“Ich will mich beim Schreiben selber überraschen lassen”

Interview mit dem deutschen Schriftsteller Sebastian Fitzek nach seiner Lesung auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires

Von Susanne Franz

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Mit seinen spannenden Psychothrillern hat der deutsche Schriftsteller Sebastian Fitzek sich eine globale Fangemeinschaft geschaffen: 12 Millionen Bücher hat er weltweit verkauft. Auf Einladung seines spanischen Verlages “Ediciones B” hielt Fitzek am 26. April eine Lesung auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires. Sie war ein voller Erfolg: der deutsche Bestsellerautor wurde von seinen Lesern begeistert gefeiert und signierte im Anschluss an die Veranstaltung stundenlang seine Bücher. Wieviel Freude ihm die Begegnung mit seinen argentinischen Fans gemacht hat, erzählte er in einem Interview am 28. April, eine halbe Stunde vor seiner Rückreise.

SF: Sie haben in Argentinien glühende Fans. Wussten Sie das vorher? Oder waren Sie überrascht von dieser Verehrung und Wärme, mit der Sie hier empfangen wurden?

Sebastian Fitzek: Ich war völlig überrascht. In den Anfängen in Deutschland kamen fünf oder zehn, gut, vielleicht zwanzig Leute zu einer Lesung, und sie waren eher reserviert, so wie die Deutschen eben manchmal sind, wenn sie einen noch nicht kennen. Und hier war ein Saal mit über 200 Menschen, alle sehr enthusiastisch, sehr warmherzig. Ich hatte mir schon gedacht, dass die, auf die ich treffe, dass das sehr emotional sein wird, denn mich erreichen sehr sehr viele E-Mails aus Argentinien, die auch sehr enthusiastisch sind, und es macht unglaublich viel Spaß, mit den Lesern in Kontakt zu treten. Dass die Lesung aber so eine Resonanz haben würde, das hat mich völlig überwältigt.

Als Schriftsteller hat man ja in der Regel keinen Applaus, sondern man schreibt für sich im stillen Kämmerchen und dann wird es veröffentlicht. Und das ist tatsächlich etwas, wo man dann auch ein Feedback bekommt und seine Leser kennenlernt. Es gibt nichts Schöneres.

SF: Wieviel Zeit wenden Sie ungefähr auf für Zuschriften und dafür, sich in den sozialen Netzwerken zu bewegen, um sich mit Ihren Fans zu unterhalten?

Sebastian Fitzek: Also, das ist ungefähr eine Stunde am Tag, die man sich tatsächlich dafür freinehmen muss. Es ist ein bisschen leichter geworden durch die sozialen Netzwerke, zum Beispiel schreibt bei Facebook einer “Wann bist Du denn in Buenos Aires?”, und dann antwortet schon ein anderer, bevor ich überhaupt die Möglichkeit habe. Das heißt, einiges verwaltet sich auch selbst. Aber eine Stunde am Tag muss man schon aufwenden.

SF: Also die Fans kommunizieren auch untereinander…

Sebastian Fitzek: Genau, oder sie verabreden sich zur Messe und helfen sich untereinander, da haben sich schon viele Freundschaften gebildet. Und auch das ist sehr schön, dass man da erlebt, wie Bücher verbinden können.

SF: Auf Ihrer Facebookseite stand, dass Sie sich nach kurzem Nachdenken entschieden haben, nach Buenos Aires zu kommen, obwohl Sie sich gerade in einer Schreibphase befinden. Sind Sie oft so spontan?

Sebastian Fitzek: Das war für mich gar keine Frage. Ich war noch nie in Südamerika vorher, noch nie in Buenos Aires. Ich habe die Gelegenheit natürlich sofort ergriffen, man wird ja nicht alle Tage eingeladen, das ist ja eine große Ehre, dass man überhaupt als deutscher Autor hierher kommen darf.

SF: Sie haben bei der Lesung Ihren Fans Tipps gegeben, was sie beachten sollen, wenn sie selbst schreiben wollen. Stimmt das wirklich, dass man den ersten Entwurf wegschmeißen sollte?

Sebastian Fitzek: Ich glaube, das war Hemingway, der gesagt hat: Der erste Entwurf ist immer Mist! Die Geschichte steht und fällt mit der Bearbeitung, und hier ist ein gutes Lektorat extrem wichtig. Wobei das nicht heißt, dass jemand anderes einem hereinredet und sagt “Veränder das mal”, sondern ein gutes Lektorat ist wie eine Hebamme, die einem hilft, dass das Buch “zur Welt kommt”. Es stellt die richtigen Fragen, auf die man dann eventuell noch reagieren kann.

SF: In Ihrem Roman “Noah”, den Sie hier vorgestellt haben, geht es um Überbevölkerung und knapp werdende Ressourcen für die Menschheit. Glauben Sie, dass unser Planet kurz vor einer solchen Katastrophe steht? Welche Schritte müsste man schnell unternehmen, um dem entgegenzurudern?

Sebastian Fitzek: Kurz vor einer Katastrophe, so würde ich das nicht bezeichnen, aber wir steuern schon auf äußerst ungemütliche Zeiten zu. Schnell ändern geht da gar nicht, sondern mit kleinen Schritten muss etwas geändert werden. Das ist ähnlich wie eine Diät, man kann auch nicht schnell 50 Kilo in drei Tagen verlieren, die man sich über Jahrzehnte vielleicht zuviel angefuttert hat.

Wir können das Rad nicht sofort wieder zurückdrehen, es ist aber tatsächlich so, dass wir – und mit “wir” meine ich vor allen Dingen die Europäer und die Amerikaner – über unsere Verhältnisse leben und dass man da eben etwas machen muss.

Tatsächlich ist das Problem, dass der Mensch sehr sehr anpassungsfähig ist. Wir sind ein bisschen so wie der Frosch, der im heißen Wasser sitzen bleibt und nicht merkt, dass es immer heißer wird. An viele Sachen haben wir uns halt unglaublich schnell gewöhnt, beispielsweise Menschen, die direkt an der Autobahn wohnen, hören irgendwann den Krach der Autobahn nicht mehr. Und Menschen, die im Smog leben, merken nicht, dass die Luft immer schlechter wird.

Es ist so, dass uns entweder Katastrophen dazu zwingen werden, unser Verhalten zu ändern, oder wir erkennen eben frühzeitig, dass wir vielleicht einige Schritte einleiten. Und wir sollten wenig Zeit verlieren, um darüber zu sprechen. Beispielsweise durfte ich jetzt hier in Argentinien erleben, dass das Wetter unnatürlich heiß war für die Jahreszeit. Wir können natürlich unsere Zeit damit verschwenden, zu diskutieren, gibt es den Klimawandel oder nicht, oder wir könnten einfach sagen, wenn der Klimawandel wirklich kommt, dann wäre das eine Katastrophe, lasst uns jetzt lieber etwas tun, damit er nicht einsetzt.

Ich muss natürlich dazusagen, dass das sehr schwierig ist, es ist tatsächlich aus der Situation eines privilegierten Autors sehr leicht zu sagen, man muss etwas ändern, während es auf der anderen Seite beispielsweise auch in Deutschland Familien gibt, die mit jedem Pfennig rechnen müssen und die eben nicht sagen können, ich achte jetzt überall darauf, dass ich einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck hinterlasse.

Auch ich habe durch meinen Langstreckenflug nach Buenos Aires das Klima natürlich belastet, und deswegen habe ich auch dieses Buch nicht mit einem erhobenen Zeigefinger geschrieben, sondern eben auch um aufzuzeigen, wie schwierig es ist in unserem gegenwärtigen System, hier etwas zu verändern.

Aber es gibt eben einige Maßnahmen. Beispielsweise ist in Deutschland ein ganz großes Problem, dass Lebensmittel immer dann weggeschmissen werden, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. “Mindesthaltbarkeit” sagt aber eigentlich nur aus, dass es mindestens bis dahin haltbar ist; und man kann es eigentlich noch problemlos essen. Das ist eine unglaubliche Ressourcenverschwendung.

Plastiktüten sind ein großes Problem für unseren Planeten, wenn man die nicht mehr benutzt, tut man schon sehr viel. Und da gibt es viele kleine Schritte, die man unternehmen kann. Die großen Schritte allerdings, die erfordern auch ein Umdenken in der Politik und in der Wirtschaft.

SF: Sie haben 2006 mit “Die Therapie” einen sehr großen Bestsellererfolg gehabt. Seitdem schreiben Sie jedes Jahr ein Buch, und auch immer ein Erfolgsbuch. Was ist Ihr Geheimnis?

Sebastian Fitzek (lacht): Man kann es ganz offen sagen: Wenn man sich einmal etabliert hat, dann hat man natürlich eine Fangemeinschaft, und das ist wesentlich einfacher, als wenn man jedesmal unter einem neuen Namen starten würde. Zum Beispiel als Stephen King es als Richard Bachman probiert hat, war er auch erst einmal nicht mehr so erfolgreich, bis dann rauskam, dass es Stephen King war. Also hat man natürlich einen Kredit. Ich bin aber immer sehr nervös vor Veröffentlichungen, weil es eben keine Bestsellerformel gibt und der Geschmack am Ende entscheidet. Man muss sich deswegen – und das ist auch ein Tipp für alle angehenden Autoren – völlig loslösen davon zu sagen «Was könnte denn dem Leser gefallen?”, weil den Leser oder die Leserin gibt es gar nicht. Das hat man ja auch an den unterschiedlichen Menschen gesehen, die hier auf der Lesung waren. Man kann sich eigentlich nur die Frage stellen “Gefällt mir das Buch?”, “Mag ich das?”, “Würde ich das lesen?”, “Kann ich da 100% dahinterstehen?”. Wenn das der Fall ist, dann kann man das Buch auf die Reise lassen in der Hoffnung, dass es auch anderen gefällt.

SF: Sie waren Journalist und haben auf der Lesung erzählt, dass Sie mit Anfang/Mitte 30 gemerkt haben, dass Ihnen der Beruf keinen Spaß mehr macht. Deswegen seien Sie Autor geworden.

Sebastian Fitzek: Der Beruf in einer bestimmten Ausprägung. Damals war ich sehr viel unterwegs und habe für Radiostationen als Berater gearbeitet, und da war ich eigentlich für nichts verantwortlich. Ich wollte dann wieder etwas haben, wofür ich verantwortlich bin, wo ich am Ende des Tages sagen kann “Das habe ich gemacht”, im Guten wie im Schlechten. Es ist häufig, dass Schriftsteller aus beruflicher Unzufriedenheit heraus anfangen, gut zu werden. Bei John Grisham war es genauso, er hat seinen Beruf als Anwalt gehasst und hat dann flammende Justizromane geschrieben. Das ist vielleicht gar kein schlechtes Rezept.

SF: Sie sind promovierter Jurist und spezialisiert auf Urheberrecht. Es hat mich überrascht, dass Ihr Gesprächspartner auf der Messe, Máximo Soto, sagte, eines Ihrer Bücher, das auf Spanisch übersetzt ist, das es aber nur in Spanien gibt, könnte man sich ja als Raubkopie besorgen.

Sebastian Fitzek: Zunächst einmal ist er jemand, der auch sehr stark für Urheberrechte gekämpft hat als Journalist. Das war mit einem Augenzwinkern gemeint.

Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass die wenigsten Menschen wirklich etwas Kriminelles tun wollen, sondern wenn sie sich eine Raubkopie ziehen, dann nur dann, weil sie es auf einem anderen Wege nicht legal oder nur sehr kompliziert bekommen. Und wenn das Buch beispielsweise hier nicht erhältlich ist, dann müsste man dafür sorgen, dass es legal zu bekommen ist, um die Leute nicht dazu zu bringen.

Ich sehe dieses Problem von Raubkopien nicht so wahnsinnig kritisch, ich will nicht auf diejenigen zeigen, die sich das runterladen. Ich sehe eine andere Sache eher kritisch, nämlich dass die Leute, die diese Plattformen zur Verfügung stellen, oftmals Multimillionäre sind. Und wenn es dann dazu kommt, dass die Urheber, z.B. in der Musikindustrie, nicht mehr von ihren Werken leben können, aber einige Multimillionäre, denen große Tauschbörsen und Firmen gehören, mit kriminellen Machenschaften reich werden, das ist dann etwas, wo ich sage, da muss man den Riegel vorschieben.

Oftmals wissen die Leute, die sich eine Raubkopie holen, gar nicht, wen sie damit unterstützen. Sie denken, das ist kostenlos, aber tatsächlich müssen sie sich einen Computer kaufen, sie brauchen eine Software, und da stehen viele viele große namhafte Konzerne dahinter, die an diesem Problem der Raubkopien ebenfalls verdienen.

SF: Sie haben bei der Lesung gesagt, dass die Hauptperson Ihrer Bücher jeweils ungefähr ab Seite 80 anfängt, “das Kommando zu übernehmen”. Ist Ihnen das nicht etwas unheimlich?

Sebastian Fitzek: Im Gegenteil, ich warte darauf! Für mich ist das tatsächlich ein Zeichen – hat sie das Kommando übernommen, dann “lebt” sie, dann ist es eine – für mich zumindest – reale Figur. Wohingegen, wenn sie ab Seite 100 immer noch das macht, was ich ihr sage, ist es eher eine Reißbrettfigur, die nichts an Leben hat. Für mich ist es wirklich ein gutes Zeichen, wenn ich mich selber darauf freue zu sehen, was erlebt diese Figur eigentlich heute. Ich habe ein grobes Bild, ich vergleiche das immer mit einer Kohlezeichnung, aber ausgemalt wird sie beim Schreiben.

Es gibt Autoren, die haben ganz detaillierte Exposés , die haben 100/120 Seiten Zusammenfassung geschrieben über ihr Buch, die haben Interviews geführt mit ihren Hauptdarstellern, die wissen also ganz genau jedes kleinste Detail vom Lebenslauf dieser Figuren und schreiben das dann nur noch runter. So könnte ich nicht arbeiten. Das ist bewundernswert, das ist bestimmt auch klug in bestimmten Punkten, aber das Schreiben wäre dann reine Arbeit, es wäre kein Vergnügen.

Ich habe mich ja lange gescheut, überhaupt zu schreiben, weil ich den Prozess des Schreibens für so anstrengend hielt. Ich habe natürlich einen groben Leitfaden, so 20 Seiten, ich weiß auch ungefähr, worauf ich hinaussteuere, ich habe einige Szenen, auf die ich mich freue. Und in der Mitte habe ich viele weiße Felder, die beim Schreiben gefüllt werden. Vielleicht muss ich auch deswegen mehr noch überarbeiten vom ersten, zweiten, dritten Entwurf als vielleicht andere, die auch mit dem Lektorat schon ihren Entwurf so durchgekaut haben. Bei mir ist es anders. Ich will mich beim Schreiben selber überraschen lassen.

SF: Sie haben drei kleine Kinder, sind die mit Ihnen nach Argentinien gereist?

Sebastian Fitzek: Nein, die sind ein bisschen zu klein für so einen Kurztrip, wir sind ja nur vier Tage unterwegs gewesen. Wir wurden auf dem Weg auch noch in Rio de Janeiro aufgehalten, wegen des Vulkanausbruchs in Chile, sind also zu spät hier angekommen. Ich war heilfroh, dass wir diesen Termin am Sonntag auf der Buchmesse wahren konnten. Das wäre für die kleinen Kinder – die sind nämlich eineinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Jahre alt – ein bisschen zu anstrengend gewesen. Wenn sie größer sind, wenn ich noch mal eingeladen werden sollte oder privat hierhin komme, dann kommen sie mit, das habe ich auch mit meiner Frau schon besprochen.

SF: Es hat Ihnen gut gefallen hier.

Sebastian Fitzek: Als Europäer, als Deutscher hatte ich schon ein etwas falsches Image von Buenos Aires und Argentinien. In jedem Reiseführer wird gewarnt vor der hohen Kriminalität. Sicherlich gibt es das auch, gar keine Frage, aber alles, was wir erlebt haben, war einfach warm, freundlich, ich habe selten selten so freundliche Menschen erlebt, und ich meine nicht nur bei der Lesung, das war überwältigend, aber auch sonst, überall, wo man hingeht.

SF: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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Sebastian Fitzek stellte in Buenos Aires seinen Roman “Noah” vor.
(Foto: FinPic München)

Bundesverdienstkreuz für Roberto Schopflocher

Der argentinisch-deutsche Schriftsteller und Dichter Roberto Schopflocher wurde in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschand in Buenos Aires mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet

schopflocher_embajadorAm 30. April ist der argentinisch-deutsche Schriftsteller und Dichter Roberto Schopflocher in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschand in Buenos Aires mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet worden. Mit der Ehrung würdigte Bundespräsident Joachim Gauck die großen Verdienste Schopflochers um die argentinisch-deutschen Beziehungen, besonders im kulturellen und literarischen Bereich. Botschafter Bernhard Graf von Waldersee nahm die Ehrung vor. Roberto Schopflocher begleiteten seine Frau, Kinder, Enkel und enge Freunde.

Durch sein Schreiben in Spanisch und seit vielen Jahren hauptsächlich in Deutsch baute und baut Roberto Schopflocher, der 1923 in Fürth geboren wurde, 1937 mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten fliehen musste und in Argentinien eine neue Heimat fand. eine Brücke des Verständnisses zwischen beiden Kulturen.

In seiner Rede sagte der Botschafter: “In Ihrer Kindheit und Jugend in Deutschland mussten Sie die Diskriminierung und den Rassenhass der Nationalsozialisten aus eigener Hand erfahren. Im April 1937 gelang Ihrer Familie die Flucht nach Argentinien, wo Sie sich nach einem Ausflug in die Landwirtschaft in Córdoba schließlich in Buenos Aires niederließen und im väterlichen Chemiebetrieb tätig waren. Erste erfolgreiche Veröffentlichungen – von landwirtschaftlichen Fachbüchern – ließen aber bereits damals erahnen, dass Ihre wahre Leidenschaft in einem ganz anderen Bereich zu finden war. 1980 wandten Sie sich dann ganz dem Schreiben zu, ihrer “wirklichen Berufung”, wie Sie einmal sagten. Sie veröffentlichten zunächst in spanischer Sprache. Neben vielen anderen Ehrungen wurde Ihnen dafür als erstem nicht in Argentinien geborenen Autor der Dritte Literaturpreis der Stadt Buenos Aires verliehen.

1995 begannen Sie, auch auf Deutsch zu schreiben und zu veröffentlichen. Das wird ein wichtiger Schritt für Sie gewesen sein. Mit “Erzählungen aus Argentinien” brachten Sie dem Publikum in Deutschland die ganze Vielfalt dieses wunderschönen Landes näher. “Wahlheimat und Heimatwahl” wirft schon im Titel die Frage nach der Heimat der Emigranten auf – eine Frage, deren Aufarbeitung Sie sich immer wieder gewidmet haben.

Christian Schmidt, heute deutscher Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, hat einmal in Ihrer Heimatstadt Fürth in einem Grußwort für Sie sehr schön ausgedrückt, dass Sie nach seinem Eindruck “gleich mehrere Heimaten erlebt” haben.

Als Vertreter Deutschlands in Argentinien betrifft mich vor allem: Ihrer deutschen Heimat beraubt, haben Sie sie doch nie aufgegeben.

Auch Ihr deutschsprachiges Werk wurde ausgezeichnet, als Ihnen 2008 von Fürth der Jakob-Wassermann-Literaturpreis verliehen wurde. Bei Ihrer Laudatio hat Professor Och damals herausgearbeitet, wie Sie – in einer Reihe mit anderen großen Emigranten – sich dem Erbe der Aufklärung verpflichtet fühlen. Ihre 2010 erschienenen “Lebenserinnerungen” heißen “Weit von wo. Leben zwischen drei Welten”. Haben Sie wirklich “zwischen” den Welten gelebt? Oder auch vielleicht eher “in” ihnen: als Deutscher, Jude und Argentinier? Auf jeden Fall aber haben Sie durch Ihr Leben und Ihre Erzählungen und Romane es erreicht, Deutschland, Argentinien und jüdischen Glauben, jüdische Identität auf ganz besondere Weise zu verbinden. Und aus diesem Blickwinkel vergleichen, untersuchen und bewerten Sie, stets uneitel und immer der Toleranz der Gerechtigkeit verpflichtet. “Wir wollen den Fluch in Segen verwandeln” – dieses Wort aus der von Ihnen mit herausgegebenen Autobiographie von drei Generationen der jüdischen Familie Neumeyer haben Sie nicht zufällig zum Titel dieses Buches gemacht.

Lieber Herr Schopflocher: mit Ihrem literarischen Werk, mit Ihrem Lebenswerk und zugleich in Ihrem aktiven und bis heute unermüdlichen Einsatz für die Vermittlung und das Verständnis deutscher Sprache und Kultur, vor allem hier in Argentinien, haben Sie in überzeugender Weise das Ansehen und den Ruf Deutschlands gemehrt und sich besondere Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland erworben. Daher hat Sie Bundespräsident Joachim Gauck mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Ich habe heute die große Freude und Ehre, diese Auszeichnung im Namen des Herrn Bundespräsidenten zu überreichen und möchte Ihnen dazu erneut sehr herzlich gratulieren.”

Roberto Schopflocher bedankte sich mit den Worten: “Diese hohe Auszeichnung ruft nicht zuletzt die Hoffung in mir wach, dass ich nicht ganz umsonst auf dieser Welt wandelte, sondern meinen bescheidenen Beitrag geleistet habe, um diese ein klein wenig besser zu verstehen.

Ich empfinde mich als ein Glied der Generationenkette, die die Vergangenheit mit der Zukunft verbindet. Gleichzeitig erfüllt mich das Bewusstsein, dass es nicht nur das von den Vorfahren übermittelte Erbe ist, sonderrn nicht weniger die Umwelt, die mich von Kindesbeinen an geprägt hat. Wie sollte es auch anders sein? Habe ich doch meine Urheimat, das fränkische Fürth, in der Tiefe meines Inneren trotz der noch immer unfassbaren Schrecknisse des 20. Jahrhunderts nie ganz verlassen. Und somit sehe ich mich nicht nur als einen der Zeitgenossen, die vom letzten Schimmer der kurzen Blütezeit profitierten, die das sich gegenseitig befruchtenden deutsch-jüdische Bürgertum ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet hat, wenn freilich auch auf schwankendem Untergrund. Sondern ich bin auch einer der dankbaren Zeugen, die den guten Willen der unbelasteten Nachkriegsgenerationen und den Kniefall Willy Brandts erleben durften.

Dabei kann ich allerdings meinen seelischen Zwiespalt nicht verleugnen, den ich, der ich seit 1937 in Argentinien lebe, bereits vor Jahren in folgendem Gedicht zum Ausdruck brachte, das in meinem Lyrikband “Hintergedanken” zu finden ist:

GESTÄNDNIS

Seit über sechzig Jahren
in Argentinien, aber
beim Worte ‘Baum’
fällt mir zunächst und noch immer
die Dorflinde Rannas ein,
in der Fränkischen Schweiz,
gelegentlich auch eine Eiche,
eine Kiefer oder ein Tannenbaum;
nie dagegen oder doch nur selten
ein Ombú der Pampa,
ein Paraíso in Entre Ríos
ein Ñandubay, Lapacho oder Algarrobo,
wie sich’s doch geziemen würde
schon aus Dankbarkeit
dem lebensrettenden Land gegenüber.

Aber ‘Frühling’ bedeutet mir noch immer
Mörikes blau flatterndes Band.
Schiller, Goethe und die Romantik,
Jugendstil, Bauhaus und Expressionismus,
prägten mir ihren Siegel auf,
nicht weniger wie der deutsche Wald,
der deutsche Professor
oder der jüdische Religionsunterricht –
wohlgemerkt: der der letzten Zwanziger-,
der ersten Dreißigerjahre.

Ja, selbst der fragwürdige Struwwelpeter,
Karl May, Hauff, die Grimm’schen Märchen
oder Max und Moritz, diese beiden,
rumoren weiter in mir
und lassen sich nicht ausrotten.
Nun ja: Leider! Trotz alledem.
Oder etwa Gottseidank?

Und wo liegt es nun, mein Vaterland?

Wo aber liegt mein Vaterland? Elie Wiesel zitiert den Rabbi Nachman aus Brazlaw, einen Urenkel des Mystikers und Begründer des Chassidismus Baal Schem Tow: “An irgend einem Ort lebt ein Mensch der eine Frage aufwirft, auf die es keine Antwort gibt. Eine Generation später, an einem ganz anderen Ort, lebt ein Mensch, der auch eine Frage stellt, auf die es ebenfalls keine Antwort gibt – und er weiß nicht, kann es gar nicht wissen -, dass seine Frage in Wirklichkeit eine Antwort auf die erstere darstellt.”

Gestatten Sie mir, dass ich diese Überlegung, der ich nichts hinzuzufügen habe, im Raum stehen lasse. Und nehmen Sie, sehr verehrter Herr Botschafter, und durch Sie die von Ihnen vertretene Bundesrepublik Deutschland nochmals meinen tiefempfundenen Dank für diese unerwartete Auszeichnung entgegen, deren vielfache Bedeutung mir und meiner Familie voll bewusst ist.”

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Foto oben:
Roberto Schopflocher (links) und der deutsche Botschafter Bernhard Graf von Waldersee.

Foto unten:
Roberto Schopflocher im Kreise seiner Familie und mit Botschafter von Waldersee.
(Fotos: Deutsche Botschaft)

Deutsche Gäste auf der Buchmesse

Lesungen der Autoren Sebastian Fitzek und Kristof Magnusson

Von Susanne Franz

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Einen deutschen Stand sucht man in diesem Jahr auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires vergeblich. Doch dafür gab es bereits an den ersten Messetagen schon einige Gäste aus Alemania. Wie jedes Jahr besuchte Jürgen Boos, der Leiter der weltgrößten Bücherschau, der Frankfurter Buchmesse, die “Feria del Libro” in Argentiniens Hauptstadt. Am zweiten Messetag, dem 24. April, fand eine Lesung des deutschen Autors Kristof Magnusson statt, den wir schon in einem Interview vorgestellt haben. Und am Sonntag beglückte der deutsche Bestsellerautor Sebastian Fitzek, der wegen seiner psychologischen Thriller der “Stephen King Deutschlands” genannt wird, seine Fans in Argentinien. Fitzek, der 12 Millionen Bücher weltweit verkauft hat, schrieb bisher 11 Bücher, 5 davon sind ins Spanische übersetzt. Viele seiner Fans hatten alle dabei, als es nach der Lesung ans Signieren ging.

Magnusson im Gespräch mit Ariel Magnus

Von den Büchern Kristof Magnussons, der auf Einladung der deutschen Botschaft und des Goethe-Instituts auf der Buchmesse weilte, gibt es bisher noch keine Übersetzungen ins Spanische. Allerdings ist der Autor in Verhandlungen über eine mögliche Übersetzung seines jüngsten Werkes “Arztroman”, das er im Gespräch mit dem argentinischen Schriftsteller und Journalisten Ariel Magnus am Freitagabend vorstellte. Leider hatten nur wenige Leute den Weg in den Alfonsina-Storni-Saal gefunden, was auch daran gelegen haben mag, dass zeitgleich eine Veranstaltung des in Argentinien hoch angesehenen Spaniers Arturo Pérez-Reverte, der die Messe am Vortag eröffnet hatte, stattfand.

Für die Anwesenden war es ein schöner und bereichernder Abend. Ariel Magnus las einige Stellen aus dem “Arztroman”, die er ins Spanische übertragen hatte, und stellte Kristof Magnusson im Anschluss Fragen. Auch das Publikum wollte einiges von ihm wissen, über den Unterschied im Schreiben als Autor von Theaterstücken bzw. Romanen oder wie er sich im Chaos der Neu-Publikationen zurechtfindet. “Ich lese oft Bücher, die mir Freunde empfehlen“, sagte Magnusson dazu. „Das hat auch den Vorteil, dass ich im Anschluss jemanden habe, mit dem ich über das Buch sprechen kann.” Der Halb-Isländer verriet auch, dass er als Übersetzer ein besserer Mensch sei denn als Autor. “Als Übersetzer muss ich die Charaktere und die Umstände, die ich vorfinde, so hinnehmen und akzeptieren, wie sie sind“, sagte er. „Wenn ich selbst schreibe, streiche ich auch schon mal eine Person ganz raus – ich bin also dann eher ein Menschenfeind.”

Fitzek wurde von seinen Fans gefeiert

Sebastian Fitzeks Lesung am Sonntag um 16 Uhr war auf Englisch. Der Literaturkritiker Máximo Soto, Fitzeks Gesprächspartner, hatte sich im Vorfeld Sorgen wegen des Termins gemacht, da an diesem Tag die Vorwahlen in der Hauptstadt stattfanden. “Aber dann habe ich in den sozialen Netzwerken EUCH gesehen”, sagte er mit Blick auf das durchweg junge, zahlreich erschienene Publikum im Victoria-Ocampo-Saal, das sich vor Aufregung kaum auf den Sitzen halten konnte. “Und da wusste ich, die Veranstaltung würde ein Knaller!” Wurde sie, denn Sebastian Fitzek hat glühende Fans in Argentinien. “Sebastian, Du inspirierst mich!” – “Danke für Deine Bücher!” – “Danke, dass Du endlich einmal nach Argentinien gekommen bist!” – “Wann erscheint Dein nächstes Buch (“Pasajero 23″) in Argentinien?” Auf die Antwort “Im Dezember” folgte großer Jubel im Publikum. “Schreibst Du gerade etwas Neues?” “Ja”, sagte Fitzek und machte den Zuhörern auch gleich den Mund wässrig, indem er die spannende Handlung seines nächsten Werkes kurz umriss.

Der Bestsellerautor wurde in Buenos Aires mit offenen Armen aufgenommen, und von Anfang an stimmte die Chemie in dem Gespräch zwischen Máximo Soto, Fitzek und der kompetenten und frischen Übersetzerin, die den Ton des Autors immer richtig traf. Fitzek kommunizierte mit seiner Fangemeinde eher wie ein charismatischer Rockstar als ein “normaler Schriftsteller”. Es wurde viel gelacht und geklatscht, jede Frage wurde mit Respekt und Ehrlichkeit und viel Humor beantwortet. Auch im Anschluss hatte Sebastian Fitzek eine Engelsgeduld mit der mindestens zweistündigen Schlange seiner Fans vor dem Stand des Verlages “Ediciones B”, wo er sein neuestes auf Spanisch erschienenes Werk “Noah” – und die mitgebrachten älteren Bücher – signierte. Für jeden Fan hatte er ein Lächeln, mit jedem sprach er persönlich ein paar Worte und mit jedem wurden Fotos gemacht.

Foto:
Sebastian Fitzek (Mitte) bei seiner Lesung auf der Buchmesse in Buenos Aires. Das Foto steht auf Fitzeks spanischer Wikipedia-Seite, die erst seit seinem Besuch in Argentinien existiert.
(Foto: Fedefede1996)

Mit Blaulicht nach Buenos Aires

Kristof Magnusson stellt heute Abend auf der Buchmesse sein Werk “Arztroman” vor

magnusson_kratz2Der deutsche Schriftsteller Kristof Magnusson weilt anlässlich der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires und auf Einladung der deutschen Botschaft in Buenos Aires und des Goethe-Instituts zum ersten Mal in Argentinien. Der 1976 in Hamburg als Sohn eines Isländers und einer Deutschen geborene Schriftsteller, der heute in Berlin lebt, ist nebenbei Übersetzer aus dem Isländischen. In seinem neuesten Erfolgsbuch “Arztroman” schildert er das turbulente Leben einer Notärztin in Berlin. Im Interview mit Kunst in Argentinien-Herausgeberin Susanne Franz gab er Einblicke in sein schriftstellerisches Schaffen und erzählte u.a., wie er für die Recherche zu seinem Roman in Rettungswagen mitgefahren ist.

SF: Herr Magnusson, Sie stellen heute Abend auf der Internationalen Buchmesse von Buenos Aires Ihr Werk “Arztroman” vor. Freuen Sie sich auf Ihre erste Begegnung mit dem argentinischen Lesepublikum?

Kristof Magnusson: Das auf jeden Fall, ja, es ist wirklich immer eine besonders schöne Art und Weise, ein Land kennenzulernen – nicht nur da zu sein als jemand, der irgendwelche Sehenswürdigkeiten besichtigt – was natürlich auch schön ist -, aber es ist immer besonders schön, wenn man die Möglichkeit,hat, die Leute gleich kennenzulernen über einen gemeinsamen Austausch. Ich habe das schon oft gemacht, in vielen Ländern, in Indien, in Griechenland, in Portugal, oder in Schweden oder Amerika, es ist eine ganz besonders gute Art und Weise, Land und Leute kennenzulernen.

SF: Sie sprechen heute mit dem argentinischen Schriftsteller und Journalisten Ariel Magnus über Ihren Roman; er hat Passagen Ihres Werkes ins Spanische übersetzt. Wird er auch den gesamten Roman übersetzen und wird dieser hier erscheinen?

Kristof Magnusson: Das ist gerade in Arbeit, es gibt auf jeden Fall Interesse, es gibt noch nichts, was spruchreif ist, aber das Interesse ist auf jeden Fall erst mal da. Ob Ariel Magnus das Buch übersetzt, hängt sicher von dem Verlag ab und von dem Zeitplan, er ist ja ein vielbeschäftigter Mann. Ich würde mich freuen, aber er muss natürlich gucken, ob er Zeit hat.

SF: Sie sind halb Isländer, halb Deutscher. Sie übersetzen Literatur aus dem Isländischen ins Deutsche, schreiben selbst aber lieber auf Deutsch. Warum ist das so? Liegt es an den Besonderheiten der beiden Sprachen?

Kristof Magnusson: Das hat wirklich den ganz profanen Grund, dass Deutsch meine Muttersprache ist. Ich habe zwar fünf, sechs Jahre in Island verbracht, habe da auch studiert, aber aufgewachsen bin ich die meiste Zeit in Deutschland, und bin auch nie in Island zur Schule gegangen, was ja auch für den Spracherwerb eine sehr wichtige Phase ist, dieses mit den Gleichaltrigen zusammen aufwachsen, eine Sprache sprechen, und das Abgleichen mit der Sprache, die die Lehrer und die Erwachsenen sprechen – diese Reibung ist sehr wichtig dafür, dass man auch Subtilitäten darstellen kann, und das habe ich im Deutschen viel viel mehr als im Isländischen. Ich habe sozusagen mehr verschiedene Register, die ich ziehen kann auf Deutsch. Deswegen könnte ich das gar nicht, auf Isländisch. Ich übersetze auch nie aus dem Deutschen ins Isländische, sondern immer nur aus dem Isländischen ins Deutsche.

SF: Ihr Werk “Arztroman” ist in Deutschland ein großer kommerzieller Erfolg. Glauben Sie, dass das auch damit zu tun hat, dass Sie darin das Phänomen Burnout ansprechen, das ein universelles Problem der heutigen Zeit ist?

Kristof Magnusson: Ich finde das immer schwer, das zu sagen. Ich hoffe das, weil das eine Sache ist, die mir wichtig ist. Ich hoffe aber natürlich, dass die Leute diesen Roman auch deswegen gerne lesen aufgrund der humorvollen und unterhaltsamen Komponenten, also, obwohl es ja auch um das medizinische Milieu geht, Krankheit natürlich auch, soll es kein “Problembuch” sein in dem Sinne, sondern einfach ein Buch, das Lebenswelten in Berlin und teilweise auch ein Gesellschaftsporträt zeigt, was gewisse “Probleme” zwar thematisiert, ohne das jetzt auf eine dramatische Art und Weise zu tun. Eher auf eine leichte, humorvolle Weise. Deshalb hoffe ich, dass das ein Aspekt der Wahrnehmung ist, aber hauptsächlich sind es einfach diese spannenden Geschichten, die sich in einer Großstadt heutzutage abspielen, ich hoffe, dass das die Leute genauso interessiert.

SF: Also geht es eher darum, wie die Menschen mit ihrer jeweiligen Situation umgehen.

Kristof Magnusson: Genau, und manchmal gelingt es den Leuten, positiv oder humorvoll damit umzugehen, und manchmal gelingt es ihnen nicht, genauso wie es bei uns im Leben ja auch ist. Wir bestehen ja nicht nur aus positivem Denken, das funktioniert einfach nicht, und manchmal kommen wir nicht gegen die Probleme an, aber manchmal gelingt es uns dann wiederum doch.

SF: Sie haben sehr viel recherchiert zu ihrem Werk, Sie haben Freunde und Bekannte, die Ärzte sind, Sie sind auch selber mitgefahren in den Rettungswagen, um ganz lebendig schildern zu können, wie der Alltag Ihrer Heldin des Romans aussieht. War das eine spannende Herausforderung für Sie? Oder teilweise auch bedrückend? Wie lange haben Sie recherchiert?

Kristof Magnusson: Die Recherche hat sicherlich länger als ein halbes Jahr gedauert, weil ich auch immer recherchiert habe und dann geschrieben habe und dann wieder zur Recherche zurückgegangen bin. Die Gespräche mit den Ärzten, das war ein Teil, der mich sehr lange begleitet hat, und was natürlich interessant ist, ist, dass ja eigentlich sozusagen die Frage dahintersteckt, es gibt eine Welt, die man beschreiben möchte und dann ist die Frage, wie ist diese Welt mit ihren Eindrücken und wie wird daraus dann Text. Das ist ein Weg, den man sonst immer mit sich selber ausmacht, und jetzt waren da diese Ärzte dabei, denen ich auch Sachen zum Lesen gegeben habe, die haben dann gesagt “Ja, hier, da könnte man noch das machen, das wär noch spannender” oder “Hier, das stimmt so nicht”, also dieser Prozess, der sonst bei meinen Büchern immer ein sehr intimer Prozess war, da hatte ich diesmal auf einmal diese “Gegenüber”, das hat es für mich interessant gemacht.

Bei den Malen, bei denen ich mitgefahren bin mit den Notarztwagen, das war natürlich sehr, sehr aufregend, am Anfang habe ich gedacht, ich störe, oder ich stolpere über den Sauerstoffschlauch, es brauchte eine Weile, bis die Ärzte und Feuerwehrleute mir diese Angst genommen haben. Das war für mich sehr wichtig, diesen ganzen Alltag zu sehen, weil Recherchegespräche sind eine Sache, und dass es medizinisch stimmt, kann man alles recherchieren, aber da gibt es diese verrückten Details wie zum Beispiel, dass die Menschen sich die Ohren zuhalten, wenn man mit dem Rettungswagen vorbeifährt, und das ist eine Sache, das muss man gesehen haben. Oder dass man oft gar nicht weiß, dass man mit Blaulicht unterwegs ist, aber wenn man dann durch eine enge Straße fährt, sieht man auf einmal, wie sich das spiegelt. Oder man fährt über Kopfsteinpflaster und spürt dieses Vibrieren, diese zwei Tonnen Ausrüstung, die man hinter sich hat. Für solche Sachen war es wichtig, mitzufahren.

SF: Sie haben einmal gesagt, dass sozusagen vor dem Notarzt alle Menschen gleich sind – die Reichen, die Armen, die Alten, die Jungen, so dass Sie durch Ihre Recherchen Einblick in ein gesamtes Gesellschaftsbild gewinnen konnten.

Kristof Magnusson: Ja, das war mir wichtig und natürlich der Reiz daran, eine Ärztin zu haben, die zu den Menschen nach Hause kommt, dass sie überall hineinkommt und niemand kann vorher aufräumen. Das hat man in Krankenhäusern und Arztpraxen nicht so, die haben meist ein bestimmtes Klientel, ärmer oder reicher. Diese große Bandbreite, die hat man im Notarztdienst natürlich sehr stark, und das heißt, es lässt sich so auf eine relativ – wie ich finde – elegante Weise ein Porträt der ganzen Gesellschaft zeigen.

SF: Was möchten Sie mit dem Schreiben erreichen? Möchten Sie Ihre Leser unterhalten, sie glücklich machen? Möchten Sie die Leser zum Nachdenken anregen bzw. in ihnen eine Veränderung bewirken?

Kristof Magnusson: Das kann ich gar nicht so genau sagen. Was ich erst mal machen möchte, ist Geschichten erzählen, die mich selber interesieren, weil alles andere ist so zufällig, ob das nun Menschen interessiert oder nicht, oder glücklich macht oder nicht. Ich kann immer nur davon ausgehen, dass ich schon Bücher gelesen habe, die mich verändert haben, ich habe auch Bücher gelesen, die mich glücklich(er) gemacht haben, aber ich glaube, man kann sich das als Autor nicht von vornherein vornehmen, Man kann von sich selber ausgehen und dann hoffen, dass es andere Leute auch interessiert. Ich merke das auch bei mir selber, wenn ich die Bücher von anderen Autoren lese, das Thema muss mich nicht unbedingt interessieren, über das sie schreiben, aber ich muss das Gefühl haben, das hat den Autor interessiert, nicht mit einem bestimmten Ziel, sondern aus einem inneren Antrieb heraus. Und das ist bei mir mit dieser Welt der Medizin eben ganz stark, das ist etwas, was mich schon als Kind immer begeistert hat, und irgendwie ist meine Aufmerksamkeit an diesem Thema hängengeblieben. Dann kam dazu, dass es ja eine gewisse Relevanz für die Gesellschaft hat – ein Gradmesser dessen, wie wir unsere Gesellschaft haben wollen, ist ja, wie wir unser Gesundheitssystem organisieren. So ist zu meiner emotional unerklärlichen Begeisterung noch ein vernunftgetragener Grund hinzugekommen.

SF: Noch eine Frage zu Ihrem Schreiben: Sprudelt es aus Ihnen heraus oder müssen Sie sehr streng mit sich sein und sagen, ich schreibe jetzt vier Stunden am Tag? Wie machen Sie das, ist das eher eine Disziplinfrage? Denn Schreiben ist ja schwer.

Kristof Magnusson: Natürlich ist es schwer, das wissen wir ja alle. Ich schreibe sehr viel, das Schwierige oder wo die Disziplin ins Spiel kommt, ist einfach, die guten Ideen von den schlechten zu unterscheiden. Dieser Roman (er tippt auf seinen “Arztroman”, der auf dem Tisch liegt) war sicherlich am Anfang dreimal so lang. Ihn zu überarbeiten, immer weiter zusammenzukürzen, das zu tun, was eigentlich auch Dichtung ist, also das Ver-Dichten, dass man aus den ganzen Beobachtungen die paar herausfiltert, die nicht nur etwas beschreiben, sondern darüber hinaus für etwas stehen. Also eher eigentlich beides: erst dieses Sprudeln, aber damit ist noch nicht mal die Hälfte getan, das ist noch nicht mal die halbe Miete – die eigentliche Arbeit ist das Überarbeiten.

SF: Es ist sicher auch nicht einfach, den Moment zu bestimmen, an dem das Buch “fertig” ist.

Kristof Magnusson: Absolut, und ich glaube, solange ich Lesungen mache und mich mit Leuten über das Buch unterhalte und immer noch wieder jemand einen neuen Aspekt anspricht und sagt “Das fand ich interessant und das fand ich nicht so interessant”, solange ist das Buch für mich auch nicht fertig, weil das Buch entsteht ja immer wieder. Also das Buch ist ja nur zu einem Teil wirklich dieses physische Produkt (er klopft wieder auf den “Arztroman”) – zu einem großen Teil ist es auch das, was in den Köpfen der Leute passiert, nicht nur, wenn sie es lesen, sondern auch, wenn sie darüber sprechen.

SF: Herr Magnusson, vielen Dank für das Gespräch!

Heute: Lesung
Heute, Freitag, 24. April, um 18.30 Uhr: “Arztroman” – Lesung und Gespräch mit Kristof Magnusson und Ariel Magnus. Veranstaltet von der deutschen Botschaft in Buenos Aires, dem Goethe-Institut Buenos Aires und der Fundación El Libro. 41. Internationale Buchmesse Buenos Aires, Saal Alfonsina Storni, La Rural, Plaza Italia, Buenos Aires. Deutsch mit Konsekutivübersetzung.

Foto:
Bestsellerautor Kristof Magnusson (rechts) und Kulturattaché Michael Kratz vor Alfredo Segatoris Berlin-Graffiti an der Außenwand der deutschen Botschaft in Buenos Aires.
(Foto: Deutsche Botschaft)

Eine Stadt offen für die Welt der Bücher

41. Internationale Buchmesse von Buenos Aires wird am 23. April eröffnet

Von Michaela Ehammer

Was wäre die Welt ohne Bücher? Sie regen die Phantasie an, bringen uns zum Lachen oder Weinen und lassen uns geistig in andere Rollen schlüpfen. Doch vor allem tragen sie wesentlich zu unserer Bildung bei. Argentinien gilt aufgrund seines florierenden Buchmarktes als Leseland und Buenos Aires kann sich stolz die Stadt mit den meisten Bibliotheken nennen, gefolgt von Hongkong und Madrid. Eine Büchermesse ist da wohl mehr als angebracht. So steht die 41. “Feria Internacional del Libro de Buenos Aires”, eines der bedeutendsten Kulturevents der Welt und die wichtigste jährliche Literaturveranstaltung im spanischsprachigen Raum, vor der Tür.

Das Ausstellungszentrum La Rural verwandelt sich vom 23. April bis 11. Mai wieder in ein Meer aus Büchern, wird zum Schauplatz zahlreicher Schriftsteller mit inernationalem Ruf und zum literarischen Treffpunkt von mehr als 1 Million Lesebegeisterten aus ganz Lateinamerika. Als Gaststadt präsentiert sich diesmal Mexiko DF. Die Buchmesse ist für die Öffentlichkeit von Montag bis Freitag von 14-22 Uhr, an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von 13-22 Uhr zugänglich. Eintrittskarten gibt es ab 35 Pesos.

Deutsche Autoren auf Buchmesse

  • 24.4., 18.30 Uhr, Alfonsina Storni-Saal, Kristof Magnusson stellt im Gespräch mit Ariel Magnus sein Werk “Arztroman” vor. Nähere Informationen hier.
  • 26.4., 16 Uhr: Sebastian Fitzek präsentiert “Noah”, anschließend signiert er bei Ediciones B Argentina.

Besuch aus Deutschland auf der Buchmesse

Der deutsch-isländische Bestsellerautor Kristof Magnusson stellt in Buenos Aires seinen “Arztroman” vor

magnussonEiner der erfolgreichsten und interessantesten jüngeren deutschen Autoren, Kristof Magnusson, wird auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires zu Gast sein. Auf Einladung der deutschen Botschaft und des Goethe-Instituts liest der deutsch-isländische Autor aus seinem 2014 erschienenen “Arztroman”. Der argentinische Schriftsteller Ariel Magnus hat Teile des Romans für die Lesung übersetzt und wird diese in spanischer Sprache vorstellen.

Der Roman schildert auf eindringliche und spannende Weise das Nebeneinander von Berufs- und Privatleben, er erzählt witzig, unterhaltend und mit großer Detailkenntnis aus dem Leben einer Notärztin, die mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkommt: Ausgebrannte Ärzte am Rande des Nervenzusammenbruchs, ein marodes Gesundheitssystem und die Krise des Gefühlslebens Anfang vierzig. Wo beginnt die Privatsphäre einer Notärztin, zumal ihr Ex-Mann im selben Krankenhaus tätig ist?

Kristof Magnusson ist ebenfalls ein sehr produktiver Übersetzer aus dem Isländischen. So wird er auch zu Gast in der “Escuela de Otoño de Traducción Literaria” sein, einer Werkstatt für Nachwuchsübersetzer im Instituto de Enseñanza Superior en Lenguas Vivas, sowie auf der diesjährigen, vom Argentinischen Übersetzerverband und der Fundación El Libro veranstalteten Übersetzertagung. Zuletzt liest der Autor in Mendoza, im Rahmen einer vom Goethe-Zentrum Mendoza, der Stadtverwaltung Godoy Cruz und der Deutschen Botschaft organisierten Lesung.

Zum Arztroman

Anita Cornelius ist Notärztin an einem großen Berliner Krankenhaus und liebt ihren Beruf. Sich auf unerwartete Situationen einzustellen, entspricht ihrem Temperament. Auch wenn es bei ihren Einsätzen nicht immer so aufregend zugeht, wie man sich das vorstellt. Anita ist das recht. Sie kann helfen und sie hilft gerne.

Adrian, ihr Exmann, ist Arzt am selben Krankenhaus. Sie haben sich erst vor kurzem „in bestem Einvernehmen“ getrennt, und Lukas, ihr vierzehnjähriger Sohn, lebt bei seinem Vater und dessen neuer Freundin Heidi.

Hätte Anita Adrian nicht zufällig bewusstlos auf der Krankenhaustoilette gefunden, zugedröhnt mit einem Narkosemittel, und hätte Heidi nicht dauernd diese flotten Sprüche losgelassen, dass jeder seines Glückes Schmied ist, dass Arme und Kranke oft genug selbst an ihrem Zustand schuld sind, dann könnte sich Anita weiter vormachen: alles ist in bester Ordnung. Ist es aber nicht. Weder privat noch beruflich.

Kristof Magnusson erzählt mit großem Hintergrundwissen aus dem Alltag einer Notärztin und gleichzeitig aus dem Alltag ihrer Patienten. Vor allem aber erzählt er aus dem Leben einer Frau Anfang vierzig, die mehr will als Routine und ‘schöner Wohnen’.

Kristof Magnusson, als Sohn deutsch-isländischer Eltern geboren 1976 in Hamburg, machte eine Ausbildung zum Kirchenmusiker, arbeitete in der Obdachlosenhilfe in New York, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er lebt als Autor und Übersetzer aus dem Isländischen in Berlin. Sein Debütroman “Zuhause” (2005) wurde mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet, in seinen Romanen “Das war ich nicht” (2010) und “Arztroman” (2014) greift er in erfrischender Manier aktuelle Themen (Börsenspekulation, Bankenkrise bzw. Burn-Out) auf. Beide Romane waren Bestseller in Deutschland. Die Verfilmung seiner Komödie “Männerhort” kam im Oktober 2014 in die Kinos.

Ariel Magnus wurde 1975 in Buenos Airesgeboren. Er studierte Philosophie und Romanistik in Heidelberg und Berlin. Heute schreibt er für verschiedene Medien in Lateinamerika und für die “taz” in Berlin, und lebt als Autor und literarischer Übersetzer aus dem Deutschen und Englischen in Buenos Aires. Er hat bislang zwölf Bücher veröffentlicht. 2007 wurde er für seinen Roman “Ein Chinese auf dem Fahrrad” mit dem internationalen Literaturpreis Premio La otra Orilla ausgezeichnet. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. 2010 erschien es auf Deutsch bei Kiepenheuer & Witsch. “Zwei lange Unterhosen der Marke Hering” erschien 2012 ebenfalls bei KiWi.

Programm

  • Freitag, 24. April, 18.30 Uhr
    Arztroman. Lesung und Gespräch mit Kristof Magnusson und Ariel Magnus. Veranstaltet von der deutschen Botschaft in Buenos Aires, dem Goethe-Institut Buenos Aires und der Fundación El Libro. 41. Internationale Buchmesse Buenos Aires, Saal Alfonsina Storni, La Rural. Deutsch mit Konsekutivübersetzung.
  • Donnerstag, 23. April, 17 Uhr
    Lesung im Rahmen der Übersetzertagung auf der Internationalen Buchmesse. Vorstellung einer Auswahl der im Rahmen der Übersetzerakademie entstandenen Übersetzungen aus dem Roman “Das war ich nicht”. Veranstaltet von der Asociación Argentina de Traductores e Intérpretes (AATI) und der Fundación El Libro, mit freundlicher Unterstützung des Goethe-Instituts und der deutschen Botschaft in Buenos Aires.
  • Kristof Magnusson in Mendoza: Samstag, 25. April, 18 Uhr, Biblioteca Manuel Belgrano, Antonio Tomba 54, Godoy Cruz, Mendoza.

Kristof Magnusson bei Wikipedia / Kristof Magnussons Facebook-Seite.

Pedro Lemebel gestorben

Schillernde Persönlichkeit der chilenischen Kulturszene

Von Michaela Ehammer

pedro_lemebelDer chilenische Theaterkünstler und Schriftsteller Pedro Segundo Mardones Lemebel, besser bekannt als Pedro Lemebel, ist am 23. Jänner 2015 nach einem langen und schweren Kampf gegen Kehlkopf-Krebs von uns gegangen. Er war wohl der einzige chilenische Schriftsteller, der Make-up und High Heels trug, zumindest in der Öffentlichkeit. Dieser Stil war Teil seines rebellischen Geistes und diente als Instrument, mit Provokationen Anklage in der politischen Szene zu erheben. Dadurch wurde er erfolgreich und wohl zu einem der meistdiskutierten chilenischen Autoren.

Lemebel machte aus seiner Homosexualität kein Geheimnis, auch nicht in Zeiten, wo dieses Thema noch klar als Tabu galt. Nicht zuletzt deshalb zählte er in seinem Heimatland zu den schillerndsten Figuren der Kulturszene.

Am 21. November 1952 in Santiago de Chile als Sohn von Peter und Violett geboren, wuchs er buchstäblich als armer Junge am Rande einer Deponie auf. Als Kind hatte er nur begrenzten Zugang zu Bildung. Später besuchte er eine industrielle High School und danach die Universität von Chile und unterrichtete zunächst als Lehrer für Bildende Kunst an zwei Gymnasien.

Seine ersten systematischen Ansätze zur Literatur traten in einem literarischen Workshop in den frühen achtziger Jahren ein, wo er begann, Geschichten zu schreiben. Im Alter von 26 Jahren gewann er seinen ersten Preis in einem Literaturwettbewerb, dem folgten weitere Auszeichnungen wie der “Ibero-Amerikanische Literaturpreis José Donoso”. “Loco Afán”(1996), “De Perlas y Cicatrices” (1998) und “Tengo miedo Torero” (2001) zählen wohl zu seinen bekanntesten Werken.

In den 80er Jahren, noch zu Zeiten der Pinochet-Diktatur, gründete er gemeinsam mit Francisco Casas die Verbindung “Stuten der Apokalypse”, um mit Provokationen öffentliche Veranstaltungen zu stören. Des Weiteren war der Freiheitskämpfer Mitautor des Satiremagazins “The Clinic”. Lemebel stand stets für eine Art “Andersartigkeit”. Nach der Diagnose Kehlkopf-Krebs im Jahre 2012, die ihm auch das Sprechen verbot, ist seine Stimme nun jedoch für alle Zeiten erloschen.

Verborgene Seiten: Dokus über Schriftsteller

Heute im Kinozyklus “El escritor oculto”: “After Sebald”

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Am 3. Dezember begann im Malba mit “René Char, nombre de guerra Alejandro” von Jérôme Prieur (2011) der dritte Filmzyklus “El escritor oculto” (Der verborgene Schriftsteller) mit drei Dokumentationen über herausragende Persönlichkeiten der europäischen Literatur (René Char, W. G. Max Sebald und James Joyce), aus der Sicht junger Filmemacher. Der Eintritt ist frei, Einlassbegrenzung ist die Kapazität des Saales.

Am heutigen Mittwoch wird um 20 Uhr “Patience (After Sebald)” von Grant Gee (2011) gezeigt, ein vielschichtiges, filmisches Essay über Landschaft, Kunst, Geschichte, Leben und Verlust. Der Dokumentarfilm ist eine Auseinandersetzung mit dem Werk und Wirken des deutschen Schriftstellers W. G. Sebald (1944-2001), angelehnt an sein Werk “Die Ringe des Saturn. Eine englische Wallfahrt” von 1995.

“Patience (After Sebald)” – Großbritannien 2011. 82 Min. Englisch mit Untertiteln. Regie: Grant Gee. Mit Jonathan Pryce.

Kommenden Mittwoch, 17.12., endet der Zyklus “El escritor oculto” mit “The Joycean Society” von Dora García (2013).

Das Ende der Affirmation

Lesung und Gespräch mit Timo Berger im Goethe-Institut

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Am Freitag, dem 26. September, um 18.30 Uhr, finden im Rahmen des 6. Internationalen Literaturfestivals Filba in der Bibliothek des Goethe-Instituts Buenos Aires (Av. Corrientes 343) eine Lesung und ein von Carla Imbrogno koordiniertes Gespräch mit Timo Berger, Léonce Lupette und ausgewählten Übersetzern statt.

Wenn man Lyrik übersetzt, stößt man auf besondere Schwierigkeiten und Herausforderungen, erhält aber auch ungeahnte Freiheiten. Mehr als jede andere literarische Form, benutzt das Gedicht Wörter auf eine oft eigensinnige Weise. Die Worte im Gedicht erfinden bisweilen andere Verwendungen bis hin zu neuen Bedeutungen. Viel wird auch von der Musikalität des Gedichts gesprochen, und seine Übersetzung erfordert deshalb keine krude Übertragung, sondern vielmehr eine “Re-Kreation”, eine Neu-Schöpfung.

Im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals Filba organisiert das Goethe-Institut eine Übersetzungswerkstatt für neueste deutsche Dichtung. In der Werkstatt soll erkundet werden, was und wie die neuesten deutschen Dichterinnen und Dichter schreiben. Darüber hinaus soll eine Auswahl von Gedichten einer Handvoll junger Autoren übersetzt werden, die der Verlag Vox in einer zweisprachigen Anthologie veröffentlichen wird. Die Arbeiten der ausgewählten Dichter zeichnen sich durch einen selbstbewussten Umgang mit der Tradition deutscher Dichtung und eine wachsende Durchlässigkeit für Literaturen aus anderen Weltregionen aus. Im Rahmen der Lesung werden einige dieser Dichter und ihre Texte auf Spanisch präsentiert.

Timo Berger. 1974 geborener deutscher Dichter, Journalist, Kurator und Übersetzer aus dem Spanischen und Portugiesischen ins Deutsche, ist Autor von Gedichtbänden und mehreren Erzählungen. Er gründete zusammen mit Rike Bolte das Festival Latinale, das die neue lateinamerikanische Lyrik vorstellt. Er war Mitgründer und Mitorganisator des Lyrikfestivals Salida al Mar (Argentinien, 2004 bis 2007) und kuratierte die Lyrikveranstaltungen auf der Internationalen Buchmesse (FIL) in Guadalajara, Mexiko, 2011 – das Jahr in dem Deutschland Ehrengast war. Er hat Schreibwerkstätten in Nicaragua, Costa Rica, Guatemala und Peru geleitetet. Zu seinen neuesten Veröffentlichungen zählt der Gedichtband “Der Süden” (parasitenpresse, Köln, 2014), die Anthologie “De ahí nomás. Poesía actual de Centroamérica y el Caribe” (Ediciones Germinal/Vox, San José/Bahía Blanca, 2013-2014), die er herausgab, und als Übersetzer, “Die berauschende Wirkung von Bilsenkraut”, von Javier Fernández de Castro (Klaus Wagenbach, Berlín, 2013).

Léonce W. Lupette lebt als freier Autor, Übersetzer und Literaturwissenschaftler in Frankfurt am Main und Buenos Aires. 2013 ist sein Gedichtband “Tablettenzoo” erschienen (Luxbooks, Wiesbaden). Er ist Mitherausgeber der Literaturzeitschriften “Alba – Lateinamerika lesen” und karawa.net sowie Herausgeber der Reihe Luxbooks.Latin. Seine Übersetzungen umfassen unter anderem Gedichte von John Ashbery sowie die erste Übersetzung des “Matadero” von Esteban Echeverría. Zuletzt erschien seine Anthologie des sprachmischenden paraguayischen Lyrikers Jorge Kanese.

Buenos Aires im Banne Barenboims

Freiluft-Konzert des Stardirigenten an der Alsina-Brücke & Autorenlesung in der Deutschen Botschaft

Von Marcus Christoph

barenboim
Orchestermusik einmal anders: Nicht im pompösen Festsaal, sondern unter freiem Himmel im eher proletarisch geprägten Buenos-Aires-Stadtteil Nueva Pompeya lud Stardirigent Daniel Barenboim am Sonntag zu einem Konzert. Rund 8000 Zuschauer waren an diesem frischen Wintermorgen gekommen, um nahe der Alsina-Brücke den Klängen des West Eastern Divan Orchestra zu lauschen.

Auf dem Programm standen Werke des französischen Komponisten Maurice Ravel wie “Rapsodie espagnole”, “Pavane pour une infante défunte” oder “Bolero”, die unter Barenboims Stabführung die Szenerie in ein Freiluft-Opernhaus verwandelten. Als Hommage an Buenos Aires, der Geburtsstadt Barenboims, intonierte das Orchester zudem den Tango “El Firulete” von Mariano Mores.

Während des Konzerts richtete Barenboim einige Worte an das Publikum, in denen er an seine Kindheit in Argentinien erinnerte: “Ich habe das Land als Neunjähriger verlassen, aber es gab mir etwas für immer mit auf den Weg: nämlich, dass kein Problem darin besteht, mehrere Identitäten zu haben.” Egal ob man hier von Herkunft her Pole, Jude, Syrer, Deutscher, Libanese oder Türke sei, sei man dadurch nicht weniger Argentinier. Barenboim hob zudem die Warmherzigkeit der Argentinier hervor.

Der Auftritt an der Alsina-Brücke fand im Rahmen des zehntägigen Barenboim-Festivals in Buenos Aires statt. Dabei gab es mehrere Konzerte im Teatro Colón, unter anderem mit der Starpianistin Martha Argerich, die wie Barenboim aus der argentinischen Hauptstadt stammt. In dem Opernhaus führte Barenboim am Sonntagabend auch einen offenen Dialog mit dem ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe González, bei dem beide das friedliche Zusammenleben von Arabern und Juden in Lateinamerika als Hoffnungsschimmer für den Nahen Osten hervorhoben.

Im Zeichen der Verständigung steht auch das West Eastern Divan Orchestra, das aus jungen arabischen, israelischen und spanischen Musikern besteht. Es wurde von Barenboim und dem aus Palästina stammenden, mittlerweile verstorbenen Literaturwissenschaftler Edward Said 1999 gegründet, um ein Beispiel für friedliches Zusammenleben im Nahen Osten zu setzen. In Deutschland ist Barenboim vor allem als Generalmusikdirektor der Staatskapelle Berlin bekannt.

botschaftVor dem Hintergrund des Barenboim-Festivals ist auch die Autorenlesung zu sehen, zu der die Deutsche Botschaft vor wenigen Tagen einlud. Zu Gast war die argentinische Musikjournalistin Cecilia Scalisi, die aus ihrem Buch “En la edad de las promesas” vortrug. Dabei untersucht die Autorin die frühen Jahre der drei musikalischen Wunderkinder Daniel Barenboim, Martha Argerich und Bruno Gelber, die alle Anfang der Vierzigerjahre in Buenos Aires zur Welt kamen.

Das Buch handelt vom Emigrantenmilieu jener Jahre, wo die Musik als verbindendes Element wirkte und man sich zu “Tertulias” genannten Zusammenkünften künstlerischer Art traf. “Ich wollte die Kindheit von Daniel, Martha und Bruno beleuchten. Eine Zeit, als man noch nicht wusste, welch große Karrieren sie später einmal machen würden”, so die Autorin.

Zudem stellte Scalisi die von ihr gestaltete Kollektion “Piano Esencial” vor: Eine 20-teilige Ausgabe von Büchern und CDs mit Musik von Barenboim und Argerich, die ab sofort jeden zweiten Sonnabend im Zeitungskiosk erhältlich ist.

Fotos von oben nach unten:

Klassik unter freiem Himmel.

Autorin Cecilia Scalisi im Gespräch mit dem deutschen Botschafter Bernhard Graf von Waldersee.
(Fotos: Marcus Christoph)

Die Aussagekraft der fehlenden Information

Schriftsteller Ariel Magnus bei einer Lesung im Goethe-Institut

Von Tobias Zwior

magnus
Die bewegende Geschichte einer Großmutter und ihres Enkels stand vergangenen Donnerstag in der Bibliothek des Goethe-Instituts auf dem Programm. Ariel Magnus, erfolgreicher Schriftsteller aus Buenos Aires und jener Enkel, las dort einige Passagen aus seinem Buch “Zwei lange Unterhosen der Marke Hering”. Rund 60 Zuhörer waren erschienen und beteiligten sich nachher auch lebhaft an einer offenen Diskussion mit dem Autor.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Carla Imbrogno (Goethe-Institut) und Silvie Rundel (Die Zeit). Magnus‘ Buch war im Jahr 2006 ursprünglich unter dem Titel “La Abuela” auf Spanisch erschienen und liegt seit 2012 in der deutschen Übersetzung vor. Im Sommer 2001 hatte Magnus, damals noch als Journalist in Deutschland tätig, seine jüdische Großmutter in Porto Alegre besucht.

Während dieses Besuchs ließ er sich von ihr ihre Lebensgeschichte erzählen. In einer unnachahmlich chaotischen und zugleich liebenswerten Mischung aus Deutsch und Portugiesisch sprach sie über ihre Zeit als Jüdin in Deutschland während des Nazi-Regimes, ihre freiwillige Deportation in die KZs von Theresienstadt und Auschwitz sowie ihre erfolgreiche Flucht aus letzterem. “Ich hatte während dieses Interviews noch gar nicht vor, daraus ein Buch zu machen, sondern ich wollte eigentlich nur die Geschichte meiner Großmutter bewahren. Ich war schließlich der Journalist in der Familie”, erinnerte sich Magnus während der Lesung.

Als ihn seine Großmutter dann aber 2004 zehn Tage lang in Deutschland besucht hatte und er mit ihr gemeinsam nach Berlin, Weimar und Buchenwald gereist war, entschied er sich doch dafür, ein Buch zu schreiben. “Auch viele meiner deutschen Freunde hatten gesehen, welch beeindruckende Persönlichkeit meine Großmutter war, und rieten mir dazu”, sagte er. Und so entstand aus dem Interview 2001, seinen Aufzeichnungen der Erlebnisse 2004 und einiger Tagebuch-Notizen seiner Großmutter das Buch “La Abuela”.

Wichtig war es Magnus zu betonen, dass es sich nicht um ein weiteres Werk der Holocaust-Verarbeitung handelt: “Dokumentationen über Auschwitz haben mich nie interessiert”, sagte er. “Die Geschichte meiner Großmutter jedoch schon. Daher ist es kein Buch über eine Auschwitz-Überlebende geworden, sondern über meine Großmutter als Person.”

Die verschiedenen Quellen, Quellarten (Ton und Schrift) und Sprachen machen Magnus‘ Buch zu einem unlinearen und sprunghaften Leseerlebnis, was aber seinen Reiz ausmacht: “Es fehlt viel Information, aber das ist nicht schlimm. Manchmal ist das, was man nicht sagt, stärker als das, was man sagt”, stellte er fest.

Was den Abend im Goethe-Institut besonders machte, war, dass Magnus die unlineare Schreibweise seines Buches auf die Lesung übertrug. So las er gemeinsam mit Andrea Belafi einen Dialog mit seiner Großmutter auf Deutsch vor, spielte Original-Tonbandaufnahmen der alten Dame ab und gab außerdem auf Spanisch Auszüge aus seinen Aufzeichnungen über die Deutschland-Reise 2004 wieder. Auch die Zuhörer, die das Buch nicht gelesen hatten, bekamen so eine gute Vorstellung davon.

Vor allem Magnus‘ Großmutter selbst machte Eindruck auf das Publikum: “Ich habe jetzt das Gefühl, diese Person zu kennen, und bin traurig darüber, dass ich sie in der Realität nie kennengelernt habe”, sagte Moderatorin Silvie Rundel. Im Anschluss hatten die Zuhörer noch die Gelegenheit, Magnus Fragen zu stellen, die er ausführlich beantwortete.

Auf die Verkaufszahlen der deutschen Ausgabe des Buches im Vergleich zu seinem Bestseller “Ein Chinese auf dem Fahrrad” angesprochen, sagte er nur schmunzelnd: “Anscheinend interessieren sich die Deutschen mehr für Chinesen in Buenos Aires als für Holocaust-Überlebende in Brasilien.”

Am Ende ließ Magnus noch durchblicken, dass er sich vorstellen könne, noch weitere Familiengeschichten in Buchform zu verarbeiten: “Mich interessiert zum Beispiel sehr das Schicksal meines Großvaters väterlicherseits, ein nach Argentinien ausgewanderter Bibliothekar.” Da er diesen jedoch nie persönlich kennenlernt habe, könnte das eine langwierige Recherche werden.

Foto:
Ariel Magnus (Mitte) im Gespräch mit Silvie Rundel (Die Zeit) und Carla Imbrogno vom Goethe-Institut (v.l.).
(Foto: Tobias Zwior)