Lernfähige Vögel?
Frau Boyerito und die Trinkgymnastik
Von Friedbert W. Böhm
Unser kleiner grüner Kolibri brauchte einige Wochen, bis er sich an die neue Kolibritränke gewöhnte, die ich eines Winters aufhängte. Dann hatte er sehr bald Gesellschaft: einen bräunlichen, der im Sommer anscheinend die Blüten unseres Gartens verschmäht. Und da aller guten Kolibris drei sind, kam ein Jahr später noch ein großer grüner dazu, der einige Wochen blieb. Offenbar hatte er sich durch meine Gastfreundschaft von seiner Weiterreise in den warmen Norden abhalten lassen.
Inzwischen entdeckte die Trinkstelle auch einer aus der Gruppe der heiteren Músicos, die sich periodisch bei uns einstellt, und es wird wohl nicht lange dauern, bis seine Kollegen ihn imitieren. Sogar ein Tordo-Weibchen habe ich schon an der Kolibritränke gesehen. Wer seine Eier in fremde Nester legt, fühlt sich wohl auch zur Nutzung fremder Nahrungsquellen berechtigt.
Dann erschienen zwei schwarze Gäste. Nein, das sind doch keine Tordos, sagte ich mir. Mein Freund, der Ornithologe, klärte mich auf, dass es Boyeritos waren, offenbar ein Pärchen. Meinem arroganten Vorurteil folgend, stufte ich das etwas größere Vögelchen als das Männchen ein.
Richtige Akrobaten sind das, hängen sich kopfunter in die Hibiskusstaude, um aus den Blütenansätzen Nektar zu saugen. Bald hatten sie auch die Kolibritränke entdeckt, wo es mit Honig aufgewertetes Zuckerwasser gibt. Das Männchen fand sofort heraus, wie man sich an die Basis der schwankenden Tränke hängen kann, um gemütlich, kopfoben, an einer der mit Plastikblüten markierten Nektarquellen zu schlürfen. Das Weibchen hingegen hielt an seiner Hibiskustechnik fest, hängte sich kopfunter an einen nahen Zweig und ergatterte so mühsam einige Tropfen des nahrhaften Safts.
Als Raucher verbringe ich viel Zeit an der frischen Luft. Dabei fiel mir allmählich auf, dass die eheliche Harmonie der Boyeritos gestört zu sein schien. Wenn das Weibchen sich anschickte, vom Zweig aus seine Trinkgymnastik einzuleiten, flatterte das Männchen an seine Seite und begann, auf es einzupicken. Fressneid! Die Gemahlin pickte erbost zurück. Was fällt dem bloß ein, mich am Trinken zu hindern?! Sie wie ich hatten aber ganz falsch verstanden. Das Männchen wollte nicht stören; es wollte zeigen. Es flog nämlich anschließend vom Zweig zur Tränkenbasis, nippte einmal kopfoben, kam dann auf den Zweig zurück, machte es noch einmal und noch einmal vor, als ob es sagen wollte: Sieh doch, wie es viel einfacher und müheloser geht. Schließlich ließ sich das Weibchen überzeugen und probierte es ein- oder zweimal. Offenbar widerstrebte es ihr aber, männliche Lehren zu übernehmen. Inzwischen trinken sie wieder friedvoll, jeder auf seine Weise.
Natürlich kann ich mich bei der Bestimmung der Geschlechter geirrt haben. Schließlich ist Lernresistenz nicht geschlechtsgebunden.
Foto:
Ein richtiger Akrobat: Boyerito.