Offenbarungen in Schwarz-Weiß

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“Revelaciones” – Fotoausstellung von Gerardo Korn im Centro Cultural Borges

Von Susanne Franz

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“Ich wurde im Jahr 2011 von diesem Rausch erfasst”, erklärt Gerardo Korn an einem regnerischen Nachmittag im Centro Cultural Borges seine Motivation, Buenos Aires auf eine besondere Art und Weise zu fotografieren. Wir sind gerade durch seine Ausstellung “Revelaciones” gegangen, wobei sich herausgestellt hat, dass dieser so trübe Tag ganz besonders gut geeignet ist, seine menschenleeren Schwarz-Weiß-Bilder der Stadt zu betrachten, die er nachts oder abends oder in den frühen Morgenstunden aufgenommen hat, wenn das Licht diffus und magisch ist. “Buenos Aires sieht man sonst meist nur mit strahlend blauem Himmel, überall wimmelt es von Menschen”, meint Gerardo, der nach eigenem Bekunden keine Ahnung hatte, auf was er sich einließ, als er seine künstlerische Laufbahn begann. “Ich wusste damals nicht, dass ich für einige Bilder drei Jahre brauchen würde.”

Gerardo erzählt von seiner Liebe zur klassischen Fotografie und schwärmt von den Städten Paris und New York, die die Fotografie-Städte schlechthin seien. Er wollte, dass es ähnliche Bilder auch von Buenos Aires gäbe – Bilder voller Melancholie, die die Stadt in einem zeitlosen Zustand zeigen. “Gerade Buenos Aires, eine Stadt, die im Alltag oft aggressiv zu den Bewohnern ist”, reflektiert der in Argentinien geborene Sohn deutscher Eltern, der mit seiner Kunst die Beziehung der Menschen zu ihrer Stadt wiederherstellen möchte, indem er sie in einem friedlichen Zustand zeigt.

Gerardo Korns wunderschöne Bilder stellen einen besonderen Rundgang durch die Stadt Buenos Aires dar. Die meisten Motive kennt man oder hat sie schon hundertmal auf Bildern gesehen – aber noch nie so wie hier. An Stelle von Konsum steht hier Augenschmaus. Jeder einzelne Mensch steht alleine an dieser Stelle und schaut mit dem Fotografen durch das Obektiv, schaut auf einmal richtig hin und kann in Stille und innerer Ruhe mit dem Gesehenen kommunizieren.

Einer, der sofort erkannt hat, dass es sich bei den Bildern Gerardo Korns um wahre Kunstwerke handelt, war der großartige argentinische Maler Guillermo Roux. Diesen sprach Gerardo an, als er begann, einen Ausstellungsraum zu suchen, um seine Kunst bekannter zu machen. Warum gerade Roux? Ganz einfach – die beiden sind Nachbarn und waren dies bereits seit 40 Jahren. Immer grüßte man sich freundlich aus der Ferne, deshalb war Roux zunächst überrrascht, als Gerardo bei ihm vorbeischaute und ihn bat, ob er ihm seine Bilder zeigen dürfte. Er sagt Ja – und war begeistert. Innerhalb von fünf Tagen hatte er einen Text geschrieben, aus dem auch der Titel der Ausstellung, “Revelaciones” (Offenbarungen) stammt, und Gerardo war zu Tränen bewegt. “Seit diesem Tag im April 2015, als ich bei Guillermo Roux geklingelt habe, ist mein Leben nicht mehr, wie es vorher war”, sagt Gerardo. Der große alte Maler, der mittlerweile zu einem Freund geworden ist, gab ihm die Kraft, seine Zweifel zu überwinden, und unterstützte und unterstützt ihn.

Drei der Werke, die in der Ausstellung hängen, sind Gemeinschaftsarbeiten der beiden: Fotografien von Gerardo Korn mit einer Intervention von Roux. Mit Absicht sind die Roux‘schen Elemente nur sehr sparsam eingefügt, um die friedliche Stille der Werke nicht zu zerstören. So geben sie ihnen einen surrealistischen, überraschenden Anstrich. Acht von zehn Werken, die die beiden als Zusammenarbeit angestrebt haben, sind bereits fertig, die drei, die Gerardo am liebsten mag, sind in der Ausstellung zu sehen.

Im vergangenen argentinischen Sommer hat Roux Gerardo Korn eingeladen, fotografisch und filmisch ein Werk von ihm zu dokumentieren: Er wollte eine Göttin in sein Schwimmbad malen, und dann begeisterte er sich und malte das ganze Schwimmbad aus. Der Maler, der im Rollstuhl sitzt, wurde dabei von einem Freund hin und hergeschoben und malte mit einem Pinsel, der an einem ein Meter langen Bambusstab befestigt war. “Das war der Sommer, in dem ich vier Monate in einem Schwimmbad ohne Wasser verbracht habe”, lacht Gerardo, der in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Martín Serra in Kürze einen Entwurf des Filmes vorstellen will, der aus dem Material entstehen soll.

“Die Welt ist mein Land”, sagt Gerardo Korn, der seine mit Kodak Professional Tri-X fotografierten Filme nach Halle in Deutschland schickt, wo ein darauf spezialisierter Betrieb sie entwickelt und digitalisiert. Die digitalisierte Version sendet Gerardo nach London, wo die Werke auf feinstem Papier ausgedruckt werden, um dann den Weg zurück nach Argentinien zu finden. Die hohe Qualität der Werke und besonders auch die gewagten, äußerst wirkungsvollen 60 x 90-Formate (die neben anderen in 30 x 45 hängen) tragen mit zu dem Zauber bei, den Gerardos Fotografien ausstrahlen.

Die Ausstellung im Centro Cultural Borges und die Veröffentlichung einiger Werke der Serie “Revelaciones” in Jorge Tardittis Luxus-Kunstmagazin “Georges” sowie das “Göttin im Schwimmbad”-Projekt sind erst der Beginn und nur ein Teil der Pläne des entspannten und zugleich mit viel positiver Energie geladenen Künstlers – momentan arbeitet er auch an einem Tango-Projekt. Sein Ziel? Die Welt, die seine Heimat ist.

Die Ausstellung “Revelaciones” wurde von Virginia Fabri kuratiert und steht unter der Schirmherrschaft der Deutschen Botschaft. Besuchen kann man sie nur noch bis einschließlich Sonntag, den 4. September, im Saal 22 des Centro Cultural Borges, Viamonte/San Martín, Buenos Aires. Öffnungszeiten sind Montag bis Samstag 10-21 Uhr, Sonntag 12-21 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Weitere Infos auf der Webseite des Künstlers bzw. bei Facebook.

Foto:
Gerardo Korn, “Barrio de Retiro, Plaza San Martín, 2012”.

Revelaciones en blanco y negro

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Muestra de fotografía de Gerardo Korn en el Centro Cultural Borges

Por Susanne Franz

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“Este proyecto tomó posesión de mi en 2011”, explica Gerardo Korn en una tarde lluviosa en el Centro Cultural Borges, acerca de su motivación de fotografiar Buenos Aires de un modo muy especial. Acabamos de recorrer su muestra “Revelaciones”, y resulta que este nublado día es ideal para contemplar las imágenes de una Buenos Aires despojada de gente, que capturó de noche o en tempranas horas de la mañana, cuando la luz es difusa y mágica. “Buenos Aires siempre se retrata con cielo azul brillante y llena de gente”, observa Gerardo, quien explica que no tenía idea en lo que se metía cuando inició su carrera artística. “En aquel entonces no sabía que ciertas fotos me demandarían tres años”.

Gerardo cuenta de su amor por la fotografía clásica y en especial de las ciudades Paris y Nueva York, que literalmente son las ciudades de la fotografía. El quería que haya fotos similares de Buenos Aires – imágenes llenas de melancolía, que muestren la ciudad en un estado atemporal. “Buenos Aires es una ciudad que a menudo se muestra agresiva frente a sus habitantes”, reflexiona el hijo de padres alemanes nacido en Argentina, que ansía recomponer la relación de la gente con su ciudad, mostrándola de un modo calmo.

Las fotos de Gerardo Korn muestran un especial recorrido por la ciudad. La mayoría de los lugares fotografiados nos resulta conocida o los hemos visto cientos de veces – pero nunca de este modo. En lugar de consumo vemos un deleite para los ojos. Cada persona está sola en ésta posición y mira con el fotógrafo a través de su lente, observa con más atención y puede comunicarse en paz y tranquilidad interior con lo visto.

Alguien que reconoció enseguida que las imágenes de Gerardo Korn son verdaderas obras de arte, es el gran pintor argentino Guillermo Roux. Gerardo se dirigió a él cuando comenzó a buscar un lugar para exponer, para dar difusión a su arte. ¿Porqué Roux? Muy simple – los dos son vecinos, desde hace más de 40 años. Siempre se saludaron desde lejos, por eso Roux se sorprendió en un primer momento cuando Gerardo pasó por su casa y preguntó si le podía mostrar sus fotos. El dijo que sí – y quedó encantado. Dentro de los próximos cinco días escribió una reseña, dela cual también surgió el título de la exposición “Revelaciones”, y Gerardo quedó emocionado. “Desde éste día en el mes de abril de 2015, cuando le toqué el timbre a Guillermo Roux, mi vida ya no es lo que fue antes”, dice Gerardo. El gran maestro, quien con el tiempo se convirtió en amigo, le dio la fuerza para superar sus dudas, y lo apoyó y sigue apoyando.

Tres de las obras expuestas son trabajos en conjunto de los dos: fotografías de Gerardo Korn intervenidas por Roux. La intención fue agregar los elementos de Roux con moderación, a fin de no destruir la pacífica tranquilidad de las obras. Así reciben un toque de sorpresa y surrealismo. Ocho de las diez obras, que quieren realizar en forma conjunta, ya están listas, y tres de ellas, las preferidos de Gerardo, pueden ser vistas en la exposición.

En el último verano argentino, Roux invitó a Gerardo Korn a documentar en forma fotográfica y fílmica una obra de él: quería pintar una diosa en su pileta, se entusiasmó, y terminó pintando la pileta entera. El artista, que se mueve en silla de ruedas, fue empujado por un amigo hacia cada ubicación específica y pintó con un pincel pegado a una caña de bambú de un metro de largo. “Fue el verano que pasé durante 4 meses en una pileta sin agua”, se ríe Gerardo, que presentará en breve, en colaboración con el director Martín Serra, un proyecto de la película que surge de ese material.

“El mundo es mi lugar”, dice Gerardo Korn, que envía sus rollos de película Kodak Tri-X a Halle en Alemania, para su revelado y digitalizado en un laboratorio especializado. La versión digital es enviada a Londres, para la impresión de las obras en refinados papeles, encontrando después el camino de regreso a la Argentina. La alta calidad de las obras y sobre todo el formato algo arriesgado e impresionante de aquellas en 60×90 (expuestas junto a otras en 30×45) aporta a la magia que irradian las fotografías de Gerardo.

La exposición en el Centro Cultural Borges y la publicación de algunas de sus obras de la serie “Revelaciones” en la revista de arte “Georges” de Jorge Tarditti, cómo así también la del proyecto “La diosa en la pileta”, son recién el comienzo y solamente una parte de los proyectos de este artista relajado y a la vez lleno de energía positiva – en éste momento trabaja además en un proyecto de tango. ¿Su objetivo? El mundo,que es su hogar.

La curadora de la exposición “Revelaciones” fue Virginia Fabri, y recibió el auspicio de la Embajada de Alemania. Se puede visitar hasta el día domingo, 4 de septiembre en la sala 22 del Centro Cultural Borges, Viamonte/San Martín, Buenos Aires. Horario de lunes a sábado de 10 a 21 hs y domingo de 12 a 21 horas. Entrada libre.

Más información en la página web y página de Facebook del artista.

(Traducción: Brigitte Korn)

Foto:
Gerardo Korn, “Barrio de Retiro, Plaza San Martín, 2012”.

Immersive and experiential installation

Typoe’s “Forms from Life” at Faena Arts Center in Buenos Aires

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“Forms from Life” is Typoe’s first solo exhibition in Latin America, showing at Faena Arts Center in Buenos Aires from July 20th through July 31st. The artist transforms “Sala Molinos” into a surrealist labyrinth of fantasy. His monumental children’s building blocks and towers bring to mind the Art Deco facades and tropical colors of Miami – the artist’s hometown – and the ruins of classical architecture from ancient Rome. Exploring basic geometry, order and beauty, the artist reimagines the basic building blocks of our physical world. Fluorescent and flamingo pinks, tropical turquoise and tangerine orange are highlighted by faux-marble classical columns and arches that tease the imagination.

The installation invites visitors to construct new worlds for their dreams, generating new experiences of communal creation and social interaction. Timed to coincide with the local school year’s winter break, “Forms from Life” will be a call to play, build and experiment – a space for collective creativity.

Typoe (b. Miami, 1983) is a multidisciplinary artist whose practice plays upon the constant tension between the dark recesses of the urban underground and the shimmering bling of celebrity. Often working with gunpowder, fire, plastic, spray paint and found objects, Typoe’s work evolves in response to a given situation or environment.

For “Forms from Life” the artist has moved away from his signature gunpowder paintings that play with both representation and materiality, in favor of creating an entirely immersive and experiential installation inside the Faena Art Center. Based in Miami, Typoe has participated in gallery and museum shows around the world and exhibited his work in Mexico City, New York, Los Angeles and Basel. Typoe is co-founder and Creative Director of PRIMARY, an art collective and gallery in Miami.

  • Faena Arts Center, Sala Molinos
  • Aimé Paine 1169, Puerto Madero, Buenos Aires
  • Saturday, Sunday and Monday 12-19
  • Admission: 50 pesos, Mondays free
  • July 20th through July 31st, 2016

More info here.

Kosmische Ordnung und kreatives Chaos

Ernesto Pesce lädt Alejandro Scasso zum Künstlerdialog

Von Susanne Franz

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Ritterschlag für Alejandro Scasso: Der argentinische Künstler wurde von seinem renommierten Kollegen, dem hoch angesehenen Maestro Ernesto Pesce, eingeladen, im dritten Künstlerdialog des Kunstraumes “Modos” der Stiftung vittal sein Partner zu sein. Der jüngere Maler lebte 20 Jahre in Deutschland und ist erst seit wenigen Jahren wieder zurück in seiner Heimatstadt Buenos Aires, in der er einst seinen künstlerischen Weg u.a. mit Lehrmeistern wie Jorge Demirjian einschlug.

Auf den ersten Blick könnten die beiden Maler kaum unterschiedlicher sein. Pesces Werke sind voller Ruhe und Gelassenheit – die beiden großformatigen Bilder im Eingangssaal der Galerie zeigen das um 1200 entstandene Fußbodenlabyrinth der Kathedrale von Chartres, von deren Baumeister es keine Überlieferung gibt, umgeben vom Pesce’schen Kosmos, in dem dieser unbekannte Architekt laut Bildtitel gesucht wird. Scassos Bilder sind voller wilder, ungestümer Farben, wobei die bei ihm typische Zweigeteiltheit der Werke in organische, zellenartige Flächen und kühle, abstrakte Zonen sich zu seiner unverwechselbaren künstlerischen Sprache verdichtet.

Den beiden Werken Pesces hängen fünf mittelgroße Bilder Scassos gegenüber, und den zweiten Saal der Galerie hat der Jüngere ganz für sich allein. Jedes Werk Scassos überrascht durch seine Kreativität, aber hier bestechen ganz besonders zwei riesige neuere Werke mit Farbskalen, die den Pinselstrichen in Schwarz-Weiß, den wabernden organischen und den nüchternen abstrakten Flächen noch eine weitere Wendung verleihen.

Betritt man zuletzt den Patio der Galerie und geht links in einen kleineren Raum, kann man dort neun kleine erotische Zeichnungen Pesces bewundern sowie eine Mappe mit weiteren, nicht gerahmten Bildern der Serien, die an einem japanischen Mythos und dem Ulysses inspiriert sind. In einer schwarze Mappe kann man durch Studien von Alejandro Scasso hindurchblättern, von denen er Hunderte herstellt, aus denen er dann seine Bilder synthetisiert. Neben dem reinen Kunstgenuss kann man hier auch eine Menge über die beiden Künstler lernen.

Und was den Dialog betrifft: Hier treffen sich zwei wundervolle Künstler, deren Werke ganz hervorragend miteinander kommunizieren, ohne dass sie viel mehr miteinander gemeinsam haben müssten als Neugierde, Schaffensfreude und natürlich ein riesiges Talent. Spielerisch spricht hier das Chaos als Ursprung der Kreativität mit der kosmischen Ordnung, in die alles Schaffen fließt.

Eine besonders gelungene Ausstellung, die man noch bis zum kommenden 22. Juli bewundern kann! Öffnungszeiten sind dienstags bis samstags von 14 bis 22 Uhr (Espacio Modos, Honduras 5041, Palermo, Buenos Aires).

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Fotos von oben nach unten:

Fruchtbarer Dialog: Ernesto Pesce (links) und Alejandro Scasso vor einem Werk Pesces…

…und vor einem Werk Scassos.

(Fotos: Pato Parodi)

BAFICI: Interview mit Karl-Heinz Klopf

“Mir ist nie langweilig”

Von Michaela Ehammer

bafici_interview2Der in Linz geborene und in Wien lebende Künstler und Filmemacher Karl-Heinz Klopf ist mit gleich sechs Filmen im BAFICI 2016 vertreten. Einen Teil seiner Leidenschaft widmet Klopf der Architektur. Vor zwei Jahren wurde bei der 16. Ausgabe des BAFICI sein Film “Towerhouse” gezeigt. In diesem Jahr ist er jedoch das erste Mal persönlich vor Ort mit dabei: als gefeierter Regisseur und als Juror in der Kategorie “Argentinische Kurzfilme”. Seine Arbeiten beschreibt der Österreicher weniger als spontan, sondern vielmehr als nachhaltig. Weltberühmt war er nie, doch Klopf hat sich in der Branche nicht nur einen Namen gemacht, er etabliert sich auch als Künstler auf diesem Markt. Sein steter Begleiter: Eine große Portion Neugier.

Frage: Warum hast du diesen Beruf gewählt?

Karl-Heinz: Nach dem Studium bin ich in ein großes Loch gefallen und hab mir gedacht: Was mach ich jetzt? Künstlerisch angehaucht und die Leidenschaft zur Architektur ist dann eins ins andere geflossen. Ich habe mir gedacht, es wäre einmal interessant, Architektur vom künstlerischen Aspekt zu sehen. Da ich immer schon gerne und viel gereist bin, vor allem in Städten wie Tokio oder New York City, ist mein Beruf halt irgendwie so entstanden. Zu meinem Begeistern, denn langweilig ist mir nie (lacht).

Frage: Deine Hauptaugenmerke liegen auf Zeichnung, Video, Fotografie, Installationen und Projekten für Architektur und Urbanismus – wie würdest du dich selber bezeichnen?

Karl-Heinz: Ganz einfach als Künstler. Für mich ist in der Kunst nicht eine spezielle Richtung wichtig, ich setze meine Interessen in verschiedenen Medien um. Zeichnungen, Fotografien und Filme – das alles ist ja auch irgendwie miteinander verbunden.

Frage: In deinen Filmen spiegeln sich überwiegend Aspekte aus dem asiatischen Raum wider – warum?

Karl-Heinz: (schmunzelt): Die zeitgenössische sowie die alte Architektur von Japan, speziell von Tokio, interessieren mich schon seit langem. Ich glaube, da liegt die Zukunft der Architektur. Durch mein erworbenes Stipendium in Tokio bin ich dann auch sozial in diese Kultur eingetaucht. Wie die Menschen die Stadt benutzen, um auf engstem Raum zu leben, war einfach faszinierend für mich. So ist 1996 auch mein Film “Splace” entstanden.

Frage: Was zeichnet deine Architektur-Filme aus?

Karl-Heinz: Ich kenne viele Architekturfilme, aber die meisten langweilen mich ehrlich gesagt. Viele sind zwar aufschlussreich im Detail, aber das Künstlerische fehlt. In meinen Filmen versuche ich die Geschichten und Familien, die hinter dem Gebäude stehen, zu erfassen und aufzuzeigen. Vor meinem Studium an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz habe ich den Zweig Hochbau an der Höheren Technischen Lehranstalt besucht. Dies hat bestimmt auch Einfluss auf mein Gesehenes. Das Wichtigste für mich ist: Ein Film muss als Film interessieren.

Frage: Dein neuester Film “A Tropical House” feierte in Buenos Aires Weltpremiere – was fühlst du selber, wenn du mit anderen Leuten deinen Film im Kino siehst?

Karl-Heinz: Also den Film habe ich selber ja schon oft gesehen, aber es ist schon etwas ganz anderes natürlich, seinen Film in so großer Projektion mit Ton und so im Kino anzuschauen. In Österreich wird er dann am 23. April auf dem “Crossing Europe Film Festival” in Linz gezeigt

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Fotos von oben nach unten:

Karl-Heinz Klopf.

Eine Szene aus “A Tropical House”.

Ambitioniert, zielstrebig, leidenschaftlich

Ein Gespräch mit Rockstar-Fotograf Matthias Hombauer

Von Michaela Ehammer

matthias_hombauer“Das Leben präsentiert einem seine Möglichkeiten und man muss zugreifen” – ein Motto, nach dem der österreichische Rockstar-Fotograf Matthias Hombauer lebt. Mit 28 Jahren wechselte er von seinem Beruf als Molekularbiologe zum Konzertfotografen und vereinte damit zwei seiner absoluten Leidenschaften: Musik und Fotografie. Eine professionelle Ausbildung besuchte er nicht, sein Traum wurde trotzdem Wirklichkeit. und seit drei Jahren tourt er mit berühmten Bands wie Peter Gabriel, Chantel der Fink um die Welt. Tipps, um diesen Wunsch auch für andere wahr werden zu lassen, gibt der sympathische Wiener nicht nur in seinem Blog, sondern verrät sie auch in einem Interview.

Frage: Wie kommt es, dass ein österreichischer Fotograf hier in Buenos Aires eine Ausstellung macht?

Matthias (lächelt): Ja, das kam für mich etwas überraschend, denn ich war vorher noch nie in Buenos Aires. Ich wurde von Matías Altbach, einem argentinischen Rockstar-Fotografen, angeschrieben. Der hatte die Idee, mit mehreren Leuten, die den selben Beruf ausüben, eine gemeinsame Ausstellung zu machen. Und so sind wir alle hier gelandet, ohne uns vorher kennengelernt zu haben. Doch wir haben uns alle auf Anhieb gut verstanden und es kann gut möglich sein, dass wir so etwas in der Art auch in anderen Städten, wie etwa in London, wiederholen werden.

Frage: Vom Doktor der Molekularbiologie zum Rockstar-Fotografen – wie sehr hat sich dein Leben jetzt verändert?

Matthias: Vom Labor hatte ich die Nase voll, auch wenn ich einmal davon geträumt hatte, den Nobelpreis zu erhalten. Doch dieses Leben frustrierte mich schon nach kurzer Zeit. Jetzt toure ich mit Bands in der Welt herum, reise mit ihnen im Tourbus und folge deren Einladungen, auch wenn es nur eine Übernachtung in Athen ist oder zwei Nächte in Mexiko sind. Auf der Bühne zu stehen und Fotos zu machen, das ist ein ganz besonderes Gefühl und bereitet mir so viel Freude. Mein derzeitiges Leben wird eigentlich nie langweilig (lacht erfreut). Ich lebe nach dem Motto “think positive”, doch nicht im abgedroschenen Sinne, sondern eher im Sinne von “every sad story has a funny side” – was soviel heißen soll wie: Es gibt immer etwas Gutes und Positives im Leben, negative Sachen lasse ich jetzt nicht mehr an mich heran.

Frage: Neben The Prodigy, Skunk Anansie oder Miley Cyrus hast du bereits viele weltberühmte Musiker in deinem Portfolio. Gibt es einen persönlichen Favoriten, der dir noch fehlt in deiner Sammlung?

Matthias (schmunzelt und überlegt kurz): Neil Young. Nicht nur wegen seiner Musik, sondern vielmehr, weil er eine coole Person ist. Aber da gbit es natürlich schon noch mehrere Bands, von denen ich Fotos schießen möchte, wie beispielsweise die Counting Crows. Die stehen auf meiner Wunschliste auch ganz weit oben.

Frage: Welche Tipps und Empfehlungen würdest du gerne an jemanden weitergeben, der dieselbe Leidenschaft mit dir teilt und auch ein Rockstar-Fotograf werden möchte?

Matthias: Oh, da gibt es vieles. Das wichtigste ist: aktiv sein, sich ein eigenes Netzwerk aufbauen und ständig Kontakt halten. Und dann darf man natürlich auch nicht aufgeben, muss für seine Träume kämpfen und an sich glauben. Ich habe mir alles selber beigebracht, oder besser gesagt, ich hab mich “voll reingetigert” und zig Bands angeschrieben. Natürlich hatte ich auch eine gehörige Portion Glück an meiner Seite, doch ich habe nie aufgegeben. Auch wenn etwas einmal nicht funktioniert, hat man trotzdem etwas gelernt, das sollte man sich stets vor Augen halten und aus den Fehlern lernen. Auf meinem Blog aus dem Jahr 2014 halte ich viele Tipps und Tricks für alle bereit, um ein professioneller Rockstar-Fotograf zu werden, so wie auch in diversen Workshops oder in meinem E-Book “The Beginners Guide to Concert Photography”. Und in Kürze werde ich mit einem fünfwöchigen Videokurs “Shooting the Rockstars” im Internet vertreten sein. Das ist eine Art Online Academy, die Kurskosten belaufen sich auf 345 Dollar und es haben sich schon Menschen aus über 100 Ländern registriert. Das ist toll, denn es freut mich immer wieder von Leuten zu hören, dass sie es durch meine Ratschläge auch weit gebracht haben in dieser Szene und ich zu deren Glück beitragen konnte.

(Matthias Hombacher ist einer der Künstler, die an der Rockfotografie-Ausstellung “Highlights” im Centro Cultural Borges in Buenos Aires teilnehmen.)

Das Meer als sechster Kontinent

“Streamlines. Ozeane, Welthandel und Migration” in den Hamburger Deichtorhallen

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

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Wer in diesen Tagen am Hamburger Hauptbahnhof ankommt, trifft auf Teeküchen, Essensausgaben und provisorische Zelte, in denen Menschen, die ihre angestammte Heimat verlassen mussten, zumindest notdürftig versorgt werden. An den Stadträndern entstehen Massenunterkünfte, häufig in Form schlecht beheizter Zeltlager, die mit bis zu 3000 Menschen vollkommen überbelegt sind. Viele der Neuankömmlinge haben auf ihrer Odyssee zumindest ein Meer überwunden. Sei es das Meer zwischen Nordafrika und Süditalien oder die griechische Ägäis.

Als die aus dem Senegal stammende Kuratorin Koyo Kouoh vor rund zwei Jahren mit der Vorbereitung der Ausstellung “Streamlines. Ozeane, Welthandel und Migration” begann, konnte sie nur ahnen, wie virulent das Thema ihrer Ausstellung zur Zeit der Eröffnung sein würde. 15 internationale Künstler aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa – viele davon haben für die Schau ganz neue Arbeiten entwickelt – schauen jetzt einmal genauer hin. Wie hängen die Warenströme, die Flucht- und Migrationsbewegungen, der Transfer von Informationen, Kultur, aber auch von Konflikten und Gewalt miteinander zusammen? Und welche Rolle spielt dabei das Meer?
 
Koyo Kouoh, die in der senegalesischen Hafenstadt Dakar aufgewachsen ist, war 2007 und 2012 Mitglied im Kuratorenteam der Documenta in Kassel. Die Ozeane definiert sie als den sechsten Kontinent: “Auf eine metaphorische Art und Weise haben die Ozeane keine Grenzen. Und sie widersetzen sich jedem, der versucht, welche zu ziehen.”
 
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Obwohl nahezu allen Arbeiten kritisch-analytische Ansätze zugrunde liegen, ist “Streamlines” zu einer überaus sinnlichen Ausstellung geworden. Einen ersten Eindruck davon vermittelt gleich zu Beginn des Parcours die Arbeit von Otobong Nkanga. Die in Antwerpen lebende Nigerianerin hat eine Wandarbeit mit den Konturen der Elbe geschaffen, die mit Genussmitteln und Gewürzen, wie sie in der Hamburger Speicherstadt verarbeitet werden, angefüllt ist. Schreitet man sie ab, so sieht und riecht man Pfeffer, Kaffee, Tee, Kakao und Tabak. Alles Waren aus weit entfernten Weltgegenden, die aber seit Jahrhunderten auch den kulturellen Kosmos in Deutschland prägen.

cocoaWeniger sinnlich, dafür aber in ihrer minimalistischen Konsequenz beeindruckend ist die neue Arbeit des Berliner Bildhauers Thomas Rentmeister. Aus 6900 Tetra Paks mit Kakao Drinks hat er eine Bodenskulptur geschaffen, die auf geradezu erschreckende Art und Weise zeigt, wie aus einem exotischen Rohstoff durch industrielle Verarbeitung ein hässlich verpacktes Massenprodukt entsteht.

Ganz unmittelbar auf das Schicksal von Flüchtlingen geht der algerischstämmige Franzose Kader Attia ein. In drei Leuchtkästen zeigt er Fotografien junger algerischer Männer, die voller Sehnsucht am Strand von Algier sitzen und in Richtung Europa schauen. Gleich davor hat er die aus rund 300 gebrauchten blauen Kleidungsstücken bestehende Bodenskulptur “La Mer Morte” aufgebaut. Die ramponierten Textilien wirken wie Überbleibsel menschlicher Existenzen. In dieser ansonsten an eleganten Metaphern und Allegorien reichen Schau das wohl konkreteste und bedrückendste Exponat.
 
Eine Künstlerin, die sie sich schon seit Jahrzehnten mit dem Austausch von Handelsgütern, Wissen, Techniken, Religionen und Weltanschauungen beschäftigt, ist die 1942 geborene Berliner Filmemacherin und Fotografin Ulrike Ottinger. Im hinteren Teil der Halle hat sie eine Art Containerdorf aufgebaut. Für ihre Arbeit “Diamond Dance” besuchte sie Anfang der 1980er-Jahre die Zentren des Diamantenhandels in New York, Hong Kong, Antwerpen und Bombay. Ihre bildgewaltige Hamburger Installation vereinigt Fotografien, Filme, Wandtapeten, historisches Quellenmaterial und bedruckte Vorhänge. “Weltweite Verbindungen”, so Ottinger, “gab es, lange bevor das Wort Globalisierung in aller Munde war.”
 
Ob farbenfrohe, großformatige Tapisserien von Abdoulaye Konaté aus Mali zu Themen wie Kolonialismus und Umweltverschmutzung oder das anrührende Video des Thailänders Arin Rungjang über seinen Vater, einen Seemann, der 1977 in Hamburg von Neonazis verprügelt wurde und kurz nach seiner Rückkehr nach Thailand starb: “Streamlines” ist eine intelligent zusammengestellte Schau mit 15 prägnanten Positionen aus vier Kontinenten, die ausgehend von den Ozeanen als Metapher für den Austausch zwischen den Kulturen den Finger in die Wunde des alten und neuen Kolonialismus legt, aber durchaus auch Perspektiven für ein besseres Miteinander aufzeigt.
 
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Auf einen Blick: 

  • Ausstellung: Streamlines. Ozeane, Welthandel und Migration
  • Ort: Deichtorhallen Hamburg, Halle für aktuelle Kunst
  • Zeit: 4. Dezember 2015 bis 3. März 2016. Di-So 11-18 Uhr. 1. Do im Monat 11-21 Uhr
  • Katalog: Snoeck Verlag, 256 S., zahlreiche Abb., 29,80 Euro
  • Internet

Fotos von oben nach unten:

Peter Buggenhout: “The Blind Leading the Blind (Herzliya Piece), #1 final state”, 2008. (Foto: Klaas)

Die Künstler mit der Kuratorin Koyo Kouoh (5. v.l.).
(Foto: Klaas)

Thomas Rentmeister: “Cocoa Milk”, 2015.
(Foto: Klaas)

Kader Attia: “La Mer Morte”, 2015.
(Foto: Klaas)

Von der Wand in den Raum

Mit ZONDA CUTS stellt Kirsten Mosel im Espacio Kamm Untersuchungen zur Malerei an

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Die seit fünf Jahren in Buenos Aires lebende deutsche Künstlerin Kirsten Mosel entwickelt im Espacio Kamm ein Experiment zu Fragen des Ortes der Malerei. Seit Jahren beschäftigt sich Mosel mit Cutouts, indem sie organische abstrakte Formen aus Folie und Plane schneidet und diese als Malerei-Interventionen für spezifische Räume an Wänden direkt installiert.

Für den Espacio Kamm entwickelt sie die Ausstellung ZONDA CUTS. Der Titel ist ein Verweis auf das in Argentinien hergestellte und in der Ausstellung verwendete Planenmaterial (El Zonda) und spezifiziert damit den Ort der Ausstellung.

Mosel stellt in der Ausstellung Fragen nach dem Bild an sich. Was passiert, wenn Farbe und Bildträger eine Einheit bilden? Wie viel Subtraktion verkraftet ein Bild? Kann ein Bild im Raum hängen? In diesem Projekt lotet die Künstlerin aus, was passiert, wenn die für Wände vorgesehenen Cutouts sich teilweise von der Wand lösen, sich ihren Ort im Raum suchen, skulpturale Formen annehmen. Von der Wand in den Raum … Untersuchungen zur Malerei heute.

Kirsten Mosel ist Künstlerin und lebt seit 2010 in Buenos Aires, Argentinien. Seit 2014 leitet sie zusammen mit Julián León Camargo (Kolumbien) und Ivo Kamm (Schweiz) den Kunstraum für zeitgenössische Kunst Espacio Kamm, der site specific-Projekte von argentinischen und internationalen Künstlern vorstellt und eine Plattform für den Austausch für Kunst zwischen Argentinien und Europa aufbaut. 2015 vertrat sie Deutschland auf der Biennale “Fin del Mundo” in Valparaiso, Chile.

  • Kirsten Mosel, ZONDA CUTS.
  • Unter der Schirmherrschaft der Deutschen Botschaft.
  • Ausstellungsort: Kunstraum Espacio Kamm, Mario Bravo 1136, Palermo, Buenos Aires.
  • Ausstellungsdauer: 30.10.- 21.11.2015. Am 21.11. um 19 Uhr findet zum Abschluss ein Gespräch mit Florencia Battiti statt.
  • Öffnungszeiten: Mi-Fr 16-20 Uhr und nach Vereinbarung, Jour fixe mit der Künstlerin jeden Donnerstag während der Ausstellung.
  • Weitere Infos zu Kirsten Mosel hier.

“Eine starke Geschichte”

Interview mit Giulio Ricciarelli, dem Regisseur von “Im Labyrinth des Schweigens”

Von Marcus Christoph

ricchiarelli II11“Im Labyrinth des Schweigens” war der Eröffnungsfilm des diesjährigen Deutschen Kinofestivals von Buenos Aires. Bei dem Spielfilmdebüt von Regisseur Giulio Ricciarelli geht es um die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Der Film ist als deutscher Beitrag für den Wettbewerb um den Oscar für den besten nicht-amerikanischen Film nominiert. Ricciarelli stellte seinen Film persönlich in Buenos Aires vor. Im Interview erläuterte er Entstehung und Idee des Films.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Ricciarelli: Elisabeth Bartel, mit der ich das Drehbuch geschrieben habe, hatte die ursprüngliche Idee. Sie kam damit auf mich zu, und ich habe angefangen, zu lesen und habe gemerkt, dass das eigentlich ein unbekannter Teil unserer Geschichte ist. Ich konnte es mir zunächst auch gar nicht vorstellen, in irgendeiner Weise etwas über das Dritte Reich zu machen. Aber dann wurde mir klar, dass es eine starke Geschichte ist. Und es ist, glaube ich, tatsächlich auch der erste Spielfilm über die juristische Aufarbeitung des Holocausts in Deutschland.

Wieso hat es 50 Jahre gedauert, ehe das Thema des Auschwitz-Prozesses im Kino aufgegriffen wurde?
Ricciarelli: So wie es gedauert hat, dass sich Deutschland dem Holocaust stellte, ist wohl erst jetzt die Zeit da, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie aufgearbeitet wurde. Hätte mich jemand vor der Beschäftigung mit dem Film dazu gefragt, dann hätte ich gesagt: Es gab den Holocaust, und nach 1945 hat Deutschland angefangen aufzuarbeiten. Dass es aber fast 20 Jahre gedauert hat, ehe dies begann, das wusste ich nicht. Das ganze Land hatte in ersten Nachkriegsjahren eine kollektive Vereinbarung getroffen zu schweigen.

Es im Film schockierend zu sehen, wie gering die Kenntnisse vieler Personen über Auschwitz in der Nachkriegszeit waren.
Ricciarelli: Ja, aus heutiger Sicht es ist unglaublich. Das ist eigentlich auch die Kernachse des Films. Und gleichzeitig war es erzählerisch das Schwierigste. Aber so war es historisch. Es gab natürlich auch Ausnahmen. Aber im Großen und Ganzen war Auschwitz damals kaum im öffentlichen Bewusstsein. Wie kann man das eigentlich erzählen? Denn es ist das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, und man muss die Kinobesucher in eine Zeit zurückbringen, als man sagte, man wusste von nichts. Es gab in den Fünfziger Jahren wirklich eine Kultur des Verdrängens.

Weshalb sind manche Personen des Films – wie der Staatsanwalt Radmann – fiktiv, während andere realen Figuren entsprechen?
Ricciarelli: Oft haben historische Filme das Problem, dass sie viel über Geschichte erzählen, aber nicht spannend sind. Die Leute wollen aber eine Geschichte sehen mit einem klaren Hauptdarsteller. Da haben wir uns entschlossen: Wir erfinden die emotionale Reise des jungen Staatsanwalts Radmann. Das ist inspiriert durch mehrere Staatsanwälte, die damals dabei waren, deren Erfahrungen in die Figur Radmann hineingeflossen sind. Bei anderen Figuren wie dem Journalisten Thomas Gnielka und oder Generalstaatsanwalt Fritz Bauer haben wir versucht, historisch genau zu sein.

Wie erklären Sie sich, dass “Im Labyrinth des Schweigens” als deutscher Kandidat für den Wettbewerb um den Oscar für den besten nicht-amerikanischen Film nominiert wurde?
Ricciarelli: Man hat selten ein Filmthema, das die Leute wirklich interessiert. Das ist das, was den Film trägt. Ich bin auch stolz auf den Film. Aber es kommt alles aus der Geschichte heraus: Die Schauspieler, die wir gewinnen konnten. Dass ich als Erstlingsregisseur überhaupt so eine Chance bekommen habe. Es war das Bewusstsein von allen Beteiligten, dass man da eine interessante, wertvolle Geschichte hat, die man erzählen will. Das hat einen guten Geist in den Film hineingebracht. Es ist aber auch nicht leicht gewesen, einen Film über das Thema zu machen. Wo fängt man an und wo hört man auf? Man hätte auch den Prozess selber darstellen können.

Der Film endet ja, wo der eigentliche Prozess beginnt.
Ricciarelli: Das Wichtigste war zu erzählen, wie Ende der Fünfziger Jahre die Atmosphäre des Verschweigens war. Und wie schwierig der Kampf des Landes – und Johann Radmann steht auf der Metaebene ja für die junge Bundesrepublik – war, diesen Weg auch tatsächlich zu gehen. Eigentlich erzählen wir die seelische Reifung dieses jungen Staatsanwalts, bis er die richtige innere Haltung hat, den Prozess zu führen. Aber erzählt wird dabei natürlich auch viel über die Zeit, über die Schwierigkeiten, über den Prozess, über die Atmosphäre in dem Land.

Was waren die besonderen Schwierigkeiten bei der Produktion?
Ricciarelli: Für einen Debütfilm hatte er zwar ein gutes Budget. Aber für das, was wir erzählen wollten, war das Budget unheimlich klein. Auch die historisch exakte Darstellung war schwierig, weil überall moderne Dinge sind. Aber das Schwierigste war der Respekt vor der Geschichte. Denn wenn Deutschland einen Film macht, der in irgendeiner Weise mit Nazis zu tun hat, dann schaut die Welt hin. Und zwar nicht nur auf den Film an sich, sondern auch politisch.

Die aktuelle deutsche Hilfsbereitschaft bei Flüchtlingen: Rührt die aus der deutschen Geschichte?
Ricciarelli: Ich glaube schon. Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen durch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges heute eine starke demokratische Gesinnung entwickelt haben. Es gibt in dem Film den Schlüsselsatz: Die einzige Antwort auf Auschwitz ist, selber das Richtige zu tun. Ich glaube, dass das etwas damit zu tun hat.

Sie stammen ursprünglich aus Italien. Spielt Ihre Herkunft eine Rolle bei Ihrer Arbeit?
Ricciarelli: Ich glaube schon, dass die Emotionalität, die der Film hat, ein italienischer Einfluss ist. Die deutsche Identität ist durch den Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkriegs ungeheuer gebrochen. Den deutschen Filmen nach dem Krieg fehlt es oft an Emotionalität. Es gibt eine Scheu, wirklich emotional zu erzählen. Das ist in Italien anders. Dadurch, dass ich beides kenne, hat es die Machart des Films schon beeinflusst. Ich glaube, wenn ich nichts Italienisches hätte, würde der Film anders ausschauen.

Was planen Sie als nächstes? Vielleicht wieder etwas im historischen Bereich?
Ricciarelli: Nein, ich habe ein Projekt, das im Berlin von heute spielt. Es geht um einen Bundestagsabgeordneten. Es ist nicht historisch, hat aber zumindest eine politische Dimension. Es war ungeheuer erfüllend, mit einem Stoff auf politisches Interesse zu stoßen. Denn es gibt ganz viele Produktionen, bei denen es in der Bewertung nur darum geht, wie der Film geworden ist. Ich hatte bei “Im Labyrinth des Schweigens” aber das Gefühl, dass die Geschichte an sich das Interessante ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto:
Giulio Ricciarelli in Buenos Aires.
(Foto: Marcus Christoph)

Ein Statement mit RADIANT

Kurzinterview mit der deutschen Künstlerin Kirsten Mosel, die an der 24. Kunstmesse arteBA teilnimmt

Von Susanne Franz

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Frage: Liebe Frau Mosel, Sie leben als deutsche Künstlerin seit fünf Jahren in Buenos Aires. Jetzt nehmen Sie erstmals an der Kunstmesse arteBA teil. Sind Sie aufgeregt?

Kirsten Mosel: Ehrlich gesagt: Ja. In den Vorjahren hatte ich die großartige Möglichkeit, an den VIP-Programmen der Messe teilzunehmen und mich gut vernetzen zu können, aber eine eigene Teilnahme ist noch einmal etwas ganz anderes – noch dazu, weil wir in diesem Jahr an der neuen Sektion Special Projects teilnehmen – und mit unserem Stand ein Statement für drei Positionen innerhalb der zeitgenössischen Malerei abgeben.

Frage; Mit dem Zürcher Galeristen Ivo Kamm, der Sie neben anderen Künstlern auf arteBA präsentiert, und Ihrem kolumbianischen Künstlerkollegen Julián León Camargo betreiben Sie seit zwei Jahren auch eine Galerie in Buenos Aires, den Espacio Kamm in der Mario Bravo. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?

Kirsten Mosel: Extrem und überraschend gut! Wir zeigen ja dort auch Projekte, die speziell für unseren Ausstellungsraum konzipiert und realisiert werden und sind positiv überrascht über die Resonanz aus der Kunstszene. Intensiv wahrgenommen wird unsere Veranstaltungsreihe “Conversatorios”, wo wir mit dem Künstler und einem Kunstkritiker mit dem Publikum in der Ausstellung über die Fragen reden, die uns die künstlerische Arbeit stellt.

Frage: Können Messebesucher den Espacio Kamm während der Messe, also vom 4. bis 7. Juni, besuchen? Die Stadt Buenos Aires bietet ja Führungen in verschiedenen Galerien an.

Kirsten Mosel: Ja, wir zeigen zur Zeit die Malerei-Installation “Sala de Secado” von Mariana López, wir öffnen während der Messe mittwochs bis samstags 16-20 Uhr.

Frage: Das Werk, das Sie auf arteBA präsentieren, war schon auf der «Bienal del Fin del Mundo» zu sehen. Es ist ja ganz schön groß! Das müsste dann am besten ein Museum kaufen, nicht wahr?

Kirsten Mosel: Das wäre natürlich großartig! Ich bin sehr stolz, die Arbeit RADIANT, die in Deutschland “geboren” wurde und in Berlin und danach auf der Biennale in Chile gezeigt wurde, jetzt hier in Argentinien auf arteBA realisieren zu können.

Viel Glück und Erfolg für Sie und Ihre Kollegen auf arteBA!

Weitere Infos über Kirsten Mosel, arteBA und Espacio Kamm.

Foto:
Kirsten Mosel vor ihrer Arbeit RADIANT, die sie auf arteBA präsentiert.

“Ich will mich beim Schreiben selber überraschen lassen”

Interview mit dem deutschen Schriftsteller Sebastian Fitzek nach seiner Lesung auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires

Von Susanne Franz

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Mit seinen spannenden Psychothrillern hat der deutsche Schriftsteller Sebastian Fitzek sich eine globale Fangemeinschaft geschaffen: 12 Millionen Bücher hat er weltweit verkauft. Auf Einladung seines spanischen Verlages “Ediciones B” hielt Fitzek am 26. April eine Lesung auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires. Sie war ein voller Erfolg: der deutsche Bestsellerautor wurde von seinen Lesern begeistert gefeiert und signierte im Anschluss an die Veranstaltung stundenlang seine Bücher. Wieviel Freude ihm die Begegnung mit seinen argentinischen Fans gemacht hat, erzählte er in einem Interview am 28. April, eine halbe Stunde vor seiner Rückreise.

SF: Sie haben in Argentinien glühende Fans. Wussten Sie das vorher? Oder waren Sie überrascht von dieser Verehrung und Wärme, mit der Sie hier empfangen wurden?

Sebastian Fitzek: Ich war völlig überrascht. In den Anfängen in Deutschland kamen fünf oder zehn, gut, vielleicht zwanzig Leute zu einer Lesung, und sie waren eher reserviert, so wie die Deutschen eben manchmal sind, wenn sie einen noch nicht kennen. Und hier war ein Saal mit über 200 Menschen, alle sehr enthusiastisch, sehr warmherzig. Ich hatte mir schon gedacht, dass die, auf die ich treffe, dass das sehr emotional sein wird, denn mich erreichen sehr sehr viele E-Mails aus Argentinien, die auch sehr enthusiastisch sind, und es macht unglaublich viel Spaß, mit den Lesern in Kontakt zu treten. Dass die Lesung aber so eine Resonanz haben würde, das hat mich völlig überwältigt.

Als Schriftsteller hat man ja in der Regel keinen Applaus, sondern man schreibt für sich im stillen Kämmerchen und dann wird es veröffentlicht. Und das ist tatsächlich etwas, wo man dann auch ein Feedback bekommt und seine Leser kennenlernt. Es gibt nichts Schöneres.

SF: Wieviel Zeit wenden Sie ungefähr auf für Zuschriften und dafür, sich in den sozialen Netzwerken zu bewegen, um sich mit Ihren Fans zu unterhalten?

Sebastian Fitzek: Also, das ist ungefähr eine Stunde am Tag, die man sich tatsächlich dafür freinehmen muss. Es ist ein bisschen leichter geworden durch die sozialen Netzwerke, zum Beispiel schreibt bei Facebook einer “Wann bist Du denn in Buenos Aires?”, und dann antwortet schon ein anderer, bevor ich überhaupt die Möglichkeit habe. Das heißt, einiges verwaltet sich auch selbst. Aber eine Stunde am Tag muss man schon aufwenden.

SF: Also die Fans kommunizieren auch untereinander…

Sebastian Fitzek: Genau, oder sie verabreden sich zur Messe und helfen sich untereinander, da haben sich schon viele Freundschaften gebildet. Und auch das ist sehr schön, dass man da erlebt, wie Bücher verbinden können.

SF: Auf Ihrer Facebookseite stand, dass Sie sich nach kurzem Nachdenken entschieden haben, nach Buenos Aires zu kommen, obwohl Sie sich gerade in einer Schreibphase befinden. Sind Sie oft so spontan?

Sebastian Fitzek: Das war für mich gar keine Frage. Ich war noch nie in Südamerika vorher, noch nie in Buenos Aires. Ich habe die Gelegenheit natürlich sofort ergriffen, man wird ja nicht alle Tage eingeladen, das ist ja eine große Ehre, dass man überhaupt als deutscher Autor hierher kommen darf.

SF: Sie haben bei der Lesung Ihren Fans Tipps gegeben, was sie beachten sollen, wenn sie selbst schreiben wollen. Stimmt das wirklich, dass man den ersten Entwurf wegschmeißen sollte?

Sebastian Fitzek: Ich glaube, das war Hemingway, der gesagt hat: Der erste Entwurf ist immer Mist! Die Geschichte steht und fällt mit der Bearbeitung, und hier ist ein gutes Lektorat extrem wichtig. Wobei das nicht heißt, dass jemand anderes einem hereinredet und sagt “Veränder das mal”, sondern ein gutes Lektorat ist wie eine Hebamme, die einem hilft, dass das Buch “zur Welt kommt”. Es stellt die richtigen Fragen, auf die man dann eventuell noch reagieren kann.

SF: In Ihrem Roman “Noah”, den Sie hier vorgestellt haben, geht es um Überbevölkerung und knapp werdende Ressourcen für die Menschheit. Glauben Sie, dass unser Planet kurz vor einer solchen Katastrophe steht? Welche Schritte müsste man schnell unternehmen, um dem entgegenzurudern?

Sebastian Fitzek: Kurz vor einer Katastrophe, so würde ich das nicht bezeichnen, aber wir steuern schon auf äußerst ungemütliche Zeiten zu. Schnell ändern geht da gar nicht, sondern mit kleinen Schritten muss etwas geändert werden. Das ist ähnlich wie eine Diät, man kann auch nicht schnell 50 Kilo in drei Tagen verlieren, die man sich über Jahrzehnte vielleicht zuviel angefuttert hat.

Wir können das Rad nicht sofort wieder zurückdrehen, es ist aber tatsächlich so, dass wir – und mit “wir” meine ich vor allen Dingen die Europäer und die Amerikaner – über unsere Verhältnisse leben und dass man da eben etwas machen muss.

Tatsächlich ist das Problem, dass der Mensch sehr sehr anpassungsfähig ist. Wir sind ein bisschen so wie der Frosch, der im heißen Wasser sitzen bleibt und nicht merkt, dass es immer heißer wird. An viele Sachen haben wir uns halt unglaublich schnell gewöhnt, beispielsweise Menschen, die direkt an der Autobahn wohnen, hören irgendwann den Krach der Autobahn nicht mehr. Und Menschen, die im Smog leben, merken nicht, dass die Luft immer schlechter wird.

Es ist so, dass uns entweder Katastrophen dazu zwingen werden, unser Verhalten zu ändern, oder wir erkennen eben frühzeitig, dass wir vielleicht einige Schritte einleiten. Und wir sollten wenig Zeit verlieren, um darüber zu sprechen. Beispielsweise durfte ich jetzt hier in Argentinien erleben, dass das Wetter unnatürlich heiß war für die Jahreszeit. Wir können natürlich unsere Zeit damit verschwenden, zu diskutieren, gibt es den Klimawandel oder nicht, oder wir könnten einfach sagen, wenn der Klimawandel wirklich kommt, dann wäre das eine Katastrophe, lasst uns jetzt lieber etwas tun, damit er nicht einsetzt.

Ich muss natürlich dazusagen, dass das sehr schwierig ist, es ist tatsächlich aus der Situation eines privilegierten Autors sehr leicht zu sagen, man muss etwas ändern, während es auf der anderen Seite beispielsweise auch in Deutschland Familien gibt, die mit jedem Pfennig rechnen müssen und die eben nicht sagen können, ich achte jetzt überall darauf, dass ich einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck hinterlasse.

Auch ich habe durch meinen Langstreckenflug nach Buenos Aires das Klima natürlich belastet, und deswegen habe ich auch dieses Buch nicht mit einem erhobenen Zeigefinger geschrieben, sondern eben auch um aufzuzeigen, wie schwierig es ist in unserem gegenwärtigen System, hier etwas zu verändern.

Aber es gibt eben einige Maßnahmen. Beispielsweise ist in Deutschland ein ganz großes Problem, dass Lebensmittel immer dann weggeschmissen werden, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. “Mindesthaltbarkeit” sagt aber eigentlich nur aus, dass es mindestens bis dahin haltbar ist; und man kann es eigentlich noch problemlos essen. Das ist eine unglaubliche Ressourcenverschwendung.

Plastiktüten sind ein großes Problem für unseren Planeten, wenn man die nicht mehr benutzt, tut man schon sehr viel. Und da gibt es viele kleine Schritte, die man unternehmen kann. Die großen Schritte allerdings, die erfordern auch ein Umdenken in der Politik und in der Wirtschaft.

SF: Sie haben 2006 mit “Die Therapie” einen sehr großen Bestsellererfolg gehabt. Seitdem schreiben Sie jedes Jahr ein Buch, und auch immer ein Erfolgsbuch. Was ist Ihr Geheimnis?

Sebastian Fitzek (lacht): Man kann es ganz offen sagen: Wenn man sich einmal etabliert hat, dann hat man natürlich eine Fangemeinschaft, und das ist wesentlich einfacher, als wenn man jedesmal unter einem neuen Namen starten würde. Zum Beispiel als Stephen King es als Richard Bachman probiert hat, war er auch erst einmal nicht mehr so erfolgreich, bis dann rauskam, dass es Stephen King war. Also hat man natürlich einen Kredit. Ich bin aber immer sehr nervös vor Veröffentlichungen, weil es eben keine Bestsellerformel gibt und der Geschmack am Ende entscheidet. Man muss sich deswegen – und das ist auch ein Tipp für alle angehenden Autoren – völlig loslösen davon zu sagen «Was könnte denn dem Leser gefallen?”, weil den Leser oder die Leserin gibt es gar nicht. Das hat man ja auch an den unterschiedlichen Menschen gesehen, die hier auf der Lesung waren. Man kann sich eigentlich nur die Frage stellen “Gefällt mir das Buch?”, “Mag ich das?”, “Würde ich das lesen?”, “Kann ich da 100% dahinterstehen?”. Wenn das der Fall ist, dann kann man das Buch auf die Reise lassen in der Hoffnung, dass es auch anderen gefällt.

SF: Sie waren Journalist und haben auf der Lesung erzählt, dass Sie mit Anfang/Mitte 30 gemerkt haben, dass Ihnen der Beruf keinen Spaß mehr macht. Deswegen seien Sie Autor geworden.

Sebastian Fitzek: Der Beruf in einer bestimmten Ausprägung. Damals war ich sehr viel unterwegs und habe für Radiostationen als Berater gearbeitet, und da war ich eigentlich für nichts verantwortlich. Ich wollte dann wieder etwas haben, wofür ich verantwortlich bin, wo ich am Ende des Tages sagen kann “Das habe ich gemacht”, im Guten wie im Schlechten. Es ist häufig, dass Schriftsteller aus beruflicher Unzufriedenheit heraus anfangen, gut zu werden. Bei John Grisham war es genauso, er hat seinen Beruf als Anwalt gehasst und hat dann flammende Justizromane geschrieben. Das ist vielleicht gar kein schlechtes Rezept.

SF: Sie sind promovierter Jurist und spezialisiert auf Urheberrecht. Es hat mich überrascht, dass Ihr Gesprächspartner auf der Messe, Máximo Soto, sagte, eines Ihrer Bücher, das auf Spanisch übersetzt ist, das es aber nur in Spanien gibt, könnte man sich ja als Raubkopie besorgen.

Sebastian Fitzek: Zunächst einmal ist er jemand, der auch sehr stark für Urheberrechte gekämpft hat als Journalist. Das war mit einem Augenzwinkern gemeint.

Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass die wenigsten Menschen wirklich etwas Kriminelles tun wollen, sondern wenn sie sich eine Raubkopie ziehen, dann nur dann, weil sie es auf einem anderen Wege nicht legal oder nur sehr kompliziert bekommen. Und wenn das Buch beispielsweise hier nicht erhältlich ist, dann müsste man dafür sorgen, dass es legal zu bekommen ist, um die Leute nicht dazu zu bringen.

Ich sehe dieses Problem von Raubkopien nicht so wahnsinnig kritisch, ich will nicht auf diejenigen zeigen, die sich das runterladen. Ich sehe eine andere Sache eher kritisch, nämlich dass die Leute, die diese Plattformen zur Verfügung stellen, oftmals Multimillionäre sind. Und wenn es dann dazu kommt, dass die Urheber, z.B. in der Musikindustrie, nicht mehr von ihren Werken leben können, aber einige Multimillionäre, denen große Tauschbörsen und Firmen gehören, mit kriminellen Machenschaften reich werden, das ist dann etwas, wo ich sage, da muss man den Riegel vorschieben.

Oftmals wissen die Leute, die sich eine Raubkopie holen, gar nicht, wen sie damit unterstützen. Sie denken, das ist kostenlos, aber tatsächlich müssen sie sich einen Computer kaufen, sie brauchen eine Software, und da stehen viele viele große namhafte Konzerne dahinter, die an diesem Problem der Raubkopien ebenfalls verdienen.

SF: Sie haben bei der Lesung gesagt, dass die Hauptperson Ihrer Bücher jeweils ungefähr ab Seite 80 anfängt, “das Kommando zu übernehmen”. Ist Ihnen das nicht etwas unheimlich?

Sebastian Fitzek: Im Gegenteil, ich warte darauf! Für mich ist das tatsächlich ein Zeichen – hat sie das Kommando übernommen, dann “lebt” sie, dann ist es eine – für mich zumindest – reale Figur. Wohingegen, wenn sie ab Seite 100 immer noch das macht, was ich ihr sage, ist es eher eine Reißbrettfigur, die nichts an Leben hat. Für mich ist es wirklich ein gutes Zeichen, wenn ich mich selber darauf freue zu sehen, was erlebt diese Figur eigentlich heute. Ich habe ein grobes Bild, ich vergleiche das immer mit einer Kohlezeichnung, aber ausgemalt wird sie beim Schreiben.

Es gibt Autoren, die haben ganz detaillierte Exposés , die haben 100/120 Seiten Zusammenfassung geschrieben über ihr Buch, die haben Interviews geführt mit ihren Hauptdarstellern, die wissen also ganz genau jedes kleinste Detail vom Lebenslauf dieser Figuren und schreiben das dann nur noch runter. So könnte ich nicht arbeiten. Das ist bewundernswert, das ist bestimmt auch klug in bestimmten Punkten, aber das Schreiben wäre dann reine Arbeit, es wäre kein Vergnügen.

Ich habe mich ja lange gescheut, überhaupt zu schreiben, weil ich den Prozess des Schreibens für so anstrengend hielt. Ich habe natürlich einen groben Leitfaden, so 20 Seiten, ich weiß auch ungefähr, worauf ich hinaussteuere, ich habe einige Szenen, auf die ich mich freue. Und in der Mitte habe ich viele weiße Felder, die beim Schreiben gefüllt werden. Vielleicht muss ich auch deswegen mehr noch überarbeiten vom ersten, zweiten, dritten Entwurf als vielleicht andere, die auch mit dem Lektorat schon ihren Entwurf so durchgekaut haben. Bei mir ist es anders. Ich will mich beim Schreiben selber überraschen lassen.

SF: Sie haben drei kleine Kinder, sind die mit Ihnen nach Argentinien gereist?

Sebastian Fitzek: Nein, die sind ein bisschen zu klein für so einen Kurztrip, wir sind ja nur vier Tage unterwegs gewesen. Wir wurden auf dem Weg auch noch in Rio de Janeiro aufgehalten, wegen des Vulkanausbruchs in Chile, sind also zu spät hier angekommen. Ich war heilfroh, dass wir diesen Termin am Sonntag auf der Buchmesse wahren konnten. Das wäre für die kleinen Kinder – die sind nämlich eineinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Jahre alt – ein bisschen zu anstrengend gewesen. Wenn sie größer sind, wenn ich noch mal eingeladen werden sollte oder privat hierhin komme, dann kommen sie mit, das habe ich auch mit meiner Frau schon besprochen.

SF: Es hat Ihnen gut gefallen hier.

Sebastian Fitzek: Als Europäer, als Deutscher hatte ich schon ein etwas falsches Image von Buenos Aires und Argentinien. In jedem Reiseführer wird gewarnt vor der hohen Kriminalität. Sicherlich gibt es das auch, gar keine Frage, aber alles, was wir erlebt haben, war einfach warm, freundlich, ich habe selten selten so freundliche Menschen erlebt, und ich meine nicht nur bei der Lesung, das war überwältigend, aber auch sonst, überall, wo man hingeht.

SF: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Foto:
Sebastian Fitzek stellte in Buenos Aires seinen Roman “Noah” vor.
(Foto: FinPic München)