“Ich will mich beim Schreiben selber überraschen lassen”
Interview mit dem deutschen Schriftsteller Sebastian Fitzek nach seiner Lesung auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires
Von Susanne Franz
Mit seinen spannenden Psychothrillern hat der deutsche Schriftsteller Sebastian Fitzek sich eine globale Fangemeinschaft geschaffen: 12 Millionen Bücher hat er weltweit verkauft. Auf Einladung seines spanischen Verlages “Ediciones B” hielt Fitzek am 26. April eine Lesung auf der 41. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires. Sie war ein voller Erfolg: der deutsche Bestsellerautor wurde von seinen Lesern begeistert gefeiert und signierte im Anschluss an die Veranstaltung stundenlang seine Bücher. Wieviel Freude ihm die Begegnung mit seinen argentinischen Fans gemacht hat, erzählte er in einem Interview am 28. April, eine halbe Stunde vor seiner Rückreise.
SF: Sie haben in Argentinien glühende Fans. Wussten Sie das vorher? Oder waren Sie überrascht von dieser Verehrung und Wärme, mit der Sie hier empfangen wurden?
Sebastian Fitzek: Ich war völlig überrascht. In den Anfängen in Deutschland kamen fünf oder zehn, gut, vielleicht zwanzig Leute zu einer Lesung, und sie waren eher reserviert, so wie die Deutschen eben manchmal sind, wenn sie einen noch nicht kennen. Und hier war ein Saal mit über 200 Menschen, alle sehr enthusiastisch, sehr warmherzig. Ich hatte mir schon gedacht, dass die, auf die ich treffe, dass das sehr emotional sein wird, denn mich erreichen sehr sehr viele E-Mails aus Argentinien, die auch sehr enthusiastisch sind, und es macht unglaublich viel Spaß, mit den Lesern in Kontakt zu treten. Dass die Lesung aber so eine Resonanz haben würde, das hat mich völlig überwältigt.
Als Schriftsteller hat man ja in der Regel keinen Applaus, sondern man schreibt für sich im stillen Kämmerchen und dann wird es veröffentlicht. Und das ist tatsächlich etwas, wo man dann auch ein Feedback bekommt und seine Leser kennenlernt. Es gibt nichts Schöneres.
SF: Wieviel Zeit wenden Sie ungefähr auf für Zuschriften und dafür, sich in den sozialen Netzwerken zu bewegen, um sich mit Ihren Fans zu unterhalten?
Sebastian Fitzek: Also, das ist ungefähr eine Stunde am Tag, die man sich tatsächlich dafür freinehmen muss. Es ist ein bisschen leichter geworden durch die sozialen Netzwerke, zum Beispiel schreibt bei Facebook einer “Wann bist Du denn in Buenos Aires?”, und dann antwortet schon ein anderer, bevor ich überhaupt die Möglichkeit habe. Das heißt, einiges verwaltet sich auch selbst. Aber eine Stunde am Tag muss man schon aufwenden.
SF: Also die Fans kommunizieren auch untereinander…
Sebastian Fitzek: Genau, oder sie verabreden sich zur Messe und helfen sich untereinander, da haben sich schon viele Freundschaften gebildet. Und auch das ist sehr schön, dass man da erlebt, wie Bücher verbinden können.
SF: Auf Ihrer Facebookseite stand, dass Sie sich nach kurzem Nachdenken entschieden haben, nach Buenos Aires zu kommen, obwohl Sie sich gerade in einer Schreibphase befinden. Sind Sie oft so spontan?
Sebastian Fitzek: Das war für mich gar keine Frage. Ich war noch nie in Südamerika vorher, noch nie in Buenos Aires. Ich habe die Gelegenheit natürlich sofort ergriffen, man wird ja nicht alle Tage eingeladen, das ist ja eine große Ehre, dass man überhaupt als deutscher Autor hierher kommen darf.
SF: Sie haben bei der Lesung Ihren Fans Tipps gegeben, was sie beachten sollen, wenn sie selbst schreiben wollen. Stimmt das wirklich, dass man den ersten Entwurf wegschmeißen sollte?
Sebastian Fitzek: Ich glaube, das war Hemingway, der gesagt hat: Der erste Entwurf ist immer Mist! Die Geschichte steht und fällt mit der Bearbeitung, und hier ist ein gutes Lektorat extrem wichtig. Wobei das nicht heißt, dass jemand anderes einem hereinredet und sagt “Veränder das mal”, sondern ein gutes Lektorat ist wie eine Hebamme, die einem hilft, dass das Buch “zur Welt kommt”. Es stellt die richtigen Fragen, auf die man dann eventuell noch reagieren kann.
SF: In Ihrem Roman “Noah”, den Sie hier vorgestellt haben, geht es um Überbevölkerung und knapp werdende Ressourcen für die Menschheit. Glauben Sie, dass unser Planet kurz vor einer solchen Katastrophe steht? Welche Schritte müsste man schnell unternehmen, um dem entgegenzurudern?
Sebastian Fitzek: Kurz vor einer Katastrophe, so würde ich das nicht bezeichnen, aber wir steuern schon auf äußerst ungemütliche Zeiten zu. Schnell ändern geht da gar nicht, sondern mit kleinen Schritten muss etwas geändert werden. Das ist ähnlich wie eine Diät, man kann auch nicht schnell 50 Kilo in drei Tagen verlieren, die man sich über Jahrzehnte vielleicht zuviel angefuttert hat.
Wir können das Rad nicht sofort wieder zurückdrehen, es ist aber tatsächlich so, dass wir – und mit “wir” meine ich vor allen Dingen die Europäer und die Amerikaner – über unsere Verhältnisse leben und dass man da eben etwas machen muss.
Tatsächlich ist das Problem, dass der Mensch sehr sehr anpassungsfähig ist. Wir sind ein bisschen so wie der Frosch, der im heißen Wasser sitzen bleibt und nicht merkt, dass es immer heißer wird. An viele Sachen haben wir uns halt unglaublich schnell gewöhnt, beispielsweise Menschen, die direkt an der Autobahn wohnen, hören irgendwann den Krach der Autobahn nicht mehr. Und Menschen, die im Smog leben, merken nicht, dass die Luft immer schlechter wird.
Es ist so, dass uns entweder Katastrophen dazu zwingen werden, unser Verhalten zu ändern, oder wir erkennen eben frühzeitig, dass wir vielleicht einige Schritte einleiten. Und wir sollten wenig Zeit verlieren, um darüber zu sprechen. Beispielsweise durfte ich jetzt hier in Argentinien erleben, dass das Wetter unnatürlich heiß war für die Jahreszeit. Wir können natürlich unsere Zeit damit verschwenden, zu diskutieren, gibt es den Klimawandel oder nicht, oder wir könnten einfach sagen, wenn der Klimawandel wirklich kommt, dann wäre das eine Katastrophe, lasst uns jetzt lieber etwas tun, damit er nicht einsetzt.
Ich muss natürlich dazusagen, dass das sehr schwierig ist, es ist tatsächlich aus der Situation eines privilegierten Autors sehr leicht zu sagen, man muss etwas ändern, während es auf der anderen Seite beispielsweise auch in Deutschland Familien gibt, die mit jedem Pfennig rechnen müssen und die eben nicht sagen können, ich achte jetzt überall darauf, dass ich einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck hinterlasse.
Auch ich habe durch meinen Langstreckenflug nach Buenos Aires das Klima natürlich belastet, und deswegen habe ich auch dieses Buch nicht mit einem erhobenen Zeigefinger geschrieben, sondern eben auch um aufzuzeigen, wie schwierig es ist in unserem gegenwärtigen System, hier etwas zu verändern.
Aber es gibt eben einige Maßnahmen. Beispielsweise ist in Deutschland ein ganz großes Problem, dass Lebensmittel immer dann weggeschmissen werden, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. “Mindesthaltbarkeit” sagt aber eigentlich nur aus, dass es mindestens bis dahin haltbar ist; und man kann es eigentlich noch problemlos essen. Das ist eine unglaubliche Ressourcenverschwendung.
Plastiktüten sind ein großes Problem für unseren Planeten, wenn man die nicht mehr benutzt, tut man schon sehr viel. Und da gibt es viele kleine Schritte, die man unternehmen kann. Die großen Schritte allerdings, die erfordern auch ein Umdenken in der Politik und in der Wirtschaft.
SF: Sie haben 2006 mit “Die Therapie” einen sehr großen Bestsellererfolg gehabt. Seitdem schreiben Sie jedes Jahr ein Buch, und auch immer ein Erfolgsbuch. Was ist Ihr Geheimnis?
Sebastian Fitzek (lacht): Man kann es ganz offen sagen: Wenn man sich einmal etabliert hat, dann hat man natürlich eine Fangemeinschaft, und das ist wesentlich einfacher, als wenn man jedesmal unter einem neuen Namen starten würde. Zum Beispiel als Stephen King es als Richard Bachman probiert hat, war er auch erst einmal nicht mehr so erfolgreich, bis dann rauskam, dass es Stephen King war. Also hat man natürlich einen Kredit. Ich bin aber immer sehr nervös vor Veröffentlichungen, weil es eben keine Bestsellerformel gibt und der Geschmack am Ende entscheidet. Man muss sich deswegen – und das ist auch ein Tipp für alle angehenden Autoren – völlig loslösen davon zu sagen «Was könnte denn dem Leser gefallen?”, weil den Leser oder die Leserin gibt es gar nicht. Das hat man ja auch an den unterschiedlichen Menschen gesehen, die hier auf der Lesung waren. Man kann sich eigentlich nur die Frage stellen “Gefällt mir das Buch?”, “Mag ich das?”, “Würde ich das lesen?”, “Kann ich da 100% dahinterstehen?”. Wenn das der Fall ist, dann kann man das Buch auf die Reise lassen in der Hoffnung, dass es auch anderen gefällt.
SF: Sie waren Journalist und haben auf der Lesung erzählt, dass Sie mit Anfang/Mitte 30 gemerkt haben, dass Ihnen der Beruf keinen Spaß mehr macht. Deswegen seien Sie Autor geworden.
Sebastian Fitzek: Der Beruf in einer bestimmten Ausprägung. Damals war ich sehr viel unterwegs und habe für Radiostationen als Berater gearbeitet, und da war ich eigentlich für nichts verantwortlich. Ich wollte dann wieder etwas haben, wofür ich verantwortlich bin, wo ich am Ende des Tages sagen kann “Das habe ich gemacht”, im Guten wie im Schlechten. Es ist häufig, dass Schriftsteller aus beruflicher Unzufriedenheit heraus anfangen, gut zu werden. Bei John Grisham war es genauso, er hat seinen Beruf als Anwalt gehasst und hat dann flammende Justizromane geschrieben. Das ist vielleicht gar kein schlechtes Rezept.
SF: Sie sind promovierter Jurist und spezialisiert auf Urheberrecht. Es hat mich überrascht, dass Ihr Gesprächspartner auf der Messe, Máximo Soto, sagte, eines Ihrer Bücher, das auf Spanisch übersetzt ist, das es aber nur in Spanien gibt, könnte man sich ja als Raubkopie besorgen.
Sebastian Fitzek: Zunächst einmal ist er jemand, der auch sehr stark für Urheberrechte gekämpft hat als Journalist. Das war mit einem Augenzwinkern gemeint.
Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass die wenigsten Menschen wirklich etwas Kriminelles tun wollen, sondern wenn sie sich eine Raubkopie ziehen, dann nur dann, weil sie es auf einem anderen Wege nicht legal oder nur sehr kompliziert bekommen. Und wenn das Buch beispielsweise hier nicht erhältlich ist, dann müsste man dafür sorgen, dass es legal zu bekommen ist, um die Leute nicht dazu zu bringen.
Ich sehe dieses Problem von Raubkopien nicht so wahnsinnig kritisch, ich will nicht auf diejenigen zeigen, die sich das runterladen. Ich sehe eine andere Sache eher kritisch, nämlich dass die Leute, die diese Plattformen zur Verfügung stellen, oftmals Multimillionäre sind. Und wenn es dann dazu kommt, dass die Urheber, z.B. in der Musikindustrie, nicht mehr von ihren Werken leben können, aber einige Multimillionäre, denen große Tauschbörsen und Firmen gehören, mit kriminellen Machenschaften reich werden, das ist dann etwas, wo ich sage, da muss man den Riegel vorschieben.
Oftmals wissen die Leute, die sich eine Raubkopie holen, gar nicht, wen sie damit unterstützen. Sie denken, das ist kostenlos, aber tatsächlich müssen sie sich einen Computer kaufen, sie brauchen eine Software, und da stehen viele viele große namhafte Konzerne dahinter, die an diesem Problem der Raubkopien ebenfalls verdienen.
SF: Sie haben bei der Lesung gesagt, dass die Hauptperson Ihrer Bücher jeweils ungefähr ab Seite 80 anfängt, “das Kommando zu übernehmen”. Ist Ihnen das nicht etwas unheimlich?
Sebastian Fitzek: Im Gegenteil, ich warte darauf! Für mich ist das tatsächlich ein Zeichen – hat sie das Kommando übernommen, dann “lebt” sie, dann ist es eine – für mich zumindest – reale Figur. Wohingegen, wenn sie ab Seite 100 immer noch das macht, was ich ihr sage, ist es eher eine Reißbrettfigur, die nichts an Leben hat. Für mich ist es wirklich ein gutes Zeichen, wenn ich mich selber darauf freue zu sehen, was erlebt diese Figur eigentlich heute. Ich habe ein grobes Bild, ich vergleiche das immer mit einer Kohlezeichnung, aber ausgemalt wird sie beim Schreiben.
Es gibt Autoren, die haben ganz detaillierte Exposés , die haben 100/120 Seiten Zusammenfassung geschrieben über ihr Buch, die haben Interviews geführt mit ihren Hauptdarstellern, die wissen also ganz genau jedes kleinste Detail vom Lebenslauf dieser Figuren und schreiben das dann nur noch runter. So könnte ich nicht arbeiten. Das ist bewundernswert, das ist bestimmt auch klug in bestimmten Punkten, aber das Schreiben wäre dann reine Arbeit, es wäre kein Vergnügen.
Ich habe mich ja lange gescheut, überhaupt zu schreiben, weil ich den Prozess des Schreibens für so anstrengend hielt. Ich habe natürlich einen groben Leitfaden, so 20 Seiten, ich weiß auch ungefähr, worauf ich hinaussteuere, ich habe einige Szenen, auf die ich mich freue. Und in der Mitte habe ich viele weiße Felder, die beim Schreiben gefüllt werden. Vielleicht muss ich auch deswegen mehr noch überarbeiten vom ersten, zweiten, dritten Entwurf als vielleicht andere, die auch mit dem Lektorat schon ihren Entwurf so durchgekaut haben. Bei mir ist es anders. Ich will mich beim Schreiben selber überraschen lassen.
SF: Sie haben drei kleine Kinder, sind die mit Ihnen nach Argentinien gereist?
Sebastian Fitzek: Nein, die sind ein bisschen zu klein für so einen Kurztrip, wir sind ja nur vier Tage unterwegs gewesen. Wir wurden auf dem Weg auch noch in Rio de Janeiro aufgehalten, wegen des Vulkanausbruchs in Chile, sind also zu spät hier angekommen. Ich war heilfroh, dass wir diesen Termin am Sonntag auf der Buchmesse wahren konnten. Das wäre für die kleinen Kinder – die sind nämlich eineinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Jahre alt – ein bisschen zu anstrengend gewesen. Wenn sie größer sind, wenn ich noch mal eingeladen werden sollte oder privat hierhin komme, dann kommen sie mit, das habe ich auch mit meiner Frau schon besprochen.
SF: Es hat Ihnen gut gefallen hier.
Sebastian Fitzek: Als Europäer, als Deutscher hatte ich schon ein etwas falsches Image von Buenos Aires und Argentinien. In jedem Reiseführer wird gewarnt vor der hohen Kriminalität. Sicherlich gibt es das auch, gar keine Frage, aber alles, was wir erlebt haben, war einfach warm, freundlich, ich habe selten selten so freundliche Menschen erlebt, und ich meine nicht nur bei der Lesung, das war überwältigend, aber auch sonst, überall, wo man hingeht.
SF: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Foto:
Sebastian Fitzek stellte in Buenos Aires seinen Roman “Noah” vor.
(Foto: FinPic München)