verharrenden Ölarbeiter in einer Videoinstallation des Belgiers David Claerbout zu Herzen zu nehmen. Einen kurzen, aber heftigen Regenschauer nutzen sie, um sich mit ihren Sinnen ganz dem Naturereignis auszusetzen.

Was gibt es noch zu sehen? Gleich im Lichthof der Galerie der Gegenwart hat das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen & Dragset ein Rollgerüst aufgebaut. Oben drauf sitzt ein barfüßiger blonder Junge mit Jeans und Kapuzenjacke, neben sich eine Cola-Dose. Seine Turnschuhe liegen auf dem Boden. Worauf wartet er? Auf das Heranwachsen, die Erkenntnis der Welt? Oder nur auf seine Kumpel, die gleich um die Ecke biegen?

Der Düsseldorfer Fotograf Andreas Gursky ist mit vier Aufnahmen aus seiner frühen Serie “Pförtner” (1982-1987) vertreten. Gursky porträtiert hier Empfangsmitarbeiter in den Respekt einflößenden Lobbys von Industrieunternehmen und Versicherungskonzernen. In ihrer statuarischen Ernsthaftigkeit erinnern sie an den unerbittlichen Wächter aus Franz Kafkas Türhüter-Parabel “Vor dem Gesetz”.

Dass uns das Warten, insbesondere an Bushaltestellen, immer wieder heimsucht, stellen gleich mehrere Künstler unter Beweis. Von der Berliner Fotografin Ursula Schulz-Dornburg sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen von modernistischen Bushalte-stellen in Armenien zu sehen – im Überschwang sozialistischer Utopien haben die Architekten ihrer Phantasie und dem Sichtbeton hier freien Lauf gelassen.

Gleich gegenüber der Kunsthalle auf dem Glockengießerwall hat Michael Sailstorfer ein Wartehäuschen der besonderen Art aufgebaut: Der ursprünglich aus dem ländlichen Bayern stammende Künstler transferiert eine ausgediente Bushaltestelle aus seiner Heimat nach Hamburg und richtet sie mit dem Nötigsten ein: Bett, Küche, Wasser, Strom und WC – genau die richtige Grundausstattung, falls der Bus dann doch mal später kommt.

Wundern sollten sich Besucher der Hamburger Kunsthalle in den nächsten Monaten auch dann nicht, wenn sie hier und da auf eine sich plötzlich bildende Warteschlange stoßen: Der slowakische Konzeptkünstler Roman Ondák erzeugt mit unangekündigten Performances beim Betrachter Neugier, aber auch das nagende Gefühl, von etwas ausgeschlossen zu sein.

Auch wenn es dem Einzelnen gelingen mag, das Warten hin und wieder als kreative Auszeit zu nutzen – am Ende spiegelt es immer auch gesellschaftliche Machtverhältnisse wider. Eine ernüchternde Erkenntnis von Brigitte Kölle lautet denn auch: “Privilegierte und Menschen mit Macht warten nicht; sie lassen warten.”

  • Ausstellung: WARTEN. Zwischen Macht und Möglichkeit
  • Ort: Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart
  • Zeit: 17. Februar bis 18. Juni 2017. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr
  • Katalog: zu dieser Ausstellung erscheint keine Publikation
  • Internet

Fotos von oben nach unten:
Tobias Zielony (*1973), “Lee + Chunk”, 2000.
(Zielony)

Ursula Schulz-Dornburg (*1938), “Erevan-Parakar”, 2004.
(Schulz-Dornburg)

Roman Ondak (*1966), “Good Feelings in Good Times”, inszenierte Warteschlange, 2003.
(Tate/Riechers)

Escriba un comentario