Vom lesenden Kind zum Bestsellerautor
Der deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann über die spanische Ausgabe seines Werkes “Die Vermessung der Welt”
Von Christina Liebl
Der Autor Daniel Kehlmann bei einem Gespräch über sein Buch “Die Vermessung der Welt”, südamerikanische Literatur und seine neue Berühmtheit.
Eine Million verkaufter Exemplare und Übersetzungen in 35 Sprachen: Das ist die Erfolgsgeschichte von “Die Vermessung der Welt” des 32-jährigen Schriftstellers Daniel Kehlmann. Auf der 33. Buchmesse von Buenos Aires präsentierte der Autor die ins Spanische übertragene Ausgabe “La medición del mundo”. In einem Interview mit dem Argentinischen Tageblatt sprach er über sein Buch, seine Arbeit als Schriftsteller und deutschen Humor.
Wodurch kam Ihnen die Idee zu “Die Vermessung der Welt?”
Hauptsächlich, als ich vor ein paar Jahren in Mexiko war, über das Land gelesen habe und überrascht war, wie komisch Humboldt als Figur sein kann – auf eine sehr deutsche Art komisch. Gauß hatte mich immer schon fasziniert. Schließlich habe ich herausgefunden, dass Gauß 1828 Hausgast bei Humboldt war während des zweiten Deutschen Naturforscher-Kongresses. Da habe ich die Struktur des Romans vor mir gesehen.
Wenn Sie sagen, dass die Figuren auf “deutsche” Art komisch sind, glauben Sie, dass jemand aus einem anderen Kulturkreis das ebenso verstehen kann und es genauso komisch findet?
Das ist sehr interessant für mich. Ich kann es nur hoffen. Ich bemerke sehr unterschiedliche Reaktionen in verschiedenen Ländern. Das Buch kommt in England sehr gut an, was sicher damit zu tun hat, dass mein Humor dem englischen verwandt ist, und dass die Engländer diese Tradition von spleenigen Forschern selbst haben. Was Südamerika angeht, war ich ein wenig unsicher, ob das Buch hier funktionieren könnte. Aber die ersten Reaktionen, die ich bekommen habe, sind sehr gut. Ich spiele mit Elementen des südamerikanischen Erzählens und ich habe das Gefühl, dass in Südamerika gewisse Kleinigkeiten oder Anspielungen naturgemäß viel besser erkannt werden als anderswo. In Argentinien ist das Buch ja gerade erst erschienen und ich bin sehr neugierig, wie die Reaktionen sein werden.
Wie haben Sie für das Buch recherchiert?
Ich habe nicht Humboldts Reisen nachgemacht. Erstens hätte mich das fünf Jahre gekostet und zweitens geht das nicht, weil die Welt sich seither verändert hat, nicht nur politisch und architektonisch in den Städten, sondern sogar geologisch. Humboldts Andenreise ist heute so nicht mehr nachvollziehbar, weil sich durch Hangrutsche die Oberfläche gewisser Strecken zu stark verändert hat. Ich hatte mich von Anfang an entschieden, auf Lokalkolorit zu verzichten. Das ist ein spielerisches Buch, ein komödiantisches und keines, das von Lokalschilderungen lebt. Die Hauptrecherche war sehr viel lesen. Das geht nur in einem Gebiet, das mich interessiert. Ich könnte mich nicht über ein Jahr lang in ein Thema hineinversenken, das mich selbst überhaupt nicht betrifft.
Wo haben Sie selbst die Grenze zwischen Realität und Fiktion gezogen? Zum Beispiel, wenn Sie einen Dialog schreiben und den Personen Dinge in den Mund legen?
Deswegen habe ich bei den Dialogen die Technik gewählt, fast alle in indirekter Rede wiederzugeben. Dadurch entsteht etwas Pseudodistanziertes: Das ist inhaltlich so gesagt worden, aber wörtlich natürlich nicht. So würde es ein Historiker machen. Grundsätzlich habe ich viel erfunden. Das Buch ist ein Roman, und immer da, wo Roman draufsteht, muss man sogar erfinden. Ich habe aber versucht, meinem Bild, das ich mir von diesen Menschen gemacht habe, treu zu bleiben.
Greifen Sie bei den Charakterzeichnungen auch auf schriftliche Quellen zurück?
Das ist unterschiedlich. Im Fall von Gauß hat man sehr viele Briefe, bei deren Lektüre ein nachvollziehbares menschliches Bild entsteht. Man hat das Gefühl, da steht ein Mensch vor einem. Man versteht, was seelisch in ihm vorgegangen ist. Bei Humboldt ist das anders. Humboldt hat ungeheuer viel geschrieben, aber er ist immer distanziert. Meine Erfahrung beim Recherchieren über Humboldt habe ich dann dem Wahrsager in den Mund gelegt, der ihm aus der Hand liest am Orinoko und sagt, er sehe niemanden. Humboldt hat etwas Roboterhaftes an sich.
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