Ein deutsch-argentinisches Schicksal

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Eva Eisenstaedt präsentierte auf der Frankfurter Buchmesse ihr Buch “Zweimal Überleben. Von Auschwitz zu den Müttern der Plaza de Mayo. Die Geschichte der Sara Rus”

Von Nils Witte

“Am 5. Mai 1945 vor dem Kavanagh-Gebäude in Buenos Aires.” So hatte Sara Rus es mit ihrem Geliebten verabredet, als sich ihre Wege im Ghetto von Lodz trennten. Und wirklich, beide überlebten die Vernichtungsmaschinerie der Nazis und beide gingen nach Buenos Aires. Für Sara Rus verbinden sich hier Glück und Trauer. In Villa Lynch in der Vorstadt von Buenos Aires ging ihr Traum eines Lebens in Wohlstand und Freiheit in Erfüllung. Hier bekam sie 1950 ihren ersten Sohn und hier verlor sie ihn. Am 15. Juli 1977 hat sie ihn zum letzten Mal gesehen. “Daniel continúa desaparecido” – steht auf einer Gedenktafel, die sein ehemaliger Arbeitgeber, die Argentinische Atomenergiekommission CNEA, Jahre später zu seinem Gedenken aufhängen ließ.

Die Porteña Eva Eisenstaedt hat die Geschichte ihrer Freundin Sara Rus aufgeschrieben. Auf der Frankfurter Buchmesse präsentierte sie jetzt die deutsche Übersetzung mit dem Titel “Zweimal Überleben”. “Ein Mensch hat dieses doppelte Schicksal. Aber sie ist hoffnungsvoll und optimistisch”, erklärt sie ihre Bewunderung für Sara Rus. Abwechselnd erzählt das Buch von der Verfolgung durch die Nazidiktatur und die Suche nach dem verschwundenen Sohn in Argentinien.

Als das KZ Mauthausen am 5. Mai 1945 von den Amerikanern befreit wird, endet für Sara Rus eine Irrfahrt durch die Arbeits- und Vernichtungslager der Nazis. In der von Eva Eisenstaedt erzählten Geschichte klingen die unsagbaren Grausamkeiten, das Leiden und die alltägliche Präsenz des Todes in den Kriegsjahren an. Im Mittelpunkt steht jedoch der Lebensmut dieser Frau, die im Alter von zwölf Jahren nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dabei von ihrem Vater für immer getrennt wurde. Sie erzählt von den Lichtblicken, die es im Konzentrationslager gab. Sie erzählt vom Zusammenhalt der Häftlinge, davon, wie das willensstarke Mädchen Sara ihrer Mutter den Teekessel trägt, weil jene entkräftet ist. Wie ihre Mutter ihr Eisbeutel zukommen lässt, als sie bei der Arbeit stürzt und beinahe umkommt. Wie sie von einem Deutschen heimlich Brot zugesteckt bekommt und es mit ihrer Mutter teilt. Vom unendlichen Glück, das sie empfindet, weil sie mit ihrer Mutter gemeinsam alles überlebt hat. Am Ende des Krieges findet sie sogar ihren Geliebten Bernardo wieder. Alle gemeinsam reisen schließlich über Paraguay illegal nach Argentinien ein, wo sie sich erst durch ein schriftliches Ersuchen an Eva Perón vor der Zwangsabschiebung retten.

Die zweite Geschichte nimmt ihren Ausgang im Argentinien der letzten Militärdiktatur. Sara Rus’ Sohn Daniel promoviert gerade in Atomphysik, als er 1977 im Alter von 27 Jahren verschwindet. Eva Eisenstaedt erzählt von der Suche der Eltern nach ihrem Sohn, vom Engagement der Mutter bei den Madres de Plaza de Mayo und den Hilfsgesuchen bei der Katholischen Kirche, bei den Vereinten Nationen und vielen anderen argentinischen und internationalen Behörden. Aber alles Nachforschen blieb und bleibt erfolglos. Einige der Antwortschreiben sind in dem Buch abgedruckt, darunter auch ein Brief des deutschen Außenministers Genscher. Beide Eltern widmeten ihr Leben der Suche. “Eines Nachts stieg ich auf die Dachterrasse und schrie. Ich schrie. Ich schrie seinen Namen. Ich dachte mir, vielleicht hört er mich ja irgendwo.”

Die Autorin fand über die Geschichte der Sara Rus auch zu ihrer eigenen. Ihre Eltern flohen schon 1933 über Amsterdam aus Deutschland. “Meine Mutter gab Anne Frank Turnunterricht”, erzählt Eva Eisenstaedt mit verhaltenem Stolz, “und jetzt fahre ich nach Amsterdam, um im Archiv einen Briefwechsel der beiden einzusehen.” Sie wünscht sich, dass mehr über die Vergangenheit gesprochen wird und ist froh, dass die Täter der Militärdiktatur nun endlich gerichtlich verfolgt werden.

Das Erscheinen des Buches, das auf der Buchmesse zu Recht große Aufmerksamkeit fand, wurde ermöglicht durch die Unterstützung des Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus, dessen Vorsitzende Hanna Lessing ein Vorwort beisteuerte. “Zweimal Überleben”, von Regina Schmiedeberg hervorragend übersetzt, ist nicht nur spannende Lektüre, sondern auch ein informatives und wertvolles Zeugnis deutscher und argentinischer Geschichte. Für Eva Eisenstaedt ist es aber vor allem eine Liebeserklärung an eine Frau, die sie sehr bewundert: “Diese Person hat mich fasziniert, deshalb wollte ich das Buch schreiben.”

  • Eva Eisenstaedt: “Zweimal Überleben. Von Auschwitz zu den Müttern der Plaza de Mayo. Die Geschichte der Sara Rus”. Aus dem Spanischen übersetzt von Regina Malke Schmiedeberg. Mandelbaum Verlag, Wien 2010. 152 S., brosch., 15 €. Originaltitel: “Sobrevivir dos veces”.

Foto oben:

Eva Eisenstaedt auf der Frankfurter Buchmesse.
(Foto: Nils Witte)

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