Der Souveränitätseffekt

Goethe-Institut begrüßt Kulturwissenschaftler Joseph Vogl

vogl_diaphanes_2Auf Einladung des Goethe-Instituts besucht der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl zum ersten Mal Argentinien.. Im Dialog mit lokalen Referenten stellt er eine Geschichte der Mythen und Unvereinbarkeiten der ökonomischen Narrativik dar, um zu verdeutlichen, dass das ganze intellektuelle Gebäude der Finanzwissenschaft kollabiert. Aus der Perspektive des Kulturkritikers beschreibt er, wie immer mehr Entscheidungsbefugnisse vom Staat und den Regierungen auf unüberschaubare Finanzmärkte und andere nicht demokratisch legitimierte Akteure, Agenturen und improvisierte Expertengremien übergegangen sind. Dies führt zu Demokratiedefiziten und Souveränitätsverschiebungen bei gleichzeitig unverhältnismäßig großen Einflussmöglichkeiten von Finanzspekulanten.

Am Dienstag, den 17.11., von 17 Uhr bis 19 Uhr, findet im Goethe-Institut (Av. Corrientes 343) bei freiem Eintritt die Veranstaltung “Der Souveränitätseffekt: Regierbarkeit, Schuldenkrise und Finanzmärkte” statt, in deren Rahmen Joseph Vogl mit José Natanson und Gabriela Massuh diskutiert. Aus organisatorischen Gründen wird um Anmeldung gebeten (info@buenosaires.goethe.org).

Wer es ist der wahre Souverän im modernen Staat? Joseph Vogl antwortet: “Souverän ist, wer eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag und sich als Gläubiger letzter Instanz platziert.”

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Wertvolles Erbe

Fotos von Martin Gusinde in Ushuaia

gusinde11In Feuerland startet am heutigen Donnerstag ein gemeinsames Projekt der Französischen und Deutschen Botschaft und des Kultur- und Bildungssekretariats der Stadt Ushuaia: Die Fotoausstellung “Der Geist der Menschen von Feuerland” von Martin Gusinde und das internationale Kolloquium “Ethnografische Fotografien der Völker Feuerlands. Archäologie – Anthropologie – Ästhetik”.

Der Missionar und Abenteurer, Anthropologe und Humanist Martin Gusinde hinterließ nach seinem Aufenthalt in Feuerland eine sowohl von ihrer Schönheit als auch von der Qualität der Dokumentation her außergewöhnliche Fotoreihe. Von 1918 bis 1924 lebte er mit den Selknam, den Yámanas und den Kavésqar und versuchte zu dokumentieren, was von diesen heute fast verschwundenen Gesellschaften noch übrig war. Dieses Erbe bildete die Basis für weitere Studien und inspirierte fast ein ganzes Jahrhundert lang zahlreiche Anthropologen, Historiker und Künstler.

Ushuaia ist die erste Stadt Lateinamerikas, die diese Ausstellung mit 147 Fotografien präsentiert. Die Ausstellung ist bis zum 30.11. in der Casa de la Cultura in Ushuaia zu sehen und kommt im Dezember auch nach Buenos Aires.

Stammtisch – typisch deutsch?

Deutsch sprechen, Feierabendbier und Kulturaustausch in Buenos Aires

Von Friederike Oertel

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Sprachen lernt man am besten, indem man sie spricht. Doch in Sprachkursen fehlt oft der Praxisbezug und im Alltag die Gelegenheit, die Fremdsprache aktiv anzuwenden. So ging es auch vielen Deutschlernenden am Goethe-Institut in Buenos Aires. Um das zu ändern, haben die beiden Studentinnen Laura Weller und Ronja Fink den Goethe-Stammtisch ins Leben gerufen.

Seit April diesen Jahres treffen sich Argentinier, Deutsche, Deutschlernende und Interessierte aller Altersgruppen jeden Donnerstagabend in einer kleinen Bar in den kopfsteingepflasterten Straßen von San Telmo. In entspannter Atmosphäre wird geplaudert, diskutiert und erzählt. Sprachkenntnisse können auf diese Art angewandt und erweitert werden. Und natürlich bietet das wöchentliche Treffen auch die Gelegenheit, Umgangssprache, Sprechweisen und Redewendungen direkt von deutschen Muttersprachlern zu lernen.

Die Gründung des Stammtischs ist Teil des Freiwilligendienstes, den Laura und Ronja momentan am Goethe-Institut Buenos Aires absolvieren. Gestartet haben sie das Projekt in Eigeninitiative. Rückhalt und Unterstützung erhielten sie von Sylvia Brandt, der Sprachkursleiterin am Goethe-Institut.

Um den Stein ins Rollen zu bringen, versandten die beiden zahlreiche E-Mails, erstellten Plakate und gründeten eine eigene Facebook-Seite. “Vor dem ersten Treffen waren wir ziemlich aufgeregt, da wir nicht wussten, ob der Sprachaustausch auf Interesse stößt und überhaupt jemand kommt”, erinnert sich Laura. Zu Unrecht: Bereits der erste Stammtsich war ein voller Erfolg: “Es kamen unerwartet viele Leute. Wir mussten immer mehr Tische und Stühle dazu holen.” Mittlerweile hat sich ein richtiger “Stammtisch” mit einem Kern regelmäßiger Teilnehmer herausgebildet. “Trotzdem kommen jede Woche neue Gesichter hinzu und machen die Gruppe noch bunter”, sagt Ronja.

Von Anfang an stand der Spaß am Fremdsprachenlernen, der interkulturelle Austausch und die lockere Atmosphäre im Mittelpunkt. Nicht ohne Grund fiel die Wahl des Veranstaltungsortes daher auf die Bar “Pasaje Solar”. Das kleine Restaurant überzeugt nicht nur aufgrund seines urigen Charmes, auch konnten die zwei Studentinnen mit den Inhabern preiswerte Angebote für alle Stammtisch-Teilnehmer aushandeln. Der entspannten Nachhilfe bei einem Feierabendbier steht nichts mehr im Wege!

  • Goethe-Stammtisch
  • Jeden Donnerstag 19 Uhr
  • Pasaje Solar, Balcarce 1022
  • Weitere Infos auf Facebook oder unter GoetheStammtisch.BuenosAires@gmail.com
  • Nächster Stammtisch: 22.10.

Foto:
Feldstudie: Die Autorin beim Goethe-Stammtisch.

“Eine starke Geschichte”

Interview mit Giulio Ricciarelli, dem Regisseur von “Im Labyrinth des Schweigens”

Von Marcus Christoph

ricchiarelli II11“Im Labyrinth des Schweigens” war der Eröffnungsfilm des diesjährigen Deutschen Kinofestivals von Buenos Aires. Bei dem Spielfilmdebüt von Regisseur Giulio Ricciarelli geht es um die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Der Film ist als deutscher Beitrag für den Wettbewerb um den Oscar für den besten nicht-amerikanischen Film nominiert. Ricciarelli stellte seinen Film persönlich in Buenos Aires vor. Im Interview erläuterte er Entstehung und Idee des Films.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Ricciarelli: Elisabeth Bartel, mit der ich das Drehbuch geschrieben habe, hatte die ursprüngliche Idee. Sie kam damit auf mich zu, und ich habe angefangen, zu lesen und habe gemerkt, dass das eigentlich ein unbekannter Teil unserer Geschichte ist. Ich konnte es mir zunächst auch gar nicht vorstellen, in irgendeiner Weise etwas über das Dritte Reich zu machen. Aber dann wurde mir klar, dass es eine starke Geschichte ist. Und es ist, glaube ich, tatsächlich auch der erste Spielfilm über die juristische Aufarbeitung des Holocausts in Deutschland.

Wieso hat es 50 Jahre gedauert, ehe das Thema des Auschwitz-Prozesses im Kino aufgegriffen wurde?
Ricciarelli: So wie es gedauert hat, dass sich Deutschland dem Holocaust stellte, ist wohl erst jetzt die Zeit da, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie aufgearbeitet wurde. Hätte mich jemand vor der Beschäftigung mit dem Film dazu gefragt, dann hätte ich gesagt: Es gab den Holocaust, und nach 1945 hat Deutschland angefangen aufzuarbeiten. Dass es aber fast 20 Jahre gedauert hat, ehe dies begann, das wusste ich nicht. Das ganze Land hatte in ersten Nachkriegsjahren eine kollektive Vereinbarung getroffen zu schweigen.

Es im Film schockierend zu sehen, wie gering die Kenntnisse vieler Personen über Auschwitz in der Nachkriegszeit waren.
Ricciarelli: Ja, aus heutiger Sicht es ist unglaublich. Das ist eigentlich auch die Kernachse des Films. Und gleichzeitig war es erzählerisch das Schwierigste. Aber so war es historisch. Es gab natürlich auch Ausnahmen. Aber im Großen und Ganzen war Auschwitz damals kaum im öffentlichen Bewusstsein. Wie kann man das eigentlich erzählen? Denn es ist das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, und man muss die Kinobesucher in eine Zeit zurückbringen, als man sagte, man wusste von nichts. Es gab in den Fünfziger Jahren wirklich eine Kultur des Verdrängens.

Weshalb sind manche Personen des Films – wie der Staatsanwalt Radmann – fiktiv, während andere realen Figuren entsprechen?
Ricciarelli: Oft haben historische Filme das Problem, dass sie viel über Geschichte erzählen, aber nicht spannend sind. Die Leute wollen aber eine Geschichte sehen mit einem klaren Hauptdarsteller. Da haben wir uns entschlossen: Wir erfinden die emotionale Reise des jungen Staatsanwalts Radmann. Das ist inspiriert durch mehrere Staatsanwälte, die damals dabei waren, deren Erfahrungen in die Figur Radmann hineingeflossen sind. Bei anderen Figuren wie dem Journalisten Thomas Gnielka und oder Generalstaatsanwalt Fritz Bauer haben wir versucht, historisch genau zu sein.

Wie erklären Sie sich, dass “Im Labyrinth des Schweigens” als deutscher Kandidat für den Wettbewerb um den Oscar für den besten nicht-amerikanischen Film nominiert wurde?
Ricciarelli: Man hat selten ein Filmthema, das die Leute wirklich interessiert. Das ist das, was den Film trägt. Ich bin auch stolz auf den Film. Aber es kommt alles aus der Geschichte heraus: Die Schauspieler, die wir gewinnen konnten. Dass ich als Erstlingsregisseur überhaupt so eine Chance bekommen habe. Es war das Bewusstsein von allen Beteiligten, dass man da eine interessante, wertvolle Geschichte hat, die man erzählen will. Das hat einen guten Geist in den Film hineingebracht. Es ist aber auch nicht leicht gewesen, einen Film über das Thema zu machen. Wo fängt man an und wo hört man auf? Man hätte auch den Prozess selber darstellen können.

Der Film endet ja, wo der eigentliche Prozess beginnt.
Ricciarelli: Das Wichtigste war zu erzählen, wie Ende der Fünfziger Jahre die Atmosphäre des Verschweigens war. Und wie schwierig der Kampf des Landes – und Johann Radmann steht auf der Metaebene ja für die junge Bundesrepublik – war, diesen Weg auch tatsächlich zu gehen. Eigentlich erzählen wir die seelische Reifung dieses jungen Staatsanwalts, bis er die richtige innere Haltung hat, den Prozess zu führen. Aber erzählt wird dabei natürlich auch viel über die Zeit, über die Schwierigkeiten, über den Prozess, über die Atmosphäre in dem Land.

Was waren die besonderen Schwierigkeiten bei der Produktion?
Ricciarelli: Für einen Debütfilm hatte er zwar ein gutes Budget. Aber für das, was wir erzählen wollten, war das Budget unheimlich klein. Auch die historisch exakte Darstellung war schwierig, weil überall moderne Dinge sind. Aber das Schwierigste war der Respekt vor der Geschichte. Denn wenn Deutschland einen Film macht, der in irgendeiner Weise mit Nazis zu tun hat, dann schaut die Welt hin. Und zwar nicht nur auf den Film an sich, sondern auch politisch.

Die aktuelle deutsche Hilfsbereitschaft bei Flüchtlingen: Rührt die aus der deutschen Geschichte?
Ricciarelli: Ich glaube schon. Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen durch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges heute eine starke demokratische Gesinnung entwickelt haben. Es gibt in dem Film den Schlüsselsatz: Die einzige Antwort auf Auschwitz ist, selber das Richtige zu tun. Ich glaube, dass das etwas damit zu tun hat.

Sie stammen ursprünglich aus Italien. Spielt Ihre Herkunft eine Rolle bei Ihrer Arbeit?
Ricciarelli: Ich glaube schon, dass die Emotionalität, die der Film hat, ein italienischer Einfluss ist. Die deutsche Identität ist durch den Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkriegs ungeheuer gebrochen. Den deutschen Filmen nach dem Krieg fehlt es oft an Emotionalität. Es gibt eine Scheu, wirklich emotional zu erzählen. Das ist in Italien anders. Dadurch, dass ich beides kenne, hat es die Machart des Films schon beeinflusst. Ich glaube, wenn ich nichts Italienisches hätte, würde der Film anders ausschauen.

Was planen Sie als nächstes? Vielleicht wieder etwas im historischen Bereich?
Ricciarelli: Nein, ich habe ein Projekt, das im Berlin von heute spielt. Es geht um einen Bundestagsabgeordneten. Es ist nicht historisch, hat aber zumindest eine politische Dimension. Es war ungeheuer erfüllend, mit einem Stoff auf politisches Interesse zu stoßen. Denn es gibt ganz viele Produktionen, bei denen es in der Bewertung nur darum geht, wie der Film geworden ist. Ich hatte bei “Im Labyrinth des Schweigens” aber das Gefühl, dass die Geschichte an sich das Interessante ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Giulio Ricciarelli in Buenos Aires.
(Foto: Marcus Christoph)

Spitzen-Kunst

“La democracia del símbolo” von Leandro Erlich im Malba

Von Laura Meyer

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Der Obelisk, Wahrzeichen und Ikone von Buenos Aires, ist Objekt der Installation “La democracia del símbolo” von Leandro Erlich (Buenos Aires, 1973) von September 2015 bis März 2016. Sein erstes site-specific in Argentinien ist eine künstlerische und soziale Initiative und Resultat der Kooperation zwischen dem Malba“>Museum Malba, dem Künstler, der Stadtregierung und der Firma Fate.

Leandro Erlich ist einer der argentinischen Künstler mit der größten internationalen Bekanntheit. Durch seinen künstlerischen Eingriff bietet er uns die Möglichkeit, zum ersten Mal seit der Errichtung des Obelisken seinen Innenraum zu besichtigen und den luftigen Ausblick zu entdecken.

Das Werk besteht aus zwei Teilen. Zuerst griff Erlich direkt in den Standort des Obelisken ein und ließ Ende September für einige Tage dessen Spitze verschwinden (in Wirklichkeit “verschwand” sie nicht, sondern wurde durch provisorische Außenwände versteckt, so dass die Illusion entstand, der Obelisk habe keine Spitze mehr). Eine Reprduktion der Spitze in realem Maßstab erschien zeitgleich auf dem Vorplatz des Malba. Das Publikum kann hier in die Spitze des Obelisken eintreten, um die vier Ausblicke des Monuments zu genießen, welche auf Monitoren im Inneren der Pyramide nachgestellt sind.

Projekte zu erschaffen, bei welchem das Kunstwerk die konventionellen Grenzen verlässt und sich in die Alltagsordnung eingliedert, ist Ziel des Künstlers. Erlich versteht Kunst als Werkzeug der Integration und der Aktion. Die Beziehung zwischen Monumenten und ihren Städten und die Bedeutung des Besuchs eines Monumentes hat mit Wertschätzung, Stolz und Zugehörigkeitsgefühl zu tun. Und in Argentinien ist der Obelisk ein Monument, welches noch niemals zuvor für Besichtigungen beabsichtigt wurde, so der Künstler.

Die nachgestellte Spitze steht noch bis März 2016 für jedermann sichtbar und betretbar auf dem Vorplatz des Malba, Av. Figueroa Alcorta 2475.

(Foto: Malba)

“Grenzen überschreiten”

Cordobeser Professor will bilaterale Zusammenarbeit ankurbeln

Von Marcus Christoph

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“Wir wollen Deutschland hier vor Ort besser bekannt machen und die bilaterale Zusammenarbeit fördern.” Mit diesen Worten beschreibt Dr. Alexander Freier die Zielsetzung des Projekts “Cruzando Fronteras – Grenzen überschreiten”, das der 36-jährige Politikwissenschaftler in Córdoba vor zwei Jahren maßgeblich ins Leben gerufen hat.

Freier, der seit drei Jahren an der Katholischen Universität Córdoba (UCC) einen Lehrstuhl für Internationale Politik innehat, will mit seiner Initiative Interesse für Deutschland wecken. Der Kooperationsgedanke, der sich zunächst auf Forschung und Wissenschaft bezog, soll auch auf andere Bereiche wie Kultur und Wirtschaft ausgedehnt werden. Synergieeffekte sollen entstehen. “Wir wollen Leute zusammenbringen. So entsteht Interesse. Denn bislang wissen die Menschen in Córdoba recht wenig über Deutschland”, beschreibt Freier, der selber bis vor drei Jahren in Deutschland lebte.

Für “Cruzando Fronteras” konnte er das Goethe-Institut in Córdoba, den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) sowie die Botschaft der Bundesrepublik in Buenos Aires als Partner gewinnen. Zur Gründungsveranstaltung des Projektes vor zwei Jahren war Botschafter Bernhard Graf von Waldersee nach Córdoba gekommen.

“Ein Ziel ist, argentinische Studenten und Wissenschaftler zu begeistern, nach Deutschland zu gehen”, so Freier. Erste Früchte habe man auf diesem Feld bereits ernten können. “Cruzando Fronteras” veranstaltet des Weiteren regelmäßig Vortragsabende zu verschiedenen Themen. Für die Zukunft sind außerdem Publikationen zu den deutsch-argentinischen Beziehungen sowie eine eigene Website geplant. Bislang informiert das Projekt auf Facebook über seine Aktivitäten.

Zu diesen gehörte auch eine Podiumsdiskussion zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit, die am 2. Oktober in den Räumen des Goethe-Instituts Córdoba stattfand.

Zu den Gästen des Abends, den Freier mit Reflexionen zur Rolle des wiedervereinigten Deutschlands in der Welt einleitete, zählte der neue deutsche Gesandte Daniel Krull. Der Diplomat stellte die deutsche Wiedervereinigung in den Kontext der europäischen Integration, die er als fast noch wichtiger als die Wiederherstellung der deutschen Einheit bezeichnete. Krull, der vor wenigen Tagen seinen Dienst in Buenos Aires antrat, blickte auf das Jahr 1989 zurück. Er hob die Rolle Ungarns hervor, das als erstes Land den Eisernen Vorhang öffnete. Es sei von daher eine Ironie der Geschichte, dass es nun ausgerechnet die Ungarn seien, die an ihrer Grenze zu Serbien einen neuen Sperrzaun errichteten, um der Flüchtlingskrise Herr zu werden.

Der Historiker und einstige DAAD-Repräsentant Hans Knoll erinnerte sich daran, wie er von Argentinien aus den Fall der Berliner Mauer erlebte. Wenige Monate später fuhr er selber nach Deutschland, wo bei einem Spaziergang an der nun mehr offenen innerdeutschen Grenzen einen 15-jährigen Ostdeutschen traf und diesen dazu motivierte, zum Schulaustauschjahr nach Argentinien zu kommen.

Die heutige DAAD-Lektorin in Córdoba, Laura Benary, war beim Mauerfall zwar erst acht Jahre alt. Dennoch hat die Berlinerin aus dem Ostteil der Stadt recht genaue Erinnerungen an die Einschnitte und Veränderungen, die die historischen Ereignisse von 1989/90 mit sich brachten: Sie war keine Jungpionierin mehr, und die Produkte des täglichen Lebens änderten sich fast alle. Prägend waren auch die Erinnerungen an das Dröhnen der sowjetischen Panzer, als diese 1994 im Rahmen des Abzugs der Streitkräfte aus Deutschland durch die Straßen des Stadtteils Karlshorst rollten.

Bewegend waren die Schilderungen von Hans Henning Schiller, dem Vorsitzenden des Deutschen Clubs Córdoba. Sein Vater, ein ehemaliger Gutsbesitzer, war enteignet worden und galt den DDR-Oberen als “Konterrevolutionär”, da er als Verwalter einer Genossenschaft (LPG) nicht die gewünschten Ernteerträge einbrachte. Nach dem brutal niedergeschlagenen Aufstand vom 17. Juni 1953 flüchtete die Familie gen Westen. Viele Jahre später besuchte Schiller das Dorf seiner frühen Kindheit nahe Halberstadt, in dem sich kaum etwas verändert hatte. Lediglich das ehemalige Anwesen seiner Familie war dem Verfall preisgegeben.

Redakteur Marcus Christoph nahm für das Argentinische Tageblatt an der Veranstaltung teil. Er stellte die Geschichte der einzigen deutschsprachigen Zeitung Argentiniens vor und erzählte von seinen eigenen Erfahrungen als Jugendlicher in Deutschland in den Jahren 1989/90.

Für den musikalischen Rahmen des Abends sorgte der Chor der Uni. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion gab es ein gemütliches Beisammensein bei Würstchen, Kartoffelsalat und einem Schluck Rotwein.

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Fotos von oben nach unten:
Laura Benary (DAAD) und Alexander Freier (UCC, r.) mit dem deutschen Gesandten Daniel Krull.
(Foto: Marcus Christoph)

(V.l.n.r.) Marcus Christoph, Hans Henning Schiller, Daniel Krull und Alexander Freier. (Foto: Carlota Salomón)

Revolutionsbilder und mehr

Ausstellung des kubanischen Fotografen Korda im Centro Cultural Borges

Von Marcus Christoph

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Sein Bild des “Heldenhaften Guerrillero” gilt als das am meisten vervielfältigte Foto der Geschichte. Der kubanische Fotograf Alberto Díaz Gutiérrez alias Korda erlangte Weltruhm durch seine Fotografie des legendären Revolutionärs Ernesto “Che” Guevara. Doch das Werk Kordas, der 2001 in Paris starb, ist mehr als das weltbekannte Che-Konterfei. Wie facettenreich das Schaffen des Fotografen aus Havanna war, will die Ausstellung “Korda – pasión e imagen” (Korda – Leidenschaft und Bild) zeigen, die seit wenigen Tagen im Centro Cultural Borges von Buenos Aires zu sehen ist.

Ausgestellt sind 110 Fotografien. Natürlich gibt es zahlreiche Porträts der Führer der kubanischen Revolution wie Fidel Castro, dessen Bruder Raúl, Che Guevara und Camilo Cienfuegos. Bilder von der damals noch jungen kubanischen Revolution, der sich der einstige Modefotograf Korda im Jahr 1959 angeschlossen hatte.

In den Folgejahren begleitete er Fidel Castro auch bei Auslandsreisen und konnte so Aufnahmen aus unmittelbarer Nähe machen. “Meinem Vater ging es aber immer auch darum, die menschliche Seite der politischen Führergestalten zu reflektieren”, erläutert Kordas Tochter Diana Díaz López. Sie ist Kuratorin der Ausstellung und weilte zur Eröffnung in Buenos Aires.

Neben den bekannten Revolutionsmotiven sind im Centro Cultural Borges jedoch auch Bilder zu sehen, die bislang eher weniger mit Korda assoziiert wurden: Beispielsweise die Unter-Wasser-Aufnahmen, die der Fotograf an den Küsten Kubas machte, sowie Illustrationen afro-kubanischer Riten und auch Modefotos, mit denen Korda auch seine Karriere begonnen hatte. Erstmals in öffentlicher Ausstellung zu sehen sind Bilder, die beim Staatsbesuch einer kubanischen Delegation in China Anfang der 1960er Jahre entstanden sind.

Während des Pressegesprächs berichtete Díaz López von dem freundschaftlichen Verhältnis, das ihren Vater mit Fidel Castro verbunden habe. Dies sei auch dadurch zum Ausdruck gekommen, dass der Revolutionsführer zur Beerdigung ihres Vaters erschien.

Des Weiteren schilderte sie die Geschichte des eingangs erwähnten Che-Bildes, welches ihr Vater 1960 bei einer Trauerfeier in Havanna eher zufällig machte. Zunächst wurde es nicht veröffentlicht. Erst als der linksgerichtete italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli nach Ches Tod 1967 bei Korda nach einem Bild des Revolutionärs anfragte, änderte sich dies. Der kubanische Fotograf schenkte dem Italiener das bis dahin in den Archiven verstaubende Foto – und dieser machte Poster daraus, die sich in den Jahren der Studentenrevolte bestens verkauften.

Korda, der sich keine Urheberrechte auf das Bild hatte sichern lassen, habe von Feltrinelli nie einen Cent gesehen, wie Díaz López erläutert. Trotzdem sei man dem Italiener, der bereits 1972 starb, nicht böse. Schließlich habe er dafür gesorgt, Korda weltbekannt zu machen und Che Guevara als Revolutions-Ikone schlechthin zu etablieren.

Die Ausstellung ist noch bis zum 13. September im Obergeschoss des Centro Cultural Borges (Viamonte Ecke San Martín) zu besichtigen. Die Öffnungszeiten sind montags bis sonnabends von 10 bis 21 Uhr sowie sonntags von 12 bis 21 Uhr.

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Korda-Tochter Diana Díaz López (l.) mit Virginia Fabri vom Centro Cultural Borges.
(Foto: Marcus Christoph)

Serie der Superlative

Game of Thrones: Wie eine Fantasy-Serie die Welt erobert

Von Meike Michelmann gen. Lohmann

Emmy Nominations
“Valar Morghulis!” – “Alle Männer müssen sterben!” heißt die Losung, die in Hochvalyrisch, einer Sprache aus der Welt von “Game of Thrones” verfasst wurde. Die zwei Worte werden in George R. R. Martins Bücher-Epos und der filmischen Adaption nicht nur häufig als Begrüßung verwendet, ihre Bedeutung kann man auch als roten Faden der Fantasy-Reihe verstehen. Denn gestorben wird viel in und um Westeros, dem Hauptschauplatz der Geschichte.

Dieser in vielen Dingen mittelalterlich anmutende Kontinent unterteilt sich in sieben Königreiche, die von der Hauptstadt Kings Landing aus regiert werden. Dort herrscht der König auf dem Eisernen Thron, einem martialischen Ungetüm, geschmiedet aus den Schwertern getöteter Feinde. Doch um die Frage, wer rechtmäßig auf diesem Thron Platz nehmen darf, ist ein erbitterter und blutiger Kampf ausgebrochen.

Mehrere der altehrwürdigen Familien in Westeros erheben Anspruch auf den Thron und sehen ihre Anführer als rechtmäßige Könige. Darunter die skrupellosen Lannisters, die reich an Gold, aber arm an Mitgefühl sind. Oder die letzte Überlebende der Targaryens, eines der ehemals größten Häuser und Herrscher über die Drachen.

Doch der Machtkampf um den Eisernen Thron ist nicht das größte Problem. “Der Winter naht” ist nicht nur der Wahlspruch des altehrwürdigen Hauses der Starks von Winterfell, sondern kündigt auch eine reale Gefahr an. In Westeros gibt es keine normalen Jahreszeiten. Nach einem langen, heißen Jahrzehnt stehen die Königreiche kurz vor dem Einbruch eines schrecklichen Winters.

Die Starks sind die Herrscher des Nordens und haben ihren Sitz nicht weit entfernt von einer riesigen Mauer aus Eis. Diese schützt seit Jahrtausenden das Königreich vor den Wesen jenseits der Mauer. Dahinter warten Riesen, barbarische Wildlinge, weiße Wanderer – Un-tote, die sich von Menschen ernähren – und weitere Schrecken. Durch den nahenden Winter wird das Böse immer stärker und der Schutz der Mauer zusehends brüchiger.

Legaler und illegaler Spitzenreiter

Das ist nur eine grobe Skizze des an Komplexität kaum zu überbietenden Fantasy-Epos des US-amerikanischen Autors George R. R. Martin. Tolkiens Mittelerde wirkt daneben geradezu niedlich. Das erste Buch der mittlerweile 6-teiligen Saga wurde 1996 veröffentlicht. 2011 folgte dann die filmische Adaption von “Die Herren von Winterfell” in Form einer Serie. Seitdem fiebern die Menschen rund um den Globus jeder neuen Staffel entgegen. Die mittlerweile fünf Staffeln gehören zu den erfolgreichsten Sendungen aller Zeiten. Die Erstausstrahlungen der einzelnen Folgen beim US-Sender HBO hatten mehr als 18 Millionen Zuschauer verfolgt.

Auch bei illegalen Downloads und Streams ist “Game of Thrones” Spitzenreiter. Die letzte Folge der fünften Staffel wurde in der ersten Woche nach ihrem Erscheinen 10 Millionen Mal heruntergeladen. Für den wichtigsten Fernsehpreis der Welt, die US-amerikanischen “Emmys”, wurde die Serie sogar in 24 Kategorien nominiert. Bei der Preisverleihung im September tritt sie unter anderem in der Hauptkategorie Beste Dramaserie an.

Kein Heldenbonus

Doch was ist das Erfolgsrezept hinter “Game of Thrones”? Das erwähnte Sterben ist ein zentraler Punkt. Keine Figur, sei sie auch noch so heldenhaft, ist davor sicher. Der Zuschauer muss immer um seine Lieblingscharaktere fürchten. Autor George R. R. Martin selber fasste sein Konzept treffend in einem Interview mit dem US-Talkmaster Conan O’Brien zusammen: “Wir haben alle Filme gesehen, in denen der Held in der Klemme steckt – er ist von 20 Leuten umzingelt, aber man weiß, dass er davonkommen wird, weil er der Held ist. (…) Ich will, dass meine Leser und die Zuschauer Angst haben, wenn meine Charaktere in Gefahr sind. Ich will, dass sie sich davor fürchten, umzublättern, weil es der nächste Charakter nicht überleben könnte.”

Und George R. R. Martin hat kein Erbarmen mit seinen Fans. Fröhlich lässt er einen Lieblingscharakter nach dem anderen erstechen, verbrennen oder köpfen, und das gerne sehr detailliert und mit einer Extraportion Blut und Innereien. Denn nicht nur die Landschaften, Hierarchien und Ritter der Bücher erinnern ans finstere Mittelalter. Brutale Gewalt und sexuelle Exzesse sind die größten Steine, an denen sich Kritiker der Serie stoßen. Folter, Inzest, Vergewaltigungen und blutige Gemetzel sind elementarer Bestandteil der Intrigen und Schlachten um den Eisernen Thron. Bei soviel Nacktheit verwundert es kaum, dass einige der Charaktere in der Serie mit Akteuren aus der Erotikbranche besetzt wurden. Wie die deutsche Schauspielerin Sibel Kekilli, die vor ihrer Schauspielkarriere mehrere Erwachsenenfilme drehte. Sie spielt die Rolle von Shae, einer Prostituierten und Geliebten.

Ungewisses Ende

Aktuell gibt es fünf Bücher und mit der im April erschienenen fünften Staffel ist der Handlungsverlauf jetzt gleichauf. Obwohl noch kein Erscheinungsdatum für das nächste Buch angekündigt wurde, wird es nächstes Jahr trotzdem eine neue Staffel der Serie geben. Schon in den letzten Staffeln gab es kleinere Abweichungen von der Originalgeschichte. In der nächsten Staffel wird es dann ganz ohne eine Buchvorlage weitergehen.

Die Produzenten der Serie David Benioff und Daniel B. Weiss versichern aber, dass es trotzdem und in Absprache mit George R. R. Martin auf höchstem Niveau weitergehen wird. Die Serie ist keine Eins-zu-Eins-Kopie der Bücher, was den Suchtfaktor aber keinesfalls vermindert. So bleibt es auch für all diejenigen, die die Bücher bereits gelesen haben, spannend. Und umgekehrt können auch Serienfans beim nachträglichen Lesen der Bücher noch überrascht werden.

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Dunkle Gestalten und raue Sitten herrschen in Westeros.

La Noche de la Filosofía

El Cultural San Martín será escenario de diferentes actividades destinadas a favorecer el intercambio del pensamiento

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Desde las 19 horas del sábado, 27 de junio, hasta las 7 horas del domingo 28, se llevará a cabo la “Noche de la Filosofía” en el Cultural San Martín, Sarmiento 1551, Buenos Aires.

Organiza el Ministerio de Cultura de la Ciudad Autónoma de Buenos Aires en colaboración con la Embajada de Alemania y la Embajada de Francia en Argentina. Con el apoyo del Fondo de Cultura Franco-Alemán, el Servicio Alemán de Intercambio Académico (DAAD), el Goethe-Institut, la Alliance Française y el Institut Français.

La entrada es libre y gratuita hasta agotar la capacidad de las salas. Los eventos tienen traducción simultánea. Para algunas de las conferencias deberán retirarse entradas, que estarán disponibles desde las 17 horas del mismo 27 de junio en la boletería del Cultural San Martín.

Iniciada en París en 2010, la “Noche de la Filosofía” es un encuentro que ya hizo escala en Londres, Nueva York, Atenas, Berlín y Rabat. En 2015, llega a Buenos Aires. El evento propone un diálogo maratónico entre pensadores de diversas áreas y los habitantes de la ciudad: durante doce horas, el Cultural San Martín será escenario de diferentes actividades destinadas a favorecer el intercambio del pensamiento y la reflexión sobre temas diversos en el campo de las Humanidades.

Así, veinticuatro ­pensadores argentinos, siete franceses y otros siete alemanes se darán cita en una noche que busca acercarse a la fi­losofía no solo desde la palabra sino también desde la música, la performance, el cine y la gastronomía. De Alemania estarán presentes Ottmar Ette, Benjamin Lahusen, María Laura Böhm, Julia Weitbrecht, Susanne Klengel, Encarnación Gutiérrez Rodríguez y Joaquín Medina Warmburg.

Además, se proyectarán las películas “Hannah Arendt”, de Margarethe von Trotta, y “Noticias de la Antigüedad Ideológica”, de Alexander Kluge.

Ver programación completa de las ponencias.

Filme statt Bomben

Anlässlich des 70. Geburtstags des Filmemachers Rainer Werner Fassbinder zeigt der Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung “Fassbinder – JETZT”

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

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Auch 33 Jahre nach seinem Tod 1982 ist Rainer Werner Fassbinder immer noch aktuell. Die Faszination und Strahlkraft von Person und Werk haben bis heute nicht nachgelassen. Und: So einer wie er, der frei nach dem Motto “Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme” den Finger in die offenen Wunden der deutschen Geschichte und Gegenwart legt, der sein Publikum verstört, ja quält, um es gleich im nächsten Moment wieder grandios zu unterhalten, der fehlt in der heutigen, oft bloß noch auf Konsens, Quote und Marktgängigkeit ausgerichteten deutschen Kino- und Fernsehlandschaft.

Zu dieser Erkenntnis gelangt man bereits kurz nach dem Betreten der Ausstellung “Fassbinder – JETZT” im Berliner Martin-Gropius-Bau. Eine Videowand mit neun kurzen, aber prägnanten Ausschnitten aus Interviews und Talkshows stellt dem Ausstellungsbesucher den Menschen Fassbinder in all seiner Intensität, Freiheitsliebe, Selbststilisierung und Kompromisslosigkeit vor.

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Die vom Deutschen Filmmuseum in Frankfurt entwickelte Schau war dort bereits 2013 zu sehen. In Berlin, wo es jetzt anlässlich des 70. Geburtstags von Fassbinder am 31. Mai gezeigt wird, steht dem Projekt jedoch in den neun Räumen des Gropius-Baus doppelt so viel Fläche zur Verfügung wie zuvor Frankfurt. Gelegenheit also für die Macher der Schau, ein breites Spektrum an Exponaten zu zeigen. So ist ein ganzer Ausstellungsraum den aufwendigen Kreationen der Kostümbildnerin Barbara Baum gewidmet. Hanna Schygullas Silberlamé-Kleid aus dem Film “Lili Marleen” darf da ebensowenig fehlen wie der braune Wollanzug des einarmigen Franz Biberkopf aus “Berlin Alexanderplatz” oder die körperbetonten Matrosenuniformen aus “Querelle”.

fassbinder4Einen weiteren, allerdings nicht unbedeutenden Nebenschauplatz eröffnet die Schau mit Werken von zeitgenössischen Künstlern wie Olaf Metzel, Jeff Wall, Rirkrit Tiravanija oder Ming Wong. Fassbinders stark stilisierte Art der Blickführung, sein Umgang mit Licht, Kostümen und Verfremdungseffekten liefert bis heute auch bildenden Künstler wichtige Impulse für eigene Arbeiten. Der in Singapur geborene Berliner Videokünstler Ming Wong etwa mimt in seiner Videoparodie “Lerne Deutsch mit Petra von Kant” eine der vielen überspannten Frauenfiguren aus einem der frühen Fassbinder-Melodramen.

Im Mittelpunkt der Berliner Schau steht allerdings die Person Fassbinder selbst, der deutsche Filmemacher, der wohl am radikalsten die Machtverhältnisse in Zweierbeziehungen, Familien, der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und dem Staat seziert hat. Auratische Objekte wie seine schwarze Lederjacke, eine Sitzlandschaft, sein Flipperautomat oder seine Schreibmaschine befriedigen natürlich einen gewissen Voyeurismus. Daneben gibt es aber auch die Gelegenheit, inhaltlich tief einzusteigen: Filmausschnitte, Drehbücher, Briefe, der komplizierte Drehplan für “Berlin Alexanderplatz”, aber auch eine Audiostation mit Fassbinders Stimme beim Diktat machen nachvollziehbar, wie es dem permanent für seine Sache brennenden Filmemacher gelungen ist, in nur 16 produktiven Jahren 44 Filme zu realisieren, deren ästhetische und gesellschaftskritische Sprengkraft bis heute spürbar ist.

  • Ausstellung: Fassbinder – JETZT
  • Ort: Martin-Gropius-Bau, Berlin
  • Zeit: 6. Mai bis 23. August 2015. Mi-Mo 10-19 Uhr. Di geschlossen. An den Feiertagen geöffnet
  • Katalog: Hrsg. Deutsches Filminstitut, 304 S., zahlreiche Abb., 25 Euro
  • Internet: Webseite des Martin-Gropius-Baus, Webseite der Ausstellung

Fotos von oben nach unten:
Rainer Werner Fassbinder, 1970.
(Dt. Filminstitut/Gauhe)

Fassbinders Lederjacke und sein Trikot des FC Bayern München 1974.
(Klaas)

Fassbinders Flipper.
(Klaas)

Bis dass der Tod uns scheidet

In ganz Argentinien gingen die Menschen auf die Straße, um auf die steigende Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen

Von Meike Michelmann gen. Lohmann

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Chiara, Gabriela, Marta, Lola und so viele mehr – ihre Namen stehen für schreckliche Verbrechen an Frauen, die nur aufgrund ihres Geschlechts begangen wurden. Chiara Paéz, 14 Jahre alt aus der Region Santa Fe, erwartete ein Kind. Ihr 16-jähriger Freund ermordete sie und vergrub ihre Leiche im Garten seiner Familie. Gabriela Parrera, 42 Jahre alt, zu Tode geprügelt von einem Stalker. Die Leiche der 25-jährigen Marta wurde, schwer misshandelt, auf einer Brachfläche in Yerba Buena in der Provinz Tucumán gefunden.

Allein im letzten Jahr wurden in Argentinien laut der NGO “Casa del Encuentro” (CdE) 277 Morde an Frauen gemeldet. Bei der Polizei von Buenos Aires gingen zusätzlich knapp 170.000 Anzeigen über Gewalttaten gegen Frauen ein. “Die Dunkelziffer ist wohl noch deutlich höher”, beklagte die Direktorin von CdE, Fabiana Tuñez, in einem Interview mit der Zeitung La Nación. “Femicidios” oder auch “feminicidios” werden diese Arten der Gewaltverbrechen an Frauen im Spanischen genannt. Femizide, das in der deutschen Umgangssprache kaum gebräuchliche Äquivalent, beschreibt Morde an Frauen, die aufgrund von Hass und Verachtung gegenüber dem weiblichen Geschlecht sowie Machtdemonstration oder Besitzansprüchen, von männlichen Tätern verübt werden. Aber auch der Tod einer Frau durch fehlende oder schlechte medizinische Versorgung während der Geburt oder illegalen Abtreibungen werden als solche bezeichnet.

Jedes Jahr werden Tausende Frauen und Mädchen in Südamerika Opfer von Gewalt und das nur aus einem Grund – weil sie nicht als Mann, sondern als Frau geboren wurden. Dabei sterben in keinem anderen Land Südamerikas mehr Frauen als in Argentinien. Zieht man die Länder Zentralamerikas mit dazu, landet Argentinien auf dem fünften Platz. Angeführt wird das traurige Ranking von Mexiko, wo im Durchschnitt alle fünf Stunden eine Frau ermordet wird. Daneben gab es in den letzten Jahren nur in Guatemala, Costa Rica und der Dominikanischen Republik mehr gender-motivierte Morde an Frauen als in Argentinien. “Diese Zahlen spiegeln eine Gesellschaft wider, die beherrscht wird von machistischen Paradigmen, wo die Frau immer noch nur als ‘eine Sache, die man unterdrücken muss’, angesehen wird”, erklärte Tuñez im Gespräch mit La Nación.

Protestwelle breitet sich aus

In Argentinien haben die jüngsten und besonders grausamen Fälle von Femiziden eine Welle an Empörung und Protest ausgelöst. Seit dem Tod von Chiara Paéz vor einigen Wochen verbreitet sich der Hashtag #NiUnaMenos unaufhaltsam in den sozialen Netzwerken. Entstanden ist er aus der Parole “Ni una mujer menos! Ni una muerta más” (Nicht eine Frau weniger! Nicht eine Tote mehr!). Vor allem auf Twitter finden sich unter diesem Slogan Tausende Fotos von Unbekannten, aber auch Prominenten aus Sport, Kultur und Politik, die sich mit der Parole #NiUnaMenos oder dem ähnlichen #BastaDeFemicidios (Schluss mit den Frauenmorden) fotografieren lassen und so ihre Unterstützung im Kampf gegen gender-motivierte, aber auch jede andere Form von Gewalt deutlich machen. Und der Protest bewegt sich schon lange nicht mehr nur im virtuellen Raum. Am Mittwoch versammelten sich Zehntausende Menschen auf der Plaza de Congreso in Buenos Aires, um ihrer Wut und Trauer Luft zu machen.

Organisiert von Journalistinnen wie Ingrid Beck, Herausgeberin der Zeitung “Barcelona”, und der NGO “La Casa del Encuentro” zog der Protestmarsch durch die Stadt. Darunter viele Frauen und Männer jeden Alters und aus allen sozialen Schichten, Organisationen, Vereine, Künstler und Parteien. “Für alle, die jetzt hier sind! Für alle, die nicht mehr hier sein können! Wir kämpfen für Euch!”, immer und immer wieder schreien knapp vierzig in lila Gewänder gehüllte Frauen, die sich im Gleichschritt und mit ernstem Blick dem Protestmarsch anschließen, diese Parole. Zwischen den Menschenmassen sieht man auch immer wieder Demonstranten, die Fotos von getöteten Angehörigen oder Freunden in die Höhe halten. Dazwischen auch eine ältere Frau mit grauem Haar und leuchtend rotem Mantel, die sich an ein Foto von einer jungen Frau klammert: “Meine Tochter wurde von ihrem Ehemann geschlagen, aber sie hat ihn immer wieder in Schutz genommen”, erzählt Analía Iglesias und zeigt auf das Foto ihrer toten Tochter. “Ich bin heute hier, um anderen Frauen Mut zu machen, sich zu wehren.”

Nicht nur in Buenos Aires gingen die Menschen auf die Straße, auch in Rosario, Tucumán und vielen anderen Städten gab es lautstarke Protestmärsche. Damit wollten die Demonstranten nicht nur auf die getöteten Frauen aufmerksam machen, sondern auch ein Zeichen an die Politik senden.

Zwar gibt es bereits seit 2010 das Gesetz Nr. 26.485, das einen besseren Schutz der Frauen vor Gewalt sowie effektivere Prävention und Bestrafungen der Täter gewährleisten soll. Laut Organisationen wie CdE werden diese Gesetzesänderungen aber bis heute kaum angewendet. Die Menschen auf der Plaza fordern, dass die im Gesetz festgelegten Punkte auch umgesetzt werden. “Solange die Gesetze nur auf dem Papier stehen, aber nicht dafür gesorgt wird, dass sie auch im täglichen Leben angewendet werden, bringen sie den betroffenen Frauen gar nichts”, sagt die Vorsitzende der Organisation “Amigos del Alma”, Marilina Villarejo. Daneben fordern die Demonstranten einen besseren Umgang der Justiz mit den Opfern und eine staatliche Erfassung von Femiziden. Auch eine bessere Aufklärung über Sexualität und Geschlechterrollen steht auf der Agenda, denn nur so könne ein Wandel in den Köpfen vieler Menschen bewirkt werden, um gender-motivierter Gewalt vorzubeugen.

Fehlende Zufluchtsorte

Als Vorsitzende von “Amigos del Alma” (AdA), einer Organisation, die sich gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder einsetzt, kennt Marilina Villarejo viele dieser Probleme aus der Praxis: “Nur wenige Frauen haben den Mut, ihre Peiniger anzuzeigen, und wenn sie es dann doch tun, heißt das nicht, dass automatisch alles gut wird.” Nach der Anzeige stellt sich oft die Frage, wie es danach für die Frauen weitergeht. Oft kommen die Täter nicht ins Gefängnis, und die Frauen können nicht zurück nach Hause, ohne sich wieder in Gefahr zu begeben. Wenn sie dann keine anderen Verwandten haben, die sie und in den meisten Fällen auch ihre Kinder aufnehmen können, stehen sie oft auf der Straße. Staatliche Hilfsangebote oder Unterkünfte gibt es in Argentinien kaum. Für einige dieser Frauen und Kinder bietet “Amigos del Alma” einen Zufluchtsort.

Der 2003 gegründete Verein betreibt seit 2013 ein Frauenhaus in Pilar nördlich von Buenos Aires. Zehn Jahre haben die Mitglieder von AdA gebraucht, um die finanziellen Mittel und genügend Unterstützung für den Bau der “Casa de Abrigo” zu sammeln. Abseits vom Stadtzentrum und durch hohe Mauer geschützt steht das Haus, das bereits mehr als 100 Frauen und Kinder in Notsituationen aufgenommen hat. Die meisten bleiben ein bis zwei Monate, maximal aber 90 Tage. “Das ist nicht viel Zeit, um sich von dem Erlebten zu erholen, aber wir hoffen immer, ihnen zumindest die Basis für eine bessere Zukunft mitgeben zu können”, erzählt Marilina Villarejo. Vor Ort kümmern sich Psychologen und Sozialarbeiter um die teils stark traumatisierten Frauen und Kinder. Die meisten haben nie erlebt, was Liebe und Zuneigung eigentlich bedeutet. Aufgewachsen in einem Umfeld, in dem Schläge zum normalen Tagesablauf gehören und soziale Strukturen oft kaum vorhanden sind, erleben sie dort zum ersten Mal, was es bedeutet, friedlich zusammenzuleben.

Liebe muss gelernt werden

Durch ihre Arbeit bei Ada kann die Mutter von drei Töchtern viele traurige Geschichten erzählen. So wie die des achtjährigen Marcos und seiner vier jüngeren Geschwister, die in die Unterkunft kamen, weil ihren Eltern das Sorgerecht entzogen wurde. Als Ältester kümmerte sich Marcos um seine jüngeren Geschwistern, schaute, dass sie genug aßen und es ihnen gut ging. In der ersten Nacht brachten die Betreuerinnen die Kinder zu Bett. Ein paar Stunden später hörten sie, dass die Kinder weinten. Als sie nachfragten, was los sei, antwortete Marcos, er habe seine Geschwister geschlagen, weil sie nicht schlafen wollten. Das hätten ihre Eltern auch immer so gemacht, wenn sie keine Ruhe geben wollten. “Und genauso ist es bei vielen der Frauen, die hierher kommen, sie müssen erst einmal lernen, was Liebe ist, und dass Schläge und Demütigungen nichts mit Zuneigung und dem Interesse am Anderen zu tun haben”, erklärt Marilina Villarejo ruhig.

“Auch wenn wir nur sehr wenigen betroffenen Frauen helfen können, so ist doch jede kleine Erfolgsgeschichte eine Bestätigung für unsere Arbeit”, sagt sie und lächelt leicht. Ihre Organisation würde gerne noch mehr Orte wie die “Casa de Abrigo” eröffnen, um mehr Frauen zu helfen. Dafür reichen aber weder die finanziellen noch die menschlichen Ressourcen. “Das große öffentliche Echo, das #NiUnaMenos erzeugt hat, lässt uns hoffen, dass nicht nur die Politik endlich etwas tut, sondern dass sich vor allem etwas in den Köpfen der Menschen verändert und in Zukunft keine Frau, kein Kind und kein Mann mehr einen Zufluchtsort vor Gewalt suchen muss.”

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Allein vor dem Parlament in Buenos Aires forderten mehr als 150.000 Menschen am Mittwoch einen besseren Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt.