Für Aufnahme von Flüchtlingen

Daniel Barenboim diskutierte mit Felipe González im Teatro Colón den Nahostkonflikt und andere brennende Themen der Weltpolitik

Von Marcus Christoph

bar
Der Dirigent Daniel Barenboim hat die lateinamerikanischen Staaten und vor allem sein Heimatland Argentinien aufgefordert, Flüchtlinge aus dem Syrien-Konflikt aufzunehmen. Argentinien sei immer gastfreundlich gewesen, er selbst habe es als Einwanderersohn erlebt, sagte Barenboim am Sonntagabend bei einem Gespräch mit dem ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe González vor rund 800 Zuhörern im Theater Colón in Buenos Aires. Der Gedankenaustausch fand im Rahmen eines zweiwöchigen Festivals mit Konzerten des von Barenboim geleiteten West-Eastern Divan Orchestras und der argentinischen Pianistin Martha Argerich statt.

Die Flüchtlingskrise sei ein globales Problem, das Deutschland nicht allein lösen könne, so Barenboim, der die Aufnahmepolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel als mutig lobte. Der in Buenos Aires geborene Stardirigent argumentierte, dass Globalisierung mehr sei, als “Spaghettis in Tokio zu essen, sondern dass alle Konflikte global sind und jeden betreffen”.

Entsprechend müsste auch Argentinien mehr Verantwortung übernehmen: Sein Geburtsland sei ohnehin als sicherer Hafen für Flüchtlinge aus anderen Kulturen prädestiniert: “Es ist das einzige Land, in dem es selbstverständlich erscheint, dass man mehrfache Identitäten haben kann”, so Barenboim. Hier könne man Araber, Jude, Pole oder Russe sein, und deswegen sei man nicht weniger Argentinier. Dies erkläre auch die enge Beziehung zu Argentinien des von Barenboim geleiteten West-Eastern Divan Orchestras, in dem Israelis, Palästinenser, Iraner und Türken zusammenspielen.

Die starken islamischen, christlichen und jüdischen Gemeinschaften in Argentinien, Brasilien und Chile sollten mit Unterstützung der Regierungen ihrer Staaten die Aufnahme von Flüchtlingen fördern – auch wenn man dabei das Risiko der Einschleusung vereinzelter Terroristen nicht vermeiden könne, sagte der Dirigent.

Für Argentinien hätte eine größeres Engagement in der Flüchtlingspolitik auch den Vorteil, dass seine weltpolitische Bedeutung zunehme. Gegenwärtig gibt es Pläne der Regierung von Präsident Mauricio Macri, 3000 Flüchtlinge aufzunehmen.

Dass Syrien alle angehe, betonte auch González: “Es gibt heute mehr als 6 Millionen Syrer auf der Flucht. Das ist ein unhaltbarer Zustand und geht die gesamte internationale Gemeinschaft an.” Der Elder Statesman sah eine große Verantwortung für die jetzige Krise in Syrien und im Irak bei der Politik des Westens. Besonders kritisierte er die von den USA angeführte Militärinvasion in den Irak im Jahr 2003. González verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass die militärische Führung des sogenannten “Islamischen Staates” sich zu einem Großteil aus ehemaligen Elitesoldaten Saddam Husseins zusammensetze. “Man verursacht Schäden und übernimmt danach keine Verantwortung”, monierte der einstige spanische Regierungschef. “Man kann einen Krieg gewinnen, aber den Frieden verlieren.”

Was Israel und die Palästinenser betrifft, kritisierte Barenboim, dass von Israel derzeit keine Initiativen ausgingen, um zu einer dauerhaften Friedenslösung zu kommen. Dabei wären die Rahmenbedingungen eigentlich günstig, da Israel momentan in der arabischen Nachbarschaft keinen wirklich gefährlichen Gegner habe. Der Dirigent beklagte, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern von großer Ungleichheit gekennzeichnet sei. Er kritisierte rechte und religiös-orthodoxe Strömungen in Israel, die dem Friedensprozess entgegenstünden.

Barenboim hat neben der argentinischen, der spanischen und der israelischen auch die palästinensische Staatsbürgerschaft inne. Um ein Beispiel für friedliches Zusammenleben im Nahen Osten zu setzen, gründete er 1999 mit dem aus Palästina stammenden Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra. In Deutschland ist Barenboim vor allem als Generalmusikdirektor der Staatskapelle Berlin bekannt.

Foto:
Felipe González (l.) und Daniel Barenboim (r.) mit Moderator Hugo Sigman.
(Privat)

Jugendlicher Mega-Event

Die Buchmesse von Buenos Aires verzeichnet erneut Besucherrekord

Von Julia Kornberg

booktubers-va
Die 42. Buchmesse von Buenos Aires oder “Feria del Libro Internacional” übertraf auch dieses Jahr die Erwartungen des Veranstalters und hatte von ihrer Eröffnung am 21. April bis zum Schlusstag am 9. Mai etwa 1.2 Millionen Besucher. Im Rahmen des Mega-Events boten 571 Aussteller über 1500 Veranstaltungen an, zu Gast waren 1623 argentinische Schriftsteller und 138 ausländische Autoren.

Unter anderen Persönlichkeiten signierten Soy Germán, Rick Yancey, Quino, Sophie Jordán, Ricardo Bochini, Dross, Milo Lockett, Tiffany Calligaris und Gabriel Rolón ihre Bücher und trafen ihre Fans. Größere Stars wie Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa oder Kinderfilmstar Soy Luna waren auch dabei.

Das Massenphänomen Buchmesse fand dieses Jahr vor allem bei Jugendlichen großen Anklang – am Booktubers-Meeting (Foto) nahmen beispielsweise 1000 junge Menschen teil, und “Young-Adult”-Fiktionen wie “The Fifth Wave” von Rick Yancey waren absolute Bestseller.

Nächster Stopp ist Los Angeles, Kaliforniien – die Gaststadt für die internationale Buchmesse 2017.

“Kämpfer für Lateinamerika”

Denkmal zu Ehren Che Guevaras in Lanús

Von Marcus Christoph

che
Ernesto “Che” Guevara ist einer der bekanntesten Argentinier weltweit. Im Heimatland des Revolutionärs, der seine größten Erfolge in Kuba feierte, erinnert aber kaum etwas an ihn. Bislang existierten lediglich in Guevaras Geburtsstadt Rosario sowie im Küstenort Villa Gesell Statuen, die dem 1967 in Bolivien ums Leben gekommenen Guerrillero gewidmet sind. Seit wenigen Tagen gibt es auf dem Gelände der Universität von Lanús ein weiteres Denkmal zu Ehren des Rebellen.

Es handelt sich dabei um eine Skulptur des uruguayischen Künstlers Gonzalo Ramirez, die das Gesicht Guevaras darstellt. Das Kunstwerk nimmt seinen Platz im “Lateinamerikanischen Skulpturenpark” der Universität ein, in dem bereits Denkmäler für General José de San Martín und Simón Bolívar stehen. José Gervasio Artigas und Emiliano Zapata sollen folgen. Eine weitere Skulptur erinnert an die von Argentinien beanspruchten Malwinen-Inseln.

Universitätsrektorin Ana Jaramillo hob bei der Einweihung des Denkmals hervor, dass Che Guevara nicht nur für die Revolution, sondern auch für die Integration Lateinamerikas gekämpft habe. Zuvor hatte sich die Wissenschaftlerin gegenüber der Presse beschämt darüber geäußert, dass viele argentinische Universitäten sich Richtung Europa oder USA orientierten, das gemeinsame lateinamerikanische Vaterland (“Patria grande”) aber vernachlässigten. Sie sprach sich stattdessen für eine “kulturelle Entkolonialisierung” aus. Den Studenten ihrer Uni würden von daher vor allem lateinamerikanische Werte vermittelt.

Zweiter Festredner war der kubanische Botschafter Orestes Pérez. Er bezeichnete Guevara als Vorbild im Kampf für Unabhängigkeit und Integration Lateinamerikas. “Mit der Einweihung dieses Denkmals verpflichten wir uns einmal mehr, dem Weg zu folgen, den Che uns gezeigt hat, um eine bessere Welt zu erreichen – ein Ziel, für das er sein Leben opferte”, so der Diplomat aus Kuba.

Der zweite Teil der Veranstaltung in Lanús war dem kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro gewidmet, der am 13. August dieses Jahres 90 Jahre alt wird. Im Kinosaal der Universität wurden Sequenzen von Castros jüngster Rede beim Kongress der Kommunistischen Partei Kubas sowie die Dokumentation “Elogios de la Virtud” des kubanischen Filmemachers Roberto Chile über das Leben des bärtigen Revolutionärs gezeigt.

“Mit der kubanischen Revolution hat Fidel ein neues Kapitel in der Geschichte Lateinamerikas aufgeschlagen, die seitdem nicht mehr dieselbe ist”, sagte Rektorin Jaramillo, deren Universität Castro vor zwei Jahren die Ehrendoktorwürde verliehen hat.

Botschafter Pérez meinte, Castro habe im kubanischen Volk einen Sinn für Hilfsbereitschaft und internationale Solidarität geweckt. Dies sei zuletzt auch darin deutlich geworden, dass es Ärzte aus Kuba waren, die als erste bei der Ebola-Epidemie in Westafrika vor Ort waren, um die heimtückische Seuche zu bekämpfen.

Pérez gab bekannt, dass es im August anlässlich des runden Geburtstags des Revolutionsführers mehrere Veranstaltungen im Centro Cultural de la Cooperación (Buenos Aires, Av. Corrientes 1543) geben werde, die Kunstausstellungen wie Filmvorführungen umfassen.

Foto:
Das Che Guevara-Denkmal auf dem Gelände der Universität Lanús. Mc
(Foto: Marcus Christoph)

“Sharing Economy” im Fokus

Veranstaltungsreihe COMMONS des Goethe-Instituts

Neue und nicht mehr ganz so neue Modelle der “Sharing Economy”, wie gemeinschaftliche Finanzierung, Car-Sharing, Lernen und Verbreiten freier (Online)-Inhalte, gemeinschaftliche Produktion, soziales Wohnen, Tauschgeschäfte ohne Geld und Direktanleihe haben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen und existieren neben spezifischen kooperativen und solidarischen Modellen, die als Ziel eine Verbesserung des Gemeinwohls, die Stärkung der Zivilgesellschaft und Förderung eines nachhaltigen Umweltschutzes haben. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn wir von “Sharing Economy” sprechen und was hat diese mit den sogenannten “Commons” zu tun? Warum wird das Konzept des Teilens immer wichtiger? Wer spricht heutzutage von Sharing Economy/kollaborativer Wirtschaft und welche Lebensmodelle werden uns angeboten?

Mit dem Ziel, nationale und internationale Best Practice-Beispiele zu veranschaulichen und über die Herausforderungen der kollaborativen Kultur nachzudenken, umfasst die Veranstaltungsreihe COMMONS Vorträge, Podiumsgespräche, Workshops, Filmvorführungen und Erfahrungsaustausch der unterschiedlichsten Initiativen.

Zum Treffen in Buenos Aires sind unter anderem folgende internationale Gäste eingeladen: Neal Gorenflo (Mitbegründer von Shareable, USA), Lala Deheinzelin (Leiterin von Enthusiasmo Cultural, Brasilien), André Gaul (Mitbegründer von Freifunk, Deutschland), Dana Giesecke (Wissenschaftliche Leiterin von FUTURZWEI, Stiftung Zukunftsfähigkeit, Deutschland), David de Ugarte (Sociedad de las Indias Electrónicas, Spanien), Antonia Chavez Wallig und Aline Bueno (Kulturverein Vila Flores, Brasilien), Oscar Bastidas (Experte für Genossenschaftswesen, Venezuela) und Julian López (Kulturzentrum Ciudad Móvil in Cartagena, Kolumbien).

Unter den argentinischen Gästen sind Jorge Bragulat (Leiter des Zentrums für soziale Wirtschaft der Universidad Nacional de Tres de Febrero), Heloisa Primavera (Gründerin des Tauschnetzwerkes Club del Trueque), Ricardo Orzi (Experte für soziale Währungen, Universidad Nacional de Luján), Beatriz Busaniche (Stiftung Vía Libre), Cristina Calvo (Leiterin von PIDESONE, dem Internationalen Programm zu Demokratie, Gesellschaft und neuen Wirtschaftsformen der Universität Buenos Aires), José Luis Coraggio (Universidad Nacional General Sarmiento) und Juan Carlos Junio (Leiter des Kulturzentrums Floreal Gorini).

Die Veranstaltungsreihe ist als Einstimmung auf das vom Goethe-Institut organisierte internationale Symposium “The Sharing Game. Exchange in Culture and Society” gedacht, das im Juni 2016 in Weimar stattfindet. Darüber hinaus ist die Reihe Teil des argentinischen Programms der dritten Ausgabe der “Woche für kollaborative Wirtschaft”, gefördert von Minka und El plan C, um Erfahrungen miteinander zu teilen und die Diskussion der Sharing Economy/kollaborativen Wirtschaft in der lokalen und internationalen Szene zu etablieren.

  • COMMONS. Neue soziale Praktiken des Tauschens und Teilens
  • 04.05. bis 07.05.2016
  • Centro Cultural de la Cooperación (Av. Corrientes 1543) und Club Cultural Matienzo (Pringles 1249).
  • Freier Eintritt mit Online Einschreibung.
  • Mehr Informationen hier.

Das Meer als sechster Kontinent

“Streamlines. Ozeane, Welthandel und Migration” in den Hamburger Deichtorhallen

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

buggenhout
Wer in diesen Tagen am Hamburger Hauptbahnhof ankommt, trifft auf Teeküchen, Essensausgaben und provisorische Zelte, in denen Menschen, die ihre angestammte Heimat verlassen mussten, zumindest notdürftig versorgt werden. An den Stadträndern entstehen Massenunterkünfte, häufig in Form schlecht beheizter Zeltlager, die mit bis zu 3000 Menschen vollkommen überbelegt sind. Viele der Neuankömmlinge haben auf ihrer Odyssee zumindest ein Meer überwunden. Sei es das Meer zwischen Nordafrika und Süditalien oder die griechische Ägäis.

Als die aus dem Senegal stammende Kuratorin Koyo Kouoh vor rund zwei Jahren mit der Vorbereitung der Ausstellung “Streamlines. Ozeane, Welthandel und Migration” begann, konnte sie nur ahnen, wie virulent das Thema ihrer Ausstellung zur Zeit der Eröffnung sein würde. 15 internationale Künstler aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa – viele davon haben für die Schau ganz neue Arbeiten entwickelt – schauen jetzt einmal genauer hin. Wie hängen die Warenströme, die Flucht- und Migrationsbewegungen, der Transfer von Informationen, Kultur, aber auch von Konflikten und Gewalt miteinander zusammen? Und welche Rolle spielt dabei das Meer?
 
Koyo Kouoh, die in der senegalesischen Hafenstadt Dakar aufgewachsen ist, war 2007 und 2012 Mitglied im Kuratorenteam der Documenta in Kassel. Die Ozeane definiert sie als den sechsten Kontinent: “Auf eine metaphorische Art und Weise haben die Ozeane keine Grenzen. Und sie widersetzen sich jedem, der versucht, welche zu ziehen.”
 
kuenstler
Obwohl nahezu allen Arbeiten kritisch-analytische Ansätze zugrunde liegen, ist “Streamlines” zu einer überaus sinnlichen Ausstellung geworden. Einen ersten Eindruck davon vermittelt gleich zu Beginn des Parcours die Arbeit von Otobong Nkanga. Die in Antwerpen lebende Nigerianerin hat eine Wandarbeit mit den Konturen der Elbe geschaffen, die mit Genussmitteln und Gewürzen, wie sie in der Hamburger Speicherstadt verarbeitet werden, angefüllt ist. Schreitet man sie ab, so sieht und riecht man Pfeffer, Kaffee, Tee, Kakao und Tabak. Alles Waren aus weit entfernten Weltgegenden, die aber seit Jahrhunderten auch den kulturellen Kosmos in Deutschland prägen.

cocoaWeniger sinnlich, dafür aber in ihrer minimalistischen Konsequenz beeindruckend ist die neue Arbeit des Berliner Bildhauers Thomas Rentmeister. Aus 6900 Tetra Paks mit Kakao Drinks hat er eine Bodenskulptur geschaffen, die auf geradezu erschreckende Art und Weise zeigt, wie aus einem exotischen Rohstoff durch industrielle Verarbeitung ein hässlich verpacktes Massenprodukt entsteht.

Ganz unmittelbar auf das Schicksal von Flüchtlingen geht der algerischstämmige Franzose Kader Attia ein. In drei Leuchtkästen zeigt er Fotografien junger algerischer Männer, die voller Sehnsucht am Strand von Algier sitzen und in Richtung Europa schauen. Gleich davor hat er die aus rund 300 gebrauchten blauen Kleidungsstücken bestehende Bodenskulptur “La Mer Morte” aufgebaut. Die ramponierten Textilien wirken wie Überbleibsel menschlicher Existenzen. In dieser ansonsten an eleganten Metaphern und Allegorien reichen Schau das wohl konkreteste und bedrückendste Exponat.
 
Eine Künstlerin, die sie sich schon seit Jahrzehnten mit dem Austausch von Handelsgütern, Wissen, Techniken, Religionen und Weltanschauungen beschäftigt, ist die 1942 geborene Berliner Filmemacherin und Fotografin Ulrike Ottinger. Im hinteren Teil der Halle hat sie eine Art Containerdorf aufgebaut. Für ihre Arbeit “Diamond Dance” besuchte sie Anfang der 1980er-Jahre die Zentren des Diamantenhandels in New York, Hong Kong, Antwerpen und Bombay. Ihre bildgewaltige Hamburger Installation vereinigt Fotografien, Filme, Wandtapeten, historisches Quellenmaterial und bedruckte Vorhänge. “Weltweite Verbindungen”, so Ottinger, “gab es, lange bevor das Wort Globalisierung in aller Munde war.”
 
Ob farbenfrohe, großformatige Tapisserien von Abdoulaye Konaté aus Mali zu Themen wie Kolonialismus und Umweltverschmutzung oder das anrührende Video des Thailänders Arin Rungjang über seinen Vater, einen Seemann, der 1977 in Hamburg von Neonazis verprügelt wurde und kurz nach seiner Rückkehr nach Thailand starb: “Streamlines” ist eine intelligent zusammengestellte Schau mit 15 prägnanten Positionen aus vier Kontinenten, die ausgehend von den Ozeanen als Metapher für den Austausch zwischen den Kulturen den Finger in die Wunde des alten und neuen Kolonialismus legt, aber durchaus auch Perspektiven für ein besseres Miteinander aufzeigt.
 
attia
 
Auf einen Blick: 

  • Ausstellung: Streamlines. Ozeane, Welthandel und Migration
  • Ort: Deichtorhallen Hamburg, Halle für aktuelle Kunst
  • Zeit: 4. Dezember 2015 bis 3. März 2016. Di-So 11-18 Uhr. 1. Do im Monat 11-21 Uhr
  • Katalog: Snoeck Verlag, 256 S., zahlreiche Abb., 29,80 Euro
  • Internet

Fotos von oben nach unten:

Peter Buggenhout: “The Blind Leading the Blind (Herzliya Piece), #1 final state”, 2008. (Foto: Klaas)

Die Künstler mit der Kuratorin Koyo Kouoh (5. v.l.).
(Foto: Klaas)

Thomas Rentmeister: “Cocoa Milk”, 2015.
(Foto: Klaas)

Kader Attia: “La Mer Morte”, 2015.
(Foto: Klaas)

Mit Bombos und Platillos

In Buenos Aires prägen die Murgas die Karnevalssaison

Von Michaela Ehammer

La Redoblona
Vergangenes Wochenende startete in Buenos Aires die Karnevalssaison. Jeder Jeck ist ja bekanntlich anders – in Buenos Aires sind die “Murgas” der Inbegriff des Karnevals. Mit rhythmischen Trommelschlägen auf Bombos, Platillos und Redoblantes, wildem Gepfeife, Tänzen und Gesang ziehen an die etwa 100 Murgas mit insgesamt 15.000 “Murgueros” an den Februarwochenenden abends durch ihre Viertel.

Jede Murga pflegt ihre eigenen Traditionen, hat ihre eigenen besonderen Farben und Maskottchen. So treten etwa die “Los Elegantes De Palermo” in den Farben Schwarz und Rosarot auf, und ihre paillettenbestickten und phantasievoll verzierten Kostümen glitzern und schillern bei jeder Verrenkung und jedem Sprung. Die Murga “La Redoblona” zeigt sich hingegen in lila-gelben Clownskostümen mit zirkusähnlichen Auftritten, bevor sie dann auf der Bühne mit politischen Satireeinlagen die alte und neue Regierung sarkastisch aufs Korn nimmt.

Murgas waren wegen ihrer schonungslosen Kritik an den sozialen Verhältnissen stets dem Argwohn der Regierungen ausgeliefert und während der Militärdiktatur sogar verboten. Aufgrund ihrer großen politischen Relevanz haben Murgas vor allem bei Jugendlichen in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen.

Chinesisches Neujahr

Wegen des Karnevals wurde das Chinesische Neujahr in Buenos Aires eine Woche früher gefeiert

Von Michaela Ehammer

anio-nuevo-chino-
Mit farbenfrohem Drachenlauf, asiatischen Klängen und Getrommel wurde am vergangenen Wochenende, eine Woche verfrüht, das Chinesische Neujahr eingeläutet. Für die in Argentinien ansässige chinesische Gemeinschaft, zu der etwa 180.000 Menschen aus 56 verschiedenen Ethnien zählen, ist es der wichtigste Feiertag. Auf das Jahr der hölzernen Ziege folgt am 8. Februar nun das des Feuer-Affen.

Tausende von Menschen feierten das 4714. Jahr in ausgelassener, wenn auch in etwas gedämpfterer Stimmung als sonst. Unter den zahlreichen Gästen befanden sich auch Horacio Rodríguez Larreta, der Bürgermeister von Buenos Aires, sowie Vizepräsidentin Gabriela Michetti. Die Plaza Parques Nacionales – zum ersten Mal Schauplatz dieser Feierlichkeiten – verwandelte sich in eine magische Welt aus Martial-Art-Shows, Schönschreibkünsten, Modenschauen mit traditionellen ethnischen Roben, chinesischen Malereien und Tänzen.

Der Gong erklang glückverheißend, nachdem die Drachen mit dem Anmalen der Pupillen in den Farben Rot, Grün, Gelb , Gold und Silber aus dem Schlaf erweckt wurden – ebenfalls ein Ritual, das Glück und gute Geschäfte mit sich bringen soll. Auch kulinarisch war allerhand geboten. So fand man nicht nur gebratenen Reis, Frühlingsrollen oder Sushi aus der asiatischen Küche, sondern konnte auch in die aromatischen Welten aus anderen Ländern eintauchen, wie Armenien oder Peru. Auch Österreich war mit einem Stand vertreten, an dem köstlicher Apfelstrudel verkauft wurde.

Da das Barrio Chino sonst eher als ein günstiges Pflaster bekannt ist, überraschten die überteuerten Preise beim Fest.

Der Feuer-Affe verspricht bis zum 28. Januar 2017 ein sehr kreatives und impulsives Jahr, danach wird er vom Feuer-Hahn abgelöst. Laut chinesischem Horoskop lassen sich Pläne in diesem Jahr nur sehr schwer machen, denn der unruhige Affe macht, was er will und sorgt stets für Überraschungen. Beste Zeiten stehen jedoch an, um die persönlichen Fähigkeiten und den Optimismus voll auszuschöpfen, angefangene Projekte zu erledigen oder neue Unternehmungen zu beginnen.

Der Schatten des Kondors

Portugiesischer Fotograf João Pina im Parque de la Memoria

Von Laura Meyer

pina
Am 15. Dezember wurde wurde im Parque de la Memoria in Buenos Aires (Av. Costanera Norte Rafael Obligado 6745, neben der Ciudad Universitaria) die Ausstellung “Sombra del Cóndor” des portugiesischen Fotografen João Pina (geboren 1980 in Lissabon) eröffnet. Die Ausstellung zeigt mehr als 100 Fotografien in Schwarz-Weiß und ist kuratiert und in Kategorien organisiert von dem brasilianischen Kurator Diógenes Moura. Bis Februar 2016 kann sie noch bei freiem Eintritt im PAyS-Saal des Parque de la Memoria besucht werden.

Als Enkel von politischen Gefangenen der portugiesischen Diktatur unter Oliveira Salazar, interessierte Pina die Geschichte der Operation Cóndor besonders, vor allem die Rolle der sechs beteiligten Länder und deren Unterstützer. Unter dem Namen “Operation Cóndor” führten zwischen 1970 und 1980 die Geheimdienste von Argentinien, Chile, Brasilien, Bolivien, Paraguay und Uruguay Verfolgungen und Morde an linken und oppositionellen Kräften weltweit durch, mit Unterstützung der Vereinigten Staaten. Laut Menschenrechtsorganisationen liegt die Dunkelziffer der Opfer bei etwa 50.000 Ermordeten, 350.000 Verschwundenen und 400.000 Gefangenen.

Die Fotografien zeigen direkt Betroffene, Verwandte und Freunde der Opfer oder auch Gegenstände und Objekte, welche in Zusammenhang mit der Operation Cóndor stehen. Jede der Abbildungen ist mit einem Erläuterungstext versehen, und ein kurzer Dokumentarfilm des Künstlers wird ebenfalls gezeigt.

Die Intention von João Pina ist es, die Ausstellung in allen damaligen beteiligten Ländern zu zeigen, jedoch ohne öffentlich anzuklagen. “Ich habe nicht den Anspruch, jemanden mit meinem Werk anzuprangern. Meine Arbeit soll informativ sein, so dass jede Person ihren eigenen Schluss daraus ziehen kann”, so Pina. So fand die Ausstellung zuvor in Sao Paulo, Rio de Janeiro, Montevideo, Santiago de Chile und New York statt,

Schon als Kind von Lateinamerika in den Bann gezogen, reiste der Künstler fast ein Jahrzehnt durch Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Paraguay und Uruguay, sammelte Bilder von Betroffenen, Foto-Dokumente und Archivmaterial und führte Interviews. So entstand ein Werk, welches nicht nur das Schweigen dieser dunklen Vergangenheit Lateinamerikas bricht, sondern auch zur Aufarbeitung und zum besseren Verständnis der Geschichte beiträgt.

Der Parque de la Memoria in Buenos Aires, am Ufer des Río de la Plata, bietet eine Plattform für Ausstellungen und Vernissagen von Künstlern aus aller Welt. Von Menschenrechtorganisationen initiiert, wurde das Projekt für die Errichtung eines Gedenkparks für die Opfer der Militärdiktatur in Argentinien 1997 dem Stadtparlament von Buenos Aires vorgestellt und erhielt breite Zustimmung.

Das 14 Hektar große Areal umfasst eine Reihe von Skulpturen verschiedener internationaler Künstler. Aus 665 vorgeschlagenen Werken aus über 44 Ländern wurden 12 von einer internationalen Jury ausgewählt. Während des Streifzugs durch den Park kann man die Skulpturen auf der grasbedeckten Ebene betrachten, auf Schildern wird näher auf den Künstler und die Bedeutung des Werkes eingegangen. Der Skulpturenbestand wird nach und nach erweitert.

Das Herzstück des Parks bildet das “Monumento a las Víctimas del Terrorismo de Estado”, die Gedenkstätte, die an die Verschwundenen der argentinischen Militärdiktatur erinnert. Die Namen der Opfer sind auf circa zwei Meter hohe Mauern eingraviert. Die Mauern bestehen aus übereinander und nebeneinander angeordneten Steinplatten, an welchen sich der Besucher entlang bewegt, den Blick auf die Namen der Verschwundenen, (desaparecidos) geheftet. Unter ihnen waren auch Kinder und Schwangere. Nach den in den Geheimgefängnissen geborenen und zu Zwangsadoptionen freigegebenen Kindern suchen Angehörige und Menschenrechtsorganisationen bis heute.

Im Park finden regelmäßig Workshops, Konzerte, Theateraufführungen und Projekte für Kinder statt, Menschenrechtsthemen werden besprochen und Hinterbliebende von Opfern der Diktatur eingeladen.

Weitere Informationen findet man auf der Webseite des Parque de la Memoria oder
unter Tel.: +54-11-4787-0999/6937.

Foto:
Familien Verschwundener in Calama, Chile, in der Nähe von Massengräbern, wo 26 politische Gefangene vom chilenischen Militär begraben wurden.

Motorsport-Journalist und Entdecker

Pionier des Tourismus Federico B. Kirbus starb am 12. Dezember

Von Stefan Kuhn

FBK 11 (3) fDer langjährige Mitarbeiter der argentinischen Wochenzeitung in deutscher Sprache “Argentinisches Tageblatt” Federico Kirbus ist tot. Er starb am Samstag vergangener Woche im Alter von 84 Jahren in seinem Geburtsort Buenos Aires nach langer Krankheit – zweieinhalb Jahre nach seiner geliebten Ehefrau und Reisekameradin Marlú.

Dass Federico in seinem Geburtsort starb, ist ein wenig überraschend. Schon als Kleinkind siedelte er mit seinen Eltern nach Europa um, und als Auto- und Reisejournalist war er ein Weltenbummler. Noch vor zehn Jahren traf man ihn kaum in Buenos Aires an, er und Marlú waren ständig auf Entdeckungstour. Zudem lebte er lange Zeit zwischen zwei Welten: Argentinien und Deutschland.

1933 zog die Familie des am 14. Oktober 1931 geborenen Federico nach Europa. Sein Vater und sein Onkel betrieben später eine kleine Metallwarenfabrik in Oberschlesien. Dort, in Sachsen und im Bayrischen verbrachte er seine Kindheit. Er erzählte häufig von dieser Zeit, vom Bombenangriff auf Dresden oder davon, wie sein Vater und sein Onkel versuchten, die ihnen zugeteilten Zwangsarbeiter zu ernähren und zu beschützen. Diese Zeit hat ihn geprägt. Federico war ein weltoffener, sozialer und hilfsbereiter Mann, der für jeden ein offenes Haus und Ohr hatte. Ein Menschenfreund.

1948, noch vor der Gründung der Bundesrepublik, ging es zurück nach Buenos Aires. Federico leistete seinen Militärdienst in der argentinischen Armee ab. Er wurde Journalist und spezialisierte sich auf Motorsport. Federico Kirbus gehörte zu denen, über die man sagt, sie hätten Benzin im Blut. Schon als 24-Jähriger begleitete er die argentinische Rennsportlegende Juan Manuel Fangio und das Mercedes-Rennsportteam auf der Tour über die Rennstrecken der Welt. Er wurde Co-Autor einer Fangio-Biografie, schrieb auf Spanisch, Deutsch und Englisch für namhafte Zeitungen und Zeitschriften wie “La Nación”, die Schweizer “Automobil Revue” und das US-amerikanische Magazin “Car and Driver”.

FBK 1933 fDrei Jahre dauerte diese aufreibende Zeit an, in der Motorenlärm, Ölgeruch, der Gestank von abgeriebenem Gummi und schlechte Hotelbetten Federicos Leben dominierten. Ende der 50er-Jahre orientierte er sich neu. Dem Auto blieb er dabei treu: Er testete Neuwagen, schrieb Fahrberichte und reiste dementsprechend viel. Dieses “Reisen” gewann dabei mehr und mehr die Überhand, der fahrbare Untersatz, der dabei getestet werden sollte, wurde zum mehr oder weniger zuverlässigen Fortbewegungsmittel.

“Reisen” ist eigentlich das falsche Wort, Federico und Marlú, die er 1961 heiratete, “entdeckten”. Beide haben einen gewaltigen Beitrag zur Entwicklung des argentinischen Tourismus geleistet. Auf Federico Kirbus’ Beschreibungen hin, wurden Landschaften wie das “Tal des Mondes” (Valle de la luna) und die bizarren Felsen von Ischigualasto zu bekannten Reisezielen, die heute zum Unesco-Weltkulturerbe zählen. Kirbus erkannte auch als einer der ersten, welches touristische Potenzial in dem fast vergessenen Andenzug steckte, der zwischen dem argentinischen Salta und dem chilenischen Antofagasta verkehrte. Heute gehört der “Tren a las nubes”, der “Zug in die Wolken” zu den größten Touristenattraktionen Argentiniens.

Längst kein Geheimtipp mehr ist die “Ruta 40”, die sich über 5000 Kilometer entlang der Anden hinzieht. Sie führt von Feuerland über den Abra del Acay, den mit 5000 Metern über dem Meeresspiegel höchsten Straßenpass der Welt. Federico Kirbus hat sie mehrfach befahren und beschrieben. Sein Werk “Mágica Ruta 40” wurde zum Verkaufsschlager. Nicht ohne Stolz nannte es Federico seinen “Bestseller”.

Federico gehörte nicht zu dem Schlag der Reise- und Motorjournalisten, die Betten in Luxusabsteigen testen und mit den neuesten Autos durch das Land kutschieren. In den 60er-Jahren war die argentinische Tourismusbranche wie die Automobilindustrie in den Anfangsjahren. Man musste, so ein Freund und Kollege, “Draht, Zange, Taschenlampe und ein Überlebenspaket” dabeihaben. Als ich Federico einmal für eine geplante Tour auf einem Teilstück der Ruta 40 um Rat fragte, riet er mir, genug Wasser und einen zweiten Ersatzreifen mitzunehmen. Es war ein wertvoller Tipp. Wir brauchten das Wasser und beide Reifen.

Ranqueles marlu y fede fFederico Kirbus hat die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus in Argentinien früh erkannt und die Erschließung des Landes in Wort und Tat unterstützt. Es ging ihm aber in erster Linie um einen sanften Tourismus, der die Natur schonen und der indigenen Bevölkerung nutzen sollte. Seine und Marlús letzte große Reise ging 2009 nach San Luis, in ein touristisches Dorfprojekt der Ranquel-Indios.

Es wäre zu kurz gefasst, Federicos Wirken mit Reisen, Entdecken und Motorsport zu umschreiben. Er war so vielseitig interessiert und unter Argentiniens Schreibern ein gefragter Mann, wenn es um Luft- und Raumfahrt ging. Zudem beschäftigte er sich mit Geschichte und Archäologie. So suchte er unter anderem den genauen Ort der ersten Gründung von Buenos Aires und schrieb eine Biografie über Utz Schmidl, den Regensburger Landsknecht, der Chronist dieser Gründung war.

Federico Kirbus schrieb lange für viele argentinische Zeitschriften und Zeitungen. Etwa für die auflagenstarke Mitgliederzeitschrift des argentinischen Automobilclubs, die Nación oder den englischsprachigen Buenos Aires Herald. Dem Argentinischen Tageblatt blieb er am längsten treu. Bis vor wenigen Wochen schrieb er noch in seiner Muttersprache für die Zeitung. Federico betreute die Rubrik Auto und Motor, schrieb Berichte und Reportagen für Sonderausgaben der Zeitung. Nach dem Tod Marlús im April 2013 übernahm er deren Reise-Tipps. In den letzten Monaten wurde es weniger, er wurde weniger. Der Verlust seiner ein Jahrzehnt jüngeren Frau schlug sich gesundheitlich nieder. Am Samstag, dem 12. Dezember, starb er im Hospital Penna.

Fotos von oben nach unten:

Marlú und Federico auf Reisen.

Benzin im Blut: der zweijährige Federico mit einem Spielzeug-Bugatti.

Federicos und Marlús letzte große Reise ging 2009 nach San Luis, wo sie ein touristisches Dorfprojekt der Ranquel-Indios einweihten.

Volkskunst aus Buenos Aires

“Filete porteño” zum immateriellen Welterbe ernannt

Von Laura Meyer

filete2
Die argentinische Volkskunst “Filete” ist vergangene Woche von der UNESCO zum immateriellen Welterbe ernannt worden. Am Sonntag, den 6. Dezember, feierte die Stadt Buenos Aires diese Ehrung mit besonderen Veranstaltungen.

Die traditionelle argentinische Maltechnik “Filete porteño”, die seit dem 19. Jahrhundert betrieben wird, ist ein ornamentaler Malstil, mit dem Häuserfassaden, Geschäfte, Busse und Geschäftsschilder in Buenos Aires verziert werden. Das “Filete” zeichnet sich durch leuchtende Farben und einen durch Schatten- und Lichtkontraste erzeugten 3D-Effekt aus. Hauptmotive sind Pflanzen und Tiere, berühmte Persönlichkeiten, religiöse Bilder und Schriftzüge, die mit “Schneckenformen” und Bändern eingerahmt werden.

Das immaterielle Kulturerbe umfasst lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, soziale Praktiken, Rituale, Feste, Naturwissen und Handwerkstechniken. Sie werden durch menschliches Können und Wissen weitergegeben und vermitteln Identität und Kontinuität. Immaterielles Kulturerbe stärkt den sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft und fördert den interkulturellen Dialog und den Respekt für andere Kulturen.

Seit 2003 unterstützt die UNESCO den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt von Kulturformen. 391 Bräuche, Darstellungskünste, Handwerkstechniken und Naturwissen aus aller Welt sind derzeit von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt. “Die Malweise ‘Filete porteño’ fördert die gemeinsamen Werte, das kollektive Gedächtnis und den visuellen Geschmack der Bewohner von Buenos Aires”, schreibt das UNESCO-Komitee für Immaterielles Kulturerbe. So trage es “zu einem Dialog, gegenseitigem Respekt und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Generationen bei”.

Die Feier zu Ehren dieser besonderen Malkunst fand am Sonntag am Obelisken an der Plaza de la República im Herzen der Stadt statt. Der scheidende Kulturminister der Stadt Hernán Lombardi veranstaltete an seinem letzten Wochenende im Amt eine Ausstellung mit Original-“Filetes” aus dem “Museo de la Ciudad” und aus Privatsammlungen, unter anderem Werken von Martiniano Arce, Jorge Muscia oder Memo Caviglia. Darüber hinaus waren mit “Filete” bemalte Lastwagen und Busse zu bewundern, die früher das Stadtbild im Verkehr prägten. Einige zeitgenössische “Fileteadores” gaben live Kostproben ihrer Kunst, was auf Leinwände übertragen wurde.

Am frühen Abend trat das “Orquesta del Tango” der Stadt Buenos Aires auf, und sehnsüchtige Tangomusik erklang am Obelisken. Etwas später wurde der Obelisk Teil einer Multimedia-Performance zum Thema “Filete”, und ab 21 Uhr gab es eine große Milonga unter freiem Himmel.

Werbung mal anders

Nicht- sexistische Werbung aus Schweden in Buenos Aires ausgestellt

Von Laura Meyer

mas_que_publicidad
Lasziver Blick, leicht geöffnete Lippen und dazu eine Coca-Cola-Dose im Dekolleté- die Darstellung der Frau in der Werbung kennt keine Grenzen. Frau ist Sex, Frau ist Produkt, das ist die Botschaft. die vermittelt wird. Doch nicht nur die Frau erfährt Diskriminierung in der Werbung. Der Mann wird als starkes, erfolgreiches und aggressives Wesen dargestellt, Homosexualität oder Menschen mit Behinderung werden auf den schillernden Großstadtplakatenerst gar nicht thematisiert.

Die schwedische Botschaft in Argentinien will das ändern. Noch bis zum 29. November zeigt sie im Palais de Glace (Posadas 1725, Buenos Aires, Eintritt frei) die äußerst empfehlenswerte Ausstellung “Más que publicidad, la mirada sueca” zu nicht-sexistischer Werbung. Kuratiert von Sara Kristoffersson und produziert vom schwedischen Institut, will sie negative Geschlechtermodelle brechen und durch Kreativität Kommunikation vermitteln, welche weder diskriminierend noch auf bestimmte Merkmale reduzierend ist. Die Ausstellung beweist, dass Werbung auch ohne geschlechterbezogene Vorurteile und Verhaltensweisen funktioniert. Werbung muss Verantwortung übernehmen, Werbung muss sich für ein nicht-diskriminierendes Umfeld einsetzen.

Feinfühlige Fernsehspots über eine homosexuelle Hochzeit, die Inklusion eines Mitarbeiters mit Behinderung oder Interviews mit Hausmännern, deren Frauen arbeiten, können während des Rundgangs betrachtet werden. Aufmerksamkeit wird auch auf Misshandlungen und Krankheiten gerichtet. So werden von Amnesty International Plakate ausgestellt, die auf die Beschneidung von weltweit zwei Millionen Frauen und Mädchen eingehen, und es wird auf die Gefahr von Essstörungen aufmerksam gemacht. Auch auf steigenden Alkohol- und Zigarettenkonsum in der Gesellschaft wird eingegangen, und die Wiedereingliederung von Obdachlosen und (ehemals) Drogenabhängigen in die Gesellschaft wird sensibilisiert.

Um die Situation der Frau in den Medien und in der Werbung zu verdeutlichen, wurden vergangene Woche zwei schwedische Kinofilme, “Refugiado de Argentina” und “Hotel de Suecia” im Palaisgezeigt, in welchen die prekäre Situation von Frauen in verschiedenen Kontexten verdeutlicht wird.

Schweden setzt sich seit geraumer Zeit für die Auflösung geschlechterbezogener Vorurteile und Voreingenommenheit ein und ist weltweit Vorreiter bei den Themen Toleranz und der Gleichberechtigung von Geschlechtern.

Foto:
Die Ausstellung zeigt, dass Werbung auch zur Toleranz zwischen Religionen aufrufen kann.