Wunderschön, subtil und tragisch
Dostojewskis “La mansa” in César Bries Adaptation und Inszenierung
Von Susanne Franz
Die Adaptation des argentinischen Theatermachers César Brie der Novelle “Die Sanfte” (1876) von Fjodor Dostojewski kommt mit sparsamsten Mitteln aus und verlässt sich vor allem auf die Darstellungskunst der beiden Hauptpersonen. Das Ergebnis ist eine meisterhafte Inszenierung (César Brie führt auch Regie).
Eine junge Frau liegt auf einem Tisch, sie ist tot, und ein schon älterer Mann versucht, Gründe dafür zu finden, warum sie sich umgebracht hat. Er erzählt die Geschichte der beiden, und die Darstellerin spielt die Frau, an die er sich erinnert und die noch vor wenigen Stunden neben ihm geatmet hat.
Der Mann, ein Pfandleiher, entdeckt das 16-jährige Mädchen, als es bei ihm Familienerbstücke versetzt, um eine Stellenanzeige in der Zeitung aufgeben zu können. Sie ist Waise und lebt seit drei Jahren bei ihren tyrannischen Tanten, die sie nun mit einem alten, reichen Kaufmann verheiraten wollen, der bereits zwei Ehefrauen im Suff totgeschlagen hat. Als der Pfandleiher sie um ihre Hand bittet, sieht sie in ihm einen Retter in der Not.
Doch die Ehe der beiden ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, denn der Mann will das Mädchen beherrschen, und er erzählt ihr nichts von seinen Schwächen und Ängsten. Nach einem Streit bricht sie aus und trifft sich mit einem Offizier, der Mann holt sie zurück, und in der Nacht fühlt er, wie sie eine Pistole an seine Schläfe hält. Er rührt sich nicht, und sie gibt den Wunsch, ihn zu töten, nach einer Weile auf. Dies ist das Ende ihrer Beziehung, denn er wertet das Ereignis als Sieg, sie aber verachtet ihn für seine Feigheit. Als der Mann schließlich Monate später seine Liebe zu ihr gesteht, ist es zu spät.
Während das Stück einerseits die patriarchalischen Verhältnisse im Russland des 19. Jahrhunderts widerspiegelt, ist es zugleich universell gültig: Für alle, deren Notsituation oder Schwäche ausgenutzt werden und die sich dennoch eine innere Freiheit bewahren, und sollte sie den Tod bedeuten. Für diejenigen, die in der aussichtslosen Spirale des Schweigens in der Liebe gefangen sind, in der man sich immer weiter voneinander entfernt, obwohl man sich anscheinend nicht losgelassen hat. Und für alle, die einen geliebten Menschen verloren haben und angesichts des Todes alles Ungesagte und Ungelebte bereuen. “Liebt einander”, sagt die Sanfte im Augenblick ihres Todes zum Publikum gewandt, und jedem wird bewusst, wie kostbar das Leben ist.
César Bries Inszenierung ist wunderschön, subtil und stimmig in jedem Detail: Angefangen bei der Kostümierung im Stil der Epoche von Carolina Ferraioulo über die Originalmusik und die Arrangements von Pablo Brie bis zu Bühnenbild und Beleuchtung (Duilio della Pittima). Aber das Beeindruckendste ist die Schauspielkunst der beiden Protagonisten: Abril Piterbarg als die Sanfte, deren ausdrucksvolle Bewegungen die Tänzerin verraten und die auch als Sängerin brilliert, aber besonders Iván Hochman, der erst Anfang 20 ist, aber den 40-jährigen Pfandleiher ebenso brillant verkörpert wie den schleimigen fetten Kaufmann und den lüsternen Offizier: Hier sieht man ein Schauspielertalent, vor dem man sich nur verneigen kann.
“La mansa. Un cuento ruso” kann man nur noch bis zum 21. April sehen: im Teatro El Extranjero, Valentín Gómez 3378, freitags um 21 Uhr. Eintritt: 200 Pesos. Es wird empfohlen, zu reservieren: 4862-7400 oder bei Alternativa Teatral.
Foto:
Abril Piterbarg und Iván Hochman in “Die Sanfte”.