Gedenken an einen vergessenen Helden

Ausstellung “Carl Lutz y la Casa de Cristal” in Buenos Aires

Von Hannah Schultheiß


In diesem Jahr präsentiert sich die Schweiz stolz als Präsidentin der “Internacional Holocaust Rememberance Alliance” (IHRA). Die internationale Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Holocaust in Bildung und Forschung zu etablieren sowie in Erinnerung zu behalten.

1998 in Schweden gegründet, zählt die Organisation heute 31 Mitgliedsstaaten. Diese verpflichten sich durch ihre Mitgliedschaft zum Kampf gegen Genozid, Rassismus und Antisemitismus. Die Präsidentschaft der Organisation rotiert jährlich, das Land welche diese innehat, ist verantwortlich für die Organisation und generelle Aktivitäten.

Die Schweiz hat drei Schwerpunkte ihrer diesjährigen Präsidentschaft gesetzt: Bildung, Jugend und soziale Medien. In diesem Rahmen wird am kommenden Mittwoch, den 15. März, in Buenos Aires die Ausstellung “Carl Lutz y la Casa de Cristal” eröffnet. Doch wer war dieser Carl Lutz eigentlich?

Außergewöhnliches Engagement

Im zweiten Weltkrieg war Lutz Vizekonsul der Schweizer Botschaft in Budapest. Er arbeitete ein System des diplomatischen Schutzes aus und rettete so – gemeinsam mit seiner Frau und weiteren Helfern – tausenden Juden das Leben.

In schwierigen Verhandlungen mit den Nazis und der ungarischen Regierung schaffte er es, tausende Passierscheine zu bekommen und erleichterte so vielen Juden die Flucht aus dem Land. Außerdem errichtete er 76 sichere Häuser in Budapest und befreite Juden aus Konzentrationslagern.

1965 wurde Carl Lutz dafür mit dem Titel “Gerechter unter den Völkern” ausgezeichnet. Dieser israelische Ehrentitel wird an nichtjüdische Einzelpersonen verliehen, die unter nationalsozialistischer Herrschaft während des Zweiten Weltkriegs ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung zu retten.

Insgesamt bewahrte Lutz so 62.000 Juden vor dem Tod, fast die Hälfte aller ungarischen Überlebenden. Über die Zeit geriet er in Vergessenheit, erst in den vergangenen Jahren rückte er dank seiner Adoptivtochter Agnes Hirschi wieder in das Licht der Öffentlichkeit.

Argentinien und die IHRA

Seit 2006 ist Argentinien, als einziges Land Lateinamerikas, Mitglied der IHRA. 250.000 Juden leben hier, und Buenos Aires ist die Stadt mit dem zweitgrößten jüdischen Anteil außerhalb Israels. Deshalb ist die Bedeutung, den Holocaust in die Bildung zu integieren, hierzulande sehr groß. Die neuen Generationen sollen früh lernen, die Warnzeichen zu erkennen und Antisemitismus schon im Keim zu ersticken.

Daher widmet sich auch die Juristische Fakultät der Universidad de Buenos Aires (UBA) gemeinsam mit dem Institut René Cassin aus Straßburg der Lehre der Menschenrechte – mit dem Hintergrund der Mitgliedschaft bei der IHRA und den Schwerpunkten Jugend und Bildung.

Die Ausstellung “Carl Lutz y la Casa de Cristal”

Die Ausstellungseröffnung findet am 15. März um 18 Uhr im “Salón Rojo” der Facultad de Derecho (Av. Figueroa Alcorta 2263) statt. Dabei werden unter anderem die Dekanin der Juristischen Fakultät, Mónica Pinto, der Schweizer Botschafter Hanspeter Mock und Agnes Hirschi, Lutz‘ Adoptivtochter, zu Wort kommen.

In der Halle “Pasos Perdidos” im Erdgeschoss der Rechtsfakultät ist “Carl Lutz y la Casa de Cristal” dann bis zum 29. März zu sehen. Der Eintritt ist frei.

Im Anschluss soll die Exposition als Wanderausstellung noch in anderen Orten Argentiniens gezeigt werden.

Foto:
Der Retter Carl Lutz war lange in Vergessenheit geraten.
(Schweizer Botschaft)

90 Jahre Osvaldo Bayer

Menschenrechtsaktivist feiert Geburtstag

Von Marcus Christoph


Große Feier für Osvaldo Bayer: Zahlreiche Anhänger, Freunde und Familienangehörige des Schriftstellers und Journalisten hatten sich am Sonnabend auf der Plaza Alberti im Buenos Aires-Stadtteil Belgrano eingefunden, um mit dem Jubilar zusammen dessen 90. Geburtstag zu feiern. Mit Worten, Livemusik sowie einem Video würdigten die Teilnehmer den Menschenrechtsaktivisten und dessen Lebenswerk.

“Es ist ein sehr glücklicher Tag für mich”, brachte Bayer seine Freude über den Verlauf der Veranstaltung zum Ausdruck, die in unmittelbarer Nähe zu seinem Haus an der Straße “Arcos” stattfand. Treffen im Geiste von Solidarität und Freundschaft sollte es häufiger geben, meinte der Jubilar. Er machte sich in seiner Ansprache für eine progressive Politik stark, die den Grundsätzen von Freiheit und Gleichberechtigung verpflichtet sei.

Bayer, der am 18. Februar 1927 in Santa Fe zur Welt kam, entstammt einer Familie mit österreichischen Wurzeln. Er studierte Geschichte und Philosophie in Buenos Aires und Hamburg. Später arbeitete er lange Jahre als Journalist, unter anderem als politischer Redakteur der Zeitung “Clarín”.{

Breitere Bekanntheit erlangte er durch sein Buch “Patagonia Rebelde”, das den Aufstand patagonischer Landarbeiter um 1920 und dessen blutige Niederschlagung durch das Militär zum Thema hat. 1974 wurde das Werk durch Filmregisseur Héctor Olivera verfilmt. Zudem verfasste Bayer Biographien über die Anarchisten Severino Di Giovanni und Simón Radowitzky.

Als die Militärdiktatur begann, sah Bayer sich gezwungen, Argentinien zu verlassen. Mit Hilfe der bundesdeutschen Botschaft gelang es ihm, nach Deutschland auszureisen, wo er die kommenden Jahre im Exil verbrachte. Nach Ende der Diktatur kehrte er in sein Heimatland zurück, wo er sich wieder publizistisch betätigt. Sein besonderes Engagement gilt dabei den indigenen Bevölkerungsgruppen.

Das Programm der Geburtstagsfeier reflektierte das Schaffen des Jubilars: Das Quinteto Negro brachte Tangostücke mit Texten Bayers zu Gehör. Die Gruppe “Arbolito” mit einem Bayer gewidmeten Stück, der Charango-Spieler Jaime Torres und der Chor der Gedenkstätte Ex-ESMA vervollständigten den musikalischen Rahmen. Bayers Tochter Ana hatte zudem ein Video gestaltet, das die wichtigsten Stationen im Leben ihres Vaters Revue passieren ließ. Dabei waren auch Sequenzen von Bayers Exil in West-Berlin zu sehen. Für die Familie dankte Esteban Bayer, der dritte Sohn des Jubilars, den Anwesenden für die Ehrerweisungen, die seinem Vater zuteil wurden. Esteban Bayer, selbst Journalist, war aus Deutschland mit seiner Familie für die Feier angereist.

Bemerkenswert auch der Abschluss des Festes: Zahlreiche Teilnehmer begleiteten den Jubilar die gut 200 Meter bis zu dessen Haus, in das sich der 90-Jährige schließlich unter Jubel und Hochrufen zurückzog.


Fotos von oben nach unten:
Osvaldo Bayer (M.) bei seiner Geburtstagsfeier auf der Plaza Alberti.

Osvaldo Bayer auf dem Heimweg. Hinter ihm sein Sohn Esteban.
(Fotos: Marcus Christoph)

Flucht und Heimat

Projekt “Wohin?” des Goethe-Instituts auf Deutsch und Spanisch

Von Susanne Franz

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Für den spanischen Schriftsteller und Übersetzer Ibon Zubiaur bedeutet der Begriff Flüchtling “eine Person (…), die außerhalb ihres Landes Zuflucht gesucht hat, weil ihr das Leben dort unmöglich geworden ist”. Amal Saqr, Journalistin aus dem Iran, sagt auf die Frage, ob sie Flucht vor Armut für weniger legitim als Flucht vor Krieg oder politischer Unterdrückung halte: “Im Gegenteil, Armut ist gefährlicher als Krieg oder politische Verfolgung; Armut bedeutet kein Leben zu haben, ein Leben in konstanter Demütigung zu führen. Dem zu entfliehen und seine Situation zu verbessern ist ein sehr legitimes Recht.” Ob er glaube, dass er in seinem Leben jemals zum Flüchtling werden wird? Alexander Kluge, deutscher Filmemacher und Schriftsteller, sagt dazu: “Der sichere Augenblick täuscht. Niemand kann in seinem Leben ausschließen, dass er zum Flüchtling wird. Wenigstens kann er das nicht für seine Kinder.”

In dem Projekt “Wohin? 21 Fragen zu Flucht und Migration” des Goethe-Instituts wurden Autoren und Intellektuelle aus knapp 40 Ländern der Welt zu den Themen Flucht und Migration befragt. Inspirationsquelle für die ihnen vorgelegten Fragebögen waren die des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, welche dieser in seinen Tagebüchern zu allgemeinen Themen wie Freundschaft, Ehe oder Tod formulierte.

Es ist hochinteressant zu lesen, was die wachsten Menschen aus ihren jeweiligen Kulturkreisen zu sagen haben – zu den eingangs erwähnten Fragen, zum Recht auf Asyl – Soll es bedingungslos sein? Kann es verwirkt werden? -, zur Frage nach einer Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen oder zu ihrer Integration. Wie ist die Situation im eigenen Land? Werden dort einige Flüchtlinge lieber aufgenommen als andere? Sind Sie bereit, Einschnitte hinzunehmen? Was tun Sie persönlich?

Die Verantwortlichen des Goethe-Instituts schreiben: “Entgegen dem Eindruck, der bisweilen in den Medien hervorgerufen wird, haben die mehr als sechzig Millionen Menschen, welche sich derzeit auf der Flucht befinden, nur zu einem geringen Teil Europa als Ziel. Schon deshalb war uns eine geographische Vielfalt der Herkunftsländer unserer Teilnehmer ein Anliegen.” Ihnen ist ein immenses, wegweisendes Projekt gelungen.

Sehr berührend ist die letzte Frage, die direkt von Max Frisch übernommen wurde und sich unmittelbar auf den Kern der Sache bezieht: “Wieviel Heimat brauchen Sie?” Am niederschmetterndsten beantwortet sie der in den USA lebende Ire Colum McCann: “Eine Heimat.” Und der Argentinier Alejandro Grimson sagt: “Heimat ist für mich lebenswichtig. Ein erfülltes Leben ohne Heimat ist nicht möglich. Sie bedeutet Wärme, Liebe, Vertrauen, die Fähigkeit, sich im Dunkeln zurechtzufinden und blind zu wissen, wo die Dinge sind. Sie gibt Sicherheit. Ohne Heimat gehen alle Sicherheiten verloren. Und ein gewisses Maß an Sicherheit braucht der Mensch wie die Luft zum Atmen. Es sollte nicht nur ein Recht auf eine Unterkunft geben, sondern auch ein Recht auf Heimat, darauf, mit einem Ort eins zu werden, den man sein Eigen nennt.”

Deutsch.

Spanisch.

Foto:
Flüchtlinge am Hauptbahnhof in Budapest.

Neues Domizil für die Berliner DAAD-Galerie

In den neuen Räumlichkeiten auf der Oranienstraße werden die Stipendiaten in Zukunft mit Bildender Kunst, Literatur, Musik und Film, Tanz und Performance ihren Auftritt haben

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

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Weihnachten ist vorbei, und die ausrangierten Tannenbäume verrotten längst im Schneematsch auf den Berliner Bürgersteigen. Dennoch erklang am 14. Januar vor zahllosen Eröffnungsgästen noch einmal die traditionelle Melodie “O Tannenbaum”. Die südkoreanische Künstlerin Minouk Lim benutzte das weltweit bekannte Lied und seine diversen Varianten in einer Performance, die im Rahmen ihrer Ausstellung “New Town Ghost GAGA HOHO” im neu eröffneten Domizil der DAAD-Galerie in Berlin-Kreuzberg stattfand. So wie es in ihrer Heimat üblich ist, vollzog Lim ein traditionelles Ritual, um das Wohlwollen der Hausgeister für die neuen Bewohner zu erbitten.

Die neuen Bewohner der rund 500 Quadratmeter großen, sich über zwei Etagen erstreckenden Räumlichkeiten sind die Mitarbeiter und Gäste des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Gegründet wurde das Berliner Künstlerprogramm 1965 als Nachfolger eines bereits zwei Jahre zuvor von der US-amerikanischen Ford Foundation aufgelegten Programms. Zu einer Zeit also, als der Mauerbau noch frisch war und die Stadt drohte, international isoliert zu werden. Den Initiatoren galt West-Berlin damals als “verletzliche Insel inmitten des kommunistischen Meeres”, die es auch in kultureller Hinsicht zu stärken galt – was auch gelang.

Die Liste der rund 1000 bisherigen Stipendiaten liest sich denn auch wie ein Who’s Who der Kulturgeschichte der letzten 50 Jahre: Ingeborg Bachmann, Susan Sontag, Nan Goldin, Ilya Kabakov, Nam June Paik, Jim Jarmusch, Damien Hirst oder Cees Nooteboom. Sie alle waren auf Einladung des DAAD für ein Jahr in Berlin und hatten in dieser Zeit mit Ausstellungen, Lesungen oder Filmpräsentationen ihren Auftritt im Rahmen des Berliner Künstlerprogramms. Viele sind länger in der Stadt geblieben oder kehren seitdem regelmäßig zurück. Heute kommen bis zu 20 Stipendiaten pro Jahr, die, ausgestattet mit einem monatlichen Zuschuss von 2300 Euro, 12 Monate lang vor Ort arbeiten können.

Am neuen, zentralen Ort auf der Oranienstraße 161, mitten im belebten Kreuzberger Kiez, werden in Zukunft Bildende Kunst, Literatur, Musik und Film, Tanz und Performance, mithin also alle Sparten des international angesehenen und maßgeblich vom Auswärtigen Amt und dem Berliner Senat finanzierten Residenzprogramms ihren Auftritt haben.

Umgebaut hat die in einem Jugendstilgebäude des jüdisch-ungarischen Architekten Oskar Kaufmann (1873-1956) gelegenen Räume das Architekturbüro Kuehn Malvezzi. Die Berliner gelten spätestens seit dem Umbau der Kasseler Binding-Brauerei 2002 für die Documenta 11 als Spezialisten für clevere Lösungen im Kunstsektor. Zu den weiteren realisierten Projekten gehört etwa die Flick Collection im Hamburger Bahnhof, der Umbau der Berlinischen Galerie oder die Julia Stoschek Collection in Düsseldorf.

Mit dem Umzug in die Oranienstraße verlässt die DAAD-Galerie auch ihre bisherigen Räumlichkeiten in der Zimmerstraße beim Checkpoint Charlie. Als sie dort im Jahr 2005 ihre Zelte aufschlug, galt die Gegend noch als Hotspot der Berliner Galerienlandschaft. Doch die Galerien sind längst weitergezogen und haben eher touristischen Angeboten Platz gemacht. Höchste Zeit also auch für die DAAD-Galerie, sich eine passendere Nachbarschaft zu suchen. Zusammen mit Bazon Brocks Debattenwerkstatt Denkerei als Nachbar zur linken Seite und dem ebenfalls umtriebigen Programm des Aufbau Hauses zur rechten Seite am Moritzplatz gelegen, entsteht jetzt ein kulturelles Cluster, das Kreuzberg gut zu Gesicht steht.

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DAAD-Galerie, Außenansicht.
(Foto: Heiko Klaas)

Kulturelles Zentrum in Moisés Ville

Theater “Kadima” wurde vom Parlament der Provinz Santa Fe zum “historischen und kulturellen Erbe” erklärt

Von Marcus Christoph

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Das Theater “Kadima” von Moisés Ville ist vor wenigen Tagen worden. Diese Anerkennung bedeutet finanzielle Unterstützung seitens der Provinzregierung für den Fall, dass Instandhaltungsarbeiten durchgeführt werden müssen.

Das Theater “Kadima”, was auf Deutsch “Vorwärts” bedeutet, wurde 1929 mit einem Konzert der russischen Sopranistin Rita Kitena eingeweiht. Seitdem hat sich das Theater, das an der Plaza San Martín gelegen ist, zu einem kulturellen Zentrum der Region entwickelt. Bekannt ist die Einrichtung auch wegen ihrer guten Akustik und der Bibliothek “Baron Hirsch”, die sich ebenfalls in dem Gebäude befindet. Dort kann man auch Bücher in Deutsch, Jiddisch und Hebräisch bekommen.

1945, nach der Niederlage Nazi-Deutschlands, gab es im Theater “Kadima” ein großes Fest, an dem viele der aus Polen und Deutschland geflüchteten Juden teilnahmen.
Moisés Ville wurde bereits 1889 von osteuropäischen Juden gegründet, die mit dem Dampfschiff “Weser” in Argentinien ankamen. Der Ort wurde zu einem Zentrum der “jüdischen Gauchos” in Santa Fe. 2014 konnte das 125-jährige Bestehen mit einem großen Fest gefeiert werden.

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Das imposante Theater “Kadima” in Moisés Ville.
(Foto: Marcus Christoph)

Mehr als Fleisch und Fußball

Wie junge Reisende Buenos Aires sehen

Von Ivana Forster

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Buenos Aires ist eine teure Stadt, und so arbeite ich während meines Aufenthaltes hier an der Rezeption meines Hostels in San Telmo. Hier stranden junge Reisende aus aller Welt. Manche sind nur auf Durchreise, andere möchten vorübergehend in der argentinischen Hauptstadt leben. Im Gespräch mit den Gästen bemerkt man sehr schnell, wie stark sich ihr Empfinden von Argentinien und insbesondere Buenos Aires unterscheidet. Selbstverständlich hängt dieser Eindruck von den verschiedensten Aspekten ab: Welche Orte werden besucht und damit Teil des Bildes, das wir uns von einem Ort machen? Welche Menschen begegnen uns in welcher Stimmung und Situation?

Jeder Reisende schreibt seine eigene Geschichte. Doch Beobachtungen und Urteile sind keineswegs nur von individuellen Faktoren beeinflusst. Auch wenn wir uns dessen kaum bewusst sind, ist unsere Wahrnehmung Ergebnis der kollektiven Zugehörigkeit, also der Gemeinschaft oder Kultur, in die wir integriert sind. Sie definiert, was wir als “normal” empfinden und das dient unweigerlich als Orientierungsrahmen. Wie es Hanna Milling mit dem Titel ihres 2010 erschienenen Buches “Das Fremde im Spiegel des Selbst” auf den Punkt bringt, sind wir in der Betrachtung von Neuem befangen.

Als Studierende der Soziologie interessierte mich, wie sich die kulturell geprägte Wahrnehmung bei den Besuchern des Hostels beobachten lässt – dazu sprach ich mit drei jungen Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen.

hostel_marie-bentropMarie Bentrop (20) aus München

Wie lange bist du schon unterwegs? Wo warst du, bevor du nach Buenos Aires kamst?
Ich bin vor etwa einem Monat in Rio gelandet und über eine kleine Küstenstadt nach São Paulo und Iguazú weitergereist. Danach habe ich in Paraguay eine Freundin besucht und bin von dort aus mit dem Nachtbus direkt hierher gefahren – über 20 Stunden.

Buenos Aires ist also deine erste Station in Argentinien? Wie ist dein genereller Eindruck bisher?
Ich bin erst seit einer Woche hier, aber die erste Erfahrung, die mir im Gedächtnis blieb, war auf jeden Fall eine gute. Als ich am Busbahnhof ankam, bin ich einfach in den Stadtbus gestiegen und dachte, ich könnte hier, so wie in Brasilien, einfach bar bezahlen. Das ging natürlich nicht, weil mir hier ja die Sube-Karte braucht. Als der Busfahrer meinte, dass das nicht geht, hat eine Frau einfach mit ihrer für mich bezahlt. Was ich allerdings seltsam fand, war, dass die Frau weder gelächelt hat noch genervt gewirkt hat. Es war eher einfach selbstverständlich. Hier im Hostel trifft man ja wenige Argentinier, aber die, die ich kennengelernt habe, waren richtig sympathisch.

Inwieweit stimmt dein erster Eindruck mit dem überein, was dir in Deutschland durch Medien, Schule, Erzählungen vermittelt wurde?
Ich muss sagen, man bekommt in Deutschland eigentlich überhaupt keinen wirklichen Eindruck von Südamerika. Man denkt an gefährliche Gangsterbanden und Empanadas. Das war es aber auch schon fast. Vor allem ist mir aufgefallen, dass man gerade in der Schule überhaupt nichts zur Geschichte Südamerikas lernt. Vielleicht in der achten Klasse etwas zu Kolumbus und das vergisst man wieder, bis man erwachsen ist. Der Geschichtsunterricht ist immer extrem zentriert auf das, was in Europa und Nordamerika passiert. Man lernt gar nichts zu Dingen, die auf anderen Kontinenten vor sich gehen. Ich habe schon in einer Nachmittagstour, hier in Buenos Aires, von einem Guide beispielsweise von Kriegen erfahren, die die Weltgeschichte geprägt haben, aber von denen ich noch nie gehört hatte.

Was sind dir sonst für kulturelle Differenzen im Vergleich zu deiner eigenen, also zur deutschen aufgefallen?
Vor allem, wie die Männer in Südamerika sich verhalten. Der Austausch zwischen Mann und Frau spielt sich ganz anders ab. Man hat schon eher das Gefühl, dass man als Objekt oder als potenzielle Partnerin angesehen wird. Es ist sehr schwer, mit Männern auf einer freundschaftlichen Ebene in Kontakt zu kommen. Generell kommt mir schon die gesamte Lebensweise anders vor als in Deutschland oder Europa. Aber meinen großen Kulturschock hatte ich schon in Brasilien.

Was war das Verrückteste oder Überraschendste, das dir in Buenos Aires passiert ist?
Wirklich verrückt ist das nicht. Aber ich bin, ich glaube an einem Samstag, zur Plaza de Mayo gelaufen, und da war ein riesiger Umzug von Bolivianern. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich bin einfach nur rumgelaufen und mitten in einem riesigen Pulk von Menschen gelandet, die laute Musik gemacht haben und auf der Straße getanzt haben. Es war ziemlich cool, einfach über so etwas zu stolpern, ohne danach zu suchen.

Wie sicher fühlst du dich hier? Vor allem die Famlie zu Hause macht sich bei jungen Europäerinnen ja oft Sorgen, wenn die ganz alleine durch Lateinamerika reisen.
Es stimmt definitiv, dass man sich hier nicht so sicher fühlt wie in Deutschland. Man denkt darüber nach, dass es mehr Arme gibt, die darauf angewiesen sind, jemanden zu überfallen. Mir ist zum Glück noch nichts passiert, aber ich habe schon viele ungute Geschichten gehört. Aber ich denke, dass es wiederum nicht so extrem ist, wie viele Deutsche das sehen. Wenn man mit ein bisschen gesundem Menschenverstand durch die Gegend läuft und sich nachts von gewissen Orten fernhält, dann fühlt man sich auch nicht so schrecklich unsicher.

Wie ist deine Wahl gerade auf Südamerika beziehungsweise Argentinien gefallen?
Ich habe in der zehnten Klasse ein Auslandsjahr in Italien gemacht und dabei viele Südamerikaner kennengelernt. Seitdem wollte ich dorthin reisen. Ich wusste schon immer, dass es mich eher nach Südamerika als etwa Südostasien zieht. Das liegt, glaube ich, vor allem daran, dass ich mich den Latinos kulturell näher fühle, so klischeehaft das klingen mag.

Oscar Guerra (25) aus Caracas, Venezuela

hostel_oscar-guerraWie lange bist du schon in Buenos Aires? Hast du vorher schon andere Teile Argentiniens kennengelernt?
Nein, ich kam vor ungefähr einer Woche hier an und habe keine anderen argentinischen Orte gesehen.

Wie ist dein erster Eindruck?
Unglaublich! Ich bin an eine sehr viel belebtere Umgebung gewöhnt. In dieser Stadt ist es ganz anders. Sie ist riesengroß, aber es gibt keine solchen Menschenmengen auf der Straße.

Inwieweit stimmt deine erste Wahrnehmung mit dem überein, was dir in Venezuela durch Medien, Schule, Erzählungen über Argentinien vermittelt wurde?
Eigentlich habe ich es mir genauso vorgestellt. Wie die meisten wissen, ist Venezuela zurzeit nicht der beste Aufenthaltsort. Meine Erwartungen wurden sogar übertroffen, ich hatte ziemlich viel über die Stadt gelesen.

Verglichen mit deinem Land – sind dir kulturelle Differenzen aufgefallen?
Ich mag die Kultur in Venezuela, besonders in den Städten. Aber ich glaube, die meisten Kulturen sind fortschrittlicher als die unsrige, in jeder Hinsicht. Zum Beispiel in Hinblick auf Graffitis. Ich sprühe selbst seit sieben Jahren, aber was ich hier gesehen habe, ist von Weltrang. Was das Zusammenleben angeht, denke ich, dass jeder für sein Handeln verantwortlich ist.

Was war das Verrückteste oder Überraschendste, das dir in Buenos Aires passiert ist?
Als ich am Flughafen ankam, hat mich mein Cousin abgeholt. Wir sind im Bus hierhergefahren und haben über den Wahnsinn in den Straßen Venezuelas gesprochen und ich meinte zu ihm, dass der Verkehr hier viel geordneter ist. Und zufälligerweise hat in diesem Moment ein Motorrad den Bus überholt und ist genau vor unseren Bus gestürzt.

Wie schätzt du die Sicherheit in Argentinien – verglichen mit Venezuela – ein?
Die Sicherheit hier ist schon grandios. In Caracas ist man daran gewöhnt, auf alles vorbereitet zu sein, ausgeraubt zu werden. Die Menschen verlassen das Haus, weil sie zur Arbeit müssen und kehren dann sofort wieder zurück nach Hause. Aber hier kannst du machen, worauf du Lust hast. Weißt du, wie lange ich mich nicht mehr auf einen Platz gesetzt habe, um zu lesen? Das ist bestimmt fünf Jahre her. Hier habe ich das in der vergangenen Woche jeden Tag gemacht.

Wie ist deine Wahl gerade auf Argentinien gefallen?
Ich möchte hier ein, zwei Jahre leben. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe mich schon immer mit der argentinischen Kultur beschäftigt. Das ist nichts besonders Persönliches. Hier möchte ich anfangen und anschließend andere Orte in Südamerika oder vielleicht Europa kennenlernen.

Soudai Hirai (21) aus Tokio

Wie lange bist du schon unterwegs? Wo warst du, bevor du nach Buenos Aires kamst?
Ich war fünf Monate in Südostasien und Europa unterwegs und Buenos Aires ist meine erste Station in Südamerika.

Wie ist dein genereller Eindruck bisher?
Nach ein paar Tagen kann ich noch nicht besonders viel sagen. Aber ich war überrascht, dass hier so wenig Englisch gesprochen wird. Ich habe gemerkt, dass ich Spanisch lernen sollte.

Ist Argentinien in etwa so, wie du erwartet hattest?
Ich dachte, die Argentinier wären leidenschaftlicher und aufbrausender. Außerdem hat mich überrascht, wie entwickelt Buenos Aires ist.

hostel_soudai-hiraiSind dir kulturelle Unterschiede zu Japan aufgefallen?
Die Leute hier scheinen sehr gern Fußball zu schauen. Und man isst hier sehr viel Fleisch.

Ist dir bereits etwas Verrücktes oder Überraschendes passiert?
Ich fand es verrückt, zu bemerken, wie groß die Kluft zwischen Arm und Reich ist.

Wie sicher fühlst du dich hier?
Ich habe gehört, die Stadt sei nicht sicher, aber das kommt mir nicht so vor. Verglichen mit Japan ist es hier aber natürlich weniger sicher. Aber Japan ist eben besonders in dieser Hinsicht.

Wie ist deine Wahl auf Argentinien als erstes Reiseziel in Südamerika gefallen?
Ich wollte von Süden nach Norden reisen. Zwar hätte ich auch in Brasilien anfangen können, aber dazu hätte ich im Gegensatz zu Argentinien ein Visum gebraucht.

Fotos von oben nach unten:

San Telmo ist eines der beliebtesten Stadtviertel bei jungen Reisenden.

Marie Bentrop.
(Privat)

Oscar Guerra.
(Foto: Ivana Forster)

Soudai Hirai.
(Foto: Ivana Forster)

Asado-Meisterschaft in Buenos Aires

Beim “Campeonato de Asadores” 2016 triumphierte die Provinz Mendoza

Von Marcus Christoph

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Argentinischer geht es kaum: Der Rauch vom Grillfleisch in der Luft, dazu typische musikalische Klänge aus dem Landesinneren wie Zamba oder Chacarera sowie Menschen in Gaucho-Trachten. Die nationale Asado-Meisterschaft, zu der die Stadtregierung von Buenos Aires am Sonntag eingeladen hatte, lockte rund 250.000 Menschen auf die “9 de Julio”. 24 Zweierteams, die jeweils eine argentinische Provinz repräsentierten, eiferten um die Wette, wer am leckersten grillen kann.

Zuzubereiten galt es verschiedene Rindfleischschnitte wie “Tira de Asado” (Querrippe), “Colita de Cuadril” (Hüftspitze) und “Vacío” (Flankensteak), Innereien wie Niere und Kalbsbries sowie Grillwurst, Grillkäse und Gemüse. Den Geschmacksnerv der Jury traf schließlich am besten das Team aus Mendoza mit Carlos Gallardo und Francisca Araya, die sich nun als Grillmeister Argentiniens bezeichnen dürfen.

Ziel der Stadtregierung war es, die touristische Attraktivität von Buenos Aires weiter zu steigern und argentinische wie ausländische Touristen in die Metropole zu locken.

Foto:
Für Vegetarier war das Zentrum von Buenos Aires am Sonntag “No-Go-Area”: Über ganze Häuserblöcke hinweg duftete es nach Grillfleisch.

Adresse für Bratwurst-Fans in Buenos Aires

“Bratwurst Argentina” eröffnet Geschäft in Constitución

Von Marcus Christoph

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Es ist vollbracht: Ab sofort haben Bratwurst-Fans in Buenos Aires eine feste Adresse. Vor wenigen Tagen eröffneten Michael Schnirch und André Kalisch, die beiden Geschäftsinhaber von “Extrawurst – Bratwurst Argentina”, in der Straße “Solís” 1699 im Buenos-Aires-Stadtteil Constitución ein Geschäft, in dem es Würste und manches mehr zu kaufen gibt. Auch Mahlzeiten vor Ort sind möglich.

Für die vor gut dreieinhalb Jahren gegründete Firma, die seit Kurzem den Namenszusatz “Extrawurst” trägt, ist die Neueröffnung ein Meilenstein. Denn bislang lief der Verkauf vor allem über Online-Bestellungen. Ein Laden, um die Waren direkt an den Kunden zu bringen, fehlte. “Wir haben lange gesucht, ehe wir geeignete Räume gefunden hatten”, erläutert Michael Schnirch. Der gebürtige Nürnberger ist seit zehn Jahren im Land. Bei einem Public Viewing während der Fußball-EM 2012 lernte er den Berliner André Kalisch kennen, der im Jahr zuvor nach Buenos Aires gekommen war.

Gemeinsam kamen sie auf die Geschäftsidee, Bratwürste nach deutscher Art in Argentinien auf den Markt zu bringen. Rasch zeigte sich, dass sie den richtigen Nerv getroffen hatten. Die Nachfrage stieg kontinuierlich. Egal ob Oktoberfest der Handelskammer, Veranstaltungen in der deutschen Botschaft oder Feste des Goethe-Instituts: “Bratwurst Argentina” wurde schnell zu einer festen Größe bei Feiern deutscher Institutionen.

Schritt für Schritt erweiterten die beiden Bratwurst-Brutzler ihr Angebot. Zu “Klassikern” wie Currywurst, Fränkischen oder Nürnberger Würsten haben sich mittlerweile auch internationale Wurstvarianten wie Lincolnshire Sausages aus England oder La Merguez-Würste aus Nordafrika gesellt. Käsebeißer, Knoblauch-, Chili- und Bierwürste oder die Eigenkreation “Pankower”, benannt nach Kalischs Berliner Heimatbezirk, ergänzen das Sortiment, in dem seit Kurzem auch bayrischer Leberkäse zu finden ist. Kalisch und Schnirch stellen zudem Saucen und Senf, Kartoffelsalat, Leberwurst, Brezeln oder Apfelstrudel her. Köstlichkeiten, die es in Argentinien sonst kaum gibt und die sicher fast jeder vermisst, der aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz kommt und eine Zeitlang in Argentinien lebt.

Das neue Geschäft ist montags bis freitags von 12 bis 20 Uhr geöffnet. Für die nähere Zukunft sollen die Öffnungszeiten auch auf den Sonnabend ausgedehnt werden. Zudem gibt es die Möglichkeit, einen Tisch bzw. einen Raum zu reservieren.

Infos hier.

Foto:
Michael Schnirch (l.) und André Kalisch.
(Foto: Marcus Christoph)

“Kolumbus des Universums”

Büste von Juri Gagarin in Buenos Aires eingeweiht

Von Marcus Christoph

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Im Planetarium von Buenos Aires gibt es seit wenigen Tagen ein Denkmal zu Ehren von Juri Gagarin. Valery Kucherov, der Leiter des Russland-Hauses in Buenos Aires, und Lucía Sendón de Valery, die Leiterin des Kuppelbaus in Palermo, weihten eine Büste des sowjetischen Kosmonauten ein, der am 12. April 1961 als erster Mensch im Weltraum war. “Gagarin war der Kolumbus des Universums”, würdigte Kucherov seinen 1968 verstorbenen Landsmann.

Der Festakt im Planetarium war ganz auf das historische Ereignis vor 55 Jahren hin ausgerichtet. An der Innenwand der Kuppel war exakt der Sternenhimmel nachgebildet, der am Tag von Gagarins Mission über dem sowjetischen Weltraumbahnhof Baikonur im heutigen Kasachstan zu sehen war. Anschließend wurde ein Filmdokumentation über das Leben Gagarins an das Deckenrund projiziert.

Dr. Mónica Raboli von der argentinischen Weltraumbehörde CONAE kommentierte die wichtigsten Lebensstationen Gagarin und beschrieb die Bedeutung, die der Astronaut für eine ganze Generation hatte. 108 Minuten brauchte Gagarin damals, um mit dem Raumschiff “Wostok” (russisch für Osten) die Erde zu umkreisen, ehe er in der Nähe der südwestrussischen Stadt Engels landete. Die Mission war ein großer Erfolg für die Sowjetunion im Wettlauf ins All mit den USA. Diese ließen zehn Monate später ihren ersten bemannten Flug ins All folgen.

Kucherov bezeichnete Gagarin als jemanden, der mit seinem Mut den Weg der Menschheit ins Weltall ermöglicht habe. Der Leiter des hiesigen Russland-Hauses erinnerte sich an den triumphalen Empfang, der dem Kosmonauten nach seinem Weltraumflug in Moskau zuteil wurde: “Damals wollten wir alle Kosmonauten werden”. Die Einweihung der Büste, die in Russland angefertigt wurde, zeige aber auch die enge Verbundenheit zwischen seinem Heimatland und Argentinien, meinte Kucherov. Ein kleiner Teil der Erinnerung an den großen Weltraumpionier sei nun auch Buenos Aires zu sehen.

Im Planetarium gibt ab sofort zudem eine kleine Ausstellung, die an den Kosmonauten erinnert. Gagarin kam 1930 im westrussischen Kuschino zur Welt. Er stammte aus einer Bauernfamilie und machte zunächst Karriere bei den Luftstreitkräften der Sowjetunion, ehe er eine Kosmonautenausbildung erhielt. Bei einem Übungsflug mit einem Jagdflugzeug verunglückte er 1968 tödlich.

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Valery Kucherov und Lucía Sendón de Valery (r.) enthüllten das Denkmal.
(Foto: Marcus Christoph)

Feiern für Fidel Castro

Veranstaltungen in Buenos Aires zum 90. Geburtstag des Revolutionsführers

Von Marcus Christoph

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Fidel Castro ist jemand, der auch im hohen Alter weit über Kuba hinaus noch die Gemüter bewegt. Dies wurde deutlich bei einer Serie von Veranstaltungen, zu denen verschiedene Organisationen anlässlich des 90. Geburtstags des historischen Führers der kubanischen Revolution in Buenos Aires luden. Sie wurden zu Treffen derjenigen, die in dem Jubilar eine Lichtgestalt der Emanzipation Lateinamerikas sehen. Kritische Betrachtungen zu Castro, der am 13. August 1926 in Birán im Osten Kubas zur Welt kam, waren dementsprechend nicht zu erwarten.

Einen Mix aus Politik, Poesie und Musik zu Ehren des “Máximo Líder” gab es im prall gefüllten Auditorium der Gewerkschaft der Staatsbediensteten (ATE). Deren Sekretär für Menschenrechtsfragen Héctor Carrica hob die solidarische Haltung Kubas hervor, das während der Militärdiktatur Verfolgte aus Argentinien aufgenommen habe. Carrica hob den Ausbau des Gesundheitssystems in Kuba als wichtige Errungenschaft von Castros Revolution hervor: Auf der Insel gebe es heute 24 medizinische Fakultäten sowie eine Lateinamerikanische Hochschule für Medizin, an der sich Studenten aus der gesamten Region ausbilden lassen können.

Nora Cortiñas, die Vorsitzende der Menschenrechtsgruppe “Mütter der Plaza de Mayo” (Gründerinnen), erinnerte an Fidels berühmte Rede aus dem Jahr 1985, als er vor einer weiteren Verschuldung der Staaten Lateinamerikas warnte und dies als untilgbare Hypothek auf die Zukunft bezeichnete. Diese Analyse habe angesichts der Verschuldungspolitik der aktuellen argentinischen Regierung nichts an ihrer Aktualität eingebüßt, so Cortiñas.

Auf das Engagement Kubas in Argentinien wies Claudia Camba von der Organisation “Un mundo mejor es posible” (Eine bessere Welt ist möglich) hin. Sie nannte in diesem Zusammenhang Unterstützung bei Alphabetisierungskampagnen und auf medizinischem Gebiet: Beispielsweise in der Einrichtung der Augenklinik “Dr. Ernesto Che Guevara” in Córdoba.

fidel IIIn die Aula “Leonardo Flavio” der Bibliothek des Kongresses hatten die kubanische Botschaft und die Vereinigung der Kubaner in Argentinien (URCA) geladen. Die Bibliotheksleiterin und Abgeordnete María Teresa García (FPV) sprach davon, dass Fidel Castro besonders für Lateinamerika eine tiefe Zäsur bedeutet habe: “Es gab eine Welt vor und eine Welt nach Fidel”, so García. Die Parlasur-Abgeordnete Julia Perié (FPV) meinte, Castro sei für alle sozial engagierten Menschen ein Beispiel, wie man Tag für Tag handeln müsse. Das kulturelle Programm beinhaltete unter anderem Darbietungen der Kindertheatergruppe “La Colmenita” sowie Stücke kubanischer Liedermacher wie Pablo Milanés und Silvio Rodríguez.

Bei einer weiteren Veranstaltung im Haus der “Guevara-Jugend” schilderte der in Kuba ausgebildete Arzt Pablo Bien von der Organisation “Propuesta Tatú” die medizinische Arbeit in den Armenviertel im Großraum Buenos Aires, die vom Beispiel Kubas inspiriert sei.

Besonderer Gast des Abends war der vietnamesische Konsul Nguyen Ha Linh, der die Solidarität Castros mit dem vietnamesischen Volk herausstrich. Kuba und Vietnam verbindet, dass sie im vergangenen Jahrhundert in besonderer Weise in Konfrontation mit den USA geraten waren.

Im Haus der argentinisch-kubanischen Freundschaft ließ der kubanische Botschaftsattaché Ramón Cantero die wichtigsten Lebensstationen Castros Revue passieren: Vom studentischen Anführer zum Guerrillakämpfer und schließlich zum Revolutions- und Staatsführer. Die Gruppe “Los Sábalos” sorgte mit ihren Klängen für kubanische Atmosphäre.

Castro selbst zeigte sich an seinem Geburtstag in Havanna erstmals seit vier Monaten wieder in der Öffentlichkeit.

Fotos von oben nach unten:

Das Auditorium der ATE war prall gefüllt.

Künstlerische Darbietungen in der Aula der Kongressbibliothek.
(Fotos: Marcus Christoph)

Das Auto und die alte Dame

Die Berlinerin Heidi Hetzer umrundet mit ihrem Oldtimer die Welt

Von Marcus Christoph

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“Ich wollte etwas für mich nachholen.” So beschreibt Heidi Hetzer ihre Motivation, in einem Oldtimer um die Welt zu fahren. Vor fast zwei Jahren startete die heute 79-jährige Berlinerin in einem “Hudson Great Eight” (Baujahr 1930) ihre Mammut-Tour, die sie bereits durch 33 Länder geführt hat. Nach insgesamt 70.000 Reisekilometern hat sie vor wenigen Tagen Buenos Aires erreicht, wo sie ein paar Tage Pause macht, ehe es im südlichen Afrika weitergeht.

Als Vorbild diente Hetzer, die früher bei Rallyes um Bestzeiten und Pokale kämpfte, die deutsche Automobil-Pionierin Clärenore Stinnes. Diese unternahm von 1927 bis 1929 eine Weltrundfahrt in einem “Adler Standard 6”. “Ich will mich nicht mit Clärenore messen. Aber ich möchte zumindest das Gefühl haben, wie es ist, mit einem alten Auto um die Welt zu fahren”, erläutert Hetzer.

Dabei kam ihr Entschluss, am 27. Juli 2014 am Brandenburger Tor zu einer mehrjährigen Weltumrundung aufzubrechen, eher spontan. Es war jedenfalls kein langgehegter Sehnsuchtsplan, sondern resultierte aus der Situation, dass keines ihrer beiden Kinder Interesse hatte, das familieneigene Autohaus weiterzuführen. Dieses hatte Heidi Hetzer einst von ihrem Vater übernommen und über 40 Jahre lang erfolgreich geführt. So entschloss sich die Unternehmerin 2012, “Opel Hetzer” mit den Standorten in Charlottenburg und Steglitz zu verkaufen.

Zeit und finanzielle Mittel waren vorhanden, um sich auf die Spuren von Clärenore Stinnes begeben zu können. Heidi Hetzer erwarb einen Oldtimer, den sie auf den Namen “Hudo” taufte – ein Wortspiel aus dem Markennamen Hudson und Udo, dem Vornamen der Verkäufers.

Der Auftakt war indes ein wenig holprig. Da der Motor merkwürdige Geräusche machte, kehrte sie bei Dresden heimlich um und ließ sich in Berlin einen neuen Motor einsetzen. Dieser sollte tatsächlich bis Australien durchhalten. Auch mit dem als Beifahrer vorgesehenen Fotografen Jordane Schönfelder stimmte die Chemie nicht. Er blieb nur wenige Tage mit an Bord, so dass Hetzer große Teile ihrer Welttour alleine bestritt.

Zuerst ging es durch Tschechien, Österreich, Ungarn und den Balkan. Dann in die Türkei, den Kaukasus, den Iran und durch zentralasiatische Staaten wie Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan nach China. Vor allem die Fahrt über den bis zu 3750 Meter hohen Torugart-Pass hatte es in sich. “Bei 21 Grad minus war alles eingefroren. Zudem habe ich kaum Luft bekommen. Es war furchtbar”, beschreibt Heidi Hetzer die Strapazen.

Im “Reich der Mitte” wählte sie eine Route durch das Landesinnere, die auch an der legendären Terrakotta-Armee bei Xi’an vorbeiführte. Nächstes Land der Reise war Laos, in dessen Hauptstadt Vientiane sie Weihnachten und Neujahr feierte. Im Getümmel der südostasiatischen Stadt musste sie sich auch eines Diebes erwehren, der vom Motorrad aus versuchte, der Berliner Seniorin die Handtasche zu entreißen.

Nach Thailand, Malaysia und Singapur stand die erste Passage mit einem Containerschiff an, das Heidi Hetzer und “Hudo” ins australische Perth transportierte. An der Südküste von “Down Under” entlang fuhr sie bis Melbourne, wo der Motor ausgewechselt werden musste. Hetzer ließ sich den am Anfang der Tour ersetzten Motor kommen. Dieser machte zwar immer noch bedenkliche Geräusche, leistete aber nichtsdestotrotz treue Dienste.
Den vielleicht schönsten Teil ihrer Reise erlebte die Berlinerin in Neuseeland. “Die Natur, die Berge, das Meer, die Tiere” – der Inselstaat am anderen Ende der Welt gefiel ihr in jeder Hinsicht. Auch das Zwischenmenschliche passte. Ein Hostelmanager verzichtete gar auf die Bezahlung, so begeistert sei dieser von der Idee der Weltreise im Oldtimer gewesen. Gegen mögliche Probleme des Linksfahrens wappnete sich Hetzer, indem sie sich jeden Abend einen entsprechenden Erinnerungszettel aufs Steuer legte. So fädelte sie sich an den folgenden Tagen morgens gleich richtig in den Verkehr ein.

Die Pazifiküberquerung meisterten Heidi und “Hudo” getrennt. Während das Auto wieder auf ein Containerschiff geladen wurde, nahm seine Fahrerin diesmal ein Flugzeug. In Los Angeles ging die Fahrt weiter. Zunächst in Begleitung eines Reporterteams des NDR nach Las Vegas, dann alleine die Westküste der USA hinauf bis nach Kanada. Von dort an zeigte die Kompassnadel immer Richtung Osten, bis Heidi Hetzer schließlich am US-Bundesstaat Maine den Atlantik erreichte. Nächster wichtiger Orientierungspunkt war Florida, wo die Berlinerin sich wieder einschiffen ließ, um durch den Panama-Kanal nach Lima zu gelangen. Von der ursprünglich geplanten Fahrt durch Mexiko und Zentralamerika sah die Seniorin ab, nachdem sie zahlreiche Warnungen hinsichtlich der Sicherheitslage erhalten hatte.

Doch bevor sie in Südamerika richtig loslegen konnte, musste Heidi Hetzer erst einmal eine Lymphdrüsenkrebserkrankung überstehen, wegen der sie ihre Tour unterbrach und sich in Deutschland operieren ließ. Zurück in Peru galt es, mit anderen Schwierigkeiten fertig zu werden: der Sprachbarriere und Höhen von mehr als 4000 Metern. Bei manchen Steigungen stieß “Hudo” an seine Grenzen. Entschädigt wurde die Berlinerin, die mittlerweile von der Coburger Fotografin Liliana Frevel (28) begleitet wurde, durch die Schönheit von Orten wie Cuzco und Machu Picchu oder dem Titicacasee.

Von Bolivien aus gelangten Hetzer und ihre Beifahrerin nach Argentinien. Über Salta fuhren sie nach Mendoza. Der Aufenthalt in der argentinischen Weinmetropole zählt aber eher zu den Tiefpunkten der Reise. Denn erstens waren dortige Mechaniker nicht in der Lage, “Hudos” Motor zu reparieren. Und zweitens entwendeten Diebe der Weltbummlerin die Handtasche mit Geld, Handy, Pass, Video-Kamera, Tagebuch und iPad.

heidi_hetzerII11Doch Hetzer gab nicht auf. Sie organisierte einen Hänger für den Transport ihres Oldtimers nach Santiago de Chile, wo sie mit Hilfe eines dortigen Opel-Händlers schließlich die Reparatur des betagten Fahrzeuges erreichte. Heikel war der Grenzübertritt. Denn nach den argentinischen Zollbestimmungen ist es nicht möglich, ein abgeschlepptes Fahrzeug ins Nachbarland durchzulassen. So baute die gelernte Kfz-Mechanikerin Hetzer die zwei defekten der insgesamt acht Zylinder aus. Mit den verbleibenden sechs Zylindern konnte sie immerhin einige Kilometer fahren und auf diese Weise nach Chile gelangen.

Nach der Reparatur des Oldtimers kehrte die nun mittlerweile wieder allein reisende Berlinerin nach Argentinien zurück. Über Bariloche und Bahía Blanca ging es nach Balcarce, wo das Museum des legendären Formel-1-Champions Juan Manuel Fangio ein Muss für Hetzer war. Argentinien erwies sich aber weiterhin als schwieriges Pflaster. Probleme mit den Geldüberweisungen aus Deutschland und der Akzeptanz von Kreditkarten sorgten für Bargeldengpässe.

Aber es gab auch sehr schöne Momente, wie beispielsweise beim Oldtimer-Treffen in Berazategui. In dem Vorort von Buenos Aires waren “das Auto und die alte Dame” im Mittelpunkt des Interesses. “Vier Tage mit netten Menschen”, so Hetzer, die die herzliche Abschiedsszene beschreibt: “Fünf Männer verabschiedeten mich. Alle mit Tränen in den Augen.” Bei dem Treffen der Auto-Freaks stieß Hetzer auch auf eine Kopie ihrer einstigen Startnummer von der Rallye Monte Carlo. Die Welt ist manchmal ein Dorf.

In Buenos Aires kam Hetzer bei Mitarbeitern der deutschen Botschaft unter. Wie ihr überhaupt die deutschen Auslandsvertretungen während der gesamten bisherigen Tour eine verlässliche Hilfe gewesen seien, lobt die Berlinerin. Gleiches gelte für die Reederei “Hamburg Süd”, die die interkontinentalen Transporte des Oldtimers ermöglicht habe. Unterstützung kommt auch von “Eberswalder Wurst”. Die Brandenburger Firma spendet für jedes von Hetzer durchfahrende Land 1000 Würstchen, die bei Charity-Events verkauft werden. Das auf diese Weise eingenommene Geld soll sozialen Einrichtungen in Berlin und Brandenburg zugute kommen.

Was nun noch fehlt, ist Afrika. Dort will Hetzer bis Dezember durch Südafrika, Botswana und Namibia fahren. Zudem denkt sie an einen Abstecher zu den Viktoria-Wasserfällen, sofern Sicherheitsbedenken dem nicht im Weg stehen. Danach geht es wieder aufs Containerschiff, um im Januar in Portugal wieder europäischen Boden zu betreten. Über Spanien und Frankreich will Hetzer wieder heimatliche Gefilde ansteuern mit dem Ziel, ihre Tour im März des kommenden Jahres unter dem Brandenburger Tor zu beenden. “Das genaue Datum steht noch nicht fest. Aber es sollte ein Sonntagvormittag sein. Da haben die Leute Zeit”, blickt Hetzer voraus.

Auch für die Zeit nach der Reise hat die rüstige Rentnerin schon Pläne: “Möglich ist, dass ich mit Hilfe eines Ghostwriters ein Buch über meine Weltumrundung schreibe.” Aber bis dahin sind ja noch einige Tausend Kilometer Reisestrecke zurückzulegen.

Foto:
Heidi Hetzer mit ihrem Oldtimer “Hudo”.
(Foto: Marcus Christoph)