Das Edificio República (heute Edificio Telefónica) und der Mercado San Cristóbal als Beispiele für die Arbeit des Büros
Von Philip Norten
Die aktuelle Debatte über verschärfte Regeln zum Denkmalschutz in Buenos Aires konzentriert sich auf die Architektur des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts. Die moderne Architektur aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, die sogenannte Nachkriegsmoderne, wird dagegen, ähnlich wie in Europa, immer noch geringgeschätzt und ist häufig von Verfall und Abriss bedroht.
Neben dem kürzlich verstorbenen Clorindo Testa, mit dem SEPRA den Hauptsitz der Banco de Londres entwarf, war das Studio SEPRA verantwortlich für einige wichtige Gebäude aus dieser Zeit. Der Name SEPRA setzt sich aus den Initialen der Architekten Santiago Sánchez Elía, Federico Peralta Ramos und Alfredo Agostini zusammen, die das Studio 1936 gründeten. Während die Bauten und Projekte der Anfangsjahre des Büros noch eher konventionell ausfielen, orientierten sie sich bei ihren Arbeiten ab den 1940er Jahren an den Ideen der internationalen Architekturavantgarde.
Mercado San Cristóbal
Auf dem Grundstück zwischen der Avenida Independencia und der Avenida Entre Ríos befand sich seit dem 19. Jahrhundert eine Markthalle. Das jetzige Gebäude wurde 1945 von SEPRA geplant und ausgeführt. Das Gebäude besteht aus einer einzigen großen Halle mit einem dreiteiligen Gewölbe. Die beeindruckende Konstruktion der Decke wird von Betonelementen getragen, die trotz ihrer Massivität dank ihrer geometrischen Form elegant wirken und den Raumeindruck prägen.
Diese Offenlegung von statischen Bauelementen und deren verstärkte Einbindung in die ästhetische Gestaltung gehörte zu einem der Hauptaspekte der modernen Architektur dieser Zeit.
Auch an den Wänden des Marktes bleiben die Betonkonstruktionen sichtbar und bilden einen Materialkontrast zu den Ziegeln, die die Räume zwischen den Pfeilern auffüllen. Die Verwendung von Ziegelstein war dabei nicht nur ästhetisch bedingt, sondern hatte auch wirtschaftspolitische Ursachen: In den 1940ern wurden durch den 2. Weltkrieg die Importe von Baumaterialien in Argentinien massiv eingeschränkt und dadurch lokal produzierter Ziegelstein zu einem wichtigen Baumaterial.
Edificio Telefónica
Ein weiteres Hauptwerk des Büros in Buenos Aires ist das Edificio República (heute Edificio Telefónica), das heute noch die Avenida Corrientes an der Ecke Maipú dominiert. Es wurde 1951 von SEPRA geplant und bis 1964 fertiggestellt und beherbergte erst die staatliche Telefongesellschaft und heute den spanischen Telefónica-Konzern. Das Gebäude wird von massiven Pfeilern in V-Form getragen, die das Erdgeschoss freihalten und einen großzügigen und repräsentativen Eingangsbereich schaffen. Heute wird dieser Bereich durch eine Glaskonstruktion von der Straße abgetrennt, aber das Konzept der Architekten bleibt erkennbar.
Im Süden, zur Avenida Corrientes hin, besitzt das Gebäude eine sogenannte Vorhangfassade, die aus Fenstern und Stahlelementen besteht. Da die tragenden Betonstrukturen sich innerhalb des Gebäudes befinden, konnte die Fassade derart leicht und durchlässig gestaltet werden. Da die Architekten nicht auf heutige Klimatechnik – die Glasfassaden auch in Sonnenlagen möglich macht – zurückgreifen konnten, sind die übrigen Fassaden vollkommen anders gestaltet: die Nordfassaden und die beiden Seitenfassaden bestehen aus massiven Betonwänden, die wenigen Fenster sind hier mit Sonnenschutzelementen, sogenannten Brise Soleil, versehen.
In ihrer geometrisch-abstrakten Form und farbigen Gestaltung werden diese zu einem skulpturalen Element und leisten einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der Fassaden. Weiterer Beweis für die Qualität des Gebäudes ist seine Integration in den urbanen Kontext: Zwar prägt das Edificio Telefónica mit seiner Höhe diesen Abschnitt der Avenida, jedoch haben die Architekten auf der Geschosshöhe der Nachbargebäude ein massives Gesims angelegt, das das Gebäude so in sein städtebauliches Umfeld integriert.
Massive Pfeilerstrukturen und Sichtbeton, ein freies Erdgeschoss, die Vorhangfassade, und der Brise Soleil-Sonnenschutz waren Paradigmen des sogenannten “International Style”, der u.a. von Le Corbusier und Architekten des Bauhauses in Deutschland entwickelt worden war. Das erste bedeutende und große Gebäude dieses Stils in Südamerika war übrigens das Edificio Gustavo Capanema in Rio de Janeiro, an dessen Planung u.a. Le Corbusier und Oscar Niemeyer beteiligt waren.
SEPRA realisierte in diesem Stil u.a. das Rathaus von Córdoba-Stadt aus dem Jahr 1961. Auch das Gebäude der Banco de Londres (heute Banco Patagonia) in Rosario arbeitet mit Elementen dieser Architektursprache und steigert sie, ähnlich wie bei dem Hauptgebäude jener Bank in Buenos Aires, zu einem expressiv-futuristischen Entwurf.
Alle besprochenen Gebäude verwenden massive, geometrische Betonelemente und große, oft sparsam gestaltete, “nackten” Fassaden, weshalb sie oft “brutal” erscheinen und später unter dem Stilbegriff “Brutalismus” zusammengefasst wurden. Mit seiner abstrakten Ästhetik und den harten Materialien wird dieser Architekturstil wohl nie zum Liebling der großen Bevölkerung werden, aber als Beispiele einer Epoche verdienen diese Gebäude unsere Aufmerksamkeit und Wertschätzung.
Fotos von oben nach unten:
Mercado San Cristóbal.
Mercado San Cristóbal, 1945.
Mercado San Cristóbal, innen.
Edificio Telefónica.
Edificio República an der Corrientes/Maipú.
Banco de Londres (heute Banco Patagonia) in Rosario.